Hannes Wolf: "Wir haben die Basics aus den Augen verloren"

Am vergangenen Montag wurde Hannes Wolf als neuer DFB-Direktor Nachwuchs, Training und Entwicklung vorgestellt. In der Sport1-Sendung "Doppelpass" nutzte der U 20-Trainer am Sonntagvormittag die Gelegenheit, sein Konzept der Nachwuchsförderung näher vorzustellen. 

Hannes Wolf über...

... die Grundprobleme: Das Gute ist, die Menschen lieben den Fußball, die Stadien sind voll, die Kinder fangen an Fußball zu spielen. Wir haben zwei Themen: Viele fangen in der E-Jugend an, hören aber bis zur A-Jugend wieder auf. Tendenziell haben die Vereine vier E-Jugendteams, aber keine A-Jugend. Das andere Thema ist, dass uns in der Spitze Spieler fehlen. Im Talentpool U 21, der bei der EM relevant ist, hatten wir mit Abstand die wenigsten Einsatzminuten in den Profiligen. Das heißt überhaupt nicht, dass wir keine guten Spieler haben, es geht darum, wie wir sie fördern. Die Lösung fühlt sich gar nicht so schwierig an, wie das suggeriert wird. Ich habe 2010 bei der U 19 von Borussia Dortmund angefangen und wir hatten keine Videos vom Gegner, haben uns nur auf uns konzentriert. Jetzt bekommst du das Video vom Gegner und wenn das da ist, nutzt du das auch. Das hat dazu geführt, dass wir den Jugendfußball taktisiert haben. Für unsere Idee von Taktik und Gegnerorientierung vernachlässigen wir einzelne Spielerpositionen. Zeitgleich haben wir die Informationen aus der Belastungssteuerung von den Profis bekommen und für den Jugendbereich adaptiert. Da schaut die A-Jugend auf die Profis, die untere immer auf die nächste Altersstufe. Das hat die Intensität und Dauer in "harten" Spielformen reduziert, weil für einen 30-Jährigen, der vielleicht schon zwei Kreuzbandrisse hatte, eine andere Regeneration gilt, wie für Jugendliche. Wir sind schlechter geworden, weil wir nicht mehr nur auf die individuelle Klasse geschaut haben, sondern auf Teamprozesse.

... die Grundidee: Es ist natürlich nicht nur Neues, aber es sind vor allem viele Sachen, die vor 20 Jahren gut waren, die wir wieder mehr in den Blickpunkt stellen müssen. Das müssen wir zusammenfügen in einer Gesamtidee. Wir können sehr gut nacherzählen, was passiert ist im Nachwuchsfußball. Die anderen sind besser geworden, wir einen Tick schlechter. Das ist genau zu erklären, uns ist klar, wie man es drehen kann.

... den Vergleich mit anderen Ländern: Wenn mir U 11-Trainer sagen, dass bei Turnieren Mannschaften aus Belgien immer besser sind und Mannschaften aus England eine ganz andere Sportart ausüben, dann wissen wir, wo das Problem liegt. Alle wollen Dribbler haben, bei 6 gegen 6, was machen die elf anderen, wenn einer dribbelt. Wenn die Engländer vier Jahre lang bis ins Alter von zehn Jahren 2-gegen-2 spielen und wir 6-gegen-6, dann haben die zehnmal mehr gedribbelt als wir.

... das Thema Ergebnisse: Du machst fünf kleine Felder, wenn du verlierst, gehst du nach links, wenn du gewinnst nach rechts. Wenn du am Ende auf Feld eins rauskommst, hast du immer gewonnen, wenn du auf Feld fünf rauskommst, hast du immer verloren. Ich war zuletzt bei einem Training, da haben die Kinder erst 4-gegen-4 gespielt mit einem Torwart, dann 3-gegen-3. In beiden Formaten hat das Ergebnis eine Rolle gespielt, die Kinder haben gejubelt, sich geärgert und auch geweint. Ist das leicht zu organisieren? Nein, aber für die Kids ändert das alles. Mit 6-gegen-6 zu trainieren mit allen Spielern auf einem Feld, das haben wir so gelernt, das jetzt zu ändern, ist eine Herausforderung. 

... neue Formate: Bei 4-gegen-4 gibt es unglaublich viele Freiheitsgrade. Da kann ich eine Kombination spielen, da kann ich jemanden ausdribbeln, jeder kann das auf seine Art spielen. Sven Bender sagt beispielsweise, das Format ist das Beste für einen Defensivspieler, weil du einen Zweikampf gewinnen und dich mit einem Tor belohnen kannst. Du hast immer einen Weg aufs Tor, du kannst immer dribbeln und einen Gegenspieler ausspielen und immer auch passen. Du hast die ganze Zeit Aktionen, die fußballrelevant sind, die Spieler entscheiden selbst, es dominiert kein Trainer und das ist der Schlüssel. Du kannst in diese Form relevantes Verhalten einbauen, aber das haben wir vorher zu wenig gemacht. Wenn du 4-gegen-4 spielst musst du immer in die Duelle, das macht etwas mit dir auf der sportlichen, auf der körperlichen, aber auch extrem auf der mentalen Ebene, da musst du dann beissen. Die Basics des Fußballs, Spielen auf Tore möglichst in Gleichzahl, haben wir aus den Augen verloren. Wir sind da jetzt aktuell bei vier, fünf Mal vier Minuten (15-20 Minuten) pro Spieler herausgekommen und wenn du die Zeit verdoppelst, hast du eine andere Situation.

... den Weg zum Erfolg: Spielen wir nur noch 3-gegen-3 und 4-gegen-4? Nein, denn die Flanke, der Kopfball, der Fallrückzieher, der Flugball ist da nicht drin. Wir nehmen auch nicht die ganze Woche in Beschlag. Aber es wird nur gut, wenn es stringent ist, sonst passiert folgendes: Das Kind fängt an mit Fußball, entwickelt sich gut, hat aber in den verschiedenen Jahrgängen immer Trainer mit unterschiedlichen Vorlieben bei den Trainingsformen, die aber Torschuss und Zweikämpfe vernachlässigen. In dem Moment, wo wir das, was die Basis des Fußballs ist, jede Woche auf den Plätzen abbilden, dann werden alle, die gut werden sollen, auch gut, dann verhindern wir keinen. Wir dürfen die Kids nicht unterschätzen, es gibt ganz, ganz viele, die den Hunger und den Ehrgeiz haben, sechsmal die Woche Fußball zu spielen. Da sind wir Erwachsenen gefordert, wir können sagen, was wir trainieren müssen, um keine Karriere zu verhindern.

... die Rolle der Trainer in den Vereinen: Wir müssen laut sein und die neuen Inhalte an die Vereine bekommen, damit die Leute sich damit beschäftigen. Ich kann mir das anschauen und binnen drei Tagen umsetzen, aber dafür braucht es einen anderen Mindset.

[dfb]

Am vergangenen Montag wurde Hannes Wolf als neuer DFB-Direktor Nachwuchs, Training und Entwicklung vorgestellt. In der Sport1-Sendung "Doppelpass" nutzte der U 20-Trainer am Sonntagvormittag die Gelegenheit, sein Konzept der Nachwuchsförderung näher vorzustellen. 

Hannes Wolf über...

... die Grundprobleme: Das Gute ist, die Menschen lieben den Fußball, die Stadien sind voll, die Kinder fangen an Fußball zu spielen. Wir haben zwei Themen: Viele fangen in der E-Jugend an, hören aber bis zur A-Jugend wieder auf. Tendenziell haben die Vereine vier E-Jugendteams, aber keine A-Jugend. Das andere Thema ist, dass uns in der Spitze Spieler fehlen. Im Talentpool U 21, der bei der EM relevant ist, hatten wir mit Abstand die wenigsten Einsatzminuten in den Profiligen. Das heißt überhaupt nicht, dass wir keine guten Spieler haben, es geht darum, wie wir sie fördern. Die Lösung fühlt sich gar nicht so schwierig an, wie das suggeriert wird. Ich habe 2010 bei der U 19 von Borussia Dortmund angefangen und wir hatten keine Videos vom Gegner, haben uns nur auf uns konzentriert. Jetzt bekommst du das Video vom Gegner und wenn das da ist, nutzt du das auch. Das hat dazu geführt, dass wir den Jugendfußball taktisiert haben. Für unsere Idee von Taktik und Gegnerorientierung vernachlässigen wir einzelne Spielerpositionen. Zeitgleich haben wir die Informationen aus der Belastungssteuerung von den Profis bekommen und für den Jugendbereich adaptiert. Da schaut die A-Jugend auf die Profis, die untere immer auf die nächste Altersstufe. Das hat die Intensität und Dauer in "harten" Spielformen reduziert, weil für einen 30-Jährigen, der vielleicht schon zwei Kreuzbandrisse hatte, eine andere Regeneration gilt, wie für Jugendliche. Wir sind schlechter geworden, weil wir nicht mehr nur auf die individuelle Klasse geschaut haben, sondern auf Teamprozesse.

... die Grundidee: Es ist natürlich nicht nur Neues, aber es sind vor allem viele Sachen, die vor 20 Jahren gut waren, die wir wieder mehr in den Blickpunkt stellen müssen. Das müssen wir zusammenfügen in einer Gesamtidee. Wir können sehr gut nacherzählen, was passiert ist im Nachwuchsfußball. Die anderen sind besser geworden, wir einen Tick schlechter. Das ist genau zu erklären, uns ist klar, wie man es drehen kann.

... den Vergleich mit anderen Ländern: Wenn mir U 11-Trainer sagen, dass bei Turnieren Mannschaften aus Belgien immer besser sind und Mannschaften aus England eine ganz andere Sportart ausüben, dann wissen wir, wo das Problem liegt. Alle wollen Dribbler haben, bei 6 gegen 6, was machen die elf anderen, wenn einer dribbelt. Wenn die Engländer vier Jahre lang bis ins Alter von zehn Jahren 2-gegen-2 spielen und wir 6-gegen-6, dann haben die zehnmal mehr gedribbelt als wir.

... das Thema Ergebnisse: Du machst fünf kleine Felder, wenn du verlierst, gehst du nach links, wenn du gewinnst nach rechts. Wenn du am Ende auf Feld eins rauskommst, hast du immer gewonnen, wenn du auf Feld fünf rauskommst, hast du immer verloren. Ich war zuletzt bei einem Training, da haben die Kinder erst 4-gegen-4 gespielt mit einem Torwart, dann 3-gegen-3. In beiden Formaten hat das Ergebnis eine Rolle gespielt, die Kinder haben gejubelt, sich geärgert und auch geweint. Ist das leicht zu organisieren? Nein, aber für die Kids ändert das alles. Mit 6-gegen-6 zu trainieren mit allen Spielern auf einem Feld, das haben wir so gelernt, das jetzt zu ändern, ist eine Herausforderung. 

... neue Formate: Bei 4-gegen-4 gibt es unglaublich viele Freiheitsgrade. Da kann ich eine Kombination spielen, da kann ich jemanden ausdribbeln, jeder kann das auf seine Art spielen. Sven Bender sagt beispielsweise, das Format ist das Beste für einen Defensivspieler, weil du einen Zweikampf gewinnen und dich mit einem Tor belohnen kannst. Du hast immer einen Weg aufs Tor, du kannst immer dribbeln und einen Gegenspieler ausspielen und immer auch passen. Du hast die ganze Zeit Aktionen, die fußballrelevant sind, die Spieler entscheiden selbst, es dominiert kein Trainer und das ist der Schlüssel. Du kannst in diese Form relevantes Verhalten einbauen, aber das haben wir vorher zu wenig gemacht. Wenn du 4-gegen-4 spielst musst du immer in die Duelle, das macht etwas mit dir auf der sportlichen, auf der körperlichen, aber auch extrem auf der mentalen Ebene, da musst du dann beissen. Die Basics des Fußballs, Spielen auf Tore möglichst in Gleichzahl, haben wir aus den Augen verloren. Wir sind da jetzt aktuell bei vier, fünf Mal vier Minuten (15-20 Minuten) pro Spieler herausgekommen und wenn du die Zeit verdoppelst, hast du eine andere Situation.

... den Weg zum Erfolg: Spielen wir nur noch 3-gegen-3 und 4-gegen-4? Nein, denn die Flanke, der Kopfball, der Fallrückzieher, der Flugball ist da nicht drin. Wir nehmen auch nicht die ganze Woche in Beschlag. Aber es wird nur gut, wenn es stringent ist, sonst passiert folgendes: Das Kind fängt an mit Fußball, entwickelt sich gut, hat aber in den verschiedenen Jahrgängen immer Trainer mit unterschiedlichen Vorlieben bei den Trainingsformen, die aber Torschuss und Zweikämpfe vernachlässigen. In dem Moment, wo wir das, was die Basis des Fußballs ist, jede Woche auf den Plätzen abbilden, dann werden alle, die gut werden sollen, auch gut, dann verhindern wir keinen. Wir dürfen die Kids nicht unterschätzen, es gibt ganz, ganz viele, die den Hunger und den Ehrgeiz haben, sechsmal die Woche Fußball zu spielen. Da sind wir Erwachsenen gefordert, wir können sagen, was wir trainieren müssen, um keine Karriere zu verhindern.

... die Rolle der Trainer in den Vereinen: Wir müssen laut sein und die neuen Inhalte an die Vereine bekommen, damit die Leute sich damit beschäftigen. Ich kann mir das anschauen und binnen drei Tagen umsetzen, aber dafür braucht es einen anderen Mindset.

###more###