Das erste Elfmeter-Drama

Letztmals wurde eine Europameisterschafts-Endrunde mit nur vier Mannschaften ausgetragen. 32 Länder bewarben sich um die Plätze, nur Favoritenschreck Albanien blieb fern. Aber auch der nächste Fußballzwerg, den das Los in eine Gruppe mit dem Welt- und Europameister führte, hatte es in sich. Die besten Kicker der Mittelmeerinsel Malta wehrten sich am 22. Dezember 1974 auf dem Ascheplatz von Gzira mit Haut und Haaren. Sechs Monate nach dem WM-Triumph von München mühte sich die Elf von Bundestrainer Helmut Schön zu einem knappen 1:0-Sieg, den der Kölner Bernd Cullmann sicherte.

Wie 1972 sollte die Qualifikation für Deutschland kein Spaziergang werden. Zwar ungeschlagen, aber doch mit etlichen blauen Flecken (zwei Remis gegen Griechenland) erreichte der Titelverteidiger das Viertelfinale. Erst das wichtigste Länderspiel-Tor in der Karriere von Jupp Heynckes im November 1975 gegen die Bulgaren (1:0) beseitigte die Sorgen, das abschließende 8:0 gegen Malta, als Berti Vogts sein einziges Tor in 96 Länderspielen gelang, die letzten theoretischen Zweifel. Einige Skeptiker aber blieben der Schön-Elf erhalten: "Es ist schwer zu glauben, dass diese Mannschaft trotz aller guten Vorsätze und Ansätze sich so zu steigern vermag wie jene in der Europameisterschaft 1972", schrieb die Süddeutsche Zeitung.

Es war Klagen auf hohem Niveau. Andere große Fußball-Nationen hätten die Sorgen der Deutschen gerne gehabt. England, das schon die WM 1974 verpasst hatte, scheiterte in der Vorrunde ebenso wie der Europameister 1968, Italien. Auch der WM-Dritte Polen, vom Los in eine Todesgruppe mit den Niederlande und besagten Italienern geführt, blieb zuhause. England mochte sich noch damit trösten, dem späteren Europameister Tschechoslowakei in Wembley eine 3:0-Niederlage zugefügt zu haben. Doch im Rückspiel, das wegen dichten Nebels erst im zweiten Anlauf ordnungsgemäß durchgeführt werden konnte (der erste wurde nach 16 Minuten abgebrochen), behielten die Tschechen die Oberhand (2:1).

England in der Fußball-Krise

England war geschockt und musste sich seine Fußball-Krise allmählich eingestehen. Großbritannien entsandte dennoch einen Vertreter ins Viertelfinale. Ausgerechnet sein kleinster Verband, Wales, schaffte den Sieg in einer Gruppe mit Österreich und Ungarn. Ebenfalls im Viertelfinale: Jugoslawien, Belgien, Spanien und – Dynamo Kiew. Was wie ein schlechter Witz klingt, ist doch Fakt: aus organisatorischen Gründen verzichteten die Russen nach dem Aus in der WM-Qualifikation auf den Aufbau einer neuen Nationalmannschaft und schickten einfach ihren Meister als Vertreter der Sowjetunion ins Rennen. Und so kam es, dass ein Verein ins Viertelfinale einer EM einzog, denn Dynamo mit seinem Weltklassestürmer Oleg Blochin war 1975 Europapokalsieger geworden (Pokalsieger-Cup) und hatte auch das Super-Cup-Finale gegen die Bayern gewonnen. Da reichte es dann auch für die Türkei und Irland.

Wie 1972 kam auch das kleine Belgien wieder unter die letzten Acht, obwohl es sich im letzten Heimspiel eine Niederlage gegen die DDR (1:2) leistete. Den Ost-Deutschen, die auch das damals noch zweitklassige Frankreich schlugen (2:1), fehlte am Ende nur ein Punkt zum Gruppensieg. Als die Viertelfinals ausgelost wurden, brannte ein Land ganz besonders auf den Sieg: Jugoslawien hatte sich gleich am Tag nach der Qualifikation um die Ausrichtung der Endrunde beworben. Nun musste nur noch Außenseiter Wales eliminiert werden. Es schien die am wenigsten brisante Paarung zu werden. Dagegen versprach man sich von den Nachbarschaftsduellen zwischen Belgien und den Niederlanden sowie der Sowjetunion und den Tschechen mehr Spannung.

Deutschland traf auf Spanien, das damals weit ungefährlicher war als heute. Und doch machte die Paarung Jugoslawien – Wales letztlich die meisten Schlagzeilen. Den Jugoslawen schlug nach ihrem Hinspielsieg (2:0) in Cardiff Feindseligkeit entgegen, die man von britischen Sportplätzen bis dahin noch nicht gekannt hatte. Unentwegt flogen Flaschen, Büchsen und Klopapierrollen auf den Platz, und als der ostdeutsche Schiedsrichter Glöckner ein Waliser Tor wegen Abseits nicht anerkannte, stürmten Zuschauer das Feld. Fünf Minuten war das Spiel unterbrochen und auch danach gab es noch zahlreiche Störungen von den Rängen. Das half der eigenen Mannschaft aber nichts, sie schied aus (1:1) und – schlimmer noch – wurde wegen ihrer Fans von der Uefa von der nächsten EM ausgeschlossen.

"Die Hölle ist hinter uns", schrieb eine Zagreber Sport-Zeitung. Nun blickten sie voraus auf ein kleines, aber feines Spektakel im eigenen Land. Denn mit Deutschland und den Niederlanden hatten sich die WM-Finalisten von 1974 für die Spiele in Zagreb und Belgrad qualifiziert. Außerdem die Tschechen, von denen die Fachwelt trotz mittlerweile 19 Spielen ohne Niederlage nicht allzu viel erwartete. Noch waren die Panenkas und Nehodas unbeschriebene Blätter. Immerhin ertrotzten sie in Moskau vor 100.000 Zuschauern ein 2:2, was nach dem 2:0 im Hinspiel reichte. Die Russen hatten ihr Prinzip etwas aufgeweicht und "nur" neun Spieler von Dynamo Kiew aufs Feld geschickt. Noch deutlicher war das Polster der Niederländer, die Belgien in Rotterdam bereits 5:0 geschlagen hatten und noch neun WM-Finalisten einsetzten. In Brüssel überanstrengten sie sich am 22. Mai 1976 nicht und gewannen dennoch 2:1.