Männer-Nationalmannschaft

Nagelsmann: "Wir müssen nicht Spanien 2.0 sein"

30.07.2025
Julian Nagelsmann: "Die Balance muss stimmen" Foto: Getty Images

Julian Nagelsmann ist am Mittwoch zu Gast gewesen auf dem Internationalen Trainerkongress, der vom Bund Deutscher Fußball-Lehrer in dieser Woche in Leipzig ausgetragen wurde. Der Bundestrainer war eingeladen, den Weg bis zur Weltmeisterschaft in Kanada, Mexiko und den USA kommenden Sommer zu skizzieren. Und einen Blick über die Schulter zurück auf das Final Four der Nations League diesen Frühsommer zu werfen und auf die Europameisterschaft in Deutschland vor knapp einem Jahr.

Es war ein ganzer Strauß an Themen, den Moderator Michael Leopold vor den Trainer der deutschen Nationalmannschaft stellte. Julian Nagelsmann wich keiner Frage aus. In gewohnt offener Art ging der 38-Jährige auf die Themen rund um die Mannschaft und sein eigenes Amt ein, und streute bisweilen ein paar Bonmots dazwischen, die den Saal erheiterten. Vor allem aber wurde er in einigen Fragen sehr konkret. Unter anderem bei seinem aktuellen Personal. 

So äußert er sich zu…

… Joshua Kimmich: Der Kapitän, bei der EM als Rechtsverteidiger eingesetzt, kehrt auf die "Sechs" ins defensive Mittelfeld zurück, "weil er einfach einer von zwei, drei Spielern ist, der in seinem Klub dort immer spielen wird", sagte Nagelsmann. Zudem passe die Positionierung Kimmichs auf der "Sechs" zur angedachten Strukturanpassung, die er mit seinem Team vornehmen wolle. Nagelsmann bezeichnete die Position, meist von zwei Spielern besetzt, als "das Herzstück einer jeden Mannschaft". "Wir haben uns jetzt ausgemalt, wie es funktioniert", fügte er an. Und dazu gehört, "dass wir Spieler haben, die auf dieser Position im Rhythmus sind." Gleichwohl: Kimmich sei der beste Rechtsverteidiger der Bundesliga. Sollte das System mit den nun angedachten Nachfolgekandidaten nicht aufgehen, könne es noch mal anders kommen – und der DFB-Kapitän kehre in die EM-Rolle zurück.

… Marc-André ter Stegen: Der Torhüter des FC Barcelona fällt aktuell mit einer Rückenverletzung aus, bleibt aber perspektivisch die Nummer eins im deutschen Tor. Julian Nagelsmann schränkte freilich ein, dass der 33-Jährige dafür "gesund" sein müsse und in seinem Verein Stammtorhüter. Gleichzeitig schloss Nagelsmann aus, dass es in den kommenden Länderspielen einen Überraschungstorhüter geben könne, wie er in den vergangenen Tagen in den Medien besprochen wurde. Auch eine Rückkehr von Bayern-Torhüter Manuel Neuer schloss der Bundestrainer dafür aus. "Stand jetzt", sagte er, gebe es solche Überlegungen nicht. Doch die Tür sei grundsätzlich für jeden aktiven Fußballer "mit einem deutschen Pass" offen. Grundsätzlich mache er sich auf der Torwartposition aufgrund des Toppersonals "überhaupt keine Sorgen".

… Jamal Musiala: Der Dribbler vom FC Bayern ist für Julian Nagelsmann in der Offensive einer seiner Schlüsselspieler, aber durch eine Wadenbein- und Sprunggelenksverletzung, zugezogen bei der Klub-WM in den USA, bis in den Herbst hinein außer Gefecht. Der Bundestrainer hat den 22-Jährigen unlängst besucht und ist guter Hoffnung, ihn in diesem Jahr wieder auf dem Platz zu sehen. "Es geht ihm den Umständen entsprechend gut", sagte er. "Die Verletzung sah krasser aus, als sie ist. Sie konnte gut fixiert werden und verheilt dementsprechend gut. Er wird schneller wieder zurück sein, als viele denken. Er wird sehr gut versorgt von der medizinischen Abteilung um Dr. Jochen Hahne, dem wir auch als Teamarzt bei der Nationalmannschaft sehr vertrauen." Und, für den Bundestrainer ein weiterer Grund zur Hoffnung, seinen Techniker bei der WM in Bestverfassung dabei zu haben: "Jamal ist ein Straßenkicker, er kann solche Verletzungen vielleicht besser wegstecken, als andere." 

Im Verlauf des Gesprächs auf dem Podium des großen Saals im Kongresszentrum des Leipziger Zoos kam auch die Vorbereitung auf die WM im kommenden Sommer zur Sprache. Unlängst hatte sich der Bundestrainer mit seinem Trainerteam zum Workshop getroffen, um alle Fragen rund um das Turnier aufzuwerfen und zu besprechen. Zunächst müsse man sich in den kommenden Länderspielen selbstverständlich für die WM qualifizieren, dennoch gehöre eine frühzeitige Vorbereitung auf das Turnier zu einer professionellen Herangehensweise. Denn der DFB-Chefcoach wies daraufhin, dass eine Turniervorbereitung in drei Ländern, zudem noch drei großen Flächenländern, eine komplexe Angelegenheit sei, bei der allein die Wahl des Standortes nicht einfach zu entscheiden sei. 

In diesem Zusammenhang kommentierte der Bundestrainer einmal mehr seine Aussage nach dem EM-Viertelfinal-Aus gegen Spanien, man müsse jetzt zwei Jahre warten, um Weltmeister zu werden. "Ich meinte nicht, wir werden Weltmeister, sondern wir wollen Weltmeister werden", sagte der Bundestrainer. "Jeder Spitzensportler will gewinnen. Eine Goldschwimmerin steigt ja auch nicht ins Becken und sagt sich nach der Hälfte der Strecke: 'Ich tauche jetzt wieder zurück'. Auch wir fahren, vorausgesetzt wir qualifizieren uns, zur WM, um sie zu gewinnen. Das heißt aber nicht, dass wir Favorit sind. Ich habe mit dem Satz aber signalisiert, dass wir etwas vorhaben."

In diesem Zusammenhang gab Nagelsmann auch Einblicke in die Erkenntnisse des DFB-Trainerteams aus der Analyse der EURO und des Final Four in der Nations League. 

Diese Aspekte sprach der Bundestrainer an…

… Grundordnung: Weil Schlüsselspieler Toni Kroos seine Karriere beendet hat und manche EM-Spieler bei ihren Klubs keine Stammspieler sind, wird Julian Nagelsmann sein Team "nicht mehr in derselben Ordnung" spielen lassen. Sprich, er will sie an sein Personal anpassen. In dieses Thema hinein fällt auch die Rückkehr Joshua Kimmichs auf die "Sechs".

… defensive Stabilität: Der Nationaltrainer hat als einen der Gründe für die jüngsten zwei Niederlagen eine fehlende Balance zwischen Offensive und Defensivverhalten ausgemacht. Julian Nagelsmann kündigte an, in den kommenden Monaten defensiver denken zu wollen. Heißt: Er will sich defensiv mehr an den Gegebenheiten und "am Gegnern ausrichten". "Die Balance" müsse stimmen, sagte Nagelsmann. "Wir müssen nicht Spanien 2.0 sein", sondern auch mal "altmodisch denken" und nach altdeutscher Art "defensiver denken und verteidigen".

… Mentalität: Vor dem Hintergrund, dass sein Team nicht auf allen Positionen gleich talentiert besetzt ist, was auch bei früheren DFB-Teams nie der Fall war, gab der Bundestrainer an, die Aspekte Widerstandsfähigkeit, Teamgeist und Leidenschaft in den Fokus zu nehmen. Denn noch immer gilt, dass man keine elf Weltfußballer braucht, um Weltmeister werden zu können. Er wolle deshalb in den kommenden sechs Spielen sehen, dass sein Team unabhängig von der Qualität des Gegners an seine "Grenzen gehe". "Wir wollen unsere Leistungen stabilisieren", fügte er hinzu. 

… Ausblick auf die WM: Mit Blick auf das Turnier in einem Jahr und das Leistungsvermögen seiner Mannschaft stellte Julian Nagelsmann in Aussicht, dass er von seinen Spielern Verbindlichkeit fordere und maximale Lust auf jede einzelne Partie. Denn "wenn wir es schaffen, in jedem Spiel über unsere Grenzen zu gehen", so der Bundestrainer, "dann können wir Weltklasse sein" – und eventuell auch Weltmeister.

Kategorien: Männer-Nationalmannschaft, Europameisterschaft, Nations League, WM 2026, Trainer

Autor: dfb