Triumph der Jahrhundertelf

Auch vor dem vierten Turnier war noch vieles anders als heute. Immerhin stand außer Island, das die Teilnahme für "zu teuer" erklärte, kein UEFA-Verband mehr abseits. 32 von 33 möglichen Teilnehmern gingen in die Qualifikation, das sprach für eine neue Akzeptanz der EM-Idee. Aber die Terminfrage plagte die Funktionäre weiterhin und so wurde erneut der Vorschlag gemacht, die EM- mit der WM-Qualifikation zu verbinden und sie quasi doppelt zu werten, um Zeit zu sparen.

Dieses Ansinnen des UEFA-Präsidenten Gustav Wiederkehr wurde 1969 jedoch abgelehnt, die EM behielt ihre "eigene" Qualifikation. Und ihre Tücken. Die Saison 1971/1972 wurde ihretwegen jedenfalls nicht früher beendet. Die Bundesliga lief noch, als die Nationalmannschaft zwei Spiele vor Saisonschluss mal kurz nach Belgien aufbrach.

Deutschland gegen Gruppengegner Polen, Türkei und Albanien

Auch ein Ausrichter wurde im März 1970, als in Rom die Lose gezogen wurden, erneut nicht bestimmt. Denn natürlich musste ja der Gastgeber dabei sein und die Teilnehmer an der Endrunde würden sich ja wiederum erst in der Qualifikation herausschälen. Um nicht allzu kurzfristig von einer plötzlichen Ausrichtung überrascht zu werden, wurden jedoch am Rande der Auslosung drei potenzielle Gastgeber bestimmt: England, Italien und Belgien hielten sich für den Fall der Fälle bereit. Deutschland kam wegen der Ausrichtung der WM 1974 nicht in Betracht. Rein sportlich schon, denn als am 12. Januar 1972 in Zürich sodann die Viertelfinals als letzte Hürde vor der Endrunde ausgelost wurden, war die DFB-Elf noch im Lostopf. Dass man von ihr schon bald und noch bis heute von der besten aller Zeiten sprechen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erahnen.

In der Gruppe mit Polen, der Türkei und Angstgegner Albanien ging längst nicht alles so glatt. Im ersten EM-Qualifikationsspiel erntete die Schön-Elf böse Pfiffe nach einem 1:1 gegen die Türkei – in Köln. Und auch die Generation Beckenbauer/Netzer hatte ihre liebe Mühe mit Albanien, nur ein Tor von Gerd Müller verhinderte eine weitere Riesenblamage in Tirana, wo 1967 (0:0) schon einmal ein EM-Traum vorzeitig geplatzt war. Die Albaner hatten sogar mehr Torchancen als die Schön-Elf "aber zum Glück für uns auch miserable Schützen", stellte der Kicker fest.

Franz Beckenbauer - vom Mittelfeldspieler zum Libero

Der spielerische Aufschwung setzte Mitte 1971 ein, als Franz Beckenbauer vom Mittelfeldspieler zum Libero umfunktioniert wurde – erstmals Ende April beim 3:0 in Istanbul. Und als immer mehr Talente des Deutschen Meisters, Borussia Mönchengladbach, und der Bayern in die Nationalelf drängten. An jenem Tag von Istanbul war das erste Mal seit Bern 1954, als fünf Kaiserslauterer Weltmeister wurden, wieder von Blockbildung die Rede – wobei es nun aber zwei Blöcke waren. Es spielten fünf Mönchengladbacher und drei Bayern, mit Uli Hoeneß und Paul Breitner kamen auf der Skandinavien-Reise 1971 zwei junge Überflieger hinzu. Talente im Überfluss, eine Parallele zur Gegenwart.

Bundestrainer Helmut Schön hatte in der Kreativzentrale sogar ein Luxusproblem: Overath oder Netzer? Diese Frage beschäftigte den "Mann mit der Mütze" über seine halbe Amtszeit. Schön experimentierte und stellte Netzer gegen Albanien sogar in den Sturm, aber es war ein Fehlschlag. Beide konnten nur Spielmacher sein, auch vom Wesen her, und miteinander ging es bei aller gegenseitigen Sympathie nicht. Das Schicksal nahm Schön die Entscheidung ab, Overath fiel wegen einer Leisten-Operation Anfang 1972 aus.

Er verpasste die legendären Viertelfinalspiele gegen England, die die DFB-Elf nach einem 3:1 in Warschau im Oktober 1971 vor 100.000 Zuschauern erreicht hatte. Rund 50.000 DDR-Bürger auf den Rängen verschafften den Deutschen jedoch ein Heimspiel-Gefühl. Die DDR scheiterte trotz beachtlicher Leistungen in der Qualifikation in einer Gruppe mit Sieger Jugoslawien und den Niederländern, deren Meister Ajax Amsterdam damals das Nonplus-Ultra des kontinentalen Klubfußballs verkörperte. Umso beachtlicher der 1:0-Sieg der Ostdeutschen im November 1970 in Dresden gegen die von Johan Cruyff angeführte "Oranje"-Elf. Unter dem Strich blieb aber nur Platz drei und die Zuschauerrolle ab den Viertelfinals, für die sich außer der BRD auch England, Ungarn, Italien, Rumänien, Jugoslawien, die Sowjetunion und Belgien qualifizierten.