Am gleichen Tag blickte Fußball-Deutschland nach München, wo die spanischen Wochen ihrem Höhepunkt entgegen strebten. Nachdem zunächst Meister Borussia Mönchengladbach recht unglücklich und danach Titelverteidiger Bayern München umso glücklicher gegen Real Madrid im Landesmeister-Cup die Klingen gekreuzt hatten, ging es nun um die EM-Fahrkarte. Sechs Real-Spieler bildeten das Gerüst der Nationalmannschaft, die Namen Camacho, Pirri und Santillana waren den deutschen TV-Zuschauern nach den Europacup-Schlachten nunmehr ein Begriff.

Im Hinspiel von Madrid hatte man sich 1:1 getrennt, ein spektakulärer 35-Meter-Schuss des Berliners Erich Beer hatte für eine gute Ausgangslage gesorgt. Nun bangten 75.000 Zuschauer im Olympia-Stadion mit dem Titelverteidiger, der mittlerweile auf seine Spanien-Legionäre Paul Breitner und Günter Netzer verzichtete. Der DFB war das ewige Gerangel um die Freigabeerteilung, wozu es damals keine Verpflichtung gab (!), allmählich leid. Es ging auch ohne die Spanier – so war der Tenor jener Tage. Sieben Weltmeister standen beim Anpfiff auf dem Platz und einer ganz besonders im Blickpunkt: Uli Hoeneß.

Der Bayern-Star gab nach einjähriger Pause in Folge eines Kreuzbandrisses sein Comeback. Es geriet zur Sternstunde. Auf Rechtsaußen machte der 24-Jährige eines seiner allerbesten Länderspiele und ganz gewiss "das schönste Tor in Ulis Laufbahn", wie der Kicker schrieb. Kurz nachdem Spaniens Quini die Latte getroffen hatte, schraubte sich Hoeneß artistisch in die Lüfte und donnerte eine Flanke von Beer ins spanische Tor. Die Spanier waren wie vom Blitz getroffen. Was Petrus, der an diesem Tag ein ungewöhnlich heftiges Gewitter über München entlud, nicht schaffte, das schaffte Uli Hoeneß. Später traf er noch den Pfosten und seine Spurts rissen das Publikum immer wieder zu Beifall hin. Der galt ohnehin der ganzen Elf.

Wie 1972 in Wembley bot Deutschland sein bestes Spiel im Viertelfinale, nun aber war es das Rückspiel. Es war beinahe schon entschieden, als der andere "Neuling" sein Tor machte. Während Hoeneß sein Comeback gab, gab der Kaiserslauterer Klaus Toppmöller auf der seit Gerd Müllers Rücktritt seit zwei Jahren vakanten Mittelstürmer-Position sein Debüt. In der 43. Minute hatte sich das Risiko, das Helmut Schön in solch einem wichtigen Spiel eingegangen war, schon gelohnt: Nach einem Beckenbauer-Schuss, den Miguel Angel nicht festhalten konnte, staubte "Toppi" ab. Das 2:0 war Pausen- und Endergebnis. Muhammad Ali, amtierender Box-Weltmeister, muss es geahnt haben. Er verließ das erste Fußballspiel seines Lebens mit Entourage schon zur Halbzeit mit einem nicht sehr sachkundigen Kommentar auf den Lippen: "Langweilig." Das war es nie.

Schön lobt den "hervorragenden Geist"

Im Platzregen riss danach freilich der Spielfluss auf beiden Seiten etwas ab und die wenigen spanischen Chancen meisterte Sepp Maier gewohnt sicher. Hinterher war der Jubel groß, der Kicker prophezeite: "So bestehen wir auch in Belgrad!"

Bundestrainer Helmut Schön lobte den "hervorragenden Geist" seiner Elf, dämpfte aber auch die Erwartungen: "Noch sind wir nicht die Mannschaft, die wir einmal waren, aber auf dem Weg dorthin." Kapitän Franz Beckenbauer dagegen gab den Pessimisten: "Ich bezweifele sehr, dass wir die unheimlich heimstarken Jugoslawen vor 100.000 Zuschauern in Belgrad schlagen können. Und falls wir das tatsächlich schaffen sollten, treffen wir im Endspiel bestimmt auf die Holländer, die mindestens so gut sind wie bei der WM und nun auf Revanche sinnen. Das wird also noch schwerer!"

Schon damals wagte dem Kaiser kaum jemand zu widersprechen und so musste ihn die Realität in allen Punkten widerlegen. Mitte Juni nahmen die Dinge ihren Lauf. Die Europameisterschafts-Endrunde war noch immer eine kleine Veranstaltung, auf die man sich vorbereitete wie auf eine Länderspielreise. Einen Tag nach Abschluss der Bundesliga-Saison 1975/76, aus der erneut Borussia Mönchengladbach als Meister hervorging, versammelte Helmut Schön 18 Spieler in der Sportschule Grünwald, wo sie bis einen Tag vor dem Halbfinale gegen die Jugoslawen blieb. Zwei weitere – Braunschweigs Torwart Bernd Franke und Münchens Dauerläufer Bernd Dürnberger – blieben auf Abruf bereit.

An Trainingslager, Regeneration oder Testspiele wurde kein Gedanke verschwendet, es war schlicht keine Zeit dafür. Am Mittwoch, den 16. Juni, vormittags um elf ging der Europameister in die Luft um wieder nach den Sternen zu greifen. Immerhin standen ja noch acht Weltmeister im Aufgebot und das bisher so segensreiche Prinzip der Blockbildung der BM-Mannschaften Bayern München und Borussia Mönchengladbach sollte wieder Früchte tragen. Je vier Spieler aus diesen Klubs liefen gegen die Jugoslawen auf, dazu ein Duisburger (Bernard Dietz), ein Frankfurter (Bernd Hölzenbein) und ein Berliner (Erich Beer). Beer, im Klub im Mittelfeld eingesetzt, war der nächste Versuch, die Müller-Nachfolge-Suche endlich ad acta zu legen. Shooting-Star Toppmöller hatte sich durch einen Autounfall noch selbst aus dem Kader katapultiert, Torschützenkönig Klaus Fischer von Schalke 04 war als Skandal-Sünder noch immer für Länderspiele gesperrt.