DFB-All-Stars
Jede Initiative ist wichtig

Für seine Texte im "Störungsmelder" erhielt Thomas Hitzlsperger 2011 mit dem Julius Hirsch Ehrenpreis eine der für ihn bedeutendsten Auszeichnungen seiner Karriere. Kurz nach deren Ende hatte er als erster deutscher Profispieler sein Coming-out als Homosexueller. Hier schreibt der 43-Jährige aus Anlass von 20 Jahren Julius Hirsch Preis über den Preis, die Folgen seines Coming-outs und darüber, wie wichtig und wertvoll der Einsatz des Fußballs für Vielfalt und gegen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie ist.
Worte können die Welt verändern, im Guten und im Schlechten, im Großen und im Kleinen. So war und ist es auch in meinem Fall, immer wieder waren es Worte. Und immer, wenn sie ausgesprochen oder aufgeschrieben waren, ist etwas Gutes daraus entstanden. Auch diese Geschichte beginnt mit Worten, abscheulichen, leider. Ich war ein junger Spieler, als "DIE ZEIT" mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, zum Autorenkreis des "Störungsmelders" zu gehören. Ich war mir nicht sofort sicher, ob ich mich in dieser Form exponieren will. Die Positionierung auf einem Weblog gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ist ja etwas, das man sich zutrauen muss, zumal als Fußballer, der sich seine Meriten im Fußball erst noch erwerben musste. Aber es hat mich gereizt. Im Hinterkopf hatte ich ein Erlebnis, das ich noch vor Beginn meiner Profikarriere hatte. Als ich Probespieler bei Celtic Glasgow war, spielten wir im Rahmen der Vorbereitung ein Testspiel in Deutschland. Im Rahmen dieses Spiels wurde mein dunkelhäutiger Mannschaftskollege rassistisch beleidigt, massiv und mehrfach. Es waren böse Worte, hässliche, und es waren Worte, die ohne Widerworte blieben. Für mich war es unbegreiflich, dass so etwas geschehen konnte - und noch erschütternder, dass es ohne jede Konsequenz blieb. Schulterzucken, ist halt so. Die Erinnerungen daran haben mich bewogen, die Anfrage anzunehmen und fortan für den "Störungsmelder" zu schreiben. Weil ich finde: Ist halt nicht so!
Die Herausforderung in der Autorentätigkeit lag für mich weniger im Inhaltlichen als mehr im Handwerklichen. Das Schreiben und Gedankenformulieren musste ich mir erst aneignen, mitunter tat ich mich schwer. Doch ich fand meist, dass es sich gelohnt hat und dass es mir gelang, zu transportieren, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Die Erfahrungen als Autor des "Störungsmelders" waren nicht ausschließlich positiv. Nicht allen hat gefallen, was ich geschrieben habe; nicht alle fanden gut, dass ich mich in diesem Bereich engagiere. Es gab nicht wenige hasserfüllte Kommentare, und ehrlich: Der Gegenwind hat mich getroffen. Ich höre oft von Menschen, die behaupten, dass sie Kritik und Beleidigungen nicht interessieren, dass sie sie nicht lesen und wenn doch, dass sie sie nicht treffen würden. Für mich muss ich sagen: Es interessiert mich. Ich lese die Worte. Sie treffen mich. Zumindest war das damals so.
Heutzutage prallen persönliche Beleidigungen an mir ab, insbesondere wenn es in den Bereich meiner sexuellen Orientierung geht. Ich habe mich lange genug reflektiert und bin in diesem Thema sehr klar. Vielleicht strahle ich das auch aus, denn eigentlich kommt sowas überhaupt nicht mehr vor. Bei den Themen Antisemitismus und Rassismus war und ist es anders. Ich bin weiß, ich bin nicht jüdischen Glaubens. Der Hass hier ist nicht gegen mich gerichtet, dennoch trifft er mich, weil es Menschen betrifft, für die ich einstehen will.
Dass ich im Jahr 2011 für meinen Beitrag zum "Störungsmelder" mit dem Julius Hirsch Ehrenpreis ausgezeichnet wurde, war für mich eine schöne Bestätigung und wertvolle Anerkennung. Die Auszeichnung war aber auch Verpflichtung, zu meinem Wort zu stehen, weiterzumachen und in meinem Engagement nicht nachzulassen. Ich erinnere mich nicht mehr an Details der Veranstaltung, kann aber sagen, dass der Julius Hirsch Preis zu den wertvollsten Trophäen meiner Karriere zählt, er steht exponiert. Weil er über den Sport hinausreicht, weil er nicht belohnt, wofür ich ein Talent habe, sondern weil er auf meinem Charakter und meinen Einstellungen und Überzeugungen basiert. Und darauf, zu ihnen zu stehen. Das bedeutet mir viel, heute sogar noch mehr als damals. Denn wer meine Vita kennt, weiß, dass dies ein Prozess war, der 2011 nicht in allen Bereichen abgeschlossen war.
Heute kann ich ohne jede Hemmung über meine Homosexualität sprechen. Aber diese Fähigkeit hatte ich 2011 noch nicht. Wenn ich mich an diese Zeiten erinnere, auch die zwei Jahre, drei Jahre, die folgen sollten, dann sind meine Gefühle gemischt. Mir ging es nicht gut damals, insbesondere nicht, als ich in Rom war und für Lazio spielte. Der Wechsel nach Italien sollte nach meiner Zeit beim VfB ein Neuanfang sein. Aber es hat nicht funktioniert. Es war die Zeit, in der ich endgültig nicht mehr davor weglaufen konnte, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Je mehr ich mir meiner Orientierung klar war, desto größer wurde das Bedürfnis, das Versteckspiel zu beenden und mich öffentlich zu meiner Homosexualität zu bekennen. Ich wollte die Worte aussprechen.
Die Antwort auf die Frage, warum ich mich nicht schon als Aktiver mein Coming-out hatte, ist vielschichtig. Ein Aspekt sind meine Leistungen auf dem Feld. Ich gehörte nicht mehr zu den Leistungsträgern. Und ein Coming-out sollte aus einer Position der Stärke erfolgen - das war mein Anspruch. Diese Gedanken sind der Spiegel einer Haltung, die auch heute noch häufig durchklingt. Äußerungen von Fußball-Funktionären bezüglich potenzieller Coming-outs gehen oft in diese Richtung: "Hab‘ ich kein Problem damit - solange er gut Fußball spielt." Das ist falsch - Schwulsein muss nicht zu guter Leistung verpflichten. Mich haben damals aber auch noch andere Gedanken von einem Coming-out abgehalten. Etwa die Befürchtung, dass die zu erwartenden Schlagzeilen, die Aufmerksamkeit und die Unruhe negativ auf die Mannschaft abstrahlen. Und ich dann mein Wohl über den Erfolg des Vereins gestellt hätte. Und das wollte ich nicht.
Dennoch war ich schon als Aktiver irgendwann an einem Punkt angelangt, an dem ich kurz davor war. Ich wollte es aussprechen, wollte auch öffentlich selbstbestimmt leben und lieben können. Mir wurde davon aber von Experten abgeraten, daher bin ich den Schritt erst später gegangen. Es gab eine Zeit, in der ich dies bedauerte. Denn hätte ich mich als Aktiver zu meiner Homosexualität bekannt, gäbe es dafür jetzt ein Beispiel. Mittlerweile sehe ich es aber differenzierter. Die Menschen, die mir damals abrieten, meinten es vermutlich gut mit mir. Ihre Einschätzung war, dass ich die Last wohl nicht ertragen hätte, dass ich dem Druck und der Aufmerksamkeit nicht gewachsen gewesen wäre. Heute habe ich dazu diese Gedanken: Was, wenn sie damit richtig lagen? Dann gäbe es jetzt ein Beispiel für das Coming-out eines aktiven Spielers - aber es wäre ein negatives.
Ich finde auch nicht, dass meinem Coming-out ein Makel anhaftet, weil es nach meiner Karriere passiert ist. Wenn ich mir die Effekte vergegenwärtige, die es hatte, öffentlich Stellung zu beziehen, dann ist ziemlich viel von dem eingetreten, was ich mir erhofft hatte. Ich erinnere mich noch genau an die letzten Monate meiner Karriere. Ich fühlte mich nicht mehr wohl, habe nicht gut gespielt, war unzufrieden. Irgendwie kam alles zusammen und hat sich alles ergänzt und bedingt. Gelitten hat auch meine Liebe zum Fußball. Der Fußball war für mich in der Phase nicht mehr nur dieses wunderbare Spiel, das er ist. Er war auch der Verhinderer, der mich abgehalten hat, frei zu leben, so glaubte ich damals.
Als die Worte schließlich ausgesprochen waren, gab es fast ausschließlich Verständnis, Zuspruch und Anerkennung. Es fühlte sich gut an, ich konnte fortan frei von Sorgen mein Leben gestalten. Natürlich gibt es auch die andere Perspektive, die danach fragt, was sich gesellschaftlich geändert hat, und danach, warum es keine Nachfolger und immer noch keinen aktiven Bundesliga-Spieler gibt, der sich zu seinem Schwulsein bekennt. Auch ich frage mich das und habe als Erklärung nur Ansätze. Mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und der Welt sehe ich vieles, das Bedenken in mir auslöst. Aber gerade im Bereich Homophobie und Vielfalt sehe ich auch viel Positives. Regenbogensymbole sind heute im Fußball Alltag. Verbände und Vereine bekennen sich zur Vielfalt und gegen Diskriminierung, es gibt schwule Fan-Clubs. Das Spielrecht für trans*, inter* und nicht-binäre Personen wurde eingeführt, es gibt Sichtbarkeitskampagnen wie das Hissen der Pride-Flagge am DFB-Campus. Und ich kann sagen: Ich fühle mich pudelwohl im Fußballgeschäft, spüre keine Vorurteile und Vorbehalte.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Fußball nach innen noch nicht so weit ist, wie er nach außen proklamiert. Das gilt einerseits für die Kabine, andererseits aber auch für Vereine und Verbände. Wenn es um sportlichen und finanziellen Erfolg geht, muss man leider feststellen, dass die Bekenntnisse mitunter nur Lippenbekenntnisse sind. Und dennoch: Jedes Zeichen für Vielfalt hat seinen Wert. Denn wenn wir keine sichtbaren Zeichen setzen, überlassen wir den Krakeelern die Bühne. Symbole helfen, eine Haltung zu etablieren, die Diskriminierung nicht duldet - und das ist sehr viel wert. Ich finde: Jede Initiative für Vielfalt und gegen Rassismus und Homophobie ist wichtig, und der Julius Hirsch Preis ist ein überragendes Signal, von dem ich weiß, dass es wahrgenommen wird.
Wenn ich mir die Liste mit den Preisträgern der vergangenen 20 Jahre anschaue, dann spüre ich erstens Dankbarkeit und zweitens große Bewunderung. Nicht nur für die Preisträgerinnen und Preisträger, sondern auch für alle, die sich engagieren. Je mehr dies tun und je größer die Bühne ist, die ihr Wirken bekommt, desto größer ist die Wirkung. Die Schreihälse schreien, weil sie Angst haben, sie spüren, dass sie in der Minderheit sind, vielleicht sogar, dass sie im Unrecht sind und schreien auch gegen dieses Gefühl an. Es ist gut, wenn dieser Lautstärke etwas entgegengesetzt wird. Wenn ich eben geschrieben habe, dass der Fußball noch nicht so weit ist, dann heißt es nicht, dass nicht viele Teile des Fußballs so weit wären. Diese Teile zu unterstützen und ihnen Akzeptanz und Anerkennung zu geben, ist sehr wertvoll. Genau das macht der Julius Hirsch Preis nun schon seit 20 Jahren.
Eins noch: Ich werde oft gefragt, ob ich schwulen Spielern zu einem Coming-out raten würde. Das lässt sich nicht pauschal beantworten, weil es natürlich in erster Linie auf die jeweilige Persönlichkeit ankommt. Wie gefestigt man ist, wie selbstbewusst, wie mutig. Ganz grundsätzlich finde ich aber, dass wir oft einen falschen Ansatz verfolgen. Wir denken in Gefahren, sehen Risiken und haben nicht im Blick, was wir gewinnen können, welche Chancen es gibt. Ich habe etwas gewonnen, das größer und bedeutender nicht sein könnte: Freiheit und Unabhängigkeit. Genauso groß: Mein Selbstwertgefühl ist gestiegen. Und ganz wichtig: Dadurch, dass ich nun offen schwul lebe, bin ich Teil einer weltweiten, wirklich großartigen Gemeinschaft. Viele tolle Begegnungen hätte ich nicht gehabt, viele wertvolle Menschen wären nicht Teil meiner Geschichte und meines Lebens. Das alles ist ein riesiger Zuwachs, nichts davon möchte ich missen.
Auch weiß ich, dass ich im Kleinen viel bewegt habe. Es kommt hin und wieder vor, dass sich Menschen bei mir bedanken, dass sie mir sagen, wie sehr sie durch meine Geschichte gestärkt und bestätigt worden sind. Eine solche Begegnung hatte ich erst vor ein paar Wochen. Eine Person kam auf mich zu, schaute mich an und überlegte, woher ich ihr bekannt vorkomme. Dann hat sie gezögert und gesagt: "Jetzt weiß ich, wer Sie sind." Sie hat dann eine Pause gemacht und mir das größte Kompliment gemacht, das ein Mensch einem anderen Menschen mit Worten machen kann: "Es ist gut, dass es Sie gibt."
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Autor: th

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