Lange Gesichter bei den Russen

In Gruppe C fanden sich gleich drei Favoriten und ein Geheimfavorit zusammen. Ein Großer musste also fallen und es erwischte den WM-Zweiten von 2006, Frankreich. Dagegen marschierten die Holländer mit drei Siegen souverän durch. Weltmeister Italien schaffte trotz eines Fehlstarts noch den zweiten Platz. Rumänien wurde Dritter, landete immerhin noch vor den Franzosen, die nur einen Punkt holten – zum Auftakt eben gegen Rumänien (0:0). Die Experten waren sich einig: wer diese Gruppe ungerupft übersteht, ist Turnierfavorit. Selbst der Dauer-Kritiker Johan Cruyff huldigte der "Elftal": "Ich bin glücklich und stolz auf diese Mannschaft." Sie startete gleich mit einem 3:0 gegen den Weltmeister. Ruud van Nistelrooy, Wesley Sneijder und Giovanni van Bronckhorst schossen den einst so gefürchteten italienischen Abwehrwall sturmreif. Italiens Presse forderte schon den Kopf von Trainer Roberto Donadoni. Tuttosport jammerte: "Gebt uns Lippi zurück!" Doch auch der Weltmeister-Trainer, der erst nach der EM tatsächlich zurückkam, hätte dieser "Squadra azzura" nicht helfen können. Sie war nur noch die Karikatur eines Weltmeisters. "Eine wirklich hässliche Niederlage, sie hat weh getan", sagte Luca Toni von Bayern München. Das Spiel war auch etwas für Regelkundler. Das 1:0 von van Nistelrooy wurde anerkannt, weil ein verletzt hinter der Auslinie liegender Italiener das Abseits aufhob. "Ich kannte diese Regel nicht", gab selbst ARD-Experte Günter Netzer zu. Die UEFA informierte die Medien so: "Auch wenn ein Spieler nicht auf dem Spielfeld ist, ist er im Spiel." Das desolate Italien blieb nur deshalb, im übertragenen Sinne, im Spiel, weil Torwart Gianluigi Buffon gegen Rumänien in der 81. Minute einen Elfmeter von Adrian Mutu hielt und damit einen Punkt (1:1) rettete. Frankreich ging am selben Tag in Bern gegen entfesselte Holländer 1:4 unter. Das Tor von Joker Arjen Robben unmittelbar nachdem Thierry Henry auf 2:1 verkürzt hatte, gab den Ausschlag. Bern erlebte einen Tag in "Oranje", 150.000 Holländer fluteten die Stadt, obwohl nur 30.777 ins Stadion passten. Es war jedoch die Zeit des Public Viewing, das seit der WM in Deutschland modern ist. Und so schauten mehr Holländer in Bern das Spiel auf einer Leinwand als im Stadion – aber sie waren ihren Idolen ganz nah. Frankreich hatte nichts zu feiern, L’Equipe schrieb vor der Neuauflage des WM-Finales gegen Italien: "Jetzt hilft nur noch beten." In Zürich war es nun das Finale ums Überleben in diesem Turnier. Platz eins sicherte sich die Niederlande auch mit der Reserve – die Rivalen von heute, Klaas-Jan Huntelaar und Robin van Persie trafen beim 2:0 gegen Rumänien, das sein Los tapfer ertrug. Eine Sportzeitung schrieb: "Wir sind in der Todesgruppe gestorben. Zu viel hinten, zu wenig vorne."

Auch das Finale um Platz zwei endete 2:0 – für Italien. Die Schlüsselszene ereignete sich in der 24. Minute: Eric Abidal legte Luca Toni im Strafraum. Dafür gab es Rot und einen Elfmeter, den Andrea Pirlo verwandelte. Daniele de Rossi erhöhte mit einem Freistoß auf 2:0 (62.) und Frankreich fuhr wieder einmal ruhmlos nach Hause. Geschockt auch von der schweren Verletzung von Bayern-Star Franck Ribery, der schon nach zehn Minuten einen Unterschenkelbruch erlitt.

Italien sah wieder Licht am Horizont. Trainer Donadoni: "Wir haben nie die Hoffnung verloren, auch nicht in den schwierigsten Momenten." La Repubblica schrieb: "Das war die Auferstehung von den Toten." In Gruppe D spielte der kommende Europameister und er ließ es auch schon erahnen. Spanien gewann alle drei Spiele und schoss nach Holland die meisten Tore (acht). Schon zum Auftakt lief es prächtig: Russland wurde in Innsbruck 4:1 abgefertigt, David Villa schoss sich mit drei Toren in den internationalen Focus und die Fans sangen in den Gassen ein Loblied auf den Stürmer des FC Valencia. "Villa, Villa, maravilla" – wunderbarer Villa. Die EM hatte ihren ersten Shooting-Star. Trainer Luis Aragones, bereits 68 Jahre und in der Qualifikation mehrmals von der Presse zum Rücktritt aufgefordert, freute sich über das 17. Spiel ohne Niederlage. Die Zeitung As schrieb: "Wir können die EM gewinnen. Wir wollen es und wir schaffen es."

Lange Gesichter dagegen bei den vom Niederländer Guus Hiddink trainierten Russen. "Ich bin gespannt, wie Spanien gegen weniger naive Mannschaften spielt!", mäkelte Hiddink. Auch der amtierende Europameister stellte sich zum Start ungeschickt an. Griechenland verlor gegen Schweden 0:2 und sah buchstäblich alt aus. Das im Schnitt 29,8 Jahre Team suchte in allen Spielen sein Heil in der Defensive und lag falsch. Sobald ein Gegentor fiel war die Rehhagel-Taktik hinfällig, doch eine andere hatten beziehungsweise konnten sie nicht. Erst im letzten Spiel (1:2 gegen Spanien) schossen sie ein Tor. Da war es schon egal. "Wenn man immer nach hinten spielt, kann man eben kein Spiel gewinnen", sagte der Frankfurter Bundesliga-Kicker Ioannis Amanatidis und beklagte den "Angstfußball" des Titelverteidigers. Schweden dagegen fand das Tor, Superstar Zlatan Ibrahimovic als erster. Gegen Spanien reichte sein Tor nicht, denn der wunderbare Villa schlug noch in der Nachspielzeit zu (2:1). Aus spitzem Winkel. Sein Trainer Aragones schwelgte: "Er hat ein fast unmögliches Tor geschossen. Man sieht das von außen und fragt sich: wie hat er das gemacht?" Spanien durfte schon für das Viertelfinale planen, Griechenland dagegen an jenem 14. Juni bereits die Heimreise. Russland reichte ein Tor von Zyryanow zum Sieg. Nie war ein Europameister früher entthront worden. Rehhagel stellte fest: "Meine Mannschaft hat zwar um zwei Klassen besser gespielt als gegen Schweden, aber sie schießt keine Tore." Als der Leverkusener Theofanis Gekas doch mal traf, wurde Abseits erkannt – zu Unrecht. Rehhagel predigte dennoch Gelassenheit auf der Pressekonferenz: "Die Akropolis steht seit 3000 Jahren und wenn wir in 200 Jahren nicht mehr da sind, dann steht sie auch noch." Seine Art zu sagen, dass Fußball nur ein Spiel ist. Also verloren sie auch das letzte gegen Spaniens B-Elf – mit 1:2 und trotz Halbzeitführung durch ein Kopfballtor von EM-Held Charisteas. Ein letzter Gruß der antiken Helden.

In Innsbruck ging es zwischen Russland und Schweden, dem ein Remis reichte, um alles. Aber die jungen Russen erlebten ihren ersten Glanztag bei dieser EM, die Welt gewöhnte sich an schwierige Namen wie Roman Pawljutschenko und Andrej Arschawin, die die Tore zum 2:0-Sieg lieferten. Es war ein gnädiges Resultat aus schwedischer Sicht, man zählte 26 russische Torschüsse. Schweden dagegen ging fast wehrlos unter, Trainer Lars Lagerbäck durfte am nächsten Tag Rücktrittsaufforderungen kommentieren. "Lagerbäck, tritt ab. Schlechter kann es nicht werden", schrieb "Expressen". Guus Hiddink dagegen war voll des Lobes für seine Eleven: "Sie haben Riesenfortschritte gemacht und modernen Fußball gespielt."

Starke DFB-Elf gegen Portugal

Der deutschen Mannschaft fiel die Aufgabe zu, gemeinsam mit Portugal das Viertelfinale zu eröffnen. Am 19. Juni zeigte sie in Basel eine der allerbesten Leistungen der Ära Löw. Auch wenn Löw offiziell nicht zuständig war. Der erste gesperrte Bundestrainer aller Zeiten verfolgte das Spiel in einer Loge. "Da gab es schöne Getränke, Aspirin und Baldrian", witzelte er hinterher an einem Abend, an dem allen deutschen zum Lachen war. Mit neuer Taktik fand Deutschland zu alter Form zurück. Löw und Flick gingen von der Zwei-Spitzen-Taktik ab und verordneten ein 4-2-3-1-System. Mario Gomez, frustriert nach seinem Faux-Pas gegen Österreich, als er aus einem Meter grandios versagte, wurde geopfert. Miroslav Klose blieb einzige Spitze, obwohl man auch noch auf sein erstes EM-Tor wartete. Der zuvor gesperrte Bastian Schweinsteiger kam erstmals in die Start-Elf, zuvor hatte er der Kanzlerin versprechen müssen "nicht noch mal so eine Dummheit zu machen". Er hielt Wort und machte allerlei Gescheites an diesem wunderbaren Fußball-Abend zu Basel. Das erste Tor erzielte der in jenen Tagen blondierte Münchner selbst (22.), das zweite von Klose (26.) und das dritte von Ballack (61.) bereitete er vor. Portugals Anschlusstreffer von Nuno Gomes (40.) und Helder Postiga (87.) befeuerten zwar wieder die Abwehr-Diskussion, änderten aber nichts am Halbfinal-Einzug. "Schweini gehabt", titelte das Hamburger Abendblatt treffend. Philipp Lahm erklärte die kaum erwartete Leistungssteigerung: "Der Glaube ist alles. Sonst ist so etwas nicht möglich." Portugals Presse suchte Trost in alten Klischees: "Deutschland ist wie eine Maschine, die nicht versagt", schrieb "Publico".

Versagt hatte dagegen Wunderknabe Cristiano Ronaldo, den Arne Friedrich von Hertha BSC regelrecht entnervte. Auch von Deco war wenig zu sehen, auch ein Verdienst des neu ins Team gekommenen Frings-Vertreters Simon Rolfes. So hatte dieser strahlende Erfolg in einem hervorragenden Spiel viele Väter.

Hans-Dieter Flick war bemüht, seinen Anteil herunter zu spielen: "Der einzige Unterschied zu sonst war, dass ich in der Coaching Zone aufstehen durfte." Auf dem Feld hatten die vielen deutschen Fans noch mehr Unterschiede zur Vorrunde gesehen. Nun träumten sie wieder vom Titel. Am nächsten Tag sahen 51.428 Zuschauer in Wien ein entsetzliches Spiel, von dem sie dennoch noch in Jahren sprechen werden. Kroatien und die Türkei hatten sich 118 Minuten lang abgenutzt und über die Zeit gequält. Beide Torhüter mussten nur acht Bälle halten, ehe der Wahnsinn losbrach. In der 119. Minute köpfte Ivan Klasnic das 1:0 für Kroatien. In Golden Goal-Zeiten wäre es das Aus gewesen. Die Verlängerung erhielt noch eine zweiminütige Zugabe und wurde zur Bühne für das dritte Türken-Wunder in Folge. Joker Semih Sentürk fiel der Ball nach einem abgewehrten Freistoß vor die Füße und er beförderte diesen in Pletikosas Kasten – Ausgleich 14 Sekunden vor Schluss. Das war zuviel für die Kroaten, die im Elfmeterschießen wohl noch unter Schock standen: Modric, Rakitic und Petric verschossen. Der Dortmunder, Kroatiens Held von Wembley, war nun der Pechvogel. Als Rüstü seinen Elfmeter parierte, war das Drama vorüber und die Türkei wie schon bei der WM 2002 wieder im Halbfinale. Ein Fußball-Märchen wie aus tausendundeiner Nacht. Wieder sah die Heimatpresse Historisches: "In der Geschichte des Fußballs hat noch keiner so viel Glück gehabt wie wir." Da wollte niemand widersprechen.

Kein Glück: Niederlande gegen Russland

Am nächsten Tag sprach niemand von Glück. Mit Niederlande und Russland trafen zwei spielstarke Teams in Basel aufeinander, aber der Favorit trug Oranje. Trainer Marco van Basten musste an diesem Tag Lehrgeld zahlen. Die Rotation vor dem dritten Spiel hatte den Fluss der Stammelf gebremst, sie fand nach acht Tagen Pause nicht zu ihrem Rhythmus zurück. Ähnlich war es schon Portugal gegen die Deutschen ergangen. Die Russen waren die bessere Mannschaft, vielleicht auch weil Guus Hiddink ihnen alles über seine Landsleute erzählen konnte. Pawljutschenko brachte sie in Führung (56.), Ruud van Nistelrooy rettete Oranje noch in die Verlängerung. Dort hatten die jungen Russen mehr zuzusetzen. Joker Dimitri Torbinski (112.) und Star Andrej Arshawin (116.) trafen zum 3:1-Endstand und verwandelten ganz Holland in ein Jammertal.

Dieser Mannschaft hatte man den ersten Titel seit 1988 zugetraut, doch sie war am falschen Tag am falschen Platz. Van Basten gestand: "Die Russen haben besser gespielt als wir und verdient gewonnen." Er trat zurück und wurde Trainer von Ajax Amsterdam. Der Favorit ist tot, es lebe der Favorit. Die russische Sportzeitung "Sowjetski Sport" feierte "eines der besten Spiele unserer Geschichte." Würde der erste auch der jüngste Europameister werden? Da hatte Spanien noch ein Wort mitzureden. Begeistern konnte die Selecion am 22. Juni in Wien nicht wirklich, gegen ein zerstörerisches Italien schleppte man sich nach torlosen zwei Stunden ins Elfmeterschießen. Dort gewann Iker Casillas das Duell der Elfmetertöter mit Gianluigi Buffon 2:1 und Spanien letztlich 4:2.

"Die EM hat schlecht angefangen und ist noch schlechter zu Ende gegangen", stellte Kapitän Fabio Cannavoro fest. Der Weltmeister war draußen, der Europameister schon länger. Ungekrönte Häupter würden sich auf den Titel freuen können, so viel stand fest. An Spanien glaubten nach diesem Spiel nicht viele. Trainer Luis Aragones gestand: "Italien war schlecht, wir waren es leider auch. Aber wenn Gott will, erreichen wir noch viel mehr."

Zwei Herzen in einer Brust

Das Halbfinale berührte Deutschland wie kaum ein anderes Spiel, denn es führte die DFB-Elf und die Türkei zusammen. Das Land stellt den höchsten Anteil ausländischer Mitbürger in Deutschland und in so mancher Brust schlugen zwei Herzen. Michael Ballack stellte sogar Gemeinsamkeiten fest: "Die Türken haben die deutsche Mentalität." Das bezog er auf ihren Willen nie aufzugeben, den sie dreimal eindrucksvoll bewiesen hatten. Joachim Löw, einst Trainer in der Türkei, kannte keine Verwandten. Er wollte gewinnen und hielt sich an die Faustregel "never change a winning team". Ein schwerer Schlag für den nach seiner Gelb-Sperre wieder einsatzberechtigten Torsten Frings. Zur Halbzeit gab er diese Maxime auf und brachte Frings für Rolfes. Denn die Berg-und-Talfahrt der deutschen, die ihre EM-Teilnahme unter das Motto "Bergtour" gestellt hatten, ging weiter. In der ersten Hälfte spielten sie richtig schwach gegen die Türken, die auf acht Spieler verzichten mussten und doch durch Baral (22.) in Führung gingen. Torwart Jens Lehmann machte dabei eine zumindest unglückliche Figur. Vorher hatte er schon zweimal retten müssen, einmal half die Latte. Wieder musste Bastian Schweinsteiger als Torjäger aushelfen, nach Flanke von Podolski glich er aus (26.).

Den Faden fand die Löw-Elf trotzdem nicht wieder – und auch beim ZDF riss er. Mitten in der zweiten Halbzeit fiel das Bild aus, für geschlagene 6:20 Minuten. Eine Ewigkeit für Fußball-Fans bei solch einem Spiel. Schuld war ein Gewitter im Großraum Wien, das zu Stromausfällen geführt hatte und auch andere Sender betraf. Die UEFA war zwar auf so etwas vorbereitet, doch mussten die als Notstromaggregat vorgesehenen Dieselgeneratoren erst hochgefahren werden. Das dauerte sechs Minuten, während denen Bela Rethy im ZDF der Aufforderung der Sendeleitung nachkam: "Bela, mach mal Radio!" Das ZDF klinkte sich dann beim Schweizer Fernsehen ein und war rechtzeitig wieder auf Sendung, als die dramatische Schlussphase begann. Der Rest von Europa sah die Tore nicht, die nun fielen. Miroslav Klose köpfte das 2:1 (79.), als Rüstü unter einer Lahm-Flanke hindurchsegelte. Aber dass die Türken nie aufgeben, bewiesen sie erneut. Sabri glich aus spitzem Winkel aus (86.), ein ärgerliches Tor. Besonders ärgerte sich Linksverteidiger Philipp Lahm, denn es war über seine Seite gefallen. So schaltete er sich in der Minute, in der bei der EM eigentlich immer die Türken trafen, in den Angriff ein. Nach schönem Pass von Thomas Hitzlsperger stand er plötzlich vor Rüstü und schlenzte den Ball ins kurze Eck – 3:2 (90.). Der Sieg nach einem dramatischen, aber wahrlich nicht guten Spiel. "Das war kein Superspiel, aber Hauptsache wir stehen im Finale", sagte Podolski und tauchte in den Fan-Block hinter dem Tor. "Das war kein großer Fußball, das beste bam Spiel war Philipps Tor", sagte Kapitän Ballack. Aber der Mythos der Turniermannschaft war der eigentliche Gewinner. Er wurde 2008 wieder belebt.

"Und am Ende gewinnt immer Deutschland", titelte die Berliner Morgenpost in Anlehnung an den englischen Fußball-Philosophen Gary Lineker. Nun also spielten sie wieder um den Pokal, den sie jeden Tag schon im Hotel "Il Giardino" sahen. Oliver Bierhoff hatte eine Kopie besorgt und zur Motivation aufgestellt, damit alle ihr Ziel täglich vor Augen haben sollten.

Als Gegner bewarben sich am 26. Juni in Wien Spanien und Russland. Niemand erwartete eine einseitige Partie, aber nach 90 Minuten stand ein 3:0 auf der Anzeigetafel – für Spanien. Alle Tore fielen erst nach der Pause und sie fielen für die Besseren. Vor der Pause war das Bemerkenswerteste der Ausfall von David Villa, dem besten Torjäger dieser EM. Xavi (50.), Villa-Vertreter Daniel Güiza (73.) und David Silva (82.) beendeten den russischen Traum. "Wir wollen nicht traurig sein, wir haben Bronze. Die Mannschaft hat ihren Fans viel Freude gemacht", richtete das Blatt "Sport Moskau" milde. Spanien aber war nach dieser Vorstellung plötzlich der große Favorit. Auch die Bild-Zeitung bekam es mit der Angst zu tun: "Traum.Tore, olé! Das wird hart für Merte und Metze".

Torres beendet deutschen EM-Traum

Franz Beckenbauer schrieb in seiner Kolumne: "Ich hoffe auf ein attraktives Finale mit vielen Toren. Ich erwarte aber, dass es ein Geduldsspiel wird." Und so war es. Die Skeptiker sollten recht behalten, Deutschland konnte am 29. Juni in Wien nicht mehr die Leistung abrufen, die nötig war gegen diese Spanier. Wohl selten hat sich die Nation so sehr vergeblich nach Torchancen gesehnt wie an diesem Sonntagabend, als die Spanier ihr bis heute berühmtes Kombinationsspiel (Kurzpässe in Perfektion) aufführten. Außer einem Schuss von Michael Ballack (59.), der das Außennetz streifte, wurde es eigentlich nie gefährlich für Iker Casillas. Was ab dem Moment fatal war, in dem Fernando Torres Spanien in Führung schoss. Er profitierte von einem Missverständnis zwischen Jens Lehmann und Philipp Lahm und schlenzte den Ball ins lange Eck (33.). "Das Tor war die Vorentscheidung", sagte Hitzlsperger. Trotz noch fast einer Stunde Spielzeit.

Später verhinderte Lehmann mehrmals eine höhere Niederlage, einmal rettete auch der Pfosten. Löw wechselte mit Kevin Kuranyi und Mario Gomez noch zwei Stürmer ein, aber es passierte nichts mehr. Das sei ihm "Mitte der zweiten Halbzeit" schon klar geworden. Der ernüchternde Verlauf des Finales, das um 22.36 Uhr abgepfiffen wurde, trübte die Stimmung der Deutschen kurzfristig. Immerhin nicht den Blick. Lahm gab zu: "Die Spanier haben verdient gewonnen." Angela Merkel sagte Ballack bei der Siegerehrung "dass wir wohl noch ein wenig warten müssen, bis wir ganz doll feiern können." Nun, am nächsten Tag stieg in Berlin schon eine tolle Fete. Die Vize-Europameister ließen sich am Brandenburger Tor von rund 100.000 Anhängern feiern. Sie sahen es wie Joachim Löw: "Ich denke, dass wir mit dem zweiten Platz auch viel erreicht haben, wir können stolz sein, dass wir im Finale waren."

1,143 Millionen Zuschauer

Ein Fest war auch diese EM, die erneut ein Geschäft war. 1,143 Millionen Zuschauer (3. Platz in der Historie) sahen 77 Tore und überwiegend schönen Fußball. Die UEFA freute sich über einen Rekordgewinn von 700 Millionen Euro (Umsatz 1,3 Milliarden). Auch die EM schreibt längst ihre Erfolgsgeschichte. Ab heute von Neuem.