Handicap-Fußball: Neues Qualifizierungsformat

Das Fußballtraining für Menschen mit und ohne Behinderung erhält ein neues Qualifizierungsformat. Tobias Haupt, Leiter der DFB-Akademie, und Tobias Wrzesinski, Geschäftsführer der DFB-Stiftung Sepp Herberger, informieren im DFB.de-Interview über einen heute beginnenden Pilotkurs, der bald im ganzen Land Schule machen soll.

DFB.de: Herr Haupt, lange dauert es nicht mehr, dann werden Sie und Ihr Team den 140-Millionen-Euro Neubau in Frankfurt-Niederrad beziehen. Kennen Sie das exakte Datum?

Tobias Haupt: (lacht) Nein, aber es geht weiterhin unwahrscheinlich schnell voran. Wir sind zuversichtlich, dass der Bau des DFB-Campus Ende des Jahres weitestgehend abgeschlossen werden kann, sodass wir im ersten Quartal 2022 die Inbetriebnahme Schritt für Schritt angehen zu können. Dann werden wir mit unserem gesamten Team aus den Bereichen Performance, Technologie und Innovation sowie aus dem Aus- und Weiterbildungsbereich unsere neue Heimat beziehen.

DFB.de: Sind Sie ungeduldig?

Haupt: Ich bin voller Vorfreude. Der Einzug in den neuen Campus wird dem DFB und der gesamten Mitarbeiterschaft einen Schub geben und für Aufbruchstimmung sorgen, davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Der Eigenanspruch der Akademie muss es zweifellos sein, die Spitze weiterzuentwickeln. Strategieentwicklung und Digitalisierung sind Ihr persönliches Tagesgeschäft. Dennoch haben Sie und Ihr Team eine Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball gestartet. Was war ausschlaggebend für diese Projektierung?

Haupt: Der Fußball ist weit mehr als ein Leistungssport und Milliardengeschäft, es geht eben nicht "nur" ums Gewinnen und Verlieren. Mit unserem Akademie-Team kümmern wir uns um die Spitze, also um unsere 15 Nationalmannschaften – Frauen und Männer – unter dem Dach des DFB. Wir tragen aber eben auch eine Verantwortung für den gesamten Fußball. Der Fußball ist vielfältig und nicht nur in Deutschland funktioniert er als das verbindende Element, als Kitt in einer immer mehr zerrissenen Gesellschaft. Zu der alle Menschen gehören, egal welcher Hautfarbe, welcher Herkunft und ganz sicher unabhängig davon, welches Handicap jemand hat. Für uns war es daher eine Selbstverständlichkeit, gemeinsam mit der Sepp-Herberger-Stiftung im Jahr 2019 die Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball zu starten. Als wichtiger Meilenstein steht jetzt die Fortbildung Inklusionsfußball auf dem Programm.

DFB.de: Herr Wrzesinski, die Stiftung engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für den Handicap-Fußball. Was alles zählt schon lange zum inklusiven Stiftungswirken und worum geht es bei dem neuen Kurs, der heute beginnt?

Tobias Wrzesinski: Leuchtturmprojekte sind die Deutsche Fußball-Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, die Blindenfußball-Bundesliga und die FußballFreunde-Cups. In jedem Projekt legen wir Wert auf Langfristigkeit und setzen bei den Wettbewerben auf eine hohe Qualität. Diese Woche nun startet die Pilot-Fortbildung Inklusionsfußball. Die Inzidenzzahlen lassen es unter Einhaltung eines Hygienekonzepts zu, dass wir den Kurs als Präsenztermin in der Sportschule Hennef abhalten können. Wir dürfen also am Mittwoch 20 Teilnehmende begrüßen, unter anderem vom SC Freiburg und vom VfB Stuttgart.

DFB.de: Wie ist das Programm entstanden?

Wrzesinski: Die Fortbildung wurde gemeinsam mit dem SV Werder Bremen und Inklusionsexperten aus den DFB-Landesverbänden konzipiert. DFB-Teamleiter Wolfgang Möbius und mein Stellvertreter Nico Kempf haben sich besonders für das Gelingen eingesetzt. Ein sechsköpfiges Referenten-Team um Michael Arends vom SV Werder Bremen leitet die 20 Lerneinheiten. Auf dem Programm stehen unter anderem Grundlagen des Trainings, das Coaching-Verhalten oder rechtliche Aspekte im Inklusionsfußball.

Haupt: Um kurz zu ergänzen: Wir wollen vermitteln, wie Menschen mit einer Beeinträchtigung in die Trainingsgestaltung aktiv integriert werden können. Unser Ziel ist es, Menschen mit und ohne Handicap in den Austausch und in die Interaktion zu bringen. Diversität ist so ein Modewort geworden. Dabei steckt in der Diversität eine Riesenchance, auch für den Fußball. Studien belegen, dass Teams – auf und neben dem Platz – umso erfolgreicher und produktiver sind, je diverser sie zusammengestellt sind.

DFB.de: Wie geht es nach dem Pilotkurs weiter?

Wrzesinski: Im Herbst veranstalten wir eine Schulung für Referenten und Referentinnen aus allen 21 Landesverbänden. Ziel ist es, dass der Kurs danach mit den Landesverbänden regelmäßig angeboten wird.

DFB.de: Wie lautet aus Sicht der Stiftung die übergeordnete Zielsetzung?

Wrzesinski: Wir setzen uns für alle Facetten des Handicap-Fußballs ein und wollen Menschen unabhängig von einem geistigen oder körperlichen Handicap beziehungsweise einer Beeinträchtigung der Sinne in die Fußballfamilie integrieren. Dabei denken wir nicht nur an das Spielen auf dem Platz, sondern auch an Schiedsrichter- und Trainer-Tätigkeiten sowie Engagements in der Vereinsadministration. Mit der vor neun Jahren gestarteten Inklusionsinitiative setzen wir uns im Doppelpass mit den DFB-Landesverbänden genau für diese Zielsetzung ein. Menschen mit Behinderung stehen mitten im Leben, sie lieben den Fußball und sollen ihre sportliche Heimat dort finden können, wo die Fußballerinnen und Fußballer zuhause sind – in den bundesweit rund 24.300 Klubs, die oft unbemerkt von der Öffentlichkeit an der viel zitierten Basis Großartiges leisten. Gemeinsam haben wir ein gutes Stück des Weges hinter uns gebracht, aber wir sind noch nicht am Ziel. Das spornt uns weiter an.

DFB.de: Herr Haupt, haben Sie auch schon Fußballer*innen mit Behinderung im Wettkampf erlebt?

Haupt: 2017 bei einem U 16-Inklusionsturnier in Liechtenstein. Das hat mich beeindruckt. Der Turnierplan von Mannschaften mit Behinderung war verknüpft mit dem Spielplan des Parallelturniers, an dem die Talente unter anderem des FC Bayern München, FC Chelsea und von Benfica Lissabon teilnahmen. Es war spannend, zu beobachten, wie sich das Verhalten, die Kommunikation und die Einstellung der Top-Talente innerhalb der wenigen Turniertage zum Positiven verändert hat. Alleine dadurch, dass die Jugendlichen mit Handicap Teil der Turniergemeinschaft waren, fand ein gemeinsamer Austausch zwischen den Spielen und soziale Interaktion zwischen den Jugendlichen statt. Die Jungs, egal ob mit oder ohne Handicap, sind als Persönlichkeiten durch dieses Erlebnis gereift.

DFB.de: Und warum ist Fußball aus Sicht von Menschen mit Handicap eine zu empfehlende Sportart?

Haupt: Eigentlich aus dem gleichen Grund wie für nicht-behinderte Fußballer*innen. Weil der Mannschaftssport Fußball den Jugendlichen so viel lehrt für ihre persönliche Zukunft und ihr späteres Leben. Menschen mit Behinderung erleben durch den Fußball Anerkennung, sie nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Sie gehören ganz einfach zur Fußballfamilie dazu. Ich kann mich noch wie heute an eine Szene damals in Liechtenstein erinnern: Ein 16-jähriger Junge mit geistiger Beeinträchtigung hatte ein Tor erzielt. Er riss sich daraufhin das Trikot vom Leib und rannte erstmal eine Ehrenrunde. Der Schiedsrichter wollte nach ungefähr fünf Minuten das Spiel wieder anpfeifen, das hat den Jungen aber überhaupt nicht gestört. Er ist einfach weitergelaufen und hat sich von den Zuschauerinnen und Zuschauern noch minutenlang feiern lassen. Genauso wie ein tolles Tor von Serge Gnabry oder Joshua Kimmich machen auch Momente wie dieser unseren Fußball so einzigartig.

[th]

Das Fußballtraining für Menschen mit und ohne Behinderung erhält ein neues Qualifizierungsformat. Tobias Haupt, Leiter der DFB-Akademie, und Tobias Wrzesinski, Geschäftsführer der DFB-Stiftung Sepp Herberger, informieren im DFB.de-Interview über einen heute beginnenden Pilotkurs, der bald im ganzen Land Schule machen soll.

DFB.de: Herr Haupt, lange dauert es nicht mehr, dann werden Sie und Ihr Team den 140-Millionen-Euro Neubau in Frankfurt-Niederrad beziehen. Kennen Sie das exakte Datum?

Tobias Haupt: (lacht) Nein, aber es geht weiterhin unwahrscheinlich schnell voran. Wir sind zuversichtlich, dass der Bau des DFB-Campus Ende des Jahres weitestgehend abgeschlossen werden kann, sodass wir im ersten Quartal 2022 die Inbetriebnahme Schritt für Schritt angehen zu können. Dann werden wir mit unserem gesamten Team aus den Bereichen Performance, Technologie und Innovation sowie aus dem Aus- und Weiterbildungsbereich unsere neue Heimat beziehen.

DFB.de: Sind Sie ungeduldig?

Haupt: Ich bin voller Vorfreude. Der Einzug in den neuen Campus wird dem DFB und der gesamten Mitarbeiterschaft einen Schub geben und für Aufbruchstimmung sorgen, davon bin ich überzeugt.

DFB.de: Der Eigenanspruch der Akademie muss es zweifellos sein, die Spitze weiterzuentwickeln. Strategieentwicklung und Digitalisierung sind Ihr persönliches Tagesgeschäft. Dennoch haben Sie und Ihr Team eine Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball gestartet. Was war ausschlaggebend für diese Projektierung?

Haupt: Der Fußball ist weit mehr als ein Leistungssport und Milliardengeschäft, es geht eben nicht "nur" ums Gewinnen und Verlieren. Mit unserem Akademie-Team kümmern wir uns um die Spitze, also um unsere 15 Nationalmannschaften – Frauen und Männer – unter dem Dach des DFB. Wir tragen aber eben auch eine Verantwortung für den gesamten Fußball. Der Fußball ist vielfältig und nicht nur in Deutschland funktioniert er als das verbindende Element, als Kitt in einer immer mehr zerrissenen Gesellschaft. Zu der alle Menschen gehören, egal welcher Hautfarbe, welcher Herkunft und ganz sicher unabhängig davon, welches Handicap jemand hat. Für uns war es daher eine Selbstverständlichkeit, gemeinsam mit der Sepp-Herberger-Stiftung im Jahr 2019 die Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball zu starten. Als wichtiger Meilenstein steht jetzt die Fortbildung Inklusionsfußball auf dem Programm.

DFB.de: Herr Wrzesinski, die Stiftung engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für den Handicap-Fußball. Was alles zählt schon lange zum inklusiven Stiftungswirken und worum geht es bei dem neuen Kurs, der heute beginnt?

Tobias Wrzesinski: Leuchtturmprojekte sind die Deutsche Fußball-Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, die Blindenfußball-Bundesliga und die FußballFreunde-Cups. In jedem Projekt legen wir Wert auf Langfristigkeit und setzen bei den Wettbewerben auf eine hohe Qualität. Diese Woche nun startet die Pilot-Fortbildung Inklusionsfußball. Die Inzidenzzahlen lassen es unter Einhaltung eines Hygienekonzepts zu, dass wir den Kurs als Präsenztermin in der Sportschule Hennef abhalten können. Wir dürfen also am Mittwoch 20 Teilnehmende begrüßen, unter anderem vom SC Freiburg und vom VfB Stuttgart.

DFB.de: Wie ist das Programm entstanden?

Wrzesinski: Die Fortbildung wurde gemeinsam mit dem SV Werder Bremen und Inklusionsexperten aus den DFB-Landesverbänden konzipiert. DFB-Teamleiter Wolfgang Möbius und mein Stellvertreter Nico Kempf haben sich besonders für das Gelingen eingesetzt. Ein sechsköpfiges Referenten-Team um Michael Arends vom SV Werder Bremen leitet die 20 Lerneinheiten. Auf dem Programm stehen unter anderem Grundlagen des Trainings, das Coaching-Verhalten oder rechtliche Aspekte im Inklusionsfußball.

Haupt: Um kurz zu ergänzen: Wir wollen vermitteln, wie Menschen mit einer Beeinträchtigung in die Trainingsgestaltung aktiv integriert werden können. Unser Ziel ist es, Menschen mit und ohne Handicap in den Austausch und in die Interaktion zu bringen. Diversität ist so ein Modewort geworden. Dabei steckt in der Diversität eine Riesenchance, auch für den Fußball. Studien belegen, dass Teams – auf und neben dem Platz – umso erfolgreicher und produktiver sind, je diverser sie zusammengestellt sind.

DFB.de: Wie geht es nach dem Pilotkurs weiter?

Wrzesinski: Im Herbst veranstalten wir eine Schulung für Referenten und Referentinnen aus allen 21 Landesverbänden. Ziel ist es, dass der Kurs danach mit den Landesverbänden regelmäßig angeboten wird.

DFB.de: Wie lautet aus Sicht der Stiftung die übergeordnete Zielsetzung?

Wrzesinski: Wir setzen uns für alle Facetten des Handicap-Fußballs ein und wollen Menschen unabhängig von einem geistigen oder körperlichen Handicap beziehungsweise einer Beeinträchtigung der Sinne in die Fußballfamilie integrieren. Dabei denken wir nicht nur an das Spielen auf dem Platz, sondern auch an Schiedsrichter- und Trainer-Tätigkeiten sowie Engagements in der Vereinsadministration. Mit der vor neun Jahren gestarteten Inklusionsinitiative setzen wir uns im Doppelpass mit den DFB-Landesverbänden genau für diese Zielsetzung ein. Menschen mit Behinderung stehen mitten im Leben, sie lieben den Fußball und sollen ihre sportliche Heimat dort finden können, wo die Fußballerinnen und Fußballer zuhause sind – in den bundesweit rund 24.300 Klubs, die oft unbemerkt von der Öffentlichkeit an der viel zitierten Basis Großartiges leisten. Gemeinsam haben wir ein gutes Stück des Weges hinter uns gebracht, aber wir sind noch nicht am Ziel. Das spornt uns weiter an.

DFB.de: Herr Haupt, haben Sie auch schon Fußballer*innen mit Behinderung im Wettkampf erlebt?

Haupt: 2017 bei einem U 16-Inklusionsturnier in Liechtenstein. Das hat mich beeindruckt. Der Turnierplan von Mannschaften mit Behinderung war verknüpft mit dem Spielplan des Parallelturniers, an dem die Talente unter anderem des FC Bayern München, FC Chelsea und von Benfica Lissabon teilnahmen. Es war spannend, zu beobachten, wie sich das Verhalten, die Kommunikation und die Einstellung der Top-Talente innerhalb der wenigen Turniertage zum Positiven verändert hat. Alleine dadurch, dass die Jugendlichen mit Handicap Teil der Turniergemeinschaft waren, fand ein gemeinsamer Austausch zwischen den Spielen und soziale Interaktion zwischen den Jugendlichen statt. Die Jungs, egal ob mit oder ohne Handicap, sind als Persönlichkeiten durch dieses Erlebnis gereift.

DFB.de: Und warum ist Fußball aus Sicht von Menschen mit Handicap eine zu empfehlende Sportart?

Haupt: Eigentlich aus dem gleichen Grund wie für nicht-behinderte Fußballer*innen. Weil der Mannschaftssport Fußball den Jugendlichen so viel lehrt für ihre persönliche Zukunft und ihr späteres Leben. Menschen mit Behinderung erleben durch den Fußball Anerkennung, sie nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Sie gehören ganz einfach zur Fußballfamilie dazu. Ich kann mich noch wie heute an eine Szene damals in Liechtenstein erinnern: Ein 16-jähriger Junge mit geistiger Beeinträchtigung hatte ein Tor erzielt. Er riss sich daraufhin das Trikot vom Leib und rannte erstmal eine Ehrenrunde. Der Schiedsrichter wollte nach ungefähr fünf Minuten das Spiel wieder anpfeifen, das hat den Jungen aber überhaupt nicht gestört. Er ist einfach weitergelaufen und hat sich von den Zuschauerinnen und Zuschauern noch minutenlang feiern lassen. Genauso wie ein tolles Tor von Serge Gnabry oder Joshua Kimmich machen auch Momente wie dieser unseren Fußball so einzigartig.

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