Thiam: "Es darf nicht tabu sein, über Rassismus zu sprechen"

Auf der Veranstaltung zu Strategien gegen Rassismus beim ersten von drei Fachtagen "Vielfalt und Anti-Diskriminierung" von DFB und DFL am heutigen Freitag ist Pablo Thiam, der ehemalige Bundesligaprofi und heutige Leiter der Fußball-Akademie des VfL Wolfsburg, ein Podiumsgast. Mit DFB.de spricht der 47 Jahre alte Thiam, der in seiner Laufbahn für den 1. FC Köln, FC Bayern München und VfL Wolfsburg 311 Bundesligaspiele bestritt, darüber.

DFB.de: Herr Thiam, Sie sind Podiumsgast des Fachtags, zu dem DFB und DFL gemeinsam eingeladen und zu dem sich mehr als 200 Teilnehmer*innen angemeldet haben. Viele Menschen, die tagtäglich den Fußball gestalten. Wie wird Ihre Botschaft lauten?

Pablo Thiam: Dass es nicht tabu sein darf, über Rassismus zu sprechen, vor allem immer dann, wenn etwas passiert. Wenn es im Stadion oder im Verein zu einer rassistischen Anfeindung kommt. Aber auch in weniger angespannten Momenten. Wir müssen darüber reden, was Rassismus kennzeichnet und was wir gemeinsam dagegen machen können. Die Lösung ist Kommunikation, dass wir aufeinander zugehen. Wir müssen miteinander sprechen und immer noch bestehende gedankliche Grenzen überwinden. Nur eine offene und ehrliche Kommunikation, die auch mal unangenehm sein darf, hilft uns weiter.

DFB.de: Im Dezember vergangenen Jahres haben Sie in einem Beitrag für das Fußballmagazin 11Freunde darüber gesprochen, dass im Fußball der 90er-Jahre Rassismus ausgeblendet wurde. Jungen Spielern wurde damals geraten, die Anfeindungen einfach zu ignorieren. Was lief damals falsch?

Thiam: Damals herrschte im Fußball eine weitaus größere Unwissenheit als heute. Man habe doch leider keinerlei Handhabe, so war damals die Haltung. Es gab noch keine Blaupause zur Problemlösung. Wir müssen ja auch sehen, dass Deutschland im Vergleich zu Kolonialmächten wie Frankreich, England oder Belgien deutlich weniger farbige Menschen im Land hatte. Erwin Kostedde und Jimmy Hartwig, die spielten vor mir in der Bundesliga. Aber Anfang der 90er-Jahre gehörte ich immer noch zu den ersten schwarzen Spielern, die ganz oben im Fußball in Deutschland angekommen waren. Manche Leute wussten damals gar nicht, wie sie mit meinem Anderssein umgehen sollen. Die haben mir durch die Haare gewuschelt und gesagt: "Das schaut ja niedlich aus." Rassismus? Klar. Aber auch teils erschreckende Unsicherheit.

DFB.de: Auch in den Stadien kam es zu beklemmenden Situationen. Jimmy Hartwig erzählt, wie er vor einem Block stand, der ihn mit einem rassistischen Sprechchor attackierte. Zu oft folgte keinerlei Ahndung. Wollte man damals seitens der Vereine um jeden Preis jeden zahlenden Fan im Stadion behalten?

Thiam: Das kann ich im Nachgang nicht sagen. Man braucht als Profiverein sicher die Zuschauereinnahmen. Das könnte damals also schon eine Überlegung gewesen sein. Der größere Faktor aber war die Unsicherheit, die Unfähigkeit, Rassismus einschätzen zu können. Der Trainer, der zu mir sagte: "Junge, mach' dir nichts daraus, das sind Idioten." Der hat es doch ehrlich gemeint. Heute reagieren wir glücklicherweise anders.

DFB.de: Wie kann es sein, dass kein einziger schwarzer Cheftrainer in der Bundesliga im Amt ist?

Thiam: Ach ja, das ist doch kein Phänomen, was nur im deutschen Fußball zu beobachten ist. In der NFL gibt es sogar eine Regel, dass bei jeder Neubesetzung des Cheftrainerpostens ein Mitglied einer ethnischen Minorität eingeladen wird. Das geschieht, meistens bekommt derjenige den Job dann trotzdem nicht. Unterschwellig wird bei schwarzen Fußballtrainern in Deutschland eine Mentalität gesehen, die vielleicht nicht der deutschen Malocher-Fußballmentalität entspricht. Seit einigen Jahren aber hat die Zahl der schwarzen Spieler in den Ligen deutlich zugenommen. Das stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft, auch auf der Trainerbank. Ich bin der erste schwarze Ex-Fußballer, der eine Fußballakademie leitet. Gerald Asamoah ist verantwortlich in der Knappenschmiede auf Schalke, dazu noch Otto Addo bei Borussia Dortmund. Wir sind Pioniere. Wir müssen künftigen Generationen den Weg bereiten. Bei einem selbstverständlichen Umgang mit schwarzen Menschen in Toppositionen sind wir jedenfalls noch längst nicht angekommen. Nicht im Fußball und anderswo auch nicht.

DFB.de: Was ärgert Sie an der Rassismus-Debatte?

Thiam: Nicht, dass sie geführt wird, das war überfällig. Aber man muss die darüber sprechen lassen, die diese Erfahrung gemacht haben. Wenn bei einer TV-Sendung über Rassismus drei weiße Menschen diskutieren, schüttele ich nur den Kopf. Wenn eine weiße deutsche Schauspielerin sagt, in Deutschland gäbe es keinen Rassismus, wird es irgendwann absurd. Man muss schon schwarze Menschen mit ihren Erlebnissen an den Tisch holen. In den Medien, auch bei den Verbänden und Vereinen.

DFB.de: Bei einem Spiel der U 23 des VfL Wolfsburg vor ein paar Jahren wurden Sie von einem Zuschauer mit dem "N-Wort" beleidigt. Was passierte dann?

Thiam: Ich habe zunächst Anzeige erstattet. Nach längerer Zeit wurde ich aufgefordert, eine schriftliche Aussage abzugeben. Das hat alles sehr lange gedauert. Ich habe viel zu tun und den Vorgang versanden lassen. Mich verletzt so etwas nicht. Aber nicht jeder ist so robust. Ich denke an meine Mitmenschen, die nicht meinen Status haben. Das motiviert mich, meistens doch etwas dagegen zu unternehmen.

DFB.de: Wie beurteilen Sie den Rassismus insgesamt in der Gesellschaft?

Thiam: Es gab so viele Maßnahmen in den 90ern. "Zeig Rassismus die Rote Karte" oder "Mein Freund ist Ausländer". Damals dachten wir, jetzt geht es in die richtige Richtung. Dann kam die Flüchtlingskrise, das Erstarken der AfD, der Einzug des Nationalismus, bei den Holländern, den Ungarn, mit dem "Front National" bei den Franzosen, bei den Polen. Daraus entwickelte sich eine Gemengelage, die uns dahin gebracht hat, dass heute viele Menschen meinen, sie dürften Dinge sagen, die wir über Jahrzehnte für undenkbar und vor allem für unsagbar hielten. Was teils im Parlament gesagt wird, überträgt sich in die Gesellschaft. Das macht mich nachdenklich. Ich blicke nicht sonderlich zuversichtlich in die Zukunft, wenn es darum geht, rassistische Strömungen im Land wieder einzufangen.

DFB.de: In der Bundesliga steht der VfL Wolfsburg auf dem dritten Platz, sechs Punkte Abstand sind es zum Tabellenfünften Borussia Dortmund. Da reiben sich viele verwundert die Augen. Sie auch?

Thiam: Wir erleben die logische Konsequenz einer exzellenten Arbeit, gepaart mit einer gewissen Ruhe und viel Realismus. Jörg Schmadtke und Marcel Schäfer verkörpern diese Qualitäten. Der VfL Wolfsburg hat seine Identität gefunden. Wir sind ein bodenständiger Verein mit einer immer spürbaren familiären Atmosphäre. Schmadtke, Schäfer, unser Trainer Oliver Glasner und ich als Akademieleiter, wir kommen alle aus dem Fußball, wir haben alle schon viel erlebt und wir strahlen Ruhe aus. Wenn wir auf Platz fünf oder sechs stehen, bricht auch keine Hektik aus. Ich finde es super, wie die Mannschaft die gegenwärtige Situation annimmt. Wir sind Sportler, und damit ist auch ganz klar: Was wir einmal haben, möchten wir nicht mehr hergeben.

[th]

Auf der Veranstaltung zu Strategien gegen Rassismus beim ersten von drei Fachtagen "Vielfalt und Anti-Diskriminierung" von DFB und DFL am heutigen Freitag ist Pablo Thiam, der ehemalige Bundesligaprofi und heutige Leiter der Fußball-Akademie des VfL Wolfsburg, ein Podiumsgast. Mit DFB.de spricht der 47 Jahre alte Thiam, der in seiner Laufbahn für den 1. FC Köln, FC Bayern München und VfL Wolfsburg 311 Bundesligaspiele bestritt, darüber.

DFB.de: Herr Thiam, Sie sind Podiumsgast des Fachtags, zu dem DFB und DFL gemeinsam eingeladen und zu dem sich mehr als 200 Teilnehmer*innen angemeldet haben. Viele Menschen, die tagtäglich den Fußball gestalten. Wie wird Ihre Botschaft lauten?

Pablo Thiam: Dass es nicht tabu sein darf, über Rassismus zu sprechen, vor allem immer dann, wenn etwas passiert. Wenn es im Stadion oder im Verein zu einer rassistischen Anfeindung kommt. Aber auch in weniger angespannten Momenten. Wir müssen darüber reden, was Rassismus kennzeichnet und was wir gemeinsam dagegen machen können. Die Lösung ist Kommunikation, dass wir aufeinander zugehen. Wir müssen miteinander sprechen und immer noch bestehende gedankliche Grenzen überwinden. Nur eine offene und ehrliche Kommunikation, die auch mal unangenehm sein darf, hilft uns weiter.

DFB.de: Im Dezember vergangenen Jahres haben Sie in einem Beitrag für das Fußballmagazin 11Freunde darüber gesprochen, dass im Fußball der 90er-Jahre Rassismus ausgeblendet wurde. Jungen Spielern wurde damals geraten, die Anfeindungen einfach zu ignorieren. Was lief damals falsch?

Thiam: Damals herrschte im Fußball eine weitaus größere Unwissenheit als heute. Man habe doch leider keinerlei Handhabe, so war damals die Haltung. Es gab noch keine Blaupause zur Problemlösung. Wir müssen ja auch sehen, dass Deutschland im Vergleich zu Kolonialmächten wie Frankreich, England oder Belgien deutlich weniger farbige Menschen im Land hatte. Erwin Kostedde und Jimmy Hartwig, die spielten vor mir in der Bundesliga. Aber Anfang der 90er-Jahre gehörte ich immer noch zu den ersten schwarzen Spielern, die ganz oben im Fußball in Deutschland angekommen waren. Manche Leute wussten damals gar nicht, wie sie mit meinem Anderssein umgehen sollen. Die haben mir durch die Haare gewuschelt und gesagt: "Das schaut ja niedlich aus." Rassismus? Klar. Aber auch teils erschreckende Unsicherheit.

DFB.de: Auch in den Stadien kam es zu beklemmenden Situationen. Jimmy Hartwig erzählt, wie er vor einem Block stand, der ihn mit einem rassistischen Sprechchor attackierte. Zu oft folgte keinerlei Ahndung. Wollte man damals seitens der Vereine um jeden Preis jeden zahlenden Fan im Stadion behalten?

Thiam: Das kann ich im Nachgang nicht sagen. Man braucht als Profiverein sicher die Zuschauereinnahmen. Das könnte damals also schon eine Überlegung gewesen sein. Der größere Faktor aber war die Unsicherheit, die Unfähigkeit, Rassismus einschätzen zu können. Der Trainer, der zu mir sagte: "Junge, mach' dir nichts daraus, das sind Idioten." Der hat es doch ehrlich gemeint. Heute reagieren wir glücklicherweise anders.

DFB.de: Wie kann es sein, dass kein einziger schwarzer Cheftrainer in der Bundesliga im Amt ist?

Thiam: Ach ja, das ist doch kein Phänomen, was nur im deutschen Fußball zu beobachten ist. In der NFL gibt es sogar eine Regel, dass bei jeder Neubesetzung des Cheftrainerpostens ein Mitglied einer ethnischen Minorität eingeladen wird. Das geschieht, meistens bekommt derjenige den Job dann trotzdem nicht. Unterschwellig wird bei schwarzen Fußballtrainern in Deutschland eine Mentalität gesehen, die vielleicht nicht der deutschen Malocher-Fußballmentalität entspricht. Seit einigen Jahren aber hat die Zahl der schwarzen Spieler in den Ligen deutlich zugenommen. Das stimmt mich zuversichtlich für die Zukunft, auch auf der Trainerbank. Ich bin der erste schwarze Ex-Fußballer, der eine Fußballakademie leitet. Gerald Asamoah ist verantwortlich in der Knappenschmiede auf Schalke, dazu noch Otto Addo bei Borussia Dortmund. Wir sind Pioniere. Wir müssen künftigen Generationen den Weg bereiten. Bei einem selbstverständlichen Umgang mit schwarzen Menschen in Toppositionen sind wir jedenfalls noch längst nicht angekommen. Nicht im Fußball und anderswo auch nicht.

DFB.de: Was ärgert Sie an der Rassismus-Debatte?

Thiam: Nicht, dass sie geführt wird, das war überfällig. Aber man muss die darüber sprechen lassen, die diese Erfahrung gemacht haben. Wenn bei einer TV-Sendung über Rassismus drei weiße Menschen diskutieren, schüttele ich nur den Kopf. Wenn eine weiße deutsche Schauspielerin sagt, in Deutschland gäbe es keinen Rassismus, wird es irgendwann absurd. Man muss schon schwarze Menschen mit ihren Erlebnissen an den Tisch holen. In den Medien, auch bei den Verbänden und Vereinen.

DFB.de: Bei einem Spiel der U 23 des VfL Wolfsburg vor ein paar Jahren wurden Sie von einem Zuschauer mit dem "N-Wort" beleidigt. Was passierte dann?

Thiam: Ich habe zunächst Anzeige erstattet. Nach längerer Zeit wurde ich aufgefordert, eine schriftliche Aussage abzugeben. Das hat alles sehr lange gedauert. Ich habe viel zu tun und den Vorgang versanden lassen. Mich verletzt so etwas nicht. Aber nicht jeder ist so robust. Ich denke an meine Mitmenschen, die nicht meinen Status haben. Das motiviert mich, meistens doch etwas dagegen zu unternehmen.

DFB.de: Wie beurteilen Sie den Rassismus insgesamt in der Gesellschaft?

Thiam: Es gab so viele Maßnahmen in den 90ern. "Zeig Rassismus die Rote Karte" oder "Mein Freund ist Ausländer". Damals dachten wir, jetzt geht es in die richtige Richtung. Dann kam die Flüchtlingskrise, das Erstarken der AfD, der Einzug des Nationalismus, bei den Holländern, den Ungarn, mit dem "Front National" bei den Franzosen, bei den Polen. Daraus entwickelte sich eine Gemengelage, die uns dahin gebracht hat, dass heute viele Menschen meinen, sie dürften Dinge sagen, die wir über Jahrzehnte für undenkbar und vor allem für unsagbar hielten. Was teils im Parlament gesagt wird, überträgt sich in die Gesellschaft. Das macht mich nachdenklich. Ich blicke nicht sonderlich zuversichtlich in die Zukunft, wenn es darum geht, rassistische Strömungen im Land wieder einzufangen.

DFB.de: In der Bundesliga steht der VfL Wolfsburg auf dem dritten Platz, sechs Punkte Abstand sind es zum Tabellenfünften Borussia Dortmund. Da reiben sich viele verwundert die Augen. Sie auch?

Thiam: Wir erleben die logische Konsequenz einer exzellenten Arbeit, gepaart mit einer gewissen Ruhe und viel Realismus. Jörg Schmadtke und Marcel Schäfer verkörpern diese Qualitäten. Der VfL Wolfsburg hat seine Identität gefunden. Wir sind ein bodenständiger Verein mit einer immer spürbaren familiären Atmosphäre. Schmadtke, Schäfer, unser Trainer Oliver Glasner und ich als Akademieleiter, wir kommen alle aus dem Fußball, wir haben alle schon viel erlebt und wir strahlen Ruhe aus. Wenn wir auf Platz fünf oder sechs stehen, bricht auch keine Hektik aus. Ich finde es super, wie die Mannschaft die gegenwärtige Situation annimmt. Wir sind Sportler, und damit ist auch ganz klar: Was wir einmal haben, möchten wir nicht mehr hergeben.

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