Talentförderung
Wolf: "Die Leute verstehen, dass wir Dinge verbinden wollen"

Gemeinsam mit dem Trainer*innen-Kompetenzteam hat Hannes Wolf seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren die Nachwuchsarbeit umgekrempelt. Im DFB.de-Interview zieht der Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung ein Zwischenfazit und spricht über aktuelle Beobachtungen zur Trainingsphilosophie Deutschland (TPD).
DFB.de: Herr Wolf, seit etwas mehr als zwei Jahren sind Sie in Doppelfunktion für den DFB tätig. Lassen Sie uns aktuell einsteigen: Dieses Gespräch findet in Reutlingen statt, wo Sie mit der neuen U 20-Nationalmannschaft gegen Italien spielen. Wie ist nach den ersten gemeinsamen Tagen inklusive des 5:1-Auswärtssieges in der Schweiz Ihr Eindruck von der Mannschaft mit Spielern der Jahrgänge 2005 und 2006?
Hannes Wolf: Der Eindruck ist positiv. Es war eine besondere Abstellungsperiode, aus verschiedenen Gründen. Sie liegt noch im Transferfenster, und einige Spieler, die kurzfristig gewechselt sind, konnten nicht zu uns kommen. Andere spielen bereits in der U 21. Trotzdem wussten wir, dass wir in unserem Pool einige Spieler haben, die schon weit sind und bereits Minuten im Profibereich sammeln. Das zeigt, dass wir in der Ausbildung und Entwicklung auf einem besseren Weg sind. Deshalb war klar: Wir bekommen eine schlagkräftige Mannschaft zusammen. Die Trainingseinheiten waren sofort von guter Qualität und geprägt von einer positiven Kultur. Und natürlich ist ein 5:1-Sieg in der Schweiz ein schöner Start, der nicht selbstverständlich ist.
DFB.de: Am Dienstagabend ließ die Mannschaft um Kapitän Maurice Krattenmacher ein dominantes 4:0 gegen Italien folgen.
Wolf: Da haben wir ein sehr gutes Spiel gemacht. Gerade die Art und Weise, wie wir die Tore herausgespielt haben, hat mir gefallen. Es war eine tolle Teamleistung von uns, gepaart mit starken individuellen Leistungen der einzelnen Spieler. Wir können zufrieden und auch stolz auf die Jungs sein. Es war unser erster Lehrgang der Saison, wir haben viele Spieler hier erst kennengelernt. Dann so aufzutreten, ist schon bemerkenswert.
DFB.de: Weiten wir den Blick über die U 20 hinaus. Wie beurteilen Sie den Status quo der Nachwuchsarbeit in Fußball-Deutschland?
Wolf: Für uns sind Breiten- und Leistungsfußball eins. Natürlich gibt es Unterschiede, aber wir werden besser. Im Kinderfußball verstehen immer mehr Menschen, wie wichtig die vielen Felder, die hohe Aktionsdichte und der spielerische Ansatz sind, im Training und im Spiel. Wir müssen weiter Bürokratie abbauen. Kinderfußball-Festivals sollten einfach durchführbar sein. Es geht nicht um Abbildbarkeit im DFBnet, sondern darum, dass alle Kinder mitmachen dürfen. Das ist entscheidend, für alle Kreise. Vereine, die verstanden haben, worum es geht, sollen es auch umsetzen dürfen. So erreichen wir wirklich alle. Im Leistungsbereich spüren wir ebenfalls Fortschritte. Der Austausch mit den Menschen im System zeigt: Der Hunger, es besser zu machen, ist da. Markus Krösche hat kürzlich gesagt, dass die Ausbildung nicht so war, wie sie sein könnte. Ich sage immer: Da kann keiner etwas dafür. Es sind Entwicklungen passiert – Videoanalyse, Belastungssteuerung, verändertes Freizeitverhalten. Darauf reagieren wir. Wir hatten kürzlich die Trainer der Leistungszentren der A-, B- und C-Jugend mehrere Tage in Frankfurt. Das war extrem positiv. Wir haben uns konkret mit Fußballinhalten beschäftigt – mit dem, was wirklich auf dem Platz passiert. Das ist unsere Aufgabe, und da sind wir dran.
DFB.de: Nach Ihrer Antrittspressekonferenz als DFB-Direktor wurde Ihnen von vielen Stimmen ein ansteckender Enthusiasmus für Ihr Thema, die Nachwuchsarbeit, attestiert. Wie steht es nach zwei Jahren im Amt um Ihre Motivation?
Wolf: Ich mag meinen Job sehr, vor allem, weil es um die Entwicklung von Menschen geht. Natürlich geht es um Fußball, aber auch um Kultur und darum, wie wir wollen, dass Kinder groß werden. Das bleibt lebendig und vielfältig. Die Unterstützung – sowohl im Haus als auch von vielen Menschen drumherum – ist riesig. Klar, es gibt auch Dinge, die man erklären muss. Aber insgesamt ist da so viel Rückhalt. Viele sagen: "Cool, dass ihr das macht. Danke, dass ihr das macht." Sie verstehen, dass wir Dinge verbinden wollen, nicht trennen: große mit kleinen Vereinen, Kinder- mit Jugendfußball, Breiten- mit Leistungssport, Mädchen mit Jungen. Mein Alltag ist vielfältig und intensiv, mit unterschiedlichen Aufgaben, auch mit der U 20. Ich bin erfahrener geworden und weiß, wann ich Pausen brauche. (schmunzelt)
DFB.de: Spüren Sie auch Stolz, wenn Sie sehen, wie groß die Resonanz auf Ihre Arbeit und die Trainingsphilosophie Deutschland ist?
Wolf: Wenn wir Veranstaltungen machen – wie neulich das TPD-Heimspiel am Campus in Frankfurt – und hunderte Trainer*innen kommen, ohne dafür ein Zertifikat oder Fortbildungsstunden zu bekommen, dann ist das stark. Sie kommen, weil sie gutes Training anbieten wollen. Wir haben den Draht zu den Vereinen und zeigen klar, was es dafür braucht – ohne einzuengen. Ich glaube, wir haben kaum Menschen auf dem Weg verloren, weder durch Struktur, Inhalt noch Kommunikation. Im Gegenteil, wir haben viele bei uns gehalten. Ob ich darauf stolz bin, weiß ich nicht. Aber es ist wichtig und gut, dass viele das Positive sehen und eine Klarheit spüren.
DFB.de: Wo gibt es Verbesserungspotenzial?
Wolf: In der IT brauchen wir einfache Lösungen. Wenn wir den Menschen beibringen, auf mehreren Feldern zu spielen und alle Kinder spielen sollen, dann darf es nicht sein, dass in der Kaderliste nur zwölf eingetragen werden können. Wer mehr mitbringt, wird bestraft. Das muss sich ändern. Zudem haben wir eine hohe Fluktuation, viele Menschen kommen neu ins System Fußball. Deshalb brauchen wir ein einfaches Onboarding. Innerhalb einer Stunde online die wichtigsten Dinge zu gutem Training lernen – das wäre stark und wirkt sofort. Auch politisch brauchen wir mehr Unterstützung und Topleute, die sich für unsere Drei-gegen-Drei-Schulkonzepte stark machen. Der Beitrag, den wir darüber zur Entwicklung unserer Kinder leisten können, ist groß und im Verhältnis zu den Kosten relativ gering. Deshalb mobilisieren wir, was wir können.
DFB.de: Zum Beispiel auch über das "Jahr der Schule", das am kommenden Wochenende beim großen "Wochenende des Amateurfußballs" eingeläutet wird.
Wolf: Genau. Wenn Persönlichkeiten wie Christian Streich oder Turid Knaak mitmachen, hat das eine Wirkung. Auch der Deutsche Handballbund steht hinter unserem Drei-gegen-Drei auf mehreren Feldern, unserem Konzept im Schulkontext. Das denken wir konsequent polysportiv. Es muss an noch mehr Orten und vor allem auch in der Schule umgesetzt werden. Sport muss uns wichtig genug sein, um ihn zu ermöglichen. Wir können nicht sechs Stunden am Tag Sport machen – also müssen die ein bis zwei Stunden sitzen.
DFB.de: Was steckt für Sie persönlich und das Kompetenzteam im Jahr der Schule? Welche Chancen sehen Sie dadurch?
Wolf: Früher war der Sportunterricht oft übungsorientiert. Danach sind die Kinder rausgegangen, haben gespielt, sind geklettert. Heute hakt es bei vielen Kindern genau daran. Deshalb brauchen wir ein System, das Freude, Intensität und viele Wiederholungen bietet – aber wenig fehleranfällig ist. Das Drei-gegen-Drei auf mehreren Feldern, mit Fokus auf Werte-Coaching, ist ein Schlüssel. Da steckt so viel Kraft drin. Wenn du es schaffst, Kinder auf ihren Wegen zu begleiten – auch polysportiv – dann musst du gar nicht viel variieren. Wenn sie mehrfach pro Woche Drei-gegen-Drei spielen, achtmal drei Minuten, dann haben sie Sport gemacht. Und wenn wir ihnen beibringen, gut miteinander umzugehen, mit Erfolgen, Misserfolgen, Konflikten, dann schlagen wir viele Fliegen mit einer Klappe. Wir brauchen Orte, wo das entsteht – und das Selbstvertrauen, es immer wieder zu tun. Nicht nur zwei Wochen und dann wieder etwas anderes. Dauerhaft keine Warteschlangen, sondern Spielformen mit Freiheitsgraden und Kinder statt Erwachsenen, die das Spiel dominieren. Und weil es ein freies Spiel ist, können wir es immer wieder machen. Es ist immer anders.
DFB.de: Verändert haben sich auch die Einsatzminuten junger deutscher Spieler. Vor allem in der 2. Bundesliga sind sie stark gestiegen. Ginge es für ein großes Fußballland wie unseres nicht darum, dass die besten U 23-Spieler diese Spielzeit bei den besten deutschen Vereinen sammeln?
Wolf: Das können sie ja. Unsere jungen Spieler entwickeln Substanz. Bei 19 Trainerwechseln in der vergangenen Saison in der 2. Liga bekommt niemand Spielzeit geschenkt. Wer spielt, kann etwas. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. In der 2. und auch in der 3. Liga ist die Einsatzzeit junger deutscher Spieler inzwischen doppelt so hoch wie noch vor drei Jahren. Wenn man sich die 2. Liga anschaut, sieht man: Die Spieler kommen aus verschiedensten Vereinen, auch aus großen Klubs. Entscheidend ist, dass sie bereit sind, diesen Weg zu gehen. Wir haben immer wieder Spieler, die als Eigengewächse im eigenen Verein ihre Schritte machen. Da gibt es viele Beispiele. Bei der letzten U 21 hatten wir etwa Maxi Beier, der von Hoffenheim an Hannover 96 ausgeliehen war, Paul Nebel von Mainz oder Nick Woltemade, der in der 3. Liga bei Elversberg erstmals auf sich aufmerksam gemacht hat. Natürlich freuen wir uns, wenn jemand den direkten Weg geht. Aber die allermeisten nehmen auch mal einen Umweg. Das ist in anderen Nationen genauso.
DFB.de: Wie schaffen Sie es, nicht nur den Spitzennachwuchsfußball, sondern auch die Belange des Amateurbereichs zu fördern?
Wolf: Fußball ist für alle da, und das ist total kostbar. Da stecken so viele Werte drin. Deshalb besuchen wir kleine Vereine und sind in den untersten Lizenzstufen der Ausbildung aktiv. Die TPD ist im Kindertrainer-Zertifikat, im Basiscoach und bis in die B-Lizenz voll integriert. Noch dazu haben viele aus unserem Kompetenzteam – auch Nationaltrainer – eigene Kinder, die Fußball spielen. Nicht immer bei großen Vereinen, manche spielen auch Handball. Der Wert dieser Erfahrungen ist immens. Es geht darum, dass Kinder diese wertvolle Zeit genießen und die Chance haben, sich zu entwickeln. Unabhängig vom späteren Niveau.
DFB.de: Sie sprechen die vielen Fortbildungen im ganzen Land an. Die erste richtig große fand in Hallbergmoos bei München statt, nicht bei einem Profiverein.
Wolf: Ich glaube, wir haben bewiesen, dass wir uns auch dort zu Hause fühlen. Es ist kein "entweder oder". Wir wollen als Deutschland beides abbilden: Breite und Spitze. Wir sind ein Land der Vereine. Mehr als eine Million Kinder und Jugendliche spielen Fußball im organisierten Bereich. Viele von ihnen tragen den Wunsch in sich, mehr zu spielen, jeden Tag zu spielen, vielleicht auch zu größeren Vereinen zu wechseln. Das ist ein natürlicher, leistungsorientierter Weg. Unsere Trainingsphilosophie gilt an beiden Orten, in der Breite und in der Spitze. Der Kern bleibt gleich: spielen, Tore schießen, viele Aktionen, blocken, dribbeln, umschalten, Zweikämpfe führen, im Flow sein, als Team funktionieren. Die Formen sehen unterschiedlich aus, aber die Prinzipien stimmen überall. Gerade im Breitensport, in dem es oft nur zweimal pro Woche Training gibt, müssen wir auf den Punkt arbeiten. Dort muss der Kern noch stärker abgebildet werden.
DFB.de: Lassen Sie uns zum Ende noch einen genaueren Blick auf den Mädchenfußball werfen. Wie sehen Sie die vielen Mädchen und jungen Frauen gefördert, die aktuell in den Fußball drängen?
Wolf: In den vielen Förderzentren wird immer professioneller gearbeitet. Aber das funktioniert nur richtig gut, wenn wir bereits im Vorfeld die richtigen Schritte gehen. Dazu gehören auch Schulkonzepte, die Mädchen die Möglichkeit geben, mehrmals pro Woche in der Schule Sport zu treiben. Ergänzt durch ein gutes Training im Verein entsteht so eine starke Basis. Es gibt viele Mädchen, die große Lust auf Sport haben, leistungsbereit sind und sich davon begeistern lassen. Hier haben wir gute Möglichkeiten. Aber nur Strukturen im Spitzenbereich aufzubauen, ohne das Fundament darunter zu stärken – davon bin ich nicht überzeugt. Wir müssen auch die Regionen rund um die Leistungs- und Förderzentren fördern. Die Menschen auf den Plätzen brauchen Unterstützung, damit das Niveau bereits dort möglichst hoch ist. So kann Entwicklung bestmöglich stattfinden. Und dann können sich irgendwann die besten Mädchen aus einer Region in einem Verein oder Klub treffen. Den gesamten Weg dorthin müssen wir gemeinsam skizzieren.
Kategorien: Talentförderung, U 20-Männer, DER DFB
Autor: jf

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