Johann Pesser sieht erste Rote Karte

Die frühe deutsche Führung durch den Koblenzer Josef Gauchel glich Abbeglen noch vor der Pause aus und weil danach keine Treffer fielen, ging es bei brütender Hitze in die Verlängerung. Es blieb jedoch beim 1:1. Trauriger Höhepunkt war der erste WM-Platzverweis eines Deutschen (aus Wien): Johann Pesser ließ sich in der 113. Minute zu einem Revanchefoul hinreißen und trat Minelli um. Das aufgepeitschte Publikum war nun schier von Sinnen. Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte besorgt: „Es war eine außerordentlich harte Belastungsprobe, die das Wort vom völkerverbindenden Sport als hohle Phrase erscheinen und die das in sportlichen Konkurrenzen schlummernden Gefahrenmoment plastisch hervortreten zu lassen geeignet ist.“

Fachamtsleiter Linnemann warf Sündenbock Pesser sofort aus dem Kader und sperrte ihn für zwei Monate. Für das Wiederholungsspiel am 9. Juni an gleicher Stelle war also eine Umstellung nötig, doch Herberger beließ es nicht dabei. Fünf Tage später stand eine auf sechs Positionen veränderte Elf auf dem Platz, nur die Parität blieb gewahrt – wieder sechs Deutsche und fünf Österreicher. Diesmal reiste der Kader geschlossen an, um alle Optionen für das Viertelfinale zu haben. Da warteten schon die Ungarn. Doch die Deutschen sollten sie nie zu sehen bekommen, denn die starke Schweiz setzte sich durch.

Frühes Aus trotz 2:0-Führung

Selbst eine 2:0-Führung nach 20 Minuten reichte Herbergers Elf nicht. Sie unterlag in erneut feindseliger Atmosphäre noch mit 2:4 (2:1), bot aber eine Stunde ein gutes Spiel. „Wenn hier nach Schuldigen zu fahnden ist, so nur im Zuschauerraum!“, analysierte die Fußball Woche. Herberger machte es sich nicht ganz so einfach. Zwar befand auch er: „Glauben Sie mir, es war eine furchtbare Schlacht, es war kein Spiel mehr“, aber was er wirklich dachte, verraten seine Notizen. Unter „Gründe für unser Ausscheiden“ hackte er in seine Schreibmaschine: „Der unzulängliche Einsatz unserer österreichischer Spieler in Szenen, wo alleine Kraft und kämpferisches Wollen ausschlaggebend gewesen wäre. Sie sind durch die Bank glänzende Spieler. Aber mit Spiel allein gewinnt man nicht. Am wenigsten eine Weltmeisterschaft.“

Die ging ohne die Deutschen, die nie wieder so schnell aus einem Turnier ausscheiden sollten, weiter. Es war ein ausgeglichener Wettbewerb. Fünf Spiele des Achtelfinales gingen in die Verlängerung, nur Indonesien (0:6 gegen Ungarn) und Kuba (0:8 im Viertelfinale gegen Schweden) erwiesen sich als völlig überfordert. Es wurde das Turnier mit dem zweithöchsten Toreschnitt (4,67 pro Spiel).

Leonidas darf nicht barfuß spielen

Dazu trug wesentlich Brasilien bei, das mit Leonidas (acht Treffer) den Torschützenkönig stellte. Schon die Premiere war ein Spektakel, gegen Polen hieß es nach 120 Minuten 6:5. Leonidas und der Pole Ernst Willimowski lieferten sich ein Wettschießen und erzielten je vier Tore. Kurios: Als in Straßburg heftiger Regen einsetzte, wollte Leonidas, wie er es gewohnt war, barfuß weiterspielen, doch der gestrenge Schiedsrichter untersagte es ihm. Auch Weltmeister Italien musste zunächst in die Verlängerung und hatte beim 2:1 über Norwegen wieder mal Glück mit dem Schiedsrichter, der ein reguläres Gegentor glatt übersah. Selbst Vittorio Pozzo schämte sich und gab zu, Norwegen hätte den Sieg verdient gehabt. Doch Italien erwarb sich noch vor Deutschland den Status einer Turniermannschaft. Es steigerte sich und zog über Gastgeber Frankreich (3:1) und Brasilien (2:1) ins Finale gegen die Ungarn ein.

Im Halbfinale erhielt Italien übrigens einen doppelt bemerkenswerten Elfmeter. Gegen seine Berechtigung legte Brasilien offiziell, aber vergeblich, Protest ein und drohte gar mit Austritt aus der FIFA. Seine Ausführung hatte es auch in sich: Meazza war bei dem angeblichen Foul an ihm der Hosenbund gerissen und so hielt er beim Schuss seine Hose fest, was den Torwart irritierte und das Publikum köstlich amüsierte.

Mussolinis Ansage: "Siegen oder sterben"

Noch eine Anekdote um Italien verdient Erwähnung, weil sie in die düstere Vorkriegs-Zeit passt: Vor dem Finale von Paris kabelte Diktator Mussolini gebieterisch ins Team-Quartier „Siegen oder sterben“. Die Squadra Azzurra entschied sich für das Siegen und schlug die Ungarn im erneut nicht ausverkauften Endspiel mit 4:2. Ungarns Torwart Szabo nahm es locker: „Ich war noch nie so stolz wie jetzt. Wir haben elf Menschen das Leben gerettet.“ Fußball-Deutschland tröstete sich mit der kommenden WM im eigenen Land. „Vielleicht haben wir 1942, wenn die vierte Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wird, dann den Gipfel der Leistungsfähigkeit erklommen“, hoffte die Fußball Woche. Doch dazu sollte es nie kommen, Hitler-Deutschland stürzte die Welt in einen fürchterlichen Krieg und brachte sich damit selbst um die WM.