Trainerausbildung

Arno Michels: "Wir müssen die Balance finden"

31.07.2025
Arno Michels zur Trainerausbildung: "International einen guten Ruf aufgebaut" Foto: Getty Images

In den vergangenen Tagen trafen sich Trainer aus Deutschland und anderen Nationalverbänden zum alljährlichen Austausch des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer, der in diesem Jahr in Leipzig zu Seminaren, Workshops und Vorträgen einlud. Am Ende des Internationalen Trainerkongresses besprachen in einer Podiumsrunde drei Trainer und zwei Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes, welche aktuellen Themen sich in der Trainerausbildung stellen. Es saßen zusammen Christian Streich, langjähriger Übungsleiter des SC Freiburg, der Ex-Trainer von RB Salzburg, Bayer Leverkusen, PSV Eindhoven und Benfica Lissabon, Roger Schmidt, neben ihm Kosta Runjaic, der in der Serie A Udinese Calcio trainiert sowie der DFB-Geschäftsführer Sport, Andreas Rettig, und der Chef der Pro-Lizenz-Ausbildung, Arno Michels.

In der Gesprächsrunde ging es um wesentliche aktuelle Fragen: Ob der deutsche Fußball eine Rückbesinnung auf das Verteidigen brauche, wo die Trainerausbildung hierzulande im internationalen Vergleich steht und was es benötigt, um mehr Talente in den Profibereich zu bekommen.

Sollte in den Fußballvereinen das Verteidigen wieder stärker in den Fokus rücken?

Arno Michels: Das Thema ist sehr komplex. Man muss immer fragen, welches Verteidigen man meint, wenn man davon spricht. Ist es Mann gegen Mann, ist es das Verteidigen großer Räume, ist es Angriffsabsicherung, ist von der Seite-Verteidigen gemeint oder verteidigen ohne Foul zu spielen? Ich denke, wenn man in die Details schaut, dann haben wir im deutschen Fußball schon ein wenig in diesen Themen nachgelassen: sich durchzusetzen, körperlich zu sein. Warum das so ist? Ich denke, wir forcieren gerade mehr das Spiel mit dem Ball. Wir sind in den vergangenen Jahren offensiver geworden, wollen das Spiel gestalten, sind in diesen Aspekten auch wirklich besser geworden. Jetzt geht es darum, dass wir zwischen den beiden Großaspekten des Fußballs, dem Offensiv- und dem Defensivspiel, eine Balance finden müssen.

Roger Schmidt: Ich denke, man wurde in der Vergangenheit früher darin ausgebildet, wie man eins gegen eins verteidigt, wie man den Körper reinstellt, wie man sich als Innenverteidiger positioniert und wie man im Zentrum dafür sorgt, dass der Gegner keinen Kontakt zum Ball bekommt. Das ist tatsächlich ein bisschen weniger geworden, das sehe ich auch so. Aber das sind die Basics, zum Verteidigen gehören auch mannschaftstaktische Aspekte. Es macht einen Unterschied, ob Paris Saint-Germain im Sturm mit Neymar, Messi und Mbappé spielt oder wie jetzt beim Champions-League-Gewinn mit Doué, Dembelé und Kvaratskhelia, die allesamt mitverteidigt haben. 

Christian Streich: Der Basketballer Michael Jordan wurde mal gefragt, warum die Chicago Bulls so hart gegen den Ball arbeiten. Er antwortete: 'So lange der Gegner den Ball hat, können wir nicht das tun, was wir am liebsten tun: nämlich selber spielen. Also brauchen wir den Ball zurück.' Das ist die Basis von allem. Das müssen wir in der Jugend wieder aufwerten und die Ballräuber und Verteidiger besonders loben für das, was sie tun.

Kosta Runjaic: Die Basis eines geordneten und strukturierten Spiels ist immer die Verteidigung. Ein Gegentor kann so viel verändern, vor allem für das Team, das hinten liegt. Das muss man den Spielern klarmachen. Die Balance zu finden, zwischen Abwehr und Offensivspiel, weil du ja letztendlich gewinnen willst, ist eine Herausforderung. Aber die müssen wir meistern. 

Wo steht die deutsche Trainerausbildung im internationalen Vergleich?

Arno Michels: Wir können mit Selbstbewusstsein sagen, dass wir uns international einen guten Ruf aufgebaut haben. Wir können alle zufrieden sein, wie die Trainerausbildung aktuell läuft.

Kosta Runjaic: Ich denke, dass die Trainerausbildung bei uns auf einem Top-Level ist. Das ersetzt aber nicht, dass man als Trainer das Gelernte in die Praxis führt und dort seinen eigenen Weg findet. Ich denke, worüber man nachdenken könnte, wäre das Thema Leadership mit in die Ausbildung zu nehmen, das Thema Spiritualität und learning by doing.

Welche Ziele verfolgt der Ansatz "Coach the Coach"?

Andreas Rettig: Bislang war es so, dass wir die Trainer bei der Ausbildung begleitet haben. Danach aber waren sie oft sich selbst überlassen. Deshalb haben wir uns mit der DFL zusammengesetzt und gemeinsam ein Programm entwickelt, um Trainerentwickler in die Vereine zu schicken, die dafür das Bedürfnis haben, dass wir ihren Coach coachen. Es geht um Begleitung, eine Feedback-Kultur und Unterstützung über den Lizenzvergabeprozess hinaus. Ich finde es in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir davon weggekommen sind, Trainertypen gegeneinander zu stellen: den Laptop-Coach gegen den intuitiven Fußballlehrer. Wir haben verstanden, dass wir alle diese Aspekte in der Ausbildung brauchen. Die Stichworte sind: ganzheitlich und 360-Grad-Blick.

Arno Michels: Die Trainer kommen aus der Ausbildung, gehen ihren eigenen Weg – und ich finde es eine wunderschöne Idee, wenn sie einen Partner und Mentor an die Seite bekommen, sofern sie das möchten. Ich denke, es ist wichtig, dass Trainer einen Blick von außen bekommen, der den Weg dieses Trainers begleitet. Ich habe schon in den vergangenen Wochen und Monaten herausgehört, dass der eine oder andere Trainer gern gespiegelt werden würde und von der Erfahrung anderer Trainer profitieren möchte.

Roger Schmidt: Ich kann mich sehr gut erinnern: Während meiner Ausbildung durfte ich beim damaligen Werder-Trainer Thomas Schaaf hospitieren. Er hat mich damals sehr nah an alles herangelassen und er hat sehr viel mit mir gesprochen. Das hat mir extrem geholfen und ich denke, solche Möglichkeiten für jungen Trainer zu schaffen, ist eine gute Idee.

Wie steht es um die Chancen junger Talente, auf oberstem Level Spielpraxis zu bekommen?

Christian Streich: Jeder junge Spieler braucht für die Entwicklung Spielzeit, sonst geht es nicht. Daraus stellt sich die Frage, welcher Verein für mich der richtige ist, und wann ein Wechsel zu einem größeren oder großen Verein sinnvoll ist? Ein Florian Wirtz zu Liverpool – das ergibt Sinn. Aber es gibt auch Spieler, die so einen Wechsel nicht verkraften oder der ihrer Karriere, weil sie dann viel auf der Bank sitzen, eher schadet.

Roger Schmidt: Ein junger Spieler kann sich nur entwickeln, wenn er spielt. Es gibt den Aspekt, dass manche junge Spieler erst mit 21, 22 nochmal einen großen Entwicklungsschritt machen. Deshalb finde ich es gut, wie zum Beispiel Benfica Lissabon oder PSV Eindhoven das machen, die alle zweite Mannschaften haben und mit denen 2. Liga spielen. Ich weiß, das geht in Deutschland nicht, da ist in der 3. Liga für die Zweitteams Schluss, doch das ist ein Ansatz. Bei Benfica zum Beispiel gibt es eine U 19, eine U 21 und ein B-Team. In diesen Teams sind 50, 60 Jugendliche versammelt und bekommen Spielpraxis. Jede Woche. Nicht von ungefähr erlöst Benfica weltweit die meisten Transfererlöse.

Andreas Rettig: Es gibt viele gute Ansätze und Lösungen, aber nicht den einen Weg. Was in Freiburg mit der Nachwuchsarbeit funktioniert, muss nicht zwingend bei den Bayern funktionieren. Aber: Die härteste Währung für den Übergangsbereich eines jungen Spielers ist die Einsatzzeit, dafür gibt es keinen Ersatz. Das ist auch eine Aufforderung an den DFB, zu fragen: Welche Rahmenbedingungen können wir den Vereinen bieten? Aber es gibt nun mal sehr unterschiedliche Sichtweisen. Es gibt die Fraktion, die möchte, dass junge Spieler sich abhärten und früh lernen, sich bei den Profis durchzusetzen. Und es gibt die, die dafür plädiert, den Druck auf die jungen Spieler zu dosieren. Das ist auch typenabhängig. Deshalb passt nicht ein Modell für alles.

Arno Michels: Ich würde mir wünschen, dass die Vereine für sich klarer definieren würden, ob sie auf junge Spieler setzen. Daran könnten sich Talente orientieren und für sich entscheiden, bei welchem Verein sie Einsatzzeiten bekommen. Denn ohne die können sie keine Entwicklung nehmen, das ist ja klar.

Kategorien: Trainerausbildung, Trainer

Autor: dfb