Olympia-Historie vor 1945: Rekordsieg und doppelte Enttäuschung

Der Start ins Olympische Fußballturnier 2021 steht kurz bevor. Zeit für DFB.de, auf vergangene Teilnahmen zurückzuschauen. In Teil eins der Olympiaserie: Die ersten olympischen Gehversuche mit einem Jahrhundertrekord und bitteren Enttäuschungen.

Die erste Reise zu einem Turnier in der Historie der 1908 gegründeten deutschen Nationalmannschaft war akribisch geplant. 22 Spieler in blauen Anzügen, fünf Funktionäre und "ein Trainer", dessen Namen das DFB-Jahrbuch verschwieg, fuhren gen Schweden. Übrigens elf weniger als erlaubt, der Spielausschuss hielt einen 33er-Kader für etwas überzogen.

Das Unternehmen kostete den DFB 12.400 Reichsmark, wovon der Deutsche Reichsausschuss für Olympische Spiele 5368 Mark trug. Mit Zug und Schiff reiste die Delegation am 26. Juni von Berlin aus nach Stockholm, wo sie gleich nach der Ankunft der Königin, die aus dem Hause Baden stammte, eine telegrafische Huldigung überbrachte. Der Wortlaut ist überliefert: "Ihre Majestät der Königin Viktoria von Schweden! Eurer Majestät legen die deutschen olympischen Fußballspieler, darunter 10 Badener, ehrerbietigsten Gruß zu Füßen. Dr. Hofmann, Professor Hefner; Hotel Kronprinzen." Majestät war entzückt und antwortete umgehend: "Beste Wünsche für Ihren Aufenthalt in Schweden."

Die fruchteten zunächst nicht. Schon nach dem ersten Spiel am 29. Juni 1912 war der Medaillentraum geplatzt. Gegen Österreich gab es vor 2000 Zuschauern trotz Pausenführung durch Adolf Jäger (Altona 93) eine 1:5-Packung. Vor allem deshalb, weil Torwart Albert Weber nach 52 Minuten gegen den Torpfosten geprallt war, sich eine Gehirnerschütterung zuzog und fünf Minuten und zwei Gegentore später ohnmächtig wurde. Auswechseln des Torwarts war nur mit gegnerischer Zustimmung erlaubt und die blieb aus. Stürmer Willi Worpitzky musste ins Tor und "seine begreifliche Unsicherheit nutzte Österreich aus" (DFB-Jahrbuch). Der Aushilfskeeper musste noch drei Tore hinnehmen. Ein einmaliges Missgeschick in der DFB-Historie! Das Viertelfinale war somit verfehlt, aber damit keine Mannschaft nur für ein Spiel anreisen musste, gab es eine Trostrunde und sie trösteten sich reichlich.

Rekordsieg und Bordfest-Legende

Am 1. Juli 1912 traf man vor 600 bis 1000 Zuschauern, die Angaben differieren, auf dem Nebenplatz des Rasunda-Stadions auf die Russen. Das Spiel erbrachte einen noch immer gültigen Rekordsieg der DFB-Geschichte (16:0) und wird von einer Legende umrankt, die immer wieder erzählt wird. Sicher ist nur: Es gab ein rauschendes Bankett auf einem Schiff, an dem beide Mannschaften teilnahmen. Ob vor oder nach dem Spiel – das ist nicht ganz unerheblich für die Bewertung – war stets die Frage. Das "Sport Magazin" zitierte im August 1955 einen Augenzeugen von 1912, den Journalisten R. Volderauer so: "Dieses Stockholmer Länderspiel bedeutet für alle, die vor 43 Jahren dabei waren, Erinnerungen an zauberhafte Sommerabende im Lande der Mitternachtssonne, an Kavaliere aus dem kaiserlichen Russland mit Bordfesten bei Kaviar, Wodka und Balalaika-Musik".

Bei Gerd Krämer ("Im Dress der elf Besten") heißt es 1965: "Die als Fußballer noch unerfahrenen kaiserlichen Russen, alles hochgewachsene, athletische Gestalten, erweisen sich als wahre Kavaliere. Sie wohnen auf einem elegant eingerichteten Schiff und laden ihren deutschen Gegner zu einem feenhaften Abend-Bordfest ein, einer rauschenden (Fuß-) Ballnacht in den Schären von Stockholm mit Kaviar, Krimsekt, Wodka und Balalaika-Musik." Ein Zeitpunkt wird in beiden Quellen nicht genannt.

Auch 1912 dürfte man beim DFB sicher der Ansicht gewesen sein, dass ein Bordfest der optimalen Vorbereitung kaum dienen mochte – und Bankette fanden gewöhnlich nach einem Spiel statt. Ludger Schulze schrieb denn auch in seinem Buch "Die Mannschaft" 1986: "Den Russen hat die furchtbare Niederlage keinen seelischen Schmerz zugefügt. Am Abend luden sie auf ihrem Luxusschiff zu einem märchenhaften Fest ein."

Jüngere Berichte haben das jedoch wieder konterkariert und den Eindruck eines kollektiven Besäufnisses vor dem Spiel erweckt, das nur den Russen geschadet habe. "Möglich wurde dieser Rekord nur, weil die Russen am Abend zuvor zu tief ins Glas geschaut hatten", steht etwa im Buch "Verrückte Nationalelf" (2003). Bis in diese Tage hält sich diese Version, deren Ursprung völlig unklar ist und nie belegt wurde. So stand 2008 im Berliner Tagesspiegel: "Entgegen der landläufigen Meinung, nach der Russen schwer unter den Tisch zu trinken sind, haben die Deutschen deutliche Vorteile. Sie kommen auch mit dem Kater besser klar. Die wenigen Zuschauer staunen über die Probleme, die den Russen schon das Geradeauslaufen bereitet." Interessant ist freilich, dass die Deutschen ihre Elf gegenüber dem Auftaktspiel komplett durchwechselten. Vielleicht war ja nur die erste Garnitur auf dem Fest?

"Promille-These" als Märchen entlarvt

Gegen die "Promille-These" spricht indes die Aussage des Torhüters Adolf "Adsch" Weber, der im zweiten Spiel zum Einsatz kam. Das "Sport Magazin" zitierte am 8. September 1955 aus einem Interview mit dem einstigen Nationalspieler von Holstein Kiel: "Werner erzählte weiter, dass die Russen damals wie aufgescheuchte Hühner umhergelaufen seien, es ihnen aber nichts ausgemacht habe, 16:0 zu verlieren. Beim Bankett waren sie sogar noch froh, daß die Niederlage nicht höher ausgefallen war." Es gab also ein Bankett nach dem Spiel – wie üblich. Es wird Zeit, die Legende von den trinkfesten deutschen Siegern gegen nicht ganz nüchterne Russen allmählich als das zu benennen, was sie sehr wahrscheinlich ist – ein Märchen. Zumal sie zwei Rekorde der DFB-Historie schmälert. Der höchste Länderspielsieg und die höchste Torzahl eines Spielers – der Karlsruher Gottfried Fuchs traf zehnmal. Das Endergebnis war übrigens schon nach 69 Minuten erreicht, "dann hörten die Stürmer auf, gut zu spielen, während der russische Torwächter wesentlich besser wurde, so daß kein Tor mehr fiel", heißt es im Fachblatt "Fußball und Leichtathletik". Nach Ecken war es nur ein 3:2 für Deutschland. "Das Spiel war alles andere als schön, dazu war unser Gegner zu schwach", ordnete die "Süddeutsche Sportzeitung" das Ergebnis für ihre Leser ein.

Mag also sein, dass der Gegner, dessen Spieler auch an den Kugelstoß- und Reitwettbewerben teilnahmen, nicht gerade höchstes Niveau verkörperte, die Umstände waren indes weder irregulär noch grotesk. Um die Torschützen gab es übrigens auch einige Rätsel. Die Presse berichtete wenig und sehr fehlerhaft vom deutschen Rekord-Sieg. So lesen wir gleichlautend in der "BZ am Mittag" und der "Berliner Morgenpost" vom 2. Juli 1912: "Deutschland schlug Russland ganz überlegen 16:0 (Halbzeit: 8:0). Hirsch trat acht, Förderer fünf Tore." Dabei spielte Julius Hirsch gar nicht mit, offenbar wurde er mit Klubkamerad Gottfried Fuchs vom Karlsruher FV verwechselt. Die beiden sind die einzigen jüdischen Spieler in der Geschichte der Nationalmannschaft. Die "Süddeutsche Sportzeitung" kommt in ihrer Aufzählung auf neun Fuchs-Tore, spricht aber an anderer Stelle von zehn. Offiziell waren es jedenfalls zehn, so steht es auch in der DFB-Statistik.

Auch fünf weitere Tore gingen an jenem 1. Juli 1912 auf das Konto Karlsruher Spieler. Fritz Förderer, wie Fuchs beim KFV, markierte vier, Emil Oberle von Phönix Karlsruhe und der Fürther Karl Burger, der eine Ecke direkt verwandelte, machten das 16:0-Schützenfest komplett. Kurios: Der DFB-Jahresbericht verschwieg sogar die Torschützen und handelte den Rekordsieg kurz ab.  "Deutschland war den Russen an Zusammenspiel und Technik weit überlegen und erzielte in gleichmäßigen Abständen in jeder Spielhälfte acht Tore, somit 16:0, das höchste Ergebnis, das in Olympischen Spielen bisher erreicht worden ist." Keeper Werner hatte am wenigsten Spaß am Schützenfest: "Nur einmal prüften mich die Russen beim 16:0 in Stockholm. Es war ein Schuss von der Strafraumlinie aus und ich musste in die linke Ecke tauchen. Das aber war alles. Herzlich wenig, denn ein Torhüter will beschäftigt sein."

Zwei Tage später bekam er mehr zu tun. Die Trostrunde endete mit einer 1:3-Niederlage gegen die Ungarn, gleich dreimal wurde der gehandicapte Keeper (steifes Bein) von Mittelstürmer Schlosser-Lakatos überwunden. Für Deutschland traf nur Förderer, während Fuchs sein Pulver schon verschossen hatte. Nach der Rückkehr wurde er dennoch ausgezeichnet. Der preußische Kronprinz Wilhelm überreichte ihm einen Silberpokal für seinen Rekord, der seit 109 Jahren Bestand hat und wohl einer für die Ewigkeit ist.

Zwei Platzverweise in Amsterdam

Dann kam der erste Weltkrieg und erst 1928 waren die als Kriegsverursacher gebrandmarkten Deutschen wieder bei Olympia dabei. In Amsterdam wurde erneut DFB-Geschichte geschrieben, diesmal unrühmliche. Erstmals reiste die Nationalelf mit einem hauptamtlichen Trainer zu einem Turnier, Otto Nerz war seit Oktober 1926 Reichstrainer. Er debütierte dort, wo nun die olympische Flagge wehte, mit einem 3:2-Sieg. Als gutes Omen sollte es sich nicht erweisen. Das Turnier hatte, parallel zum Aufschwung des Fußballs zum Volkssport Nummer eins, einen weit höheren Stellenwert als 1912. Nerz veranstaltete im Vorfeld Lehrgänge und Testspiele gegen britische Profiklubs, seit Amtsantritt war alles auf Olympia 1928 ausgerichtet – zumal es noch keine WM gab. Kapitän Hans Kalb (Nürnberg) pushte seine Kameraden: "Freunde, Millionen Deutsche schauen auf uns." Was ohne Fernseher noch etwas anders zu verstehen war. Wahrhaftig zusehen wollten immerhin 10.000 Schlachtenbummler, die an Pfingsten den Weg über die Grenze antraten. Zum Auftakt gab es ein überraschend deutliches 4:0 gegen die Schweiz, die 1924 in Paris noch die Silbermedaille geholt hatte. Es war die Zeit, als auf dem Feld "König Richard" regierte. Richard Hofmann, Mittelstürmer von Meerane 07 und später des Dresdner SC, stand noch am Beginn seiner DFB-Karriere, und erzielte am 28. Mai 1928 erstmals drei Tore in einem Länderspiel. Man würde sich daran gewöhnen, es folgten noch vier Dreierpacks von ihm bis 1932.

Erstmals war so etwas wie WM-Fieber in deutschen Landen zu spüren, denn die weltbeste Fußballmannschaft wurde bis dahin eben bei Olympia ermittelt. "Hat Deutschland Weltmeisterchancen?", fragte der "Fußball" seine Leser und dämpfte etwas: "Kaum, aber Aussichten auf Platzierung bei den zwei nachfolgenden Ländern." Also auf Silber oder Bronze. Reporter Richard Kirn schilderte die Atmosphäre nach dem Schweiz-Spiel: "Das Deutschlandlied durchklingt das Wunderwerk des Stadions. Der deutsche Block steht entblößten Hauptes da. Heiße Freude ist in uns allen. Wir durften Deutschlands Sieg erleben, und nicht nur das, sondern ein ausgezeichnetes Fußballspiel."

Welch krasser Gegensatz der Gefühle ergab sich am 3. Juni 1928. Vor nunmehr 45.000 Zuschauern kam es zur Premiere mit Uruguay, dem Titelverteidiger. Es war auch die Südamerika-Premiere für eine DFB-Auswahl und es wurde das erste Skandalspiel der Verbandshistorie. 8000 Deutsche machten sich unter den 45.000 Besuchern bemerkbar. Wer nur Fußball sehen wollte, bereute sein Kommen. Spektakel aber gab es genug. Die Uruguayer legten eine harte Gangart an den Tag. Nach dem 1:0 durch Petrone provozierte der Torschütze DFB-Kapitän Hans Kalb, der ließ sich in der 37. Minute zu einem Revanchefoul hinreißen und schrieb damit Geschichte: es war der erste Platzverweis in der deutschen Länderspiel-Geschichte – im 66. Spiel. Castro erhöhte prompt auf 2:0 und als derselbe Spieler nach 64 Minuten erneut traf, war alles entschieden. Richard Hofmann glückte zwar per Freistoß noch der Ehrentreffer, aber seine Freude währte nur kurz. Das 4:1 fiel und unmittelbar danach leistete sich auch Hofmann ein Revanchefoul – und so stellte der Ägypter Youssef Mohammed nebst Provokateur Nasazzi einen zweiten Deutschen vom Platz.

Das blieb (zum Glück) einmalig in der DFB-Historie. Hans Kalb fühlte sich besonders ungerecht behandelt und wurde von DFB-Generalsekretär Alfred Blaschke in der Halbzeit in der Kabine eingeschlossen, um sich abzukühlen. Kalb war so wütend, dass er nachts das Quartier verließ. Er spielte nie mehr für Deutschland, auch nachdem seine einjährige Sperre abgelaufen war. Hofmann, den die gleiche Strafe ereilte, kehrte dagegen zurück. Der spontane Groll der Volksseele aber galt dem Schiedsrichter, "der kann vielleicht Honolulu gegen Westindien schiedsrichtern, aber niemals das Treffen zweier so starker Mannschaften", zeterte Sonderberichterstatter Kirn im "Fußball", denn "er bevorzugte Uruguay, wo es nur möglich war." Kirns Fazit: "Es war ein häßliches Spiel." Am verdienten Sieg der "Urus" zweifelten aber auch deutsche Berichterstatter nicht. Das zweite Olympia-Abenteuer endete, da der K.o.-Modus galt, trotz weit höherer Erwartungen also noch eher als das erste – nach nur zwei Spielen.

Frühes aus bei den Propagandaspielen

1936 in Berlin sollten es natürlich mehr werden. Blamagen hatten keinen Platz bei den Propagandaspielen der Nazis. Tatsächlich belegte Deutschland zum bis dato einzigen Mal den ersten Platz im Medaillenspiegel, aber die Fußballer trugen dazu nichts bei. Dabei ging die Auswahl von Otto Nerz mit frischem Selbstbewusstsein ins Rennen, hatte sie doch bei der ersten WM einen sensationellen dritten Platz belegt und sich 1934 mit dem Titel "Weltmeister der Amateure" schmücken dürfen, da die Finalisten Italien und Tschechoslowakei mit Profis spielten, die es in Deutschland offiziell nicht gab. Bei Olympia durfte es sie auch nicht geben, da war eine Medaille fest eingeplant. Aus 40 Spielern wählte Nerz in einem dreiwöchigen Lehrgang seine 18 Olympioniken, die er militärisch drillte. Wecken um sieben Uhr, zwei Einheiten pro Tag. Sie enthielten 400-Meter-Läufe unter 65 Sekunden, danach je zwei 200-Meter-Sprints.

Quasi zum Aufwärmen gab es in der ersten Runde vor 10.000 im Poststadion ein 9:0 gegen Luxemburg, je drei Tore erzielten der Schalker Alfred Urban und der Koblenzer Debütant Josef Gauchel. Doch alle Medaillenträume platzten schon in der 2. Runde, als sich ihnen am 7. August Außenseiter Norwegen im Berliner Poststadion in den Weg stellte. Der wurde vom früheren HSV-Spieler Halvorsen trainiert, der mit dem deutschen Fußball bestens vertraut war. Kollege Nerz quittierte vier Absagen wegen Zerrungen durch das intensive Training, außerdem mischte sich DFB-Präsident Felix Linnemann, im Hauptberuf Kriminalrat, in die Aufstellung ein: "Es warten noch schwerere Spiele auf uns als gegen Norwegen. Deswegen setzen wir einige junge Talente ein." Nerz schluckte, aber er intervenierte nicht und setzte zwei Reservisten ein, denn auch im Fußball galt damals das Führerprinzip.

Die Folgen waren fatal: im bis dahin wichtigsten Spiel gegen die Skandinavier kam es zur ersten Niederlage und damit zum Aus. Das 0:2 durch zwei Treffer von Isaksen (6., 85.) war "die bitterste Niederlage, die Deutschland je hat hinnehmen müssen", heißt es in der Länderspielchronik von Lutz Koch aus dem Jahr 1937. Sie war deshalb so bitter, weil sie verdient und fahrlässig herbeigeführt worden war und weil sie sich vor den Augen des "Führers" abgespielt hatte. Reichskanzler Adolf Hitler war einer von 55.000 Zuschauern, an seiner Seite die Spitzen der Partei und Propagandaminister Joseph Goebbels, der in sein Tagebuch schrieb: "Der Führer ist ganz aufgeregt, ich kann mich kaum halten. Ein richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie." Und eine Enttäuschung wie nie zuvor – und das bei Hitlers erstem Besuch eines Fußballspiels, den er noch vor Abpfiff jäh beendete. "Trotz allem, der Führer wird von diesem Ereignis einen nachhaltigen Eindruck mitgenommen haben. Es war ein Fußballkampf von ungewöhnlicher Dramatik und Rasse", schrieb der "Fußball" beschönigend.

Auf Nerz folgt Herberger

Intern wurde nichts beschönigt, noch am Abend musste Nerz im Charlottenburger Polizeibüro des Kriminalrats Felix Linnemann Rede und Antwort stehen, auch die Spieler Reinhold Münzenberg und Karl Hohmann wurden, quasi als Zeugen, gehört. Offen beklagten sie sich über den militärischen Drill, die wenigen Ruhephasen (Hohmann: "Auf gut Deutsch, wir hatten nicht mal Zeit zum Kacken!") und Konditionstraining selbst noch am Spieltag. Ernst Lehner, der Rechtsaußen aus Augsburg, merkte in seinen Memoiren an: "Das Übertraining rächte sich gerade in dem Augenblick, als es galt, in Höchstform zu sein. Nerz hatte ehrlich das Beste gewollt, aber das Gegenteil erreicht."

Nerz wurde beurlaubt, dann noch einmal zurückgeholt, doch mit Sepp Herberger sein Nachfolger bereits aufgebaut. Die Karriere des Weltmeistertrainers wäre womöglich ganz anders verlaufen. Herberger war übrigens damals gar nicht im Stadion, weil er ein anderes Spiel beobachten musste, und verzehrte gerade ein Eisbein, als er das Ergebnis erfuhr. Er konnte es nicht glauben und fortan nie wieder Eisbein essen.

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Der Start ins Olympische Fußballturnier 2021 steht kurz bevor. Zeit für DFB.de, auf vergangene Teilnahmen zurückzuschauen. In Teil eins der Olympiaserie: Die ersten olympischen Gehversuche mit einem Jahrhundertrekord und bitteren Enttäuschungen.

Die erste Reise zu einem Turnier in der Historie der 1908 gegründeten deutschen Nationalmannschaft war akribisch geplant. 22 Spieler in blauen Anzügen, fünf Funktionäre und "ein Trainer", dessen Namen das DFB-Jahrbuch verschwieg, fuhren gen Schweden. Übrigens elf weniger als erlaubt, der Spielausschuss hielt einen 33er-Kader für etwas überzogen.

Das Unternehmen kostete den DFB 12.400 Reichsmark, wovon der Deutsche Reichsausschuss für Olympische Spiele 5368 Mark trug. Mit Zug und Schiff reiste die Delegation am 26. Juni von Berlin aus nach Stockholm, wo sie gleich nach der Ankunft der Königin, die aus dem Hause Baden stammte, eine telegrafische Huldigung überbrachte. Der Wortlaut ist überliefert: "Ihre Majestät der Königin Viktoria von Schweden! Eurer Majestät legen die deutschen olympischen Fußballspieler, darunter 10 Badener, ehrerbietigsten Gruß zu Füßen. Dr. Hofmann, Professor Hefner; Hotel Kronprinzen." Majestät war entzückt und antwortete umgehend: "Beste Wünsche für Ihren Aufenthalt in Schweden."

Die fruchteten zunächst nicht. Schon nach dem ersten Spiel am 29. Juni 1912 war der Medaillentraum geplatzt. Gegen Österreich gab es vor 2000 Zuschauern trotz Pausenführung durch Adolf Jäger (Altona 93) eine 1:5-Packung. Vor allem deshalb, weil Torwart Albert Weber nach 52 Minuten gegen den Torpfosten geprallt war, sich eine Gehirnerschütterung zuzog und fünf Minuten und zwei Gegentore später ohnmächtig wurde. Auswechseln des Torwarts war nur mit gegnerischer Zustimmung erlaubt und die blieb aus. Stürmer Willi Worpitzky musste ins Tor und "seine begreifliche Unsicherheit nutzte Österreich aus" (DFB-Jahrbuch). Der Aushilfskeeper musste noch drei Tore hinnehmen. Ein einmaliges Missgeschick in der DFB-Historie! Das Viertelfinale war somit verfehlt, aber damit keine Mannschaft nur für ein Spiel anreisen musste, gab es eine Trostrunde und sie trösteten sich reichlich.

Rekordsieg und Bordfest-Legende

Am 1. Juli 1912 traf man vor 600 bis 1000 Zuschauern, die Angaben differieren, auf dem Nebenplatz des Rasunda-Stadions auf die Russen. Das Spiel erbrachte einen noch immer gültigen Rekordsieg der DFB-Geschichte (16:0) und wird von einer Legende umrankt, die immer wieder erzählt wird. Sicher ist nur: Es gab ein rauschendes Bankett auf einem Schiff, an dem beide Mannschaften teilnahmen. Ob vor oder nach dem Spiel – das ist nicht ganz unerheblich für die Bewertung – war stets die Frage. Das "Sport Magazin" zitierte im August 1955 einen Augenzeugen von 1912, den Journalisten R. Volderauer so: "Dieses Stockholmer Länderspiel bedeutet für alle, die vor 43 Jahren dabei waren, Erinnerungen an zauberhafte Sommerabende im Lande der Mitternachtssonne, an Kavaliere aus dem kaiserlichen Russland mit Bordfesten bei Kaviar, Wodka und Balalaika-Musik".

Bei Gerd Krämer ("Im Dress der elf Besten") heißt es 1965: "Die als Fußballer noch unerfahrenen kaiserlichen Russen, alles hochgewachsene, athletische Gestalten, erweisen sich als wahre Kavaliere. Sie wohnen auf einem elegant eingerichteten Schiff und laden ihren deutschen Gegner zu einem feenhaften Abend-Bordfest ein, einer rauschenden (Fuß-) Ballnacht in den Schären von Stockholm mit Kaviar, Krimsekt, Wodka und Balalaika-Musik." Ein Zeitpunkt wird in beiden Quellen nicht genannt.

Auch 1912 dürfte man beim DFB sicher der Ansicht gewesen sein, dass ein Bordfest der optimalen Vorbereitung kaum dienen mochte – und Bankette fanden gewöhnlich nach einem Spiel statt. Ludger Schulze schrieb denn auch in seinem Buch "Die Mannschaft" 1986: "Den Russen hat die furchtbare Niederlage keinen seelischen Schmerz zugefügt. Am Abend luden sie auf ihrem Luxusschiff zu einem märchenhaften Fest ein."

Jüngere Berichte haben das jedoch wieder konterkariert und den Eindruck eines kollektiven Besäufnisses vor dem Spiel erweckt, das nur den Russen geschadet habe. "Möglich wurde dieser Rekord nur, weil die Russen am Abend zuvor zu tief ins Glas geschaut hatten", steht etwa im Buch "Verrückte Nationalelf" (2003). Bis in diese Tage hält sich diese Version, deren Ursprung völlig unklar ist und nie belegt wurde. So stand 2008 im Berliner Tagesspiegel: "Entgegen der landläufigen Meinung, nach der Russen schwer unter den Tisch zu trinken sind, haben die Deutschen deutliche Vorteile. Sie kommen auch mit dem Kater besser klar. Die wenigen Zuschauer staunen über die Probleme, die den Russen schon das Geradeauslaufen bereitet." Interessant ist freilich, dass die Deutschen ihre Elf gegenüber dem Auftaktspiel komplett durchwechselten. Vielleicht war ja nur die erste Garnitur auf dem Fest?

"Promille-These" als Märchen entlarvt

Gegen die "Promille-These" spricht indes die Aussage des Torhüters Adolf "Adsch" Weber, der im zweiten Spiel zum Einsatz kam. Das "Sport Magazin" zitierte am 8. September 1955 aus einem Interview mit dem einstigen Nationalspieler von Holstein Kiel: "Werner erzählte weiter, dass die Russen damals wie aufgescheuchte Hühner umhergelaufen seien, es ihnen aber nichts ausgemacht habe, 16:0 zu verlieren. Beim Bankett waren sie sogar noch froh, daß die Niederlage nicht höher ausgefallen war." Es gab also ein Bankett nach dem Spiel – wie üblich. Es wird Zeit, die Legende von den trinkfesten deutschen Siegern gegen nicht ganz nüchterne Russen allmählich als das zu benennen, was sie sehr wahrscheinlich ist – ein Märchen. Zumal sie zwei Rekorde der DFB-Historie schmälert. Der höchste Länderspielsieg und die höchste Torzahl eines Spielers – der Karlsruher Gottfried Fuchs traf zehnmal. Das Endergebnis war übrigens schon nach 69 Minuten erreicht, "dann hörten die Stürmer auf, gut zu spielen, während der russische Torwächter wesentlich besser wurde, so daß kein Tor mehr fiel", heißt es im Fachblatt "Fußball und Leichtathletik". Nach Ecken war es nur ein 3:2 für Deutschland. "Das Spiel war alles andere als schön, dazu war unser Gegner zu schwach", ordnete die "Süddeutsche Sportzeitung" das Ergebnis für ihre Leser ein.

Mag also sein, dass der Gegner, dessen Spieler auch an den Kugelstoß- und Reitwettbewerben teilnahmen, nicht gerade höchstes Niveau verkörperte, die Umstände waren indes weder irregulär noch grotesk. Um die Torschützen gab es übrigens auch einige Rätsel. Die Presse berichtete wenig und sehr fehlerhaft vom deutschen Rekord-Sieg. So lesen wir gleichlautend in der "BZ am Mittag" und der "Berliner Morgenpost" vom 2. Juli 1912: "Deutschland schlug Russland ganz überlegen 16:0 (Halbzeit: 8:0). Hirsch trat acht, Förderer fünf Tore." Dabei spielte Julius Hirsch gar nicht mit, offenbar wurde er mit Klubkamerad Gottfried Fuchs vom Karlsruher FV verwechselt. Die beiden sind die einzigen jüdischen Spieler in der Geschichte der Nationalmannschaft. Die "Süddeutsche Sportzeitung" kommt in ihrer Aufzählung auf neun Fuchs-Tore, spricht aber an anderer Stelle von zehn. Offiziell waren es jedenfalls zehn, so steht es auch in der DFB-Statistik.

Auch fünf weitere Tore gingen an jenem 1. Juli 1912 auf das Konto Karlsruher Spieler. Fritz Förderer, wie Fuchs beim KFV, markierte vier, Emil Oberle von Phönix Karlsruhe und der Fürther Karl Burger, der eine Ecke direkt verwandelte, machten das 16:0-Schützenfest komplett. Kurios: Der DFB-Jahresbericht verschwieg sogar die Torschützen und handelte den Rekordsieg kurz ab.  "Deutschland war den Russen an Zusammenspiel und Technik weit überlegen und erzielte in gleichmäßigen Abständen in jeder Spielhälfte acht Tore, somit 16:0, das höchste Ergebnis, das in Olympischen Spielen bisher erreicht worden ist." Keeper Werner hatte am wenigsten Spaß am Schützenfest: "Nur einmal prüften mich die Russen beim 16:0 in Stockholm. Es war ein Schuss von der Strafraumlinie aus und ich musste in die linke Ecke tauchen. Das aber war alles. Herzlich wenig, denn ein Torhüter will beschäftigt sein."

Zwei Tage später bekam er mehr zu tun. Die Trostrunde endete mit einer 1:3-Niederlage gegen die Ungarn, gleich dreimal wurde der gehandicapte Keeper (steifes Bein) von Mittelstürmer Schlosser-Lakatos überwunden. Für Deutschland traf nur Förderer, während Fuchs sein Pulver schon verschossen hatte. Nach der Rückkehr wurde er dennoch ausgezeichnet. Der preußische Kronprinz Wilhelm überreichte ihm einen Silberpokal für seinen Rekord, der seit 109 Jahren Bestand hat und wohl einer für die Ewigkeit ist.

Zwei Platzverweise in Amsterdam

Dann kam der erste Weltkrieg und erst 1928 waren die als Kriegsverursacher gebrandmarkten Deutschen wieder bei Olympia dabei. In Amsterdam wurde erneut DFB-Geschichte geschrieben, diesmal unrühmliche. Erstmals reiste die Nationalelf mit einem hauptamtlichen Trainer zu einem Turnier, Otto Nerz war seit Oktober 1926 Reichstrainer. Er debütierte dort, wo nun die olympische Flagge wehte, mit einem 3:2-Sieg. Als gutes Omen sollte es sich nicht erweisen. Das Turnier hatte, parallel zum Aufschwung des Fußballs zum Volkssport Nummer eins, einen weit höheren Stellenwert als 1912. Nerz veranstaltete im Vorfeld Lehrgänge und Testspiele gegen britische Profiklubs, seit Amtsantritt war alles auf Olympia 1928 ausgerichtet – zumal es noch keine WM gab. Kapitän Hans Kalb (Nürnberg) pushte seine Kameraden: "Freunde, Millionen Deutsche schauen auf uns." Was ohne Fernseher noch etwas anders zu verstehen war. Wahrhaftig zusehen wollten immerhin 10.000 Schlachtenbummler, die an Pfingsten den Weg über die Grenze antraten. Zum Auftakt gab es ein überraschend deutliches 4:0 gegen die Schweiz, die 1924 in Paris noch die Silbermedaille geholt hatte. Es war die Zeit, als auf dem Feld "König Richard" regierte. Richard Hofmann, Mittelstürmer von Meerane 07 und später des Dresdner SC, stand noch am Beginn seiner DFB-Karriere, und erzielte am 28. Mai 1928 erstmals drei Tore in einem Länderspiel. Man würde sich daran gewöhnen, es folgten noch vier Dreierpacks von ihm bis 1932.

Erstmals war so etwas wie WM-Fieber in deutschen Landen zu spüren, denn die weltbeste Fußballmannschaft wurde bis dahin eben bei Olympia ermittelt. "Hat Deutschland Weltmeisterchancen?", fragte der "Fußball" seine Leser und dämpfte etwas: "Kaum, aber Aussichten auf Platzierung bei den zwei nachfolgenden Ländern." Also auf Silber oder Bronze. Reporter Richard Kirn schilderte die Atmosphäre nach dem Schweiz-Spiel: "Das Deutschlandlied durchklingt das Wunderwerk des Stadions. Der deutsche Block steht entblößten Hauptes da. Heiße Freude ist in uns allen. Wir durften Deutschlands Sieg erleben, und nicht nur das, sondern ein ausgezeichnetes Fußballspiel."

Welch krasser Gegensatz der Gefühle ergab sich am 3. Juni 1928. Vor nunmehr 45.000 Zuschauern kam es zur Premiere mit Uruguay, dem Titelverteidiger. Es war auch die Südamerika-Premiere für eine DFB-Auswahl und es wurde das erste Skandalspiel der Verbandshistorie. 8000 Deutsche machten sich unter den 45.000 Besuchern bemerkbar. Wer nur Fußball sehen wollte, bereute sein Kommen. Spektakel aber gab es genug. Die Uruguayer legten eine harte Gangart an den Tag. Nach dem 1:0 durch Petrone provozierte der Torschütze DFB-Kapitän Hans Kalb, der ließ sich in der 37. Minute zu einem Revanchefoul hinreißen und schrieb damit Geschichte: es war der erste Platzverweis in der deutschen Länderspiel-Geschichte – im 66. Spiel. Castro erhöhte prompt auf 2:0 und als derselbe Spieler nach 64 Minuten erneut traf, war alles entschieden. Richard Hofmann glückte zwar per Freistoß noch der Ehrentreffer, aber seine Freude währte nur kurz. Das 4:1 fiel und unmittelbar danach leistete sich auch Hofmann ein Revanchefoul – und so stellte der Ägypter Youssef Mohammed nebst Provokateur Nasazzi einen zweiten Deutschen vom Platz.

Das blieb (zum Glück) einmalig in der DFB-Historie. Hans Kalb fühlte sich besonders ungerecht behandelt und wurde von DFB-Generalsekretär Alfred Blaschke in der Halbzeit in der Kabine eingeschlossen, um sich abzukühlen. Kalb war so wütend, dass er nachts das Quartier verließ. Er spielte nie mehr für Deutschland, auch nachdem seine einjährige Sperre abgelaufen war. Hofmann, den die gleiche Strafe ereilte, kehrte dagegen zurück. Der spontane Groll der Volksseele aber galt dem Schiedsrichter, "der kann vielleicht Honolulu gegen Westindien schiedsrichtern, aber niemals das Treffen zweier so starker Mannschaften", zeterte Sonderberichterstatter Kirn im "Fußball", denn "er bevorzugte Uruguay, wo es nur möglich war." Kirns Fazit: "Es war ein häßliches Spiel." Am verdienten Sieg der "Urus" zweifelten aber auch deutsche Berichterstatter nicht. Das zweite Olympia-Abenteuer endete, da der K.o.-Modus galt, trotz weit höherer Erwartungen also noch eher als das erste – nach nur zwei Spielen.

Frühes aus bei den Propagandaspielen

1936 in Berlin sollten es natürlich mehr werden. Blamagen hatten keinen Platz bei den Propagandaspielen der Nazis. Tatsächlich belegte Deutschland zum bis dato einzigen Mal den ersten Platz im Medaillenspiegel, aber die Fußballer trugen dazu nichts bei. Dabei ging die Auswahl von Otto Nerz mit frischem Selbstbewusstsein ins Rennen, hatte sie doch bei der ersten WM einen sensationellen dritten Platz belegt und sich 1934 mit dem Titel "Weltmeister der Amateure" schmücken dürfen, da die Finalisten Italien und Tschechoslowakei mit Profis spielten, die es in Deutschland offiziell nicht gab. Bei Olympia durfte es sie auch nicht geben, da war eine Medaille fest eingeplant. Aus 40 Spielern wählte Nerz in einem dreiwöchigen Lehrgang seine 18 Olympioniken, die er militärisch drillte. Wecken um sieben Uhr, zwei Einheiten pro Tag. Sie enthielten 400-Meter-Läufe unter 65 Sekunden, danach je zwei 200-Meter-Sprints.

Quasi zum Aufwärmen gab es in der ersten Runde vor 10.000 im Poststadion ein 9:0 gegen Luxemburg, je drei Tore erzielten der Schalker Alfred Urban und der Koblenzer Debütant Josef Gauchel. Doch alle Medaillenträume platzten schon in der 2. Runde, als sich ihnen am 7. August Außenseiter Norwegen im Berliner Poststadion in den Weg stellte. Der wurde vom früheren HSV-Spieler Halvorsen trainiert, der mit dem deutschen Fußball bestens vertraut war. Kollege Nerz quittierte vier Absagen wegen Zerrungen durch das intensive Training, außerdem mischte sich DFB-Präsident Felix Linnemann, im Hauptberuf Kriminalrat, in die Aufstellung ein: "Es warten noch schwerere Spiele auf uns als gegen Norwegen. Deswegen setzen wir einige junge Talente ein." Nerz schluckte, aber er intervenierte nicht und setzte zwei Reservisten ein, denn auch im Fußball galt damals das Führerprinzip.

Die Folgen waren fatal: im bis dahin wichtigsten Spiel gegen die Skandinavier kam es zur ersten Niederlage und damit zum Aus. Das 0:2 durch zwei Treffer von Isaksen (6., 85.) war "die bitterste Niederlage, die Deutschland je hat hinnehmen müssen", heißt es in der Länderspielchronik von Lutz Koch aus dem Jahr 1937. Sie war deshalb so bitter, weil sie verdient und fahrlässig herbeigeführt worden war und weil sie sich vor den Augen des "Führers" abgespielt hatte. Reichskanzler Adolf Hitler war einer von 55.000 Zuschauern, an seiner Seite die Spitzen der Partei und Propagandaminister Joseph Goebbels, der in sein Tagebuch schrieb: "Der Führer ist ganz aufgeregt, ich kann mich kaum halten. Ein richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie." Und eine Enttäuschung wie nie zuvor – und das bei Hitlers erstem Besuch eines Fußballspiels, den er noch vor Abpfiff jäh beendete. "Trotz allem, der Führer wird von diesem Ereignis einen nachhaltigen Eindruck mitgenommen haben. Es war ein Fußballkampf von ungewöhnlicher Dramatik und Rasse", schrieb der "Fußball" beschönigend.

Auf Nerz folgt Herberger

Intern wurde nichts beschönigt, noch am Abend musste Nerz im Charlottenburger Polizeibüro des Kriminalrats Felix Linnemann Rede und Antwort stehen, auch die Spieler Reinhold Münzenberg und Karl Hohmann wurden, quasi als Zeugen, gehört. Offen beklagten sie sich über den militärischen Drill, die wenigen Ruhephasen (Hohmann: "Auf gut Deutsch, wir hatten nicht mal Zeit zum Kacken!") und Konditionstraining selbst noch am Spieltag. Ernst Lehner, der Rechtsaußen aus Augsburg, merkte in seinen Memoiren an: "Das Übertraining rächte sich gerade in dem Augenblick, als es galt, in Höchstform zu sein. Nerz hatte ehrlich das Beste gewollt, aber das Gegenteil erreicht."

Nerz wurde beurlaubt, dann noch einmal zurückgeholt, doch mit Sepp Herberger sein Nachfolger bereits aufgebaut. Die Karriere des Weltmeistertrainers wäre womöglich ganz anders verlaufen. Herberger war übrigens damals gar nicht im Stadion, weil er ein anderes Spiel beobachten musste, und verzehrte gerade ein Eisbein, als er das Ergebnis erfuhr. Er konnte es nicht glauben und fortan nie wieder Eisbein essen.

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