Völlers Doppelpack gegen Rumänien

Alarmierendes stand nicht darin und so gab es berechtigte Hoffnung, das 500. Länderspiel der DFB-Historie, zumal am Nationalfeiertag 17. Juni, zu gewinnen. In Lens warteten die Rumänen und weil Rudi Völler einen großen Tag erwischte, ging der Wunsch in Erfüllung. Völler traf doppelt beim mehr erkämpften als erspielten 2:1. Mehr Probleme bereitete die Anreise. Obwohl von französischen Polizisten eskortiert, verpasste der Mannschaftsbus die Ausfahrt nach Lens. Busfahrer Walter Kohr fuhr auf eigene Faust 50 Kilometer über Landstraßen und verdiente sich ein Extra-Lob von Neubergers Ehefrau: "Herr Kohr, das haben Sie sehr gut gemacht!". Neuberger selbst half beim Auspacken der Koffer, es ging um jede Minute.

Eine halbe Stunde später als von der UEFA vorgeschrieben, aber noch rechtzeitig zum Anpfiff waren die für ihre Pünktlichkeit gerühmten Deutschen im Stadion angekommen. Wo sie ihren ersten Sieg einfuhren und plötzlich Tabellenführer waren, da Spanier und Portugiesen sich 1:1 trennten. War nun die Mannschaft gefunden? Rummenigge spielte wieder neben Völler und Klaus Allofs im Sturm, Lothar Matthäus kam für Guido Buchwald, Norbert Meier für Wolfgang Rolff und mit ihnen mehr Kreativität ins Mittelfeld.

"Ich bin überrascht und erfreut über die Leistung von Lothar", sagte Derwall. Der Gelobte versprach, dass "wir ganz gewiss lockerer in das nächste Spiel gegen". Vorsichtiger Optimismus machte sich auch in den Medien breit, der Kicker titelte: "Deutliche Steigerung unserer Elf. Jetzt steht die Tür zum Halbfinale offen." Allzu viele Schlagzeilen erschienen übrigens nicht, denn ausgerechnet während der EM tobte in der Heimat ein Drucker-Streik um die 35 Stunden-Woche.

Deutschland spielt, Maceda trifft

Die deutsche Mannschaft trat in ihrem letzten Spiel, das es natürlich nicht sein sollte, alles andere als in Streik. Das ist die Tragik an den Ereignissen des 20. Juni. Im Prinzenpark zu Paris machte sie gegen Spanien ihr bestes EM-Spiel 1984 und wenn sie 3:0 gewonnen hätte, hätten sich die Spanier nicht beschweren können. Doch 3:0 stand es nur nach Aluminiumtreffern. Hans-Peter Briegel köpfte in den ersten 20 Minuten gleich zweimal an die Latte, in der 27. Minute traf Brehme den Pfosten.

Glück hatte sie freilich auch, als es kurz vor der Pause nach einem Stielike-Foul Elfmeter gab. Kurz bevor Carrasco anlief, flog eine Silvester-Rakete auf den Platz und der Rauch waberte noch durch den Strafraum als er anlief. Er schoss schwach, Toni Schumacher hielt und genoss seinen persönlichen Triumph. Wurde er doch in Frankreich wegen des Fouls an Battiston bei der WM 1982 bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen.

Nach der Pause boten sich Klaus Allofs gleich drei Chancen, Deutschland ins Halbfinale zu schießen. Erst als Portugals Führung gegen die Rumänen in der 78. Minute bekannt wurde, wagten sich die Spanier in die Offensive. Auch Libero Maceda ging mit nach vorne und ihn hatte keiner auf der Rechnung, als nach exakt 89 Minuten und 22 Sekunden eine Flanke von Senor in den Strafraum segelte. Maceda köpfte unbedrängt ein – 1:0. 90 Sekunden später war Schluss und Deutschland erstmals überhaupt in einer Vorrunde ausgeschieden.

Ende der "Ära Derwall"

Das befürchtete Ergebnis war eingetreten, aber auf diese Weise war es nicht zu erwarten. Nun hingen die Köpfe tief. Rummenigge sprach von "einer Schmach für den deutschen Fußball", und dpa stellte fest: "Deutschland ist zwar keine Bananenrepublik des Fußballs geworden, aber international zweitklassig – nun auch offiziell." So etwas hatte man noch nie lesen müssen, seit eine DFB-Auswahl zu Turnieren fuhr. Das Ausland hielt sich mit Schadenfreude nicht zurück. Frankreichs Le Soir bediente gar alte Ressentiments: "Das deutsche Monster hat zu lange überlebt, seit mehreren Spielzeiten, seit mehreren Wettbewerben. Die Deutschen hatten schon die peinliche Einbildung, dass die Geschichte nach ihrem Sinn laufen wird, dass es ein Schicksal gibt, das es immer gut ausgeht für den deutschen Fußball."

Schon am übernächsten Tag wurde das Ende der Derwall-Ära eingeleitet. Da erschien die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile: "Derwall vorbei – Franz: Bin bereit". Derwall hatte zwar noch Vertrag, doch sein Rücktritt schien unvermeidlich. Gegen Franz Beckenbauer konnte er nicht an, dabei hatte der Kaiser nur gesagt: "Ich bin zu einem Gespräch mit dem DFB bereit. Man müsste sich natürlich noch genau über die Aufgabenverteilung unterhalten." Da er keinen Trainerschein hatte, wollte er als eine Art Technischer Direktor arbeiten, als Bundestrainer-Kandidaten kursierten Namen wie Helmut Benthaus (Meistertrainer des VfB Stuttgart), Derwall-Assistent Horst Köppel oder Olympiateamtrainer Erich Ribbeck.

Ein "Weiter so" würde es nicht geben, das stand fest. Aber als die Deutschen schon am nächsten Tag in Frankfurt landeten und unfreundlich empfangen wurden, war Derwall noch Bundestrainer, und Reporter, die ihn nach Rücktritt fragten, kanzelte er ab: "Das ist meine persönliche Entscheidung. Ich frage Sie auch nicht, ob Sie den Arbeitsplatz wechseln."

Am 26. Juni, dem Tag vor dem Finale, wurde im zehnten Stock des Pariser Hilton-Hotels dann reiner Tisch gemacht. Hermann Neuberger gab bekannt: "Jupp Derwall wird nicht mehr die deutsche Nationalmannschaft betreuen." Die Nachfolge blieb offen, letztlich wurde bekanntlich Franz Beckenbauer als Teamchef installiert.

Dänen scheitern an den eigenen Nerven

Das Turnier ging ohne die Deutschen weiter, dank ihrer Initiative nun mit Halbfinales. Frankreich hatte in Marseille zwei schwere Stunden zu überstehen, ehe es Portugal aus dem Weg räumte. Natürlich war wieder Plaini der Erlöser, diesmal traf er in der 119. Minute zum 3:2-Endstand. "Jetzt spricht ein glücklicher Trainer nach einem glücklichen Sieg", leitete Michel Hidalgo die Pressekonferenz ein.

In Lyon endete derweil der dänische Finaltraum. Von 13.000 Fans waren nur noch 3000 geblieben, längere Reisen hatten die meisten nicht gebucht. Dänemark überraschte alle, auch die eigenen Fans. Zunächst auch die Spanier, Lerby traf schon nach neun Minuten. Doch wieder rettete ein Tor (68.) von Maceda Spanien, diesmal in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen.

Nur einer von zehn Schützen versagte: Elkjaer-Larsen schoss über das Tor, Opfer seiner Nerven: "Ich spürte einen tonnenschweren Druck auf meiner Brust, sonst nichts." Aber die Dänen sonnten sich im Lob der Presse. "Niemals zuvor haben Sportler so große Werbung für das kleine Dänemark gemacht", lobte die dänische Zeitung BT.

Frankreich feiert vor den eigenen Fans

Der britische Schiedsrichter Courtney vergällte den Spaniern die Finalfreude etwas. Er warf mit Karten nur so um sich (acht Verwarnungen), Maceda und Gordillo waren nun gesperrt,m als am Mittwoch, 27. Juni, der Pokal vergeben wurde.

Der Prinzenpark war natürlich wieder ausverkauft (47.368 Zuschauer). Frankreich war Favorit; wegen des Heimvorteils und der gezeigten Leistungen. Spaniens Verband erhöhte spontan die Prämie auf umgerechnet 54.000 Mark pro Kopf. Aber es half alles nichts. Zwar hielt das Team von Miguel Munoz in einer mäßigen Partie lange mit, aber ein Fangfehler von Torwart Arconada ließ sie scheitern. Er ließ einen harmlosen Platini-Freistoß unter dem Bauch durchkullern (57.).

Nun hatten die Franzosen leichtes Spiel, und Bruno Bellone schloss mit Abpfiff noch einen Konter zum 2:0 ab. Damit triumphierte der "Champagner-Fußball", wie Frankreichs Offensivstil gefeiert wurde. Auch die EM 1984 triumphierte im Vergleich mit ihren Vorgängern. „Das Niveau war höher als 1980 in Italien oder bei der WM 1982 in Spanien“, lobte der siegreiche Trainer Hidalgo. Der Torschnitt stieg von 1,93 auf 2,73, mit Platini stellte die EM den bis dato besten Torschützen aller EM-Turnier (neu Treffer) und 40.094 Zuschauer pro Spiel bedeuteten auch Rekord. Allerlei Ansporn für den Gastgeber der kommenden EM 1988: Deutschland.