Chatzialexiou: "Diese Spieler weiterhin bestmöglich fördern"

Die DFB-Teams leben - wie viele andere gesellschaftliche Bereiche - auch von ihrer Diversität und Vielfalt. Gerade in den U-Nationalmannschaften sind die verschiedenen Staatsangehörigkeiten ein Thema, denn die Spieler müssen sich erst ab der A-Nationalmannschaft für eine Nation entscheiden. Wie der DFB mit Nachwuchsspielern umgeht, die über mehr als nur eine Staatsbürgerschaft verfügen, erklärt Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, im DFB.de-Interview.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, in den U-Nationalmannschaften müssen sich Spieler noch nicht endgültig für ein Land entscheiden, für das sie dauerhaft auflaufen. Welche Grundvoraussetzungen bestehen für Fußballer, die für eine Nationalmannschaft spielen möchten?

Joti Chatzialexiou: Um für die Nationalmannschaft eines Landes zu spielen, gibt es von der FIFA einen Katalog an Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Dazu gehört, dass der Spieler - oder seine Eltern oder Großeltern - in dem entsprechenden Land geboren ist und die jeweilige Staatsbürgerschaft besitzt. Ist das nicht der Fall, ist ein Einsatz nur mit erheblichem rechtlichem und organisatorischem Aufwand möglich.

DFB.de: Wie verhält es sich, wenn ein Spieler die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt?

Chatzialexiou: Besitzt ein Spieler zwei oder mehrere Staatsbürgerschaften, kann er zunächst zwischen den Nationen wechseln. Festgespielt ist er lediglich, wenn er in einem bestimmten Wettbewerb - zum Beispiel in der U 17-EM-Qualifikation - ein Pflichtspiel für das Land bestreitet. Dieses Festspielen gilt dann allerdings nur für den jeweiligen Wettbewerb. In diesem Fall wäre es für die U 19-EM schon wieder aufgehoben. Dazu hat die FIFA zuletzt einige Bestimmungen abgeändert, die einen Wechsel auch im Seniorenbereich nach der U 21, zumindest theoretisch, ermöglichen. Fakt ist: Keine Nation hat einen Vertrag mit einem Spieler und kann ihn binden. Bis zum ersten Pflichtspieleinsatz für die A-Nationalmannschaft einer Nation zählt ausschließlich die mündliche Vereinbarung. Erst dann ist man final für eine Nation festgespielt.

DFB.de: Ist es grundsätzlich möglich, in Deutschland spielende Nachwuchsfußballer, die aus anderen Ländern stammen, für den DFB zu gewinnen?

Chatzialexiou: Ein häufiges Missverständnis betrifft die Einbürgerung von Spielern, die in Deutschland spielen. Fakt ist: Der DFB kann niemanden einbürgern. Die Entscheidung liegt allein bei den Behörden. Und für einen Einsatz in einer Nationalmannschaft reicht eine einfache Einbürgerung ohne viele weitere Formalien auch nicht aus.

DFB.de: Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach maßgeblich dazu bei, dass sich ein Spieler dazu entscheidet, für Deutschland zu spielen?

Chatzialexiou: In erster Linie ist der Spieler stolz darauf, für sein Land zu spielen. Natürlich wünschen wir uns Spieler, die sich für Deutschland auf dem Platz zerreißen, die sich voll und ganz mit dem Land und den Werten, für die Deutschland steht, identifizieren. Also Spieler, die man nicht "motivieren" muss, mit dem Adler auf der Brust zu spielen.

DFB.de: Was geht wiederum in einem Spieler vor, wenn er sich zwischen zwei Nationen, für die er spielberechtigt wäre, entscheiden muss?

Chatzialexiou: Viele Spieler in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. So kann es sein, dass ein Fußballer zwar in Deutschland aufgewachsen ist, gerne in diesem Land lebt, aber eine tiefe emotionale Verbundenheit zu seiner Familie in einem anderen Land hat. Das stellt den Spieler dann häufig vor die innere Zerreißprobe, für welche Nationalmannschaft er spielen möchte. Hier ist es notwendig, dass wir uns um den Spieler bemühen, ihm eine ehrliche Perspektive aufzeigen und die Werte unserer DFB-Mannschaften vermitteln.

DFB.de: Ein aktuelles Beispiel ist Paul Wanner vom FC Bayern München, der auch für Österreich auflaufen könnte. Bislang verzeichnete er 14 Einsätze für den DFB, doch die Österreicher warben sehr intensiv um ihn. Wie sehen in diesem Fall die Gespräche mit dem Spieler aus?

Chatzialexiou: Paul ist ein toller Junge und ein hervorragendes Talent. Er hat in der vergangenen Saison starke Leistungen für unsere U 17 gebracht und ist auch bei den Bayern in den Fokus des Profi-Teams gelangt. In dem Moment geschieht einiges um den Spieler herum. In dem Fall haben wir unseren guten Austausch mit Paul und seinem Umfeld beibehalten und an mancher Stelle noch intensiviert.

DFB.de: Inwiefern intensiviert?

Chatzialexiou: Insofern, dass wir in mehreren Gesprächen ihm und seinem Umfeld erläutert haben, warum wir ihn in der jeweiligen Mannschaft sehen und welche Schritte wir gemeinsam mit ihm und dem Verein gehen wollen. In unseren Augen hätte es ihm nicht gutgetan, zu früh in einem älteren Jahrgang mitzulaufen. Wir haben uns nun alle auf diesen Weg verständigt und werden seine Entwicklung - wie auch die der anderen Jungs in seinem Jahrgang - genaustens verfolgen und intensiv begleiten. Gleiches gilt auch für andere Spieler wie zum Beispiel Tiago Poller. Ein ebenfalls herausragendes Talent, mit dem wir einen klaren Plan haben und den wir behutsam aufbauen wollen. Unser Ziel ist es, Spieler auf ihrem Weg in die A-Nationalmannschaft zu begleiten. Hier bedarf es häufig ein wenig mehr Geduld - Geduld mit dem Spieler aber auch seitens des Spielers und seines Umfelds.

DFB.de: Wie sieht die Entscheidungsfindung eines Spielers mit doppelter Staatsbürgerschaft aus?

Chatzialexiou: Es gibt Spieler, die gemeinsam mit ihrem Umfeld genau abwägen, von welcher Nation sie den größten Nutzen haben. Sie fragen sich: "Wo habe ich die besten Einsatzchancen? Welches Land bemüht sich im Moment gerade am meisten um mich und zeigt mir die größte "Wertschätzung", eventuell in Form der Altersstufe, in der ich eingesetzt werde? In welchem Land habe ich aktuell die besten Chancen, meinen Vertrag im Verein aufzuwerten beziehungsweise meinen Marktwert zu erhöhen? In welchem Land habe ich die größten Chancen, einen Titel zu gewinnen?" All das sollte nicht dazu führen, dass das Leistungsvermögen von Spielern unrealistisch eingeschätzt wird. Oder andere darunter leiden, die nicht über diese Möglichkeit verfügen.

DFB.de: Die U-Mannschaften des DFB haben viele Spieler in den eigenen Reihen, die von einer solchen Entscheidung betroffen sind. Wie gehen Sie und der DFB mit dem Thema um?

Chatzialexiou: Es gibt ein klar formuliertes Ziel: Wir wollen, dass die besten Spieler, die für Deutschland spielen können, auch für uns spielen! Und wir wollen ebenso, dass sich diese Spieler mit den Mannschaften, Werten und den Menschen in unserem Land identifizieren. Dafür bieten wir ihnen die bestmögliche Förderung, vermitteln ihnen unsere Werte und Tugenden und geben ihnen rechtzeitig ein ehrliches Feedback zu ihrer Perspektive. Dabei ist uns wichtig, dass alle Maßnahmen auf der sportlichen Einschätzung der Trainer und der sportlichen Leitung basieren.

DFB.de: Wie reagiert der DFB, wenn die Wahl eines Spielers nicht auf Deutschland, sondern ein anderes Land fällt?

Chatzialexiou: Wenn sich ein Spieler für eine Nation entschieden hat, sollte man diese Entscheidung als Verband respektieren. Die Realität sieht teilweise leider anders aus, wodurch bei den Nationalmannschaften ein zweiter Transfermarkt entstanden ist. Die Themen Nationalstolz und Identifikation mit einem Land können an vielen Stellen durchaus spalten und sind sehr sensibel. Aber meiner Meinung nach darf man stolz sein, Deutschland zu repräsentieren. Ein Land, das auf eine große sportliche Historie zurückblicken kann und viele beeindruckende Persönlichkeiten hervorgebracht hat.

DFB.de: Abschließend: Können Sie den Spielern der U-Mannschaften die Charaktereigenschaften attestieren, die Sie persönlich in diesem Bereich für wichtig erachten?

Chatzialexiou: Absolut. Es gibt sehr viele Spieler, die Deutschland gerne repräsentieren, die die Tugenden und Werte, für die die deutschen Nationalmannschaften stehen, wie Disziplin, Mut, Widerstandsfähigkeit und Teamgeist, verinnerlicht haben. Sie wollen ihren Traum, für Deutschland spielen zu dürfen, erfüllen. Diese Spieler werden wir weiterhin bestmöglich fördern.

[ab/jf]

Die DFB-Teams leben - wie viele andere gesellschaftliche Bereiche - auch von ihrer Diversität und Vielfalt. Gerade in den U-Nationalmannschaften sind die verschiedenen Staatsangehörigkeiten ein Thema, denn die Spieler müssen sich erst ab der A-Nationalmannschaft für eine Nation entscheiden. Wie der DFB mit Nachwuchsspielern umgeht, die über mehr als nur eine Staatsbürgerschaft verfügen, erklärt Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, im DFB.de-Interview.

DFB.de: Herr Chatzialexiou, in den U-Nationalmannschaften müssen sich Spieler noch nicht endgültig für ein Land entscheiden, für das sie dauerhaft auflaufen. Welche Grundvoraussetzungen bestehen für Fußballer, die für eine Nationalmannschaft spielen möchten?

Joti Chatzialexiou: Um für die Nationalmannschaft eines Landes zu spielen, gibt es von der FIFA einen Katalog an Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Dazu gehört, dass der Spieler - oder seine Eltern oder Großeltern - in dem entsprechenden Land geboren ist und die jeweilige Staatsbürgerschaft besitzt. Ist das nicht der Fall, ist ein Einsatz nur mit erheblichem rechtlichem und organisatorischem Aufwand möglich.

DFB.de: Wie verhält es sich, wenn ein Spieler die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt?

Chatzialexiou: Besitzt ein Spieler zwei oder mehrere Staatsbürgerschaften, kann er zunächst zwischen den Nationen wechseln. Festgespielt ist er lediglich, wenn er in einem bestimmten Wettbewerb - zum Beispiel in der U 17-EM-Qualifikation - ein Pflichtspiel für das Land bestreitet. Dieses Festspielen gilt dann allerdings nur für den jeweiligen Wettbewerb. In diesem Fall wäre es für die U 19-EM schon wieder aufgehoben. Dazu hat die FIFA zuletzt einige Bestimmungen abgeändert, die einen Wechsel auch im Seniorenbereich nach der U 21, zumindest theoretisch, ermöglichen. Fakt ist: Keine Nation hat einen Vertrag mit einem Spieler und kann ihn binden. Bis zum ersten Pflichtspieleinsatz für die A-Nationalmannschaft einer Nation zählt ausschließlich die mündliche Vereinbarung. Erst dann ist man final für eine Nation festgespielt.

DFB.de: Ist es grundsätzlich möglich, in Deutschland spielende Nachwuchsfußballer, die aus anderen Ländern stammen, für den DFB zu gewinnen?

Chatzialexiou: Ein häufiges Missverständnis betrifft die Einbürgerung von Spielern, die in Deutschland spielen. Fakt ist: Der DFB kann niemanden einbürgern. Die Entscheidung liegt allein bei den Behörden. Und für einen Einsatz in einer Nationalmannschaft reicht eine einfache Einbürgerung ohne viele weitere Formalien auch nicht aus.

DFB.de: Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach maßgeblich dazu bei, dass sich ein Spieler dazu entscheidet, für Deutschland zu spielen?

Chatzialexiou: In erster Linie ist der Spieler stolz darauf, für sein Land zu spielen. Natürlich wünschen wir uns Spieler, die sich für Deutschland auf dem Platz zerreißen, die sich voll und ganz mit dem Land und den Werten, für die Deutschland steht, identifizieren. Also Spieler, die man nicht "motivieren" muss, mit dem Adler auf der Brust zu spielen.

DFB.de: Was geht wiederum in einem Spieler vor, wenn er sich zwischen zwei Nationen, für die er spielberechtigt wäre, entscheiden muss?

Chatzialexiou: Viele Spieler in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. So kann es sein, dass ein Fußballer zwar in Deutschland aufgewachsen ist, gerne in diesem Land lebt, aber eine tiefe emotionale Verbundenheit zu seiner Familie in einem anderen Land hat. Das stellt den Spieler dann häufig vor die innere Zerreißprobe, für welche Nationalmannschaft er spielen möchte. Hier ist es notwendig, dass wir uns um den Spieler bemühen, ihm eine ehrliche Perspektive aufzeigen und die Werte unserer DFB-Mannschaften vermitteln.

DFB.de: Ein aktuelles Beispiel ist Paul Wanner vom FC Bayern München, der auch für Österreich auflaufen könnte. Bislang verzeichnete er 14 Einsätze für den DFB, doch die Österreicher warben sehr intensiv um ihn. Wie sehen in diesem Fall die Gespräche mit dem Spieler aus?

Chatzialexiou: Paul ist ein toller Junge und ein hervorragendes Talent. Er hat in der vergangenen Saison starke Leistungen für unsere U 17 gebracht und ist auch bei den Bayern in den Fokus des Profi-Teams gelangt. In dem Moment geschieht einiges um den Spieler herum. In dem Fall haben wir unseren guten Austausch mit Paul und seinem Umfeld beibehalten und an mancher Stelle noch intensiviert.

DFB.de: Inwiefern intensiviert?

Chatzialexiou: Insofern, dass wir in mehreren Gesprächen ihm und seinem Umfeld erläutert haben, warum wir ihn in der jeweiligen Mannschaft sehen und welche Schritte wir gemeinsam mit ihm und dem Verein gehen wollen. In unseren Augen hätte es ihm nicht gutgetan, zu früh in einem älteren Jahrgang mitzulaufen. Wir haben uns nun alle auf diesen Weg verständigt und werden seine Entwicklung - wie auch die der anderen Jungs in seinem Jahrgang - genaustens verfolgen und intensiv begleiten. Gleiches gilt auch für andere Spieler wie zum Beispiel Tiago Poller. Ein ebenfalls herausragendes Talent, mit dem wir einen klaren Plan haben und den wir behutsam aufbauen wollen. Unser Ziel ist es, Spieler auf ihrem Weg in die A-Nationalmannschaft zu begleiten. Hier bedarf es häufig ein wenig mehr Geduld - Geduld mit dem Spieler aber auch seitens des Spielers und seines Umfelds.

DFB.de: Wie sieht die Entscheidungsfindung eines Spielers mit doppelter Staatsbürgerschaft aus?

Chatzialexiou: Es gibt Spieler, die gemeinsam mit ihrem Umfeld genau abwägen, von welcher Nation sie den größten Nutzen haben. Sie fragen sich: "Wo habe ich die besten Einsatzchancen? Welches Land bemüht sich im Moment gerade am meisten um mich und zeigt mir die größte "Wertschätzung", eventuell in Form der Altersstufe, in der ich eingesetzt werde? In welchem Land habe ich aktuell die besten Chancen, meinen Vertrag im Verein aufzuwerten beziehungsweise meinen Marktwert zu erhöhen? In welchem Land habe ich die größten Chancen, einen Titel zu gewinnen?" All das sollte nicht dazu führen, dass das Leistungsvermögen von Spielern unrealistisch eingeschätzt wird. Oder andere darunter leiden, die nicht über diese Möglichkeit verfügen.

DFB.de: Die U-Mannschaften des DFB haben viele Spieler in den eigenen Reihen, die von einer solchen Entscheidung betroffen sind. Wie gehen Sie und der DFB mit dem Thema um?

Chatzialexiou: Es gibt ein klar formuliertes Ziel: Wir wollen, dass die besten Spieler, die für Deutschland spielen können, auch für uns spielen! Und wir wollen ebenso, dass sich diese Spieler mit den Mannschaften, Werten und den Menschen in unserem Land identifizieren. Dafür bieten wir ihnen die bestmögliche Förderung, vermitteln ihnen unsere Werte und Tugenden und geben ihnen rechtzeitig ein ehrliches Feedback zu ihrer Perspektive. Dabei ist uns wichtig, dass alle Maßnahmen auf der sportlichen Einschätzung der Trainer und der sportlichen Leitung basieren.

DFB.de: Wie reagiert der DFB, wenn die Wahl eines Spielers nicht auf Deutschland, sondern ein anderes Land fällt?

Chatzialexiou: Wenn sich ein Spieler für eine Nation entschieden hat, sollte man diese Entscheidung als Verband respektieren. Die Realität sieht teilweise leider anders aus, wodurch bei den Nationalmannschaften ein zweiter Transfermarkt entstanden ist. Die Themen Nationalstolz und Identifikation mit einem Land können an vielen Stellen durchaus spalten und sind sehr sensibel. Aber meiner Meinung nach darf man stolz sein, Deutschland zu repräsentieren. Ein Land, das auf eine große sportliche Historie zurückblicken kann und viele beeindruckende Persönlichkeiten hervorgebracht hat.

DFB.de: Abschließend: Können Sie den Spielern der U-Mannschaften die Charaktereigenschaften attestieren, die Sie persönlich in diesem Bereich für wichtig erachten?

Chatzialexiou: Absolut. Es gibt sehr viele Spieler, die Deutschland gerne repräsentieren, die die Tugenden und Werte, für die die deutschen Nationalmannschaften stehen, wie Disziplin, Mut, Widerstandsfähigkeit und Teamgeist, verinnerlicht haben. Sie wollen ihren Traum, für Deutschland spielen zu dürfen, erfüllen. Diese Spieler werden wir weiterhin bestmöglich fördern.

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