Vor 70 Jahren: Das erste Länderspiel nach dem Krieg

Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland aus der FIFA ausgeschlossen worden, das war 1945. Denn es gab ja keinen deutschen Staat mehr. Als es ihn 1949 wieder gab, setzte sich besonders die Schweiz erfolgreich für die Wiederaufnahme ein und reichte dem neuerstandenen DFB und damit auch dem ganzen Land als erstes die Hand. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Punkt ihre Funktionäre Ernst Thomsen und Gustav Wiederkehr. Auch ihretwegen rollte der Ball wieder und darauf wartete scheinbar ein ganzes Volk.

Jedenfalls fiel heute vor 70 Jahren der Zuschauerrekord der DFB-Historie, auch wenn niemand die exakte Besucherzahl je wird angeben können. Zu voll war es allemal an jenem 22. November 1950 in Stuttgart, wo insgesamt sieben und damit die meisten der 22 Heimspiele gegen die Schweiz stattfanden.

Die Premiere endete mit einem schmucklosen 1:0, aber das Ergebnis war das Unwichtigste an diesem neblig-trüben Buß- und Bettag. Dabeisein war alles in jenen Tagen der Demut, genau ein Jahr nachdem die Westalliierten die Demontage der deutschen Industrie offiziell eingestellt hatten und der Wiederaufbau beginnen konnte. Das Interesse an diesem Fußballspiel dokumentierte die Sehnsucht der Menschen nach ein bisschen Abwechslung und den Wunsch, wieder ein respektierter Teil der Völkergemeinschaft sein zu dürfen.

Geschätzt mehr als 100.000 Zuschauer

Der DFB meldete offiziell 96.400 Zuschauer, aber die in der Presse publizierten Schätzungen schwankten damals zwischen 103 und 120.000 - jedenfalls waren es viel zu viele für das Neckarstadion, das offiziell 80.000 Plätze auswies. Der englische Schiedsrichter Arthur Ellis wollte zunächst nicht anpfeifen, weil die Massen bis zum Spielfeldrand drängten. Es war eben wieder eine historische Stunde, lange genug hatten sie gewartet. Und wieder galt es den Schweizern zu danken, deren Teams schon 1948 den Boykott brachen und nach München, Stuttgart und Karlsruhe fuhren.

Dafür ernteten sie international viel Kritik: "Nein, Schweizer, das war falsch von euch, das war geschmacklos. Europa blutet noch aus tausenden, durch die Deutschen geschlagenen Wunden, und in zehntausenden Familien herrscht noch Trauer", schrieb eine niederländische Zeitung. Umso dankbarer waren die Deutschen, die zu Hunderten den einfahrenden Zug am Stuttgarter Hauptbahnhof erwarteten. Sie empfingen die Gäste wie gute, alte Freunde.

Was sie ja auch waren: Im Krieg neutral und dem DFB seit je her verbunden - sie waren 1908 der allererste Gegner - hatten sie schon 1920 nach dem ersten Weltkrieg für Deutschlands Rückkehr auf die Länderspielbühne gesorgt. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens sprach bewegt von einem "großen bewegenden Ereignis". Und alle wollten sie dabei sein, zumal die Rundfunksender unisono nur die zweite Hälfte übertrugen und es noch kein Fernsehen gab.

"Wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung"

Die Eintrittspreise waren niedrig wie nie: von 50 Pfennig für Schüler bis sieben Mark für den besten Tribünenplatz. Zum Vergleich: eine Tageszeitung kostete etwa 15 Pfennig. Als die Mannschaften an jenem Mittwoch um 14.30 Uhr einliefen, hatten viele Zuschauer schon einen stundenlangen harten Kampf hinter sich. Auf den überfüllten Rängen kam es immer wieder zu Unfällen, da auf dem Schlammboden kaum Halt zu finden war, Wellenbrecher gab es keine. Chaos pur.

In Leserbriefen war von ruinierten Schuhen und Hosen die Rede, ein Mann aus Tübingen fand: "Wir sahen nicht anders aus wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung". Man zählte hinterher, auch durch das entstehende Verkehrschaos, 240 Verletzte, 72 schwere Unfälle und 38 Menschen, die ins Krankenhaus mussten.

Als die Schweizer Hymne gespielt wurde, war es auf den Stehrängen zu eng um den Hut zu ziehen, so dass es in manchen Fällen der Hintermann für einen tat und, so ein Augenzeuge, "man sich gegenseitig aus der Verlegenheit half". Das neue Deutschland hatte keine offizielle Hymne, stattdessen gab es eine ergreifende Schweigeminute. "Totenstille herrscht im weiten Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war.", schrieb das Sport Magazin.

"Einer der schönsten Tage meines Lebens"

Grund zur Freude gab es dann auch noch, ein Elfmeter des Bremers Herbert Burdenski (42. Minute) verschaffte der von Sepp Herberger gecoachten DFB-Auswahl zum Neustart in eine glanzvolle Epoche ein erstes Erfolgserlebnis. Dabei standen acht Debütanten auf dem Platz, was sich vor allem durch die achtjährige Zwangspause der Nationalmannschaft erklärt. Kapitän war einer der drei, die schon einmal den Adler getragen hatten: der Schweinfurter Andreas Kupfer. Mit Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter standen drei Spieler aus der kommenden Weltmeisterelf von Bern auf dem schlammigen Rasen, Fritz Walter hatte kurzfristig absagen müssen. Sie gewannen auch ohne ihren künftigen Kapitän - und das verdient.

Das Sport Magazin machte zur Feier des Tages ausführliche Statistiken, in denen die Deutschen in den wesentlichen Kategorien wie Torschüssen (37:30), Ecken (8:5) oder Freistößen (13:10) vorne lagen. Dann durften sie auch gewinnen, wenngleich "nur" durch einen Handelfmeter, den Ottmar Walter herausgeholt hatte. Er sicherte einen der am meisten umjubelten deutschen Siege in einem Freundschaftsspiel.

Der mit 100 DM Prämie und einer Schweizer Uhr honoriert wurde. Am meisten wert waren allerdings die Gefühle, die das Spiel auslöste. Nicht mehr in aller Welt verhasst zu sein, dass Aussicht auf Aussöhnung bestand. Dass der Sport Brücken bauen kann, insbesondere der Fußball. Lokalmatador Karl Barufka vom VfB Stuttgart sprach von "einem der schönsten Tage meines Lebens." Heute vor 70 Jahren.

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Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland aus der FIFA ausgeschlossen worden, das war 1945. Denn es gab ja keinen deutschen Staat mehr. Als es ihn 1949 wieder gab, setzte sich besonders die Schweiz erfolgreich für die Wiederaufnahme ein und reichte dem neuerstandenen DFB und damit auch dem ganzen Land als erstes die Hand. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Punkt ihre Funktionäre Ernst Thomsen und Gustav Wiederkehr. Auch ihretwegen rollte der Ball wieder und darauf wartete scheinbar ein ganzes Volk.

Jedenfalls fiel heute vor 70 Jahren der Zuschauerrekord der DFB-Historie, auch wenn niemand die exakte Besucherzahl je wird angeben können. Zu voll war es allemal an jenem 22. November 1950 in Stuttgart, wo insgesamt sieben und damit die meisten der 22 Heimspiele gegen die Schweiz stattfanden.

Die Premiere endete mit einem schmucklosen 1:0, aber das Ergebnis war das Unwichtigste an diesem neblig-trüben Buß- und Bettag. Dabeisein war alles in jenen Tagen der Demut, genau ein Jahr nachdem die Westalliierten die Demontage der deutschen Industrie offiziell eingestellt hatten und der Wiederaufbau beginnen konnte. Das Interesse an diesem Fußballspiel dokumentierte die Sehnsucht der Menschen nach ein bisschen Abwechslung und den Wunsch, wieder ein respektierter Teil der Völkergemeinschaft sein zu dürfen.

Geschätzt mehr als 100.000 Zuschauer

Der DFB meldete offiziell 96.400 Zuschauer, aber die in der Presse publizierten Schätzungen schwankten damals zwischen 103 und 120.000 - jedenfalls waren es viel zu viele für das Neckarstadion, das offiziell 80.000 Plätze auswies. Der englische Schiedsrichter Arthur Ellis wollte zunächst nicht anpfeifen, weil die Massen bis zum Spielfeldrand drängten. Es war eben wieder eine historische Stunde, lange genug hatten sie gewartet. Und wieder galt es den Schweizern zu danken, deren Teams schon 1948 den Boykott brachen und nach München, Stuttgart und Karlsruhe fuhren.

Dafür ernteten sie international viel Kritik: "Nein, Schweizer, das war falsch von euch, das war geschmacklos. Europa blutet noch aus tausenden, durch die Deutschen geschlagenen Wunden, und in zehntausenden Familien herrscht noch Trauer", schrieb eine niederländische Zeitung. Umso dankbarer waren die Deutschen, die zu Hunderten den einfahrenden Zug am Stuttgarter Hauptbahnhof erwarteten. Sie empfingen die Gäste wie gute, alte Freunde.

Was sie ja auch waren: Im Krieg neutral und dem DFB seit je her verbunden - sie waren 1908 der allererste Gegner - hatten sie schon 1920 nach dem ersten Weltkrieg für Deutschlands Rückkehr auf die Länderspielbühne gesorgt. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens sprach bewegt von einem "großen bewegenden Ereignis". Und alle wollten sie dabei sein, zumal die Rundfunksender unisono nur die zweite Hälfte übertrugen und es noch kein Fernsehen gab.

"Wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung"

Die Eintrittspreise waren niedrig wie nie: von 50 Pfennig für Schüler bis sieben Mark für den besten Tribünenplatz. Zum Vergleich: eine Tageszeitung kostete etwa 15 Pfennig. Als die Mannschaften an jenem Mittwoch um 14.30 Uhr einliefen, hatten viele Zuschauer schon einen stundenlangen harten Kampf hinter sich. Auf den überfüllten Rängen kam es immer wieder zu Unfällen, da auf dem Schlammboden kaum Halt zu finden war, Wellenbrecher gab es keine. Chaos pur.

In Leserbriefen war von ruinierten Schuhen und Hosen die Rede, ein Mann aus Tübingen fand: "Wir sahen nicht anders aus wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung". Man zählte hinterher, auch durch das entstehende Verkehrschaos, 240 Verletzte, 72 schwere Unfälle und 38 Menschen, die ins Krankenhaus mussten.

Als die Schweizer Hymne gespielt wurde, war es auf den Stehrängen zu eng um den Hut zu ziehen, so dass es in manchen Fällen der Hintermann für einen tat und, so ein Augenzeuge, "man sich gegenseitig aus der Verlegenheit half". Das neue Deutschland hatte keine offizielle Hymne, stattdessen gab es eine ergreifende Schweigeminute. "Totenstille herrscht im weiten Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war.", schrieb das Sport Magazin.

"Einer der schönsten Tage meines Lebens"

Grund zur Freude gab es dann auch noch, ein Elfmeter des Bremers Herbert Burdenski (42. Minute) verschaffte der von Sepp Herberger gecoachten DFB-Auswahl zum Neustart in eine glanzvolle Epoche ein erstes Erfolgserlebnis. Dabei standen acht Debütanten auf dem Platz, was sich vor allem durch die achtjährige Zwangspause der Nationalmannschaft erklärt. Kapitän war einer der drei, die schon einmal den Adler getragen hatten: der Schweinfurter Andreas Kupfer. Mit Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter standen drei Spieler aus der kommenden Weltmeisterelf von Bern auf dem schlammigen Rasen, Fritz Walter hatte kurzfristig absagen müssen. Sie gewannen auch ohne ihren künftigen Kapitän - und das verdient.

Das Sport Magazin machte zur Feier des Tages ausführliche Statistiken, in denen die Deutschen in den wesentlichen Kategorien wie Torschüssen (37:30), Ecken (8:5) oder Freistößen (13:10) vorne lagen. Dann durften sie auch gewinnen, wenngleich "nur" durch einen Handelfmeter, den Ottmar Walter herausgeholt hatte. Er sicherte einen der am meisten umjubelten deutschen Siege in einem Freundschaftsspiel.

Der mit 100 DM Prämie und einer Schweizer Uhr honoriert wurde. Am meisten wert waren allerdings die Gefühle, die das Spiel auslöste. Nicht mehr in aller Welt verhasst zu sein, dass Aussicht auf Aussöhnung bestand. Dass der Sport Brücken bauen kann, insbesondere der Fußball. Lokalmatador Karl Barufka vom VfB Stuttgart sprach von "einem der schönsten Tage meines Lebens." Heute vor 70 Jahren.

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