Vorrundenaus in letzter Minute

Mit der EM in Italien war die UEFA nicht zufrieden gewesen und wieder entbrannten Diskussionen über die Zukunft dieser Veranstaltung. Der DFB nahm dabei wesentlichen Einfluss, denn der Vorschlag seines Präsidenten Hermann Neuberger, wieder Halbfinals einzuführen, wurde vom Exekutiv-Komitee angenommen. Ansonsten blieb es beim Modus mit acht Mannschaften und zwei Vierergruppen. Nur dass nun die beiden Ersten jeder Gruppe weiterkamen.

Favoritensterben in der Qualifikation

Am 10. Dezember 1981 vergab die UEFA das Turnier an Frankreich, sehr zum Leidwesen von Mitbewerber Deutschland, der noch vier Jahre würde warten müssen. Den Ausschlag für Frankreich gab kurioserweise der marode Zustand der Stadien. Staatliche Zuschüsse waren im Vorfeld einer EM, die viel Geld ins Land bringen sollte, eher zu erwarten. So wurde die EM 1984 eine Art Sanierungsobjekt. Wer in den sieben Stadien würde auflaufen können, entschied sich in sieben Qualifikationsgruppen.

Das Resultat erschütterte die Machtverhältnisse des europäischen Fußballs. Waren in Italien noch alle Großen dabei gewesen, musste man sie 1984 mit der Lupe suchen. Weltmeister Italien gewann nur ein (!) Spiel, ließ selbst auf Zypern Federn (1:1) und wurde in seiner Gruppe nur Vierter. Der WM-Dritte Polen machte es kaum besser, auch die in Spanien starke Sowjetunion blieb auf der Strecke. Die Niederländer, die schon die WM verpasst hatten, scheiterten diesmal hauchdünn am Torverhältnis. In der Differenz gleich mit Spanien, gaben die mehr erzielten Tore den Ausschlag für die Iberer, die im letzten Spiel genau wussten, wie hoch sie gewinnen mussten.

Das 12:1 gegen Malta kam nicht nur den Niederländern Spanisch vor, die UEFA leitete eine ergebnislose Untersuchung ein. Und Altmeister England übte sich erneut in der Rolle des Zuschauers. Ein Punkt fehlte in seiner Gruppe zum Sensations-Sieger Dänemark, der erst einmal (1964) zu einer Endrunde gefahren war. Unter dem deutschen Trainer Sepp Piontek stürmten sie im September 1983 die Feste Wembley und gewannen durch einen Elfmeter des Ex-Gladbachers Allan Simonsen. 82.500 Zuschauer wurden Zeugen der Geburt einer Mannschaft, die ein Jahrzehnt lang Fußball-Geschichte schreiben würde.

Zitterpartie gegen Albanien

Die Deutschen schrieben in den Jahren 1982 und 1983 auch Geschichte, doch es waren düstere Kapitel. Der Titelverteidiger, zwischenzeitlich auch Vize-Weltmeister, durchlebte in der Endphase der Ära Jupp Derwall eine schwere Krise. Hatte es in allen Qualifikationsspielen des DFB in seiner Historie bis dahin nur eine einzige Niederlage (1967 in Jugoslawien) gegeben, kamen in dieser Ausscheidung gleich zwei hinzu. Beide gegen Fußballzwerg Nordirland, beide mit 0:1. Und so war die DFB-Auswahl am Totensonntag 1983 gezwungen, ihr letztes Heimspiel gegen Albanien zu gewinnen. Obwohl die Stimmung nach der Heimpleite gegen die Nordiren in Hamburg denkbar schlecht war, gab es keine Ausreden gegen das sieglose Schlusslicht.

Doch zum Entsetzen der 40.000 Zuschauer im vollbesetzten Saarbrücker Ludwigspark gingen die Skipetaren in der 23. Minute in Führung. Ein abgefälschter Freistoß von Kapitän Karl-Heinz Rummenigge brachte zwar im Gegenzug den Ausgleich, aber auch keine Sicherheit ins deutsche Spiel. Sollte man wie 1967 an Albanien scheitern? Unmittelbar vor der Pause flog Albaniens Torschütze Tomori vom Platz, aber auch dieser Vorteil machte sich kaum bemerkbar. Es wurde bereits dunkel an diesem trüben November-Nachmittag, da segelte noch einmal eine Flanke von Bernd Förster in den Strafrum der Albaner. Der aufgerückte Libero vom 1. FC Köln, stieg am höchsten und köpfte den Ball zum 2:1 ein.

Zehn Minuten vor Schluss erst wurde das Ticket für Frankreich gelöst. Was sie dort sollte, fragten sich jedoch viele Anhänger. Auch der Kicker mahnte: "Die deutsche Nationalmannschaft kann nun in Frankreich ihren Titel verteidigen. Will sie das auch tun, muss sie bis dahin ihre Form um 100 Prozent steigern." Das Kardinalproblem jener Tage war das spielerische Defizit. Gab es 1980 und 1982 eher noch zuviel Spielmacher – Paul Breitner, Felix Magath, Bernd Schuster und Hansi Müller – stand nun keiner mehr zur Verfügung. Breitner war 1982 zurückgetreten, die anderen litten an Verletzungen oder waren wie Italien-Legionär Müller schlicht außer Form.

Suche nach der perfekten Elf

Müller wäre mit seiner Einstellung ("Das ist eine einzige Quälerei") auch nicht der Richtige gewesen. Rummenigge beschied ihm öffentlich: "Auf einen, der in der Nationalelf nur spielen will, wenn es läuft, können wir verzichten." Und so mussten unerfahrene Männer wie der Bremer Norbert Meier und Gladbachs Lothar Matthäus versuchen, das Spiel anzutreiben. Zur Seite standen ihnen Wasserträger-Typen wie Wolfgang Rolff (HSV), Johnny Otten (Bremen) und Guido Buchwald vom kommenden Meister VfB Stuttgart. Nie versprühte ein deutsches Mittelfeld weniger Glanz als in jenen Tagen, als die Deutschen gegen Atomkraftwerke und das Waldsterben und für den Weltfrieden demonstrierten.

Das Stichwort vom "heißen Herbst" steht für jene bewegten Tage, in dem sich nur der deutsche Fußball nicht bewegte. Er schien seine kontinentale Vormachtstellung einzubüßen und von allen überholt zu werden. Als signifikantes Alarmzeichen galt, dass 1983 erstmals überhaupt alle Bundesligisten im Europapokal nicht über den Winter kamen. Der Kicker schrieb: "Die Schwächen der Bundesliga sind nun einmal auch die Schwächen der Nationalmannschaft." Jupp Derwall war nicht zu beneiden.

Als es auch nach dem Sieg im Testspiel gegen die Sowjetunion im März 1984 heftige Kritik gab, bot er DFB-Präsident Hermann Neuberger seinen Rücktritt an. Das wurde erst nach der EM bekannt. Da sagte Derwall: "Auf mich wurde ein solcher Druck ausgeübt, die Mannschaft wurde mit einem solchen Ballast konfrontiert, dass unter dem Strich kaum noch etwas Positives herauskommen konnte. Für mich war es ein vergebliches Ankämpfen gegen das gesamte Umfeld, und deswegen wollte ich Konsequenzen ziehen." Kurz vor dem Turnier sagten verletzungsbedingt auch noch Bernd Schuster, damals in Barcelona, und Bayerns Wolfgang Dremmler ab.