Kann Fußball Strafgefangene resozialisieren?

Wenn so viel schief gelaufen ist, wie will der Fußball alles wieder richten? Vor acht Jahren wagte die DFB-Stiftung Sepp Herberger mit einer Initiative namens "Anstoß für ein neues Leben" den Versuch, junge Strafgefangene auf ihrem schwierigen Weg zurück in eine bürgerliche Existenz zu begleiten. Das Programm überzeugte. Heute gehört der "Anstoß" in 17 Justizvollzugsanstalten und neun Bundesländern zum Gefängnisalltag. Jährlich wird ein Finalturnier ausgetragen. Prominente wie etwa Oliver Kahn, Otto Rehhagel und der 27-malige Nationalspieler Wolfgang Dremmler gehen für Deutschlands älteste Fußballstiftung ins Gefängnis. Überall kooperieren die zuständigen Justizminister.

Doch eint die Biographien der Straftäter allzu oft eine verhängnisvolle Verkettung zerstörerischer Ereignisse. Das dysfunktionale Elternhaus, frühe Gewalterfahrung, schulische Misserfolge, habitueller Drogenkonsum. Schließlich Verbrechen und Verurteilung. Reicht der Fußball hier wirklich – zur Läuterung und als Kompass für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft?

Grindel: "Es geht um eine neue Sozialisierung"

Reinhard Grindel meint ja. Der DFB-Präsident besuchte am Montag junge Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Neuburg-Herrenwörth. 159 Gefangene mit einer Jugendstrafe von maximal drei Jahren sind in der 1990 fertig gestellten JVA eingesperrt. Ihr Durchschnittsalter beträgt 18 Jahre, das Spektrum ihrer Verurteilungen reicht vom Einbruch bis zur Gewaltstraftat. "Es geht um eine neue Sozialisierung", sagt Grindel: "Für viele dieser jungen Männer wünscht man sich eben nicht, dass sie nach Haftende wieder in ihr altes Umfeld zurückkehren."

Dank des "Anstoß" können Strafgefangene etwa die Ausbildung zum Schiedsrichter absolvieren. Rund 100 Regelhüter wurden in den vergangenen Jahren hinter Gittern ausgebildet, viele pfeifen nach ihrer Haftentlassung in den Kreisklassen. Unparteiische in einem neuen Umfeld. Eine neue statt einer Resozialisierung. Die Initiative ruht dabei auf drei Säulen: dem Fußball, der Berufswegeplanung (in Partnerschaft mit der Bundesagentur für Arbeit) sowie Maßnahmen zur Gewalt- und Drogenprävention.

Futsalbälle und Trainingsjacken werden verteilt

Wer nach Neuburg an der Donau fährt, muss bei Ingolstadt runter von der Autobahn und nochmal 30 Kilometer über Landstraßen tuckern. Der DFB-Präsident wird von Wolfgang Dremmler, dem Präsidenten des Bayerischen Fußball-Verbandes, Dr. Rainer Koch, und dem bayerischen Justizminister Prof. Dr. Winfried Bausback begleitet. Man lässt sich Zeit: für Gespräche mit den jungen Gefangenen, für einen Besuch der Werkstätten.

Zum Abschluss leitet Dremmler, der mit den Bayern viermal Deutscher Meister und dreimal Pokalsieger wurde, eine Trainingseinheit mit der Fußball-AG, der zwölf Gefangene angehören. Der DFB hat Futsalbälle und winterfeste Trainingsjacken mitgebracht, die der Präsident selbst verteilt. Gefängnisdirektor Ernst Maier-Lämmermann sagt: "Unsere jungen Gefangenen wissen das alles schon einzuschätzen. Sie verstehen, dass ihnen hier eine Chance angeboten wird."



Wenn so viel schief gelaufen ist, wie will der Fußball alles wieder richten? Vor acht Jahren wagte die DFB-Stiftung Sepp Herberger mit einer Initiative namens "Anstoß für ein neues Leben" den Versuch, junge Strafgefangene auf ihrem schwierigen Weg zurück in eine bürgerliche Existenz zu begleiten. Das Programm überzeugte. Heute gehört der "Anstoß" in 17 Justizvollzugsanstalten und neun Bundesländern zum Gefängnisalltag. Jährlich wird ein Finalturnier ausgetragen. Prominente wie etwa Oliver Kahn, Otto Rehhagel und der 27-malige Nationalspieler Wolfgang Dremmler gehen für Deutschlands älteste Fußballstiftung ins Gefängnis. Überall kooperieren die zuständigen Justizminister.

Doch eint die Biographien der Straftäter allzu oft eine verhängnisvolle Verkettung zerstörerischer Ereignisse. Das dysfunktionale Elternhaus, frühe Gewalterfahrung, schulische Misserfolge, habitueller Drogenkonsum. Schließlich Verbrechen und Verurteilung. Reicht der Fußball hier wirklich – zur Läuterung und als Kompass für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft?

Grindel: "Es geht um eine neue Sozialisierung"

Reinhard Grindel meint ja. Der DFB-Präsident besuchte am Montag junge Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Neuburg-Herrenwörth. 159 Gefangene mit einer Jugendstrafe von maximal drei Jahren sind in der 1990 fertig gestellten JVA eingesperrt. Ihr Durchschnittsalter beträgt 18 Jahre, das Spektrum ihrer Verurteilungen reicht vom Einbruch bis zur Gewaltstraftat. "Es geht um eine neue Sozialisierung", sagt Grindel: "Für viele dieser jungen Männer wünscht man sich eben nicht, dass sie nach Haftende wieder in ihr altes Umfeld zurückkehren."

Dank des "Anstoß" können Strafgefangene etwa die Ausbildung zum Schiedsrichter absolvieren. Rund 100 Regelhüter wurden in den vergangenen Jahren hinter Gittern ausgebildet, viele pfeifen nach ihrer Haftentlassung in den Kreisklassen. Unparteiische in einem neuen Umfeld. Eine neue statt einer Resozialisierung. Die Initiative ruht dabei auf drei Säulen: dem Fußball, der Berufswegeplanung (in Partnerschaft mit der Bundesagentur für Arbeit) sowie Maßnahmen zur Gewalt- und Drogenprävention.

Futsalbälle und Trainingsjacken werden verteilt

Wer nach Neuburg an der Donau fährt, muss bei Ingolstadt runter von der Autobahn und nochmal 30 Kilometer über Landstraßen tuckern. Der DFB-Präsident wird von Wolfgang Dremmler, dem Präsidenten des Bayerischen Fußball-Verbandes, Dr. Rainer Koch, und dem bayerischen Justizminister Prof. Dr. Winfried Bausback begleitet. Man lässt sich Zeit: für Gespräche mit den jungen Gefangenen, für einen Besuch der Werkstätten.

Zum Abschluss leitet Dremmler, der mit den Bayern viermal Deutscher Meister und dreimal Pokalsieger wurde, eine Trainingseinheit mit der Fußball-AG, der zwölf Gefangene angehören. Der DFB hat Futsalbälle und winterfeste Trainingsjacken mitgebracht, die der Präsident selbst verteilt. Gefängnisdirektor Ernst Maier-Lämmermann sagt: "Unsere jungen Gefangenen wissen das alles schon einzuschätzen. Sie verstehen, dass ihnen hier eine Chance angeboten wird."

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"Der Fußball ist eine Ablenkung"

Einer von ihnen ist Sebastian* (Name geändert, die Redaktion). Der Kapitän des Teams verbüßt eine Haftstrafe über zwei Jahre. Sieben Monate hat er noch abzusitzen. Zum letzten Finalturnier ins mecklenburgische Neustrelitz fuhr er nicht mit, weil er lieber lernen wollte. Der Lohn: Sebastian hat hinter Gittern seinen Realschulabschluss geschafft. Aktuell absolviert er in der blitzsauberen, auch maschinell gut ausgestatteten Malerwerkstatt seine Ausbildung. Trotzdem er Bayern-Fan ist, schaut er am liebsten bei Max Meyer zu, wenn der Fußball spielt. "Einmal die Woche trainieren wir. Abends schauen wir bis zum Verschluss Fußball", berichtet Sebastian: "Natürlich ist Fußball auch hier im Gefängnis total wichtig."

Milan* arbeitet in der Schreinerei. Das Regal, das er dem DFB-Präsidenten zeigt, sieht makellos aus. "Mir fällt die Haft sehr schwer. Der Fußball ist eine Ablenkung. Meine Arbeit, meine Familie  und der Fußball, darauf konzentriere ich mich." 100 Gefangene in Neuburg werden mit Maßnahmen geschult, dazu zählen etwa Alphabetisierungskurse. 30 der rund 160 Insassen machen eine Berufsausbildung.

"Sport kann Tugenden vermitteln"

Im Jahr 1990 schloss die JVA Neuburg erstmals die Tore, dann stand die in vier Häuser unterteilte Anstalt. Anton Degenmeier ist Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes und seit dem ersten Tag dabei. "Es ist schon wichtig, dass die jungen Leute lernen, Regeln einzuhalten und auch körperlich überschüssige Kräfte loswerden", sagt der Beamte. Auch Justizminister Prof. Dr. Winfried Bausback ist Fußballfan, umso mehr, wenn in einem seiner Gefängnisse gespielt wird. "Der Sport kann Tugenden wie etwa Fairness, Teamgeist oder Regelakzeptanz vermitteln, die man im Leben braucht", sagt Bausback, der seit Oktober 2013 das Justizministerium im Freistaat leitet.

Jugendkriminalität – das ist auch ein Feld der Mythen. Etwa, dass sie rasant zunimmt. Bei aller berechtigten Skepsis, ob rückläufige Zahlen nicht eben auch aus einer Verschiebung von Hell- und Dunkelfeld resultieren, darf schon festgehalten werden, dass beispielsweise 2007 auf 100.000 Einwohner 1100 schwere Körperverletzungen durch Jugendstraftäter kamen, die Anzahl aber bis 2015 auf 590 Körperverletzungen gesunken war (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung).

Natürlich stimmt es, dass gerade junge Männer kriminalstatistisch betrachtet eine gefährliche Gattung darstellen. Doch war es schon immer so. Schon Shakespeare seufzte das Stoßgebet gen Dichterhimmel: "Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und 23, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit. Denn dazwischen ist nichts als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen." Und schließlich weisen jugendliche Männer mit einem Migrationshintergrund tatsächlich höhere Kriminalitätsraten als deutsche junge Männer auf. Eliminiert man aber alle Belastungsfaktoren - also etwa den Bezug staatlicher Transferleistungen oder einen Schulabbruch – liegen die Werte auf einem ähnlichen Niveau.

Bausback: "Der bayerische Vollzug ist kein Kuschelvollzug"

Justizminister Bausback sagt: "Der bayerische Vollzug ist kein Kuschelvollzug. Wir achten sehr auf Konsequenz. Aber wir wollen, dass es die Chance auf Resozialisierung gibt. Denn eine erfolgreiche Resozialisierung verhindert neue Straftaten und ist damit letztlich der beste Opferschutz." 60.000 Euro investiert die DFB-Stiftung Sepp Herberger dieses Jahr in die Initiative "Anstoß", in der seit Herbst auch ein von Michael Herbergers und Xavier Naidoos Klangstiftung entwickelter Musikworkshop pilotiert.

Sepp Herberger besuchte 1970 die JVA in Bruchsal und brachte dadurch im Gefängnis den Ball ins Rollen. Seitdem sind bekannte Fußballer und Trainer seinem Vorbild gefolgt: Fritz Walter, Horst Eckel, Oliver Kahn, Otto Rehhagel, Bundestrainerin Steffi Jones, Lukas Podolski und viele, viele mehr. Reinhard Grindel benannte, was die Fußballer von Herberger bis Jones und Podolski, nachdem sich das Tor wieder hinter ihnen schließt, gerne im Gefängnis zurück lassen möchten: "Ein Stück neues Selbstwertgefühl."

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