DFB-All-Stars
"Es war alles Intuition"

Schon vor dem Anpfiff war klar, dass es ein besonderes Spiel in der DFB-Historie werden würde. Am 28. Juni 1989 trat erstmals eine deutsche Frauennationalmannschaft bei einer EM-Endrunde an - und das im eigenen Land. Das Turnier mit nur vier Teilnehmern begann also gleich mit den Halbfinals.
Der deutsche Sieg über Italien wurde legendär, die Torfrau über Nacht berühmt. Eines der dramatischsten Spiele der Frauen-Nationalmannschaft wurde zum Karrierehöhepunkt für Marion Isbert, heute Isbert-Ackermann, an den sie sich auch nach 35 Jahren noch gut und gerne erinnert.
DFB.de: Frau Isbert-Ackermann: Sie haben 58 Mal das deutsche Tor gehütet. Gehen wir recht in der Annahme, dass Einsatz Nummer 34 im Siegener Leimbach-Stadion am 28. Juni 1989 gegen Italien ihr bestes Länderspiel war?
Marion Isbert-Ackermann: Das kann man schon sagen. Alle sprachen hinterher vom Elfmeterschießen, aber ich habe auch in den 100 Spielminuten, also inklusive Verlängerung, gut gespielt. Am Gegentreffer war ich unschuldig, das war ein Glücksschuss direkt in den Winkel. Wir haben übrigens alle gut gespielt, hatten einen guten Teamgeist und haben uns alle gut verstanden.
DFB.de: Die Nationalmannschaft der Frauen gab es erst seit 1982, sieben Jahre später nahm sie erstmals an einer EM teil. Wie wurden Sie auf das Turnier vorbereitet?
Isbert-Ackermann: Wir kamen drei bis vier Tage vorher in der Sportschule Kaiserau zusammen, nicht so wie die Männer drei bis vier Wochen. Für uns war halt kein Riesen-Budget da, wir waren Amateure. Von den Gegnerinnen wussten wir nicht allzu viel, aber gegen Italien hatten einige von uns zuvor schon mal gespielt. Sie waren der Turnierfavorit, aber als Gastgeberinnen wollten wir natürlich den Pokal holen.
DFB.de: Der Frauenfußball in Deutschland befand sich damals noch im Aufbau. So gab es beispielsweise noch keine Bundesliga. Bezeichnend für die Situation war auch, dass Sie in der Nationalmannschaft im Tor standen, im Verein aber als Feldspielerin agierten. Wie bitte ging das denn?
Isbert-Ackermann: Beim TuS Ahrbach spielte ich Rechtsaußen, stimmt, ich komme ja vom Sturm her. Ins Tor hat man früher ja nur die gestellt, die verletzt waren, da wollte ja keine hin. Als ich das mal machte, ging es aber ganz gut. Ich war dann 1982 auch bei der Premiere gegen die Schweiz im deutschen Tor.
DFB.de: In der Saison 1988/1989 schossen Sie 30 Tore für Ahrbach. Stand also eine Frau ohne Torwartpraxis im deutschen EM-Tor?
Isbert-Ackermann: Ganz so war es nicht. Im Verein habe ich meist eine Halbzeit im Tor und eine im Sturm gespielt und in der Rheinland-Pfalz-Auswahl stand ich ja auch im Tor.
DFB.de: Obwohl Sie zu den Unverzichtbaren in der Nationalmannschaft gehörten, überlegte Bundestrainer Gero Bisanz noch am Spieltag, Sie nicht einzusetzen. Was war geschehen?
Isbert-Ackermann: Ich bin im Training drei Tage vor dem Spiel umgeknickt - es wurde ein Bänderriss am linken Sprunggelenk festgestellt.
DFB.de: Damit würde man heute wohl kaum spielen. Wie wurden Sie behandelt?
Isbert-Ackermann: Die Physiotherapeutin verordnete Eiswasser. Ich tauchte also meinen Fuß drei Tage lang in einen Eimer mit Eiswürfeln, auch nachts. Dazu wurde die Matratze auf den Fußboden gelegt. Am Spieltag wurde der Fuß dann bandagiert und beim Anpfiff waren die Schmerzen weg. Stürmen hätte ich allerdings nicht können.
DFB.de: Wäre eine Doppelrolle wie im Verein ansonsten eine Option gewesen? Also eine Halbzeit im Tor, die andere im Sturm?
Isbert-Ackermann: Nein, in der Nationalmannschaft nicht. Da war ich nicht schnell genug, jedenfalls gab es schnellere Stürmerinnen.
DFB.de: Kommen wir zum Spiel. Es war das erste Länderspiel der Frauen, das live im deutschen Fernsehen übertragen wurde, im Stadion waren damals beachtliche 8000 Zuschauer. Waren Sie aufgeregter als sonst?
Isbert-Ackermann: Nervös war ich schon, ja. So eine Kulisse kannten wir eigentlich nicht aus dem Alltag.
DFB.de: Es war klar, dass der Sieger zur Not im Elfmeterschießen ermittelt werden würde. Wurde das trainiert?
Isbert-Ackermann: Ja, schon. Ich habe beides üben müssen, Halten und Schießen.
DFB.de: Deutschland ging dank des Einsatzes von Silvia Neid durch ein halbes Eigentor nach 56 Minuten in Führung, Italien glich mit besagten Glücksschuss nach 72 Minuten aus. So stand es nach 80 und 100 Minuten - damals waren die Spielzeiten der Frauen ja noch kürzer - 1:1. Entsprach dieses Ergebnis dem Spielverlauf?
Isbert-Ackermann: Schon, es war ein ausgeglichenes Spiel, das noch keinen Sieger verdient hatte.
DFB.de: Dann kam das Elfmeterschießen - bei den Männern galt es als deutsche Domäne. Bei der Premiere der Frauen in dieser Disziplin sah es erst mal nicht danach aus. Martina Voss schoss gleich mal übers Tor und später gab es noch zwei Fehlschüsse. Sie hatten das doch geübt…
Isbert-Ackermann: Ja, aber es zeigte sich, dass sich der Ernstfall nicht simulieren lässt.
DFB.de: Zum Glück hatte Deutschland ja eine gute Torhüterin. Sie hielten damals drei Elfmeter! Von Antonella Carta, Elisabetta Vignotto und Emma Iozzelli - wussten Sie etwas über die Vorlieben dieser Schützinnen, wie das heute der Fall ist?
Isbert-Ackermann: Nein, das ging alles mit Intuition.
DFB.de: Keine speziellen Tricks gehabt?
Isbert-Ackermann: Ich habe ein paar Sperenzchen gemacht, die heute alle verboten sind und auch ein bisschen mit denen geredet.
DFB.de: In welcher Sprache?
Isbert-Ackermann: Auf Deutsch sagte ich: "Den Ball hol ich mir!" Ob sie es verstanden haben, war egal. Ich habe sie jedenfalls mit meiner Sicherheit verunsichert.
DFB.de: Nach zehn Schüssen ging auch das Elfmeterschießen in die Verlängerung. Als Petra Landers nur den Pfosten traf, hatte Italien "Matchball", aber sie hielten Iozzellis Schuss. Waren Sie danach so euphorisch, dass Sie sich den Ball zum nächsten Elfmeter ungefragt schnappten? Oder waren Sie als Nummer sieben eingeteilt?
Isbert-Ackermann: Nein, nein. Aber Sissy Raith kam zu mir und sagte, von den anderen wolle keine mehr schießen. Also musste ich ran.
DFB.de: Wissen Sie noch, welche Ecke Sie anvisierten?
Isbert-Ackermann: Gar keine, ich schoss in die Mitte. Wäre die Italienerin stehen geblieben, hätte sie den Schuss mit dem Fuß stoppen können. So aber habe ich sie verladen.
DFB.de: Es stand 4:3, einen Schuss hatten die Italienerinnen noch. Den haben Sie aber gar nicht gehalten!
Isbert-Ackermann: Nein, den habe ich quasi drüber geguckt. Die Italienerin Adele Marsiletti war dem Druck wohl nicht gewachsen und schoss übers Tor. Dann hatten wir es geschafft, ich war sehr erleichtert und vergoss ein paar Freudentränen.
DFB.de: Sie sind nicht nur die erste Elfmeterheldin der Frauen, sondern auch die erste Mutter, die in die Nationalmannschaft zurückkehrte. Das konnten alle sehen, als ihr damaliger Mann den dreijährigen Sohn Sven mit auf den Platz brachte. Wusste der schon, was Sie da geleistet hatten?
Isbert-Ackermann: Nein, das nicht. Aber er freute sich einfach, weil sich die Mama freute.
DFB.de: Die hatte dann ja schon bald noch mehr Grund zur Freude…
Isbert-Ackermann: Vier Tage später wurden wir in Osnabrück zum ersten Mal Europameister, vor ausverkauftem Haus. Das war phantastisch. Danach gab es das berühmte Kaffeeservice als Prämie und eine Medaille, die noch irgendwo im Keller liegt.
DFB.de: Schon das Halbfinale brachte eine Medienpremiere. Wissen Sie, was damit gemeint ist?
Isbert-Ackermann: Ja, weil das Spiel so lange dauerte, wurde erstmals der Beginn der heiligen Tagesschau verschoben. Um 20 Uhr lief noch unser Elfmeterschießen.
DFB.de: …und die Nachberichterstattung. Sie waren medial auf einmal gefragt.
Isbert-Ackermann: Ja, ich musste einige Interviews geben und habe einfach drauflosgeredet. Es gab keine mediale Schulung für uns, wir betraten Neuland. Aber auch da hab ich mich wohl ganz gut geschlagen. In den Tagen danach hat der DFB das dann etwas gesteuert, ich hatte ja nicht alleine gewonnen.
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Autor: um

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