Vor 70 Jahren: Der "größte Fußball-Festtag an der Saar"

Heute vor genau 70 Jahren wurde in Saarbrücken ein Programmheft verteilt, das mit der Unterzeile warb: "Größter Fußball-Festtag an der Saar". Das war nicht übertrieben, immerhin stieg im Ludwigspark ein entscheidendes WM-Qualifikationsspiel. Ganz besonders machten es die Gegner: Saarland und Deutschland. Was heute zusammengehört, war im ersten Nachkriegsjahrzehnt noch getrennt. Politische Umstände waren verantwortlich für das erste Bruderduell einer DFB-Auswahl, an das heute der Saarländische Fußballverband im Rahmen eines Festakts im Passage Kino Saarbrücken (17 Uhr) einlädt. Unter anderem wird ein 90minütiger Film über große Momente der saarländischen Fußballgeschichte gezeigt. Bevor es los geht begrüßen der Innenminister des Saarlands, Reinhold Jost, und SFV-Präsident Heribert Ohlmann die Gäste. Zwei Musikbeiträge runden den Abend ab, bei dem die Zuschauer des Films sicher viel lernen können. Die ganz große Zeit des Saarfußballs ist nun mal schon lange vorbei und dass das Saarland eine eigene Ländermannschaft stellte, das auch.

Von 1950 bis 1956 aber war es so. Das in Folge des 2. Weltkrieges unter französischem Protektorat stehende Land war innenpolitisch autonom mit eigener Regierung und Verfassung und durfte deshalb auch der Fifa beitreten. Bis 1956 bestritt die Saar-Auswahl 19 Länderspiele und die berühmtesten führten sie mit Deutschland zusammen – im Vorfeld der WM 1954 wurden sie in eine Qualifikationsgruppe gelost. Der Dritte im Bunde war Norwegen. Der Weg in die Schweiz war also kurz für die Mannschaft von Sepp Herberger, leicht war er nicht. Zwei Siege und ein Unentschieden hatten sie vor der letzten Partie in Saarbrücken auf dem Konto und der krasse Außenseiter hatte noch die Chance, den Deutschen das WM-Ticket zu entreißen, hatte er doch sensationell in Unterzahl 3:2 in Norwegen gewonnen, im Rückspiel gab es ein Remis. Das Spiel in Stuttgart im Oktober 1953 brachte eine deutliche 0:3-Niederlage, doch etwas gewannen sie: Respekt. Sepp Herberger wurde im Programmheft im März 1954 so zitiert: "Das Treffen von heute wird eine harte Auseinandersetzung werden. Der Preis ist hoch!" Einige der Saar-Kicker könnten "heute wieder dem Kreis unserer Nationalmannschaft angehören." Das waren mehr als Höflichkeitsfloskeln. Zehn Auswahlspieler waren beim 1. FC Saarbrücken, den Fifa-Präsident Jules Rimet 1951 als "interessanteste Mannschaft Europas" adelte, hatte sie doch auf einer Gastspielreise bei Real Madrid locker 4:0 gewonnen.

Helmut Schön Trainer der Saar-Elf

1952 stand der FCS im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft und der Kern jener Elf stellte sich nun den Deutschen um Kapitän Fritz Walter in den Weg. Ihr Trainer hatte noch mit Walter zusammen für Deutschland gespielt: der Dresdner Helmut Schön war seit 1952 beim Saarverband angestellt, ehe er nach der Eingliederung in die BRD zum DFB wechselte und ab 1964 große Erfolge als Herbergers Nachfolger feierte. Dass in seiner Brust zwei Herzen schlugen, war klar. In seinem Grußwort im Programmheft wandte er sich an "meinen Lehrmeister" Herberger und betonte, beide Seiten mögen "den Gegner als Sportkameraden achten". Von übertriebener Rivalität konnte nicht die Rede sein, auch SFV-Präsident Hermann Neuberger, von 1975-92 bis DFB-Präsident, schrieb: "In diesem Sinne freuen wir uns auf die Begegnung mit unseren Freunden an der Saar!" Ursprünglich hatte er von "unseren Brüdern" geschrieben, doch da schritt die französische Zensur ein. Die Franzosen untersagten auch das Abspielen von Hymnen und das Hissen von Flaggen. Dann klang doch das verbotene Deutschlandlied aus dem Wald heraus, über Lautsprecher.

Die Ausgangslage war klar: Deutschland reichte ein Punkt, um in die Schweiz zu fahren. Bei einem Sieg der Saar würde es ein Entscheidungsspiel geben, das Torverhältnis spielte keine Rolle.

Daran dachten nur die wenigsten. Im Programmheft bot ein Reisebüro schon Fahrten zu den deutschen WM-Spielen an, für 13.000 Schweizer Franken war man dabei, inklusive Logis. Auch der Saarbrücker Journalist Gerhard Reuther schrieb in seinem Vorbericht, dass "über die Frage des Siegers nur geringe Zweifel herrschen." Und doch kamen 53.000 Menschen an diesem letzten März-Sonntag 1954 frei nach Herberger ins Stadion, weil sie eben nicht ganz sicher waren, wie es denn ausgehen würde.

Max Morlock trifft doppelt

Und es hätte anders enden können als 1:3. Die Saarländer spielten vor der Pause mutig und waren die bessere Elf. Im Kicker stand damals: "Wenn den Saarländern bloß ein wenig Glück lächelte, lagen sie zur Halbzeit mit mindestens einem Tor in Führung." Ein Tor fiel dann auch, durch Werner Otto, doch es wurde wegen Abseits aberkannt (17.). Dieser Meinung waren nicht alle Beobachter und Herbert Martin, der die Vorlage gab, sagte noch 2010 dem Kicker: "Das war nie und nimmer Abseits. Wenn wir da in Führung gegangen wären…"

Dann schied Fritz Walter verletzt aus (23.), immerhin früh genug, um nach damaligem Regelwerk noch gegen Bruder Ottmar ausgewechselt werden zu können. Es stand nicht gut um den Favoriten, ehe plötzlich Max Morlock nach einer Ecke von Helmut Rahn zum 0:1 einschob (36.). Namen, die deutsche Fußballfans nur zu gut kennen. Acht spätere Helden von Bern standen in der Startelf, Ottmar Walter war der neunte – und doch hatte das Spiel der Deutschen wenig Weltmeisterliches. "Das 3:1 wirkt wie ein schrilles SOS für die Weltmeisterschaft", stellte der Kicker fest. Max Morlock erhöhte zwar nach erneuter Rahn-Vorlage auf 0:2 (50.), doch Sicherheit gab es nicht.

Martin verkürzt per Elfmeter, Schäfer macht alles klar

Selbst gegen zehn Saarländer, nach Philippis Muskelfaserriss in Minute 60 durfte nicht mehr gewechselt werden, taten sie sich schwer. Nach 70 Minuten unterlief dem Dortmunder Erich Schanko, der kein Weltmeister werden sollte, ein Handspiel und der Schiedsrichter zeigte auf den Punkt. Martin nahm einen solchen Anlauf, dass Toni Turek hörbar befürchtete, der wolle sein Netz kaputtschießen, und traf zum 1:2. So zögerte sich die Entscheidung noch um eine Viertelstunde hinaus, ehe Hans Schäfer, wieder nach Rahn-Vorlage, für den Endstand sorgte (83.).

Bei den Deutschen überwog Erleichterung gegenüber Freude. "Jetzt ist mir in meiner Trainerhaut viel wohler", atmete Herberger durch. Weil die Deutschen an diesem Tag nicht so gut wie erwartet waren, ergab sich aber erst ein spannendes Spiel und so waren die wenigsten Zuschauer enttäuscht. Minutenlang prasselte der Beifall nach Abpfiff auf die Akteure hinab, er galt gewiss vor allem dem tapferen Verlierer, der ein guter Verlierer war.

Auf dem damals üblichen Bankett sorgte Helmut Schön für den Spruch des Tages: "Lieber Herr Herberger, da die Saar nun keine Möglichkeit mehr hat, Weltmeister zu werden, schaffen Sie es doch bitte mit der deutschen Mannschaft." Es sollte ein Spaß sein, zu Ehren des Geburtstagskinds – Herberger wurde am Spieltag 57 Jahre alt. Dass daraus Ernst wurde, das ahnte wohl kaum jemand.

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Heute vor genau 70 Jahren wurde in Saarbrücken ein Programmheft verteilt, das mit der Unterzeile warb: "Größter Fußball-Festtag an der Saar". Das war nicht übertrieben, immerhin stieg im Ludwigspark ein entscheidendes WM-Qualifikationsspiel. Ganz besonders machten es die Gegner: Saarland und Deutschland. Was heute zusammengehört, war im ersten Nachkriegsjahrzehnt noch getrennt. Politische Umstände waren verantwortlich für das erste Bruderduell einer DFB-Auswahl, an das heute der Saarländische Fußballverband im Rahmen eines Festakts im Passage Kino Saarbrücken (17 Uhr) einlädt. Unter anderem wird ein 90minütiger Film über große Momente der saarländischen Fußballgeschichte gezeigt. Bevor es los geht begrüßen der Innenminister des Saarlands, Reinhold Jost, und SFV-Präsident Heribert Ohlmann die Gäste. Zwei Musikbeiträge runden den Abend ab, bei dem die Zuschauer des Films sicher viel lernen können. Die ganz große Zeit des Saarfußballs ist nun mal schon lange vorbei und dass das Saarland eine eigene Ländermannschaft stellte, das auch.

Von 1950 bis 1956 aber war es so. Das in Folge des 2. Weltkrieges unter französischem Protektorat stehende Land war innenpolitisch autonom mit eigener Regierung und Verfassung und durfte deshalb auch der Fifa beitreten. Bis 1956 bestritt die Saar-Auswahl 19 Länderspiele und die berühmtesten führten sie mit Deutschland zusammen – im Vorfeld der WM 1954 wurden sie in eine Qualifikationsgruppe gelost. Der Dritte im Bunde war Norwegen. Der Weg in die Schweiz war also kurz für die Mannschaft von Sepp Herberger, leicht war er nicht. Zwei Siege und ein Unentschieden hatten sie vor der letzten Partie in Saarbrücken auf dem Konto und der krasse Außenseiter hatte noch die Chance, den Deutschen das WM-Ticket zu entreißen, hatte er doch sensationell in Unterzahl 3:2 in Norwegen gewonnen, im Rückspiel gab es ein Remis. Das Spiel in Stuttgart im Oktober 1953 brachte eine deutliche 0:3-Niederlage, doch etwas gewannen sie: Respekt. Sepp Herberger wurde im Programmheft im März 1954 so zitiert: "Das Treffen von heute wird eine harte Auseinandersetzung werden. Der Preis ist hoch!" Einige der Saar-Kicker könnten "heute wieder dem Kreis unserer Nationalmannschaft angehören." Das waren mehr als Höflichkeitsfloskeln. Zehn Auswahlspieler waren beim 1. FC Saarbrücken, den Fifa-Präsident Jules Rimet 1951 als "interessanteste Mannschaft Europas" adelte, hatte sie doch auf einer Gastspielreise bei Real Madrid locker 4:0 gewonnen.

Helmut Schön Trainer der Saar-Elf

1952 stand der FCS im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft und der Kern jener Elf stellte sich nun den Deutschen um Kapitän Fritz Walter in den Weg. Ihr Trainer hatte noch mit Walter zusammen für Deutschland gespielt: der Dresdner Helmut Schön war seit 1952 beim Saarverband angestellt, ehe er nach der Eingliederung in die BRD zum DFB wechselte und ab 1964 große Erfolge als Herbergers Nachfolger feierte. Dass in seiner Brust zwei Herzen schlugen, war klar. In seinem Grußwort im Programmheft wandte er sich an "meinen Lehrmeister" Herberger und betonte, beide Seiten mögen "den Gegner als Sportkameraden achten". Von übertriebener Rivalität konnte nicht die Rede sein, auch SFV-Präsident Hermann Neuberger, von 1975-92 bis DFB-Präsident, schrieb: "In diesem Sinne freuen wir uns auf die Begegnung mit unseren Freunden an der Saar!" Ursprünglich hatte er von "unseren Brüdern" geschrieben, doch da schritt die französische Zensur ein. Die Franzosen untersagten auch das Abspielen von Hymnen und das Hissen von Flaggen. Dann klang doch das verbotene Deutschlandlied aus dem Wald heraus, über Lautsprecher.

Die Ausgangslage war klar: Deutschland reichte ein Punkt, um in die Schweiz zu fahren. Bei einem Sieg der Saar würde es ein Entscheidungsspiel geben, das Torverhältnis spielte keine Rolle.

Daran dachten nur die wenigsten. Im Programmheft bot ein Reisebüro schon Fahrten zu den deutschen WM-Spielen an, für 13.000 Schweizer Franken war man dabei, inklusive Logis. Auch der Saarbrücker Journalist Gerhard Reuther schrieb in seinem Vorbericht, dass "über die Frage des Siegers nur geringe Zweifel herrschen." Und doch kamen 53.000 Menschen an diesem letzten März-Sonntag 1954 frei nach Herberger ins Stadion, weil sie eben nicht ganz sicher waren, wie es denn ausgehen würde.

Max Morlock trifft doppelt

Und es hätte anders enden können als 1:3. Die Saarländer spielten vor der Pause mutig und waren die bessere Elf. Im Kicker stand damals: "Wenn den Saarländern bloß ein wenig Glück lächelte, lagen sie zur Halbzeit mit mindestens einem Tor in Führung." Ein Tor fiel dann auch, durch Werner Otto, doch es wurde wegen Abseits aberkannt (17.). Dieser Meinung waren nicht alle Beobachter und Herbert Martin, der die Vorlage gab, sagte noch 2010 dem Kicker: "Das war nie und nimmer Abseits. Wenn wir da in Führung gegangen wären…"

Dann schied Fritz Walter verletzt aus (23.), immerhin früh genug, um nach damaligem Regelwerk noch gegen Bruder Ottmar ausgewechselt werden zu können. Es stand nicht gut um den Favoriten, ehe plötzlich Max Morlock nach einer Ecke von Helmut Rahn zum 0:1 einschob (36.). Namen, die deutsche Fußballfans nur zu gut kennen. Acht spätere Helden von Bern standen in der Startelf, Ottmar Walter war der neunte – und doch hatte das Spiel der Deutschen wenig Weltmeisterliches. "Das 3:1 wirkt wie ein schrilles SOS für die Weltmeisterschaft", stellte der Kicker fest. Max Morlock erhöhte zwar nach erneuter Rahn-Vorlage auf 0:2 (50.), doch Sicherheit gab es nicht.

Martin verkürzt per Elfmeter, Schäfer macht alles klar

Selbst gegen zehn Saarländer, nach Philippis Muskelfaserriss in Minute 60 durfte nicht mehr gewechselt werden, taten sie sich schwer. Nach 70 Minuten unterlief dem Dortmunder Erich Schanko, der kein Weltmeister werden sollte, ein Handspiel und der Schiedsrichter zeigte auf den Punkt. Martin nahm einen solchen Anlauf, dass Toni Turek hörbar befürchtete, der wolle sein Netz kaputtschießen, und traf zum 1:2. So zögerte sich die Entscheidung noch um eine Viertelstunde hinaus, ehe Hans Schäfer, wieder nach Rahn-Vorlage, für den Endstand sorgte (83.).

Bei den Deutschen überwog Erleichterung gegenüber Freude. "Jetzt ist mir in meiner Trainerhaut viel wohler", atmete Herberger durch. Weil die Deutschen an diesem Tag nicht so gut wie erwartet waren, ergab sich aber erst ein spannendes Spiel und so waren die wenigsten Zuschauer enttäuscht. Minutenlang prasselte der Beifall nach Abpfiff auf die Akteure hinab, er galt gewiss vor allem dem tapferen Verlierer, der ein guter Verlierer war.

Auf dem damals üblichen Bankett sorgte Helmut Schön für den Spruch des Tages: "Lieber Herr Herberger, da die Saar nun keine Möglichkeit mehr hat, Weltmeister zu werden, schaffen Sie es doch bitte mit der deutschen Mannschaft." Es sollte ein Spaß sein, zu Ehren des Geburtstagskinds – Herberger wurde am Spieltag 57 Jahre alt. Dass daraus Ernst wurde, das ahnte wohl kaum jemand.

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