Holland triumphiert dank van Basten

Nachdem Deutschland 1984 noch Frankreich den Vortritt ließ, durfte es nun die folgende EM ausrichten. Am 18. Februar 1985 votierte Organisationskomitee der UEFA für den Ausrichter Deutschland – mit 5:1 Stimmen. Nun musste nur noch das Exekutivkomitee am 15. März zustimmen, für gewöhnlich eine Formalität. Doch über der Entscheidung in Lissabon schwebte ein dunkler politischer Schatten, denn Bundesregierung und DFB wollten unbedingt Berlin, damals noch eine geteilte Stadt, einbinden.

Im Olympia-Stadion sollten EM-Spiele stattfinden. Das war mit den drei osteuropäischen Vertretern in der UEFA-Kommission nicht zu machen, in den letzten Tagen des Kalten Kriegs vertraten sie natürlich die politischen Interessen ihrer Länder und bewegten sich keinen Millimeter. So erklärte der DFB am Tag vor der Entscheidung seine Bereitschaft, auf Berlin zu verzichten und bekam zu diesem Preis die EM 1988.

Bundeskanzler Helmut Kohl kritisierte zwar den "sportpolitischen Fehler", aber die Sache hatte auch ihr Gutes, das bis in die Gegenwart strahlt. Als Entschädigung erhielt Berlin das Pokalfinale, zunächst für die nächsten fünf Jahre – aber so wie es heute aussieht, bis in alle Ewigkeit. Das jährliche Fest des deutschen Fußballs, das längst Kultstatus hat, hat seine Wurzeln in der Vorgeschichte zur Europameisterschaft 1988. Sie brachte dem DFB noch mehr Vorteile, denn natürlich musste die Elf des Gastgebers nicht in die Qualifikation.

DFB-Team bedurfte einer spielerischen Steigerung

So konnte Teamchef Franz Beckenbauer in aller Ruhe ein Team formen, dass trotz der Vize-Weltmeisterschaft in Mexiko dringend einer spielerischen Steigerung bedurfte. Die Zeit der Eders und Jakobs’ war vorbei, vor eigenem Publikum sollte auch wieder etwas gezaubert werden. Zumal man zwangsläufig zu den Favoriten gehörte.

Titelverteidiger Frankreich fand den Weg nach Deutschland nicht. Selbst gegen die vom Deutschen Siegfried Held trainierten Isländer kamen sie nicht über ein 0:0 hinaus, gegen die DDR gaben sie sogar drei Punkte ab (0:0, 0:1). Nie spielte ein Titelverteidiger eine schlechtere Qualifikation als die Auswahl der "Grande Nation", die in acht Spielen nur vier Tore schoss. So ging der Gruppensieg an die UdSSR, die zuvor zwei EM-Endrunden verpasst hatte. Die DDR wurde mit 11:5 Punkten beachtlicher Zweiter. Vize-Europameister Spanien hingegen setzte sich durch, musste aber vor dem Fernseher noch 90 Minuten zittern. Er verdankte seine EM-Teilnahme ganz wesentlich Österreichs Torwart Klaus Lindenberg, der sich beim 0:0 gegen Verfolger Rumänien selbst übertraf.

Italien, das als amtierender Weltmeister die EM 1984 verpasst hatte, wetzte die Scharte wieder aus und setzte sich mit seiner jungen Mannschaft gegen Schweden und Portugal durch. Gianluca Vialli schoss im Entscheidungsspiel gegen Schweden (2:1) beide Tore.

England dominierte alles

Eine klare Angelegenheit war das Rennen in Gruppe 4, in der England alles dominierte. Mit 19:1 Toren und 11:1 Punkten spazierten die Briten nach Deutschland, den einzigen Punkt ließen sie in der Türkei, wofür sie im Rückspiel (8:0) fürchterliche Rache nahmen. "England ist wieder da, die schlechten Tage sind vergessen", titelte Daily Telegraph. 1984 hatten die Briten noch zugesehen – ebenso wie die Niederlande. Aber auch die von Rinus Michels trainierte "Elftal" durfte bei der Gala der großen Fußball-Nationen nicht fehlen. Das Los meinte es gut mit den deutschen Nachbarn, Griechenland, Ungarn und Polen waren keine übermächtigen Gegner. Zypern schon gar nicht, doch mit dem Fußball-Zwerg gab es die meisten Probleme. Genauer gesagt mit den Fans, die sich das Spiel ansahen. Weil beim 8:0-Schützenfest in Rotterdam Rauchbomben aufs Feld flogen und eine den Gäste-Torwart verletzte, wurde das Resultat annulliert und zugunsten Zyperns gewertet (0:3). Die Niederländer gingen erfolgreich in Berufung und bekamen ein Wiederholungsspiel, das sie 4:0 gewannen. Aus Protest dagegen trat Griechenland im letzten Spiel gegen die Niederländer mit der Reserve an, was ein doppeltes Eigentor war. Die wollten selbst die Landsleute nicht sehen, nur 4000 erlebten in Rhodos eine 0:3-Pleite von "Hellas".

"Nie wieder sage ich ein schlechtes Wort über die Schotten"

Auch zwei Außenseiter, die für beste Stimmung auf den Rängen sorgen sollten, schafften die Qualifikation. Die Dänen bestätigten ihre Erfolge von 1984 und 1986 und erreichten zum dritten Mal in Serie ein großes Turnier. Aber etwas war anders: "Danish dynamite" war nass geworden, der Hurra-Fußball gehörte der Vergangenheit an. Die leicht überalterte Elf von Sepp Piontek erkannte die Vorzüge des abgeklärten, effizienten Spiels und schaffte mit einem Torverhältnis von 4:2 in sechs Spielen den Gruppensieg vor den Tschechen, die eine 0:3-Pleite bei Schlusslicht Finnland um die Deutschland-Reise brachte. Bliebe noch der Überraschungssieger der Gruppe 7, wo die Experten in der Favoritenfrage vorher zwischen Belgien, Bulgarien oder Schottland hin und her schwankten. Doch als im November 1987 abgerechnet wurde, hieß der EM-Teilnehmer erstmals überhaupt Irland. Die "Boys in Green" säumten nicht, sich bei den Schotten zu bedanken, die das für sie bedeutungslose Spiel in Bulgarien 1:0 gewannen. Irlands Trainer Jack Charlton, 1966 mit England Weltmeister, schickte zwei Kisten Champagner in das Land des Whiskeys und schwor: "Nie wieder sage ich ein schlechtes Wort über die Schotten." Für einen Engländer eine echte Herausforderung.

Die Teilnehmer standen also fest, nun galt es sie zusammen zu bringen. Am 12. Januar 1988 zog der Sohn von Ex-Nationalspieler Ulli Stielike, Christian, in Düsseldorf die in roten Plastikkugeln verpackten Lose. Deutschland als Kopf der Gruppe 1 freute sich bedingt über Angstgegner Italien, etwas mehr über Dänemark und die Spanier, an denen es Revanche zu üben galt für das Last-Minute-Aus von 1984.

Europa freute sich auf diese EM, das wurde alsbald klar. Bis zum Turnierstart am 10. Juni waren die meisten Spiele bereits ausverkauft, letztlich lag die Auslastung in den Stadien bei 95,5 Prozent. Absolut (849.844) als auch relativ (56.656 pro Spiel) sprengte die EM in Deutschland alle Zuschauerrekorde.