Gehlenborg: "Alleine mit dem Ball jonglieren, das ist kein Fußball"

Seit fast vier Jahren gehört Eugen Gehlenborg dem DFB-Präsidium an. Im höchsten Gremium des Fußballs in Deutschland verantwortet der Niedersachse die Sozialthemen. Heute feiert er im Kreis der Familie seinen 70. Geburtstag. Im DFB.de-Interview spricht der DFB-Vizepräsident mit Redakteur Thomas Hackbarth über Cacau, Hitzlsperger und die Zukunftsfähigkeit des Fußballs.

DFB.de: Herr Gehlenborg, wir verraten Ihnen da nichts Neues, aber der DFB ist mit seinen Teams Weltmeister, Confed-Cup-Sieger und aktuell U 21-Europameister. Und mit sieben Millionen Mitgliedern auch der größte Sporteinzelverband der Welt. Braucht der DFB überhaupt noch eine soziale Seite?

Eugen Gehlenborg: Wenn man nur auf die sportlichen Erfolge seit 2014 - insbesondere auch die in diesem Sommer - blickt und nicht auf die damit verbundenen gesellschaftlich sozialen Auswirkungen, so mag sich diese Frage bei oberflächlicher Betrachtung durchaus stellen. Insbesondere auch deshalb, weil es immer schwieriger wird, die originäre Vereinsarbeit im Kernbereich zu sichern.

DFB.de: Deshalb fragen wir Sie: Muss man, und was ist Ihre Antwort?

Gehlenborg: Ich glaube, wir alle erleben es täglich, dass der Fußball soziale Wirkungen weit über den Platz hinaus erzielt. Der Fußball schafft vielfältige Orte der Gemeinschaft. Diese Orte zu schützen, ist unsere Verantwortung - so wie es im aktuellen DFB-Nachhaltigkeitsbericht steht. Indem wir die Gemeinschaft fördern, sichern wir auch die Zukunft des Fußballs, in der Breite wie in der Spitze. Fußball ist die Volkssportart in Deutschland, kein anderes Netz ist so eng gestrickt wie das der Fußballplätze, in jedem noch so kleinen Dorf gibt es ein oder zwei Felder. Wie kaum eine andere Sportart belebt und prägt der Fußball unser Gemeinwesen. Gerade wieder aktuell leisten die Vereine mit ihrer Integrationsarbeit enorme Beiträge zu einer menschlichen und lebenswerten Gesellschaft. Damit ist auch die Frage beantwortet, ob der DFB die soziale Seite braucht - er hat sie.

DFB.de: Seit 2009 sind Sie Präsident des Norddeutschen Fußball-Verbandes. Was hat Sie daran gereizt, im DFB-Präsidium, dem Sie seit Oktober 2013 angehören, gerade die sozialen Themen zu übernehmen?

Gehlenborg: Es geht bei der Aufgabenverteilung im Präsidium nicht nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip, aber ich bin hinsichtlich der Wahrnehmung von sozialen Themen ein "Überzeugungstäter". Schon während meiner Zeit im Präsidium des Niedersächsischen Fußballverbandes habe ich mich für die sozialen Belange eingesetzt. Die Ressortzuteilung im DFB-Präsidium hat also eine Vorgeschichte - man musste mich gewiss nicht zwingen. Die Übernahme meines Ressorts ist eine Fortsetzung meines früheren Engagements im Fußball, wobei diese Aufgabe im DFB - auch dank der DFB-Stiftungsarbeit - wesentlich mehr Möglichkeiten bietet.



Seit fast vier Jahren gehört Eugen Gehlenborg dem DFB-Präsidium an. Im höchsten Gremium des Fußballs in Deutschland verantwortet der Niedersachse die Sozialthemen. Heute feiert er im Kreis der Familie seinen 70. Geburtstag. Im DFB.de-Interview spricht der DFB-Vizepräsident mit Redakteur Thomas Hackbarth über Cacau, Hitzlsperger und die Zukunftsfähigkeit des Fußballs.

DFB.de: Herr Gehlenborg, wir verraten Ihnen da nichts Neues, aber der DFB ist mit seinen Teams Weltmeister, Confed-Cup-Sieger und aktuell U 21-Europameister. Und mit sieben Millionen Mitgliedern auch der größte Sporteinzelverband der Welt. Braucht der DFB überhaupt noch eine soziale Seite?

Eugen Gehlenborg: Wenn man nur auf die sportlichen Erfolge seit 2014 - insbesondere auch die in diesem Sommer - blickt und nicht auf die damit verbundenen gesellschaftlich sozialen Auswirkungen, so mag sich diese Frage bei oberflächlicher Betrachtung durchaus stellen. Insbesondere auch deshalb, weil es immer schwieriger wird, die originäre Vereinsarbeit im Kernbereich zu sichern.

DFB.de: Deshalb fragen wir Sie: Muss man, und was ist Ihre Antwort?

Gehlenborg: Ich glaube, wir alle erleben es täglich, dass der Fußball soziale Wirkungen weit über den Platz hinaus erzielt. Der Fußball schafft vielfältige Orte der Gemeinschaft. Diese Orte zu schützen, ist unsere Verantwortung - so wie es im aktuellen DFB-Nachhaltigkeitsbericht steht. Indem wir die Gemeinschaft fördern, sichern wir auch die Zukunft des Fußballs, in der Breite wie in der Spitze. Fußball ist die Volkssportart in Deutschland, kein anderes Netz ist so eng gestrickt wie das der Fußballplätze, in jedem noch so kleinen Dorf gibt es ein oder zwei Felder. Wie kaum eine andere Sportart belebt und prägt der Fußball unser Gemeinwesen. Gerade wieder aktuell leisten die Vereine mit ihrer Integrationsarbeit enorme Beiträge zu einer menschlichen und lebenswerten Gesellschaft. Damit ist auch die Frage beantwortet, ob der DFB die soziale Seite braucht - er hat sie.

DFB.de: Seit 2009 sind Sie Präsident des Norddeutschen Fußball-Verbandes. Was hat Sie daran gereizt, im DFB-Präsidium, dem Sie seit Oktober 2013 angehören, gerade die sozialen Themen zu übernehmen?

Gehlenborg: Es geht bei der Aufgabenverteilung im Präsidium nicht nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip, aber ich bin hinsichtlich der Wahrnehmung von sozialen Themen ein "Überzeugungstäter". Schon während meiner Zeit im Präsidium des Niedersächsischen Fußballverbandes habe ich mich für die sozialen Belange eingesetzt. Die Ressortzuteilung im DFB-Präsidium hat also eine Vorgeschichte - man musste mich gewiss nicht zwingen. Die Übernahme meines Ressorts ist eine Fortsetzung meines früheren Engagements im Fußball, wobei diese Aufgabe im DFB - auch dank der DFB-Stiftungsarbeit - wesentlich mehr Möglichkeiten bietet.

###more###

DFB.de: Noch mal nachgehakt: Wie sehr sind die gesellschaftspolitischen Themen am Ende doch nur die Kür, die sich der größte Sportfachverband der Welt eben dann auch noch leisten kann?

Gehlenborg: In der öffentlichen Diskussion erleben wir gerade, dass auch für Wirtschaftsunternehmen zunehmend die sogenannten "weichen Faktoren" wie Sozialverhalten und gesellschaftliches Engagement von entscheidender Bedeutung sind. Sympathie und Image beeinflussen durchaus auch die Kaufentscheidungen, und manchmal sind diese Faktoren für den Kunden mindestens ebenso wichtig wie Preis oder Warenqualität. Diese Entwicklung trifft gleichermaßen auch auf den DFB zu. Der informierte und "mündige" Bürger in unserer Gesellschaft urteilt und entscheidet tagtäglich - auch über den DFB. Zumal der Fußball eines der beliebtesten Gesprächsthemen überhaupt ist. Fehlverhalten im Fußball oder im DFB - hier wirken Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Sommermärchen in 2006 noch heute nach - haben zur Folge, dass sehr schnell auch mal hunderttausend Menschen in den Netzen diese diskutieren. Gleiches gilt, wenn in unseren Strukturen etwa ein Ausbilder sexuell übergriffig würde oder beim Bau einer DFB-Anlage die Umwelt nur Schaden nehmen könnte oder - wie geschehen - der DFB ein Plakat beim Training der Nationalmannschaft abhängen lässt. Die modernen Medien haben einen Kommunikationsmarktplatz geschaffen, auf dem ein ständiger und intensiver Meinungsaustausch stattfindet. Immer mehr Menschen nehmen an der öffentlichen Meinungsbildung teil und wollen damit offenkundig Mitwirkende an Entwicklungen sein. Zurück zur Frage: Nein, die Themen der gesellschaftlich-sozialen Verantwortung sind weit mehr als nur eine Kür, sie sind auch im Fußballalltag allgegenwärtig.

DFB.de: Dazu passt, dass bei einer FORSA-Umfrage vom vergangenen Herbst 90 Prozent von insgesamt 2000 Befragten sagten, sie fänden es wichtig, dass der DFB sich um die sozialen Komponenten des Fußballs kümmert. Besonders gut wurde das Engagement für Integration bewertet.

Gehlenborg: Bei aller gesunden Skepsis gegenüber empirischen Erhebungen zeigt die starke Zahl doch, dass immer mehr Menschen durchaus sehen und verstehen, was der Fußball zu leisten vermag. Das wissen wir und publizieren dies auch permanent. So sind beispielsweise die gesellschaftlichen Komponenten des Fußballs auch im DFB-Nachhaltigkeitsbericht grafisch sehr eingängig dargestellt. In Wabenform werden die bestehenden Wechselbeziehungen verdeutlicht. Denn natürlich brauchen wir eine intakte Umwelt, um Fußball zu spielen. Wir brauchen Solidarität, um gemeinsam gegeneinander spielen zu können. Alleine den Ball zu jonglieren, das ist kein Fußball. Tragende Säulen des Spiels sind Fairplay und Integrität. Wir brauchen Gesundheit und wir brauchen Vielfalt. Ich glaube schon, dass viele Menschen den Fußball in unserem Land auch so begreifen und entsprechend kritisch werden, wenn der Fußball diesen Werten nicht gerecht wird.

DFB.de: Weit mehr als 3000 Vereine beteiligten sich an der Kampagne "1:0 für ein Willkommen", einer der sehr erfolgreichen Maßnahmen während Ihrer Amtszeit.

Gehlenborg: Ja, die Kampagne läuft unter erweiterten Rahmenbedingungen bis heute. Hierbei kooperieren sehr erfolgreich die DFB-Stiftung Egidius Braun und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz. Mehr als 3000 Vereine haben sehr spontan, sehr kurzfristig Flüchtlinge zum Fußballspielen auf das Vereinsgelände eingeladen. Inzwischen fördern wir über die Kampagne, wenn Vereine Sprachkurse anbieten und Flüchtlinge bei der Jobsuche unterstützen. Wenn es um die Zusammenführung von Menschen geht, ist gerade der Fußball sehr, sehr effektiv. Ich bin darüber ausgesprochen glücklich. Darin beweist sich, wie gemeinschaftsfördernd und zukunftsfähig der Fußball ist. Hier wirkt auch gerade die Nationalmannschaft vorbildlich. Aus dem Zusammenwirken sehr unterschiedlicher Mentalitäten und Persönlichkeiten in der Nationalmannschaft, aber auch in der Wirtschaft, resultieren ganz bemerkenswerte Gesamtleistungen.

DFB.de: Was waren für Sie persönlich die besonderen Momente in ihrer Präsidiumszeit seit 2013?

Gehlenborg: Neben dem absoluten sportlichen Höhepunkt, der WM 2014 in Brasilien, sind es sicher die Besuche von Integrationspreisträgern. So etwa beim SV Lindenau, einem kleinen Stadtteilverein, der es einfach schafft, neu angekommene Flüchtlinge und andere Migranten, die schon länger in Leipzig leben, in den Vereinsalltag einzubinden. Manche mussten schwere Monate durchstehen, und plötzlich finden sie wieder eine Heimat, in der sie sich geborgen, sicher und angenommen fühlen. Im vergangenen Jahr habe ich die Schale an den Deutschen Meister im Blindenfußball übergeben. Der letzte Spieltag fand auf dem Marktplatz in Rostock statt. Der Blindenfußball ist für mich im höchsten Maße bewundernswert. Die Spieler vergessen im Spiel, dass sie blind sind, denn sie erleben sportliche Aktivität und Teilhabe. Blindenfußball ist ein sehr intensives Spiel, wer auf dem Platz steht, muss einfach 100 Prozent Konzentration mitbringen. Das alles sind Momente, die mir viel Freude bereiten.

###more###

DFB.de: Seit dem Winter haben Cacau und Thomas Hitzlsperger Ihr Team verstärkt, als Beauftragter für Integration und als Botschafter für Vielfalt. Wie zufrieden sind Sie mit den beiden ehemaligen Nationalspielern?

Gehlenborg: Beide sind in der Ansprache für uns sehr wichtig. Sie geben den Anliegen des DFB ein Gesicht bei der Verbreitung und öffentlichen Wahrnehmung unserer Botschaften. Cacau ist mit seiner Vita ein Paradebeispiel für eine gelungene Integration. Hitzlsperger steht für Vielfalt und konkreter dafür, dass wir uns noch intensiver für die Überwindung von Homophobie einsetzen und Vorurteile in unserer Gesellschaft abbauen müssen. Das sind starke und wichtige Botschaften, die für den Fußball und für unser Land wichtig sind. Es geht dabei also nicht nur um Repräsentation, sondern vielmehr um gezielte Aktionen. Mit Cacau und Hitzlsperger kriegen wir die sehr authentisch rübergebracht.

DFB.de: Fehlt bei den Botschaftern eine prominente Ex-Fußballerin?

Gehlenborg: Wir haben gerade im Präsidium beschlossen, dem Frauen- und Mädchenfußball durch gezielte Maßnahmen neue Impulse zu geben. Auch weil die derzeitigen Fakten ein eindeutiger Beleg dafür sind, dass der Fußball nach wie vor stark von Männern geprägt wird. Menschen meines Alters erinnern sich daran, dass der DFB beim Bundestag in Berlin 1955 den Frauenfußball verboten hatte und dieses Verbot erst 1970 in Travemünde wieder aufhob. Trotz der offenkundigen sportlichen Erfolge der Frauen-Nationalmannschaft hat es seitdem keine analoge Entwicklung bei der Besetzung von Führungspositionen mit Frauen im Fußball gegeben. Es braucht meines Erachtens eine evolutionäre Entwicklung, denn auch hier gilt, dass kleine effektive Schritte besser sind als große Sprünge. In diesem Sinn ist das derzeitige Leadership-Programm beim DFB ein richtiger Schritt, dabei fördern wir starke Frauen aus den Landesverbänden für künftige Führungspositionen. Und es haben ja schon einige Frauen als Botschafterinnen mitgewirkt, ich denke etwa an Celia Sasic oder Lira Alushi.

DFB.de: Sehen Sie bei den Galaveranstaltungen des DFB, also etwa beim Integrationspreis oder dem "Club 100", die Gefahr, dass es zu sehr um Nabelschau geht? Dass man sich zu schönen Abenden trifft, ohne dass eine größere Wirkung entfacht wird?

Gehlenborg: Das sehe ich überhaupt nicht so. Für uns mögen die Ehrungen über die Jahre etwas an Reiz verlieren, für die Geehrten sind das in aller Regel ganz tolle und nachwirkende Erlebnisse. Durch die Begegnung mit anderen ehrenamtlichen Sportkameradinnen und Sportkameraden entstehen neue Ideen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass der DFB-Präsident immer wieder diese Events besucht, unsere Bundeskanzlerin hielt bereits eine Rede beim Integrationspreis, zuletzt laudatierte etwa Herbert Grönemeyer beim Julius Hirsch Preis. Dazu kommt zumeisten der Besuch eines Länderspiels. Diese Ehrenamtler sind oft die treibenden Kräfte nicht nur im Sport, sondern auch in unserer Gesellschaft. Ich stehe da oft und bewundere die Leistungen unserer Preisträger. Wir müssen den Menschen, die ehrenamtlich im Fußball mithelfen - das sind bis zu 1,7 Millionen in Deutschland -, noch viel mehr Anerkennung und Respekt entgegenbringen. Dafür sind die Preise einfach ein tolles Instrument. Daneben erwerben diese Menschen über den Fußball eine soziale Kompetenz, die sie dann oft auch im Beruf für mehr Verantwortung qualifiziert. Der Arbeitsmarkt und die Politik müssen hierfür unbedingt ein noch größeres Verständnis entwickeln.

DFB.de: Zum Abschluss eine private Frage: Sie sind nun 70 Jahre alt. Wo und wie wird gefeiert?

Gehlenborg: Hier ist es ja guter Brauch, dass am Abend vor dem Geburtstag die Nachbarn auflaufen und, wie das so üblich ist, den Vorgarten mit Hinweisschildern "verschönern". Diese Aktion musste "angemessen begleitet" werden. Heute feiere ich im Kreise der Familie. Und am Samstag kommen DFB-Präsident Reinhard Grindel und Präsidiumsmitglieder sowie viele Weggefährten vom Norddeutschen Regionalverband und Niedersächsischen Landesverband. Außerdem sind auch Sportkameradinnen und -kameraden von der Bezirks-, Kreis- und Ortsebene eingeladen. Das ist auch wichtig. Für mich ist Fußball gelebte Gemeinschaft - es gibt kein Oben und Unten. Aber ich weiß auch - ich werde fit sein müssen, denn es sind anstrengende Feiertage.

###more###