Männer-Nationalmannschaft
Mehr als 100.000 Fans: DFB-Zuschauerrekord gegen die Schweiz

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland aus der FIFA ausgeschlossen worden, das war 1945. Denn es gab ja keinen deutschen Staat mehr. Als es ihn 1949 wieder gab, setzte sich besonders die Schweiz erfolgreich für die Wiederaufnahme ein und reichte dem neuerstandenen Deutschen Fußball-Bund (DFB) und damit auch dem ganzen Land als erstes die Hand. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Punkt ihre Funktionäre Ernst Thomsen und Gustav Wiederkehr. Auch ihretwegen rollte der Ball wieder - und darauf wartete offenbar ein ganzes Volk. Jedenfalls fiel heute vor 75 Jahren der Zuschauerrekord der DFB-Historie, auch wenn niemand die exakte Besucherzahl je wird angeben können. DFB.de blickt auf dieses historische Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft zurück.
Zu voll war es allemal an jenem 22. November 1950 in Stuttgart. Der DFB meldete offiziell 96.400 Zuschauer, aber die in der Presse publizierten Schätzungen schwankten damals zwischen 103.000 und 120.000 - jedenfalls waren es viel zu viele für das Neckarstadion, das offiziell 80.000 Plätze auswies und durch 20 Stahlrohrtribünen für diesen Tag vergrößert wurde. Doch das öffentliche Interesse war größer, bis zu 20.000 Menschen sollen sich ohne Karten Einlass verschafft haben, ein Zaun wurde durchschnitten, am Stadion entstand ein Schaden von rund 20.000 Mark. Die Schattenseite an einem Tag, an dem die deutsche Fußballsonne wieder aufging.
Mehr als 100.000 Fans im Stadion
Die Premiere endete mit einem unspektakulären, aber verdienten 1:0-Heimsieg. Doch das Ergebnis war fast das Unwichtigste an diesem neblig-trüben und verregneten Buß- und Bettag. Der Platz war so aufgeweicht, dass das geplante Jugendspiel davor ausfiel. Die Rahmenbedingungen taten dem Interesse keinen Abbruch. Es dokumentierte die Sehnsucht der Menschen nach ein bisschen Abwechslung und den Wunsch, wieder ein respektierter Teil der Völkergemeinschaft sein zu dürfen. Dabei sein war alles in jenen Tagen der Demut, genau ein Jahr, nachdem die Westalliierten die Demontage der deutschen Industrie offiziell eingestellt hatten und der Wiederaufbau beginnen konnte. Dabei wollte der englische Schiedsrichter Arthur Ellis zunächst nicht anpfeifen, weil die Massen bis zum Spielfeldrand drängten.
Es war eben wieder eine historische Stunde, und wieder galt der Dank den Schweizern, deren Vereine schon 1948 den Boykott gebrochen hatten und zu Städtespielen nach München, Stuttgart und Karlsruhe gefahren waren. Dafür ernteten sie international viel Kritik: "Nein, Schweizer, das war falsch von euch, das war geschmacklos", schrieb eine niederländische Zeitung. "Europa blutet noch aus tausenden, durch die Deutschen geschlagenen Wunden, und in zehntausenden Familien herrscht noch Trauer."
Umso dankbarer waren die Deutschen, die zu Hunderten den einfahrenden Zug am Stuttgarter Hauptbahnhof erwarteten. Sie empfingen die Gäste wie gute, alte Freunde. Was sie ja auch waren: Im Krieg neutral und dem DFB seit jeher verbunden - sie war 1908 der allererste Gegner gewesen -, hatte sie schon 1920, nach dem Ersten Weltkrieg, für Deutschlands Rückkehr auf die Länderspielbühne gesorgt.
"Großes, bewegendes Ereignis"
DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens sprach von einem "großen, bewegenden Ereignis". Und alle wollten sie dabei sein, zumal die Rundfunksender unisono nur die zweite Hälfte übertrugen und es noch kein Fernsehen gab. Die Eintrittspreise waren niedrig wie nie: von 50 Pfennig für Schüler bis sieben Mark für den besten Tribünenplatz. Als die Mannschaften an jenem Mittwoch um 14.30 Uhr einliefen, hatten viele Zuschauer schon einen stundenlangen harten Kampf hinter sich. Auf den überfüllten Rängen kam es immer wieder zu Unfällen, da auf dem Schlammboden kaum Halt zu finden war, Wellenbrecher gab es keine, dafür Chaos pur. In Leserbriefen war von ruinierten Schuhen und Hosen die Rede, ein Mann aus Würzburg fand: "Wir sahen nicht anders aus wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung." Man zählte hinterher, auch durch das entstehende Verkehrschaos, 240 Verletzte, 72 schwere Unfälle und 38 Menschen, die ins Krankenhaus mussten.
Als die Schweizer Hymne gespielt wurde, war es auf den Stehrängen zu eng, um den Hut zu ziehen, so dass es in manchen Fällen der Hintermann für einen tat und, so ein Augenzeuge, "man sich gegenseitig aus der Verlegenheit half". Das junge Deutschland hatte keine offizielle Hymne, stattdessen gab es eine ergreifende Schweigeminute. Das Sport Magazin schrieb: "Totenstille herrscht im weiten Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war."
"Wir waren eine großartige Mannschaft"
Grund zur Freude gab es dann auch noch: Ein Elfmeter des Bremers Herbert Burdenski (42. Minute) verschaffte der von Sepp Herberger gecoachten DFB-Auswahl mit Spielern aus zehn Vereinen zum Neustart in eine glanzvolle Epoche ein erstes Erfolgserlebnis. Dabei standen acht Debütanten auf dem Platz, was sich vor allem durch die achtjährige Zwangspause der Nationalmannschaft erklärte. Kapitän war einer der drei, die schon mal den Adler getragen hatten: der Schweinfurter Andreas Kupfer. Mit Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter standen drei Spieler aus der kommenden Weltmeistermannschaft von Bern auf dem schlammigen Rasen, Fritz Walter hatte kurzfristig, da verletzt, passen müssen. Sie gewannen auch ohne ihren künftigen Kapitän.
Das Sport Magazin machte zur Feier des Tages ausführliche Statistiken, in denen die Deutschen in den wesentlichen Kategorien wie Torschüssen (37:30), Ecken (8:5) oder Freistößen (13:10) vorne lagen. Dann durften sie also auch gewinnen, wenngleich "nur" durch einen Handelfmeter, den Ottmar Walter herausgeholt hatte. Er sicherte einen der am meisten umjubelten deutschen Siege in einem Freundschaftsspiel.
Der vom DFB mit 100 Mark Prämie und den Gästen mit einer Schweizer Uhr pro Kopf honoriert wurde. Auch das Lob des Bundestrainers war etwas wert: "Ich bin sehr zufrieden. Kein Spieler hat mich ausgesprochen enttäuscht. Alle haben ihr Bestes gegeben." In Herbergers Aufzeichnungen war über dieses Spiel zu lesen: "Wir waren eine großartige Mannschaft!!!" Den Satz unterstrich er auch noch. Lokalmatador Karl Barufka vom VfB Stuttgart sprach von "einem der schönsten Tage meines Lebens". Heute vor 75 Jahren.
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Autor: um

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