Nur Spanien besser als Deutschland

Nie gab es mehr Bewerber um die Ausrichtung der EM 2008. Es waren deren sieben, doch da die wenigsten sich alleine bewarben, warfen insgesamt 16 Länder ihren Hut in den Ring. Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen wollten gar als Quartett eine Skandinavien-EM organisieren. Die UEFA lehnte ab, weil ihre Statuten nur zwei Startplätze für Gastgeber erlaubten. Am 12. Dezember 2004 erhielten die Alpenländer Schweiz und Österreich den Zuschlag. Somit durfte Österreich endlich erstmals an einer EM teilnehmen, sportlich hatte es nie geklappt. Für die Schweizer war es nach 1996 und 2004 schon die dritte Teilnahme. Der Rest quälte sich durch die größte Qualifikation aller Zeiten mit insgesamt 308 Spielen. Immerhin entfielen diesmal die Play-Offs, da sieben Gruppen gebildet wurden (mit bis zu acht Mannschaften) und jeweils die beiden Ersten direkt zur EM kamen.

Fast alle Favoriten kamen durch, aber auf der britischen Insel herrschte Katzenjammer. Ihre Vertreter blieben komplett außen vor, was es zuletzt 1984 gegeben hatte. Besonders in England war der Katzenjammer groß. Dank der russischen Niederlage in Israel (1:2) hatten die Engländer vor dem letzten Spiel doch noch eine realistische Chance bekommen. Sie mussten nur die bereits qualifizierten Kroaten in Wembley schlagen. Doch die wehrten sich als ginge es bereits um den EM-Pokal und gewannen 3:2. Kroatien feierte den Dortmund-Profi Mladen Petric, der den Siegtreffer erzielte, England schmähte seinen Trainer Steve McClaren als "den Trottel mit dem Regenschirm". Russland quälte sich derweil in Andorra zu einem 1:0 und überholte das Fußball-Mutterland. Wie fast immer fand die EM 2008 mit russischer Beteiligung statt. Auch Nachbar Polen schaffte es vor Portugal, das sich mit einem 0:0 zuhause gegen Finnland ins Ziel rettete. In Gruppe B triumphierte wieder mal die italienische Cleverness. Panucci traf für den Weltmeister in der Nachspielzeit zum 2:1 in Glasgow und warf damit Konkurrent Schottland raus.

Franzosen setzen sich verdient durch

Auch Vize-Weltmeister Frankreich setzte sich in dieser engen Gruppe durch, bei nur fünf Gegentoren in zwölf Spielen gewiss verdient. Dieses Duo wurde weit eher unter den Teilnehmern erwartet als der Titelverteidiger, aber die griechische Fußball-Sage ging weiter. Sagenhaft war jedenfalls das Abschneiden von Otto Rehhagels Europameistern: 31 Punkte holte kein anderer Qualifikant. Rehhagel bekam trotzdem heftig Gegenwind für sein Vertrauen in die in die Jahre gekommenen Europameister. "Wir haben einen Trainer, der ziemlich viel Geld verdient, um eine Rentnertruppe auf den Platz zu schicken", schimpfte sogar der griechische Arbeitsminister. Hinterher feierten sie ihren "Rehakles" doch wieder alle, denn was zählte war eben das, was auf dem Platz geschah.

Im Windschatten der Griechen: Türkei

Im Windschatten der Griechen segelten die Türken, die sich im letzten Heimspiel gegen Bosnien-Herzegowina (1:0) qualifizierten. Apropos Heimspiel: wegen der Ausschreitungen nach dem WM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz Ende 2005 mussten die Türken drei Geisterspiele austragen. Alle fanden in Frankfurt statt, vor rund 70 Augenzeugen (Journalisten und Offizielle). Die Türken bewiesen Humor und spannten Transparente über die leeren Blöcke, eines mit der Aufschrift: "70 Millionen hätten hier sowieso nicht rein gepasst." Immerhin: Sie blieben ungeschlagen in ihren Geisterspielen (sieben Punkte) und fuhren zur EM. Ausschlaggebende war jedoch der 4:1-Sieg bei Europameister Griechenland. Norwegen und die alte Fußball-Macht Ungarn, die sogar Malta (2:4) unterlag, blieben auf der Strecke. Der kommende Europameister Spanien verlor zwar in Nordirland und Schweden, qualifizierte sich aber vorzeitig. Schweden bekam den zweiten Platz, auch dank einer Entscheidung am Grünen Tisch. Das Spiel bei den Dänen (3:3) wurde 3:0 gewertet, weil ein Dänen-Fan den deutschen Schiedsrichter Herbert Fandel in vorletzter Minute tätlich attackierte, woraufhin es abgebrochen wurde. Nordirland wurde nur Dritter, meldete aber einen Rekord: Stürmer David Healy schoss 13 Qualifikationstore und löste den Kroate Davor Suker ab. In Gruppe G kam es zum Dreikampf zwischen Niederlande, Rumänien und Bulgarien, das letztlich auf der Strecke blieb. Die von Europameister Marco van Basten trainierten Holländer bekleckerten sich im entscheidenden Spiel aber nicht mit Ruhm: gegen Fußballzwerg Luxemburg reichte es nur zu einem 1:0. Ihr letztes Spiel in Weißrussland, vom Deutschen Bernd Stange trainiert, schenkten sie 1:2 ab.

Auch Deutschland ließ sich nach souverän erfüllter Pflicht etwas hängen. Bereits vor den drei letzten Heimspielen hatte die Löw-Elf ihr Ticket, leider gewann sie nur noch gegen Zypern (4:0). Den Tschechen erlaubte sie in München ein 3:0, was ihr den Gruppensieg kostete und auch gegen Wales sprang in Frankfurt nur ein 0:0 heraus. "Tristes Ende 2007 – 2008 wird es heiß", titelte der Kicker. Dennoch war Fußball-Deutschland mit der Weiterentwicklung der Mannschaft nach dem dritten Platz beim WM-Sommermärchen zufrieden. Auf die Frage im Kicker, ob Deutschland Europameister werde, antworteten 59,85 % von rund 54.000 Lesern mit Ja. Die Liga bot Löw immer wieder neue Alternativen, in der Qualifikation kamen in zwölf Partien 33 Spieler zum Einsatz. Junge hungrige Spieler wie Marcell Jansen, Kevin Kuranyi, der in Prag beide Tore zum 2:1-Sieg und insgesamt die meisten deutschen Tore schoss, Mario Gomez oder Simon Rolfes waren zum Kreis der meist ebenfalls noch jungen WM-Teilnehmer um Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Christoph Metzelder oder Per Mertesacker gestoßen. Das Tor hütete Jens Lehmann, der nach dem Rücktritt von Oliver Kahn konkurrenzlos die Nummer eins war. Bezeichnend dass Löw die Nummer zwei während der Qualifikation, Timo Hildebrand, noch kurz vor der EM aussortierte.

Druckvoll, mutig, offensiv

Die Spielphilosophie blieb die Gleiche wie unter Jürgen Klinsmann: Druckvoll, mutig, offensiv. Beim 13:0 gegen das freilich drittklassige San Marino verbuchte die Elf den höchsten Auswärtssieg ihrer Geschichte.

Das Turnier:

Acht Stadien warteten auf die 16 Teilnehmer, die ab 7. Juni um den Henry-Delaunay-Pokal spielten. Die Schweizer bauten sämtliche vier Stadien eigens für die EM neu und investierten über 600 Millionen Euro, die Österreicher errichteten nur in Klagenfurt ein neues Stadion, die anderen wurden aufgehübscht. Für 163 Millionen Euro präsentierten sich auch die vier Stadien der Österreicher in EM-Form. Von ihrer Mannschaft konnte man dies nicht sagen. Im Land gründete sich eine Initiative, die die Elf zum Turnierverzicht bewegen sollte, da sie in der Vorbereitung nicht mal gegen Venezuela und Liechtenstein gewann. Trainer Josef Hickersberger gestand realistisch: "Wir sind der größte Außenseiter, den es bei diesem Turnier gibt." Auch die von Legende Köbi Kuhn gecoachten Schweizer wurden nicht sonderlich hoch gewettet und so war die größte Sorge der UEFA, dass das Turnier ab dem Viertelfinale ohne Gastgeber weiter laufen und die Atmosphäre leiden würde.

Schon am ersten Tag des Turniers fanden sie neue Nahrung. Nach einer nur 13-minütigen Eröffnungsfeier ohne Reden, trafen in Basel die Schweiz und Tschechien aufeinander – oder das Pech auf das Glück.

Das Glück schlug sich auf die Seite von Tschechien, das hinterher selbst nicht so genau wusste, wieso es 1:0 gewonnen hatte. Die wackeren Schweizer waren überlegen und hielten Weltklassetorwart Petr Cech auf Trab, aber der Ball wollte nicht ins Tor. Nach 42 Minuten erlebte die EM ihre erste große Tragödie. Der Dortmunder Alexander Frei, Kapitän und Torjäger der Schweizer, verletzte sich nach einem Zweikampf am Knie, musste unter Tränen ausgewechselt werden und erfuhr noch während das Spiel lief die Diagnose: Innenbandabriss, sechs Wochen Pause, EM-Aus. Kurz vor Schluss war er wieder im Stadion, mit Krücken. Da stand es bereits 0:1 durch ein Tor des Ex-Gladbachers Vaclav Sverkos und weil Vonlanthen nur die Latte traf blieb es dabei. Es blieb den Schweizern nur, sich an ihrer eigenen Leistung hochzuziehen. Trainer Köbi Kuhn gratulierte den Spielern dazu und Tranquillo Barnetta sagte: "Wir haben ein europäisches Top-Team teilweise an die Wand gespielt. Dass es nicht gereicht hat, ist umso bitterer."