Saison 2020/2021: Rekord in letzter Minute

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt der Autor und Historiker Udo Muras auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 2020/2021.

Samstag, 22. Mai 2021, 17.21 Uhr. Die Saison ging schon in ihre letzte Minute, da passierte es doch noch. Augsburgs Torwart Rafael Gikiewicz ließ einen Ball nach vorne abprallen, und Bayerns Mittelstürmer Robert Lewandowski bedankte sich herzlich für den einzigen Fehler seines bis dahin herausragenden polnischen Landsmanns. Lewandowskis Abstauber zum 5:2-Endstand schrieb Bundesligageschichte, es war das 41. Saisontor. Damit brach er den für unschlagbar gehaltenen Uraltrekord von Gerd Müller, der im Trikot desselben Vereins 1971/1972 auf 40 Tore gekommen war. Auch damals waren die Bayern Meister geworden und drehten unter dem Ohren betäubenden Jubel ihrer Fans im Olympiastadion eine Ehrenrunde. Und 2021? Serienmeisterschaft Nummer neun und ein Bundesligarekord - da hätte auch die Allianz Arena eskalieren können. Doch stattdessen herrschte Friedhofsruhe, nur 250 Zuschauer waren Zeuge des historischen Moments, den Lewandowski auf Knien und mit freiem Oberkörper an der Eckfahne zelebrierte.

Fußball im Zeichen der Pandemie

Es war der bizarre Schlussakt einer Saison, die wie keine war in 60 Jahren Bundesliga und die keiner mehr erleben möchte. Sie stand im Zeichen eines Virus, der die Verletzlichkeit der Menschheit in einer globalisierten Welt eindrucksvoll offenbarte. Im Frühjahr 2020 war Covid-19, im Volksmund Corona, von China aus über den Globus geflutet. Eine für besonders anfällige Menschen – die Virologen sprachen von "vulnerablen Gruppen" – tödliche Krankheit, gegen die es zunächst keinen Impfstoff gab und die sehr ansteckend war. Überall auf der Welt gab es Tote, die Intensivstationen der Krankenhäuser waren überlastet und die Menschheit trug Maske.

Den deutschen Fußball legte die Pandemie schon in der Rückrunde 2019/2020 lahm, im März wurde die Saison für sechs Wochen unterbrochen und endete erst Ende Juni nach Einführung eines Sicherheitskonzepts der DFL, das weltweit kopiert wurde. Es hatte seine Schattenseiten: Die Saison wurde in leeren Stadien beendet, auch das DFB-Pokalfinale in Berlin verlor so seine Magie. Im August 2020 gewannen die Bayern in einem leeren Stadion in Lissabon die Champions League. Ein großer Erfolg für die Erfolgsverwöhnten, aber was allen fehlte, war eine wohlige Gänsehaut.

Geisterspiele haben Hochkonjunktur

Die Europameisterschaft 2020 wurde um ein Jahr verschoben und die Saison 2020/2021 fing so spät an wie nur 1972, als es wegen Olympia in München auch erst Mitte September losging. Da der Sommer 2020 eine leichte Entspannung ergab und die Ansteckungen zurückgingen – die Deutschen lernten das Wort Inzidenz kennen und fürchteten und verfolgten ihren Wert täglich mit Bangen – startete die Saison dann wieder mit Zuschauern. Da, wo es das zuständige Gesundheitsamt erlaubte. In München etwa geschah das nur am besagten letzten Spieltag, so dass die 250 Zeitzeugen von Lewandowskis "Big Moment" Saisonrekord bedeuteten.

Volle Häuser gab es sowieso nie, die Partie Borussia Mönchengladbach – Union Berlin markierte mit 10.833 Zahlenden den Saisonrekord. Der Besuch eines Bundesligaspiels unterlag strengen Vorschriften, maximal zwei Personen durften zusammen sitzen, dann mussten mehrere Plätze frei bleiben. Stehplätze wurden gar nicht erst freigegeben.

Nach dem 5. Spieltag, als der Herbst schon begann und die Inzidenzen anstiegen, wurde das Experiment abgebrochen. Fortan blieben alle Stadien wieder komplett leer, abgesehen von Funktionsträgern und Journalisten, und Geisterspiele hatten Hochkonjunktur. Fieldinterviews wurden mit an Stangen baumelnden Mikrofonen geführt, Abstand halten war das Gebot der Stunde, das nur auf dem Rasen nicht eingehalten werden konnte. Es war eine groteske Show, die aber aus wirtschaftlichen Gründen weitergehen musste, das Fernsehen hatte für 306 Spiele bezahlt und sollte sie bekommen. Um die Zuschauer wenigstens auf der Couch bei der Stange zu halten, bot Pay-TV-Sender Sky gar die Option auf Fangesänge aus der Konserve an. Alle mussten ganz tapfer sein in jener Saison, in der die Bundesliga auf Sparflamme kochte.

Trotz fehlender Fans: Der Heimvorteil bleibt

Insgesamt gab es nur 37 Spiele mit Zuschauern, und so löste die Spielzeit 2020/2021 die von 1972/1973 ab, als nur 17.466 Menschen pro Spiel ein Ticket lösten. Der Tiefstwert aus dieser Saison wird hoffentlich ein ewiger bleiben: 524! In der Summe aller Spiele waren es knapp 160.000, was in normalen Zeiten von einem einzigen Spieltag weit übertroffen wird. Doch normal war nichts. Kurios, dass fehlende Fans nichts am Heimvorteil änderten – rein statistisch. Gab es im Vorjahr noch einen Rekord an Auswärtssiegen (115), ging die Anzahl nun deutlich zurück (96). Die Heimsiege nahmen moderat zu (von 123 auf 129). Mit Meister Bayern, dessen Trainer Hansi Flick zum Saisonende ausstieg, um alsbald Bundestrainer zu werden, und der Frankfurter Eintracht kamen erstmals seit vier Jahren wieder Teams ohne Heimniederlagen durch eine Saison.

Ob allerdings Schalke 04 mit Zuschauern auch eine solche Katastrophensaison gespielt hätte, sei einmal dahingestellt. Die Königsblauen starteten mit einem wegweisenden 0:8 bei den Bayern in die Saison, in der sie vier Trainer verschlissen und sogar den Jahrhundertcoach Huub Stevens aushilfsweise reaktivieren mussten, und stiegen mit 16 Punkten ab. Auch Werder Bremen reaktivierte eine Trainerlegende, doch Thomas Schaaf konnte in einem Spiel nichts mehr retten. Die schon im Vorjahr begonnene Talfahrt (Rettung in der Relegation) des Ex-Meisters endete 2021 mit dem Abstieg nach einem 2:4 gegen Mönchengladbach am letzten Spieltag – vor 100 Zuschauern. Vor dem Stadion allerdings warteten noch 2000, um ihrem Unmut Luft zu machen. Das zumindest war normal in der Saison, als der Fußball seine Fans aussperren musste.

Fakten zur 58. Saison

Meister: Bayern München
Pokalsieger Borussia Dortmund
Champions League-Teilnehmer: Bayern, Dortmund, Leipzig, Wolfsburg
Europa League: Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen
Conference League: Union Berlin
Tore: 928 (Vorjahr 988)
Trainerentlassungen: 12

Rekorde

  • Dortmunds Winterzugang Erling Haaland kam in 23 Einsätzen auf 27 Tore, in dem Alter (20 Jahre) schaffte das keiner.
  • Schalke beschäftigte inklusive Interimslösung Huub Stevens gleich fünf Trainer und stellte Duisburgs Rekord von 1977/1978 ein.
  • Die Bayern-Spieler Thomas Müller und David Alaba wurden zum zehnten Mal Meister und zogen am ehemaligen Mitspieler Franck Ribery vorbei.
  • Mainz 05 und Schalke zierten nach der Hinrunde mit sieben Punkten das Tabellenende. Statistisch bis dahin eine Garantie für den Abstieg – doch der FSV zog unter Saisontrainer Nummer drei, Bo Svensson, mit 32 Rückrundenpunkten (Vereinsrekord) den Kopf aus der Schlinge.
  • Absteiger Schalke holte seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995/1996 die wenigsten Punkte (16). 42 eingesetzte Spieler sind gar Bundesligarekord. An allen Spieltagen war Schalke auf einem Abstiegsplatz, wie zuvor nur  RW Oberhausen (1972/1973).
  • Nur 33 Spieler wurden des Feldes verwiesen – Rekord seit Einführung der Gelb-Roten Karte (1991/1992). Im Vorjahr waren es noch 55. 
  • [um]

Die Bundesliga wird 60. Eine der erfolgreichsten Ligen Europas steht kurz vor einem runden Jubiläum. Pünktlich dazu startet DFB.de eine neue Serie. In "60 Jahre Bundesliga" blickt der Autor und Historiker Udo Muras auf zehn besondere Spielzeiten der deutschen Eliteklasse zurück. Heute: die Saison 2020/2021.

Samstag, 22. Mai 2021, 17.21 Uhr. Die Saison ging schon in ihre letzte Minute, da passierte es doch noch. Augsburgs Torwart Rafael Gikiewicz ließ einen Ball nach vorne abprallen, und Bayerns Mittelstürmer Robert Lewandowski bedankte sich herzlich für den einzigen Fehler seines bis dahin herausragenden polnischen Landsmanns. Lewandowskis Abstauber zum 5:2-Endstand schrieb Bundesligageschichte, es war das 41. Saisontor. Damit brach er den für unschlagbar gehaltenen Uraltrekord von Gerd Müller, der im Trikot desselben Vereins 1971/1972 auf 40 Tore gekommen war. Auch damals waren die Bayern Meister geworden und drehten unter dem Ohren betäubenden Jubel ihrer Fans im Olympiastadion eine Ehrenrunde. Und 2021? Serienmeisterschaft Nummer neun und ein Bundesligarekord - da hätte auch die Allianz Arena eskalieren können. Doch stattdessen herrschte Friedhofsruhe, nur 250 Zuschauer waren Zeuge des historischen Moments, den Lewandowski auf Knien und mit freiem Oberkörper an der Eckfahne zelebrierte.

Fußball im Zeichen der Pandemie

Es war der bizarre Schlussakt einer Saison, die wie keine war in 60 Jahren Bundesliga und die keiner mehr erleben möchte. Sie stand im Zeichen eines Virus, der die Verletzlichkeit der Menschheit in einer globalisierten Welt eindrucksvoll offenbarte. Im Frühjahr 2020 war Covid-19, im Volksmund Corona, von China aus über den Globus geflutet. Eine für besonders anfällige Menschen – die Virologen sprachen von "vulnerablen Gruppen" – tödliche Krankheit, gegen die es zunächst keinen Impfstoff gab und die sehr ansteckend war. Überall auf der Welt gab es Tote, die Intensivstationen der Krankenhäuser waren überlastet und die Menschheit trug Maske.

Den deutschen Fußball legte die Pandemie schon in der Rückrunde 2019/2020 lahm, im März wurde die Saison für sechs Wochen unterbrochen und endete erst Ende Juni nach Einführung eines Sicherheitskonzepts der DFL, das weltweit kopiert wurde. Es hatte seine Schattenseiten: Die Saison wurde in leeren Stadien beendet, auch das DFB-Pokalfinale in Berlin verlor so seine Magie. Im August 2020 gewannen die Bayern in einem leeren Stadion in Lissabon die Champions League. Ein großer Erfolg für die Erfolgsverwöhnten, aber was allen fehlte, war eine wohlige Gänsehaut.

Geisterspiele haben Hochkonjunktur

Die Europameisterschaft 2020 wurde um ein Jahr verschoben und die Saison 2020/2021 fing so spät an wie nur 1972, als es wegen Olympia in München auch erst Mitte September losging. Da der Sommer 2020 eine leichte Entspannung ergab und die Ansteckungen zurückgingen – die Deutschen lernten das Wort Inzidenz kennen und fürchteten und verfolgten ihren Wert täglich mit Bangen – startete die Saison dann wieder mit Zuschauern. Da, wo es das zuständige Gesundheitsamt erlaubte. In München etwa geschah das nur am besagten letzten Spieltag, so dass die 250 Zeitzeugen von Lewandowskis "Big Moment" Saisonrekord bedeuteten.

Volle Häuser gab es sowieso nie, die Partie Borussia Mönchengladbach – Union Berlin markierte mit 10.833 Zahlenden den Saisonrekord. Der Besuch eines Bundesligaspiels unterlag strengen Vorschriften, maximal zwei Personen durften zusammen sitzen, dann mussten mehrere Plätze frei bleiben. Stehplätze wurden gar nicht erst freigegeben.

Nach dem 5. Spieltag, als der Herbst schon begann und die Inzidenzen anstiegen, wurde das Experiment abgebrochen. Fortan blieben alle Stadien wieder komplett leer, abgesehen von Funktionsträgern und Journalisten, und Geisterspiele hatten Hochkonjunktur. Fieldinterviews wurden mit an Stangen baumelnden Mikrofonen geführt, Abstand halten war das Gebot der Stunde, das nur auf dem Rasen nicht eingehalten werden konnte. Es war eine groteske Show, die aber aus wirtschaftlichen Gründen weitergehen musste, das Fernsehen hatte für 306 Spiele bezahlt und sollte sie bekommen. Um die Zuschauer wenigstens auf der Couch bei der Stange zu halten, bot Pay-TV-Sender Sky gar die Option auf Fangesänge aus der Konserve an. Alle mussten ganz tapfer sein in jener Saison, in der die Bundesliga auf Sparflamme kochte.

Trotz fehlender Fans: Der Heimvorteil bleibt

Insgesamt gab es nur 37 Spiele mit Zuschauern, und so löste die Spielzeit 2020/2021 die von 1972/1973 ab, als nur 17.466 Menschen pro Spiel ein Ticket lösten. Der Tiefstwert aus dieser Saison wird hoffentlich ein ewiger bleiben: 524! In der Summe aller Spiele waren es knapp 160.000, was in normalen Zeiten von einem einzigen Spieltag weit übertroffen wird. Doch normal war nichts. Kurios, dass fehlende Fans nichts am Heimvorteil änderten – rein statistisch. Gab es im Vorjahr noch einen Rekord an Auswärtssiegen (115), ging die Anzahl nun deutlich zurück (96). Die Heimsiege nahmen moderat zu (von 123 auf 129). Mit Meister Bayern, dessen Trainer Hansi Flick zum Saisonende ausstieg, um alsbald Bundestrainer zu werden, und der Frankfurter Eintracht kamen erstmals seit vier Jahren wieder Teams ohne Heimniederlagen durch eine Saison.

Ob allerdings Schalke 04 mit Zuschauern auch eine solche Katastrophensaison gespielt hätte, sei einmal dahingestellt. Die Königsblauen starteten mit einem wegweisenden 0:8 bei den Bayern in die Saison, in der sie vier Trainer verschlissen und sogar den Jahrhundertcoach Huub Stevens aushilfsweise reaktivieren mussten, und stiegen mit 16 Punkten ab. Auch Werder Bremen reaktivierte eine Trainerlegende, doch Thomas Schaaf konnte in einem Spiel nichts mehr retten. Die schon im Vorjahr begonnene Talfahrt (Rettung in der Relegation) des Ex-Meisters endete 2021 mit dem Abstieg nach einem 2:4 gegen Mönchengladbach am letzten Spieltag – vor 100 Zuschauern. Vor dem Stadion allerdings warteten noch 2000, um ihrem Unmut Luft zu machen. Das zumindest war normal in der Saison, als der Fußball seine Fans aussperren musste.

Fakten zur 58. Saison

Meister: Bayern München
Pokalsieger Borussia Dortmund
Champions League-Teilnehmer: Bayern, Dortmund, Leipzig, Wolfsburg
Europa League: Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen
Conference League: Union Berlin
Tore: 928 (Vorjahr 988)
Trainerentlassungen: 12

Rekorde

  • Dortmunds Winterzugang Erling Haaland kam in 23 Einsätzen auf 27 Tore, in dem Alter (20 Jahre) schaffte das keiner.
  • Schalke beschäftigte inklusive Interimslösung Huub Stevens gleich fünf Trainer und stellte Duisburgs Rekord von 1977/1978 ein.
  • Die Bayern-Spieler Thomas Müller und David Alaba wurden zum zehnten Mal Meister und zogen am ehemaligen Mitspieler Franck Ribery vorbei.
  • Mainz 05 und Schalke zierten nach der Hinrunde mit sieben Punkten das Tabellenende. Statistisch bis dahin eine Garantie für den Abstieg – doch der FSV zog unter Saisontrainer Nummer drei, Bo Svensson, mit 32 Rückrundenpunkten (Vereinsrekord) den Kopf aus der Schlinge.
  • Absteiger Schalke holte seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995/1996 die wenigsten Punkte (16). 42 eingesetzte Spieler sind gar Bundesligarekord. An allen Spieltagen war Schalke auf einem Abstiegsplatz, wie zuvor nur  RW Oberhausen (1972/1973).
  • Nur 33 Spieler wurden des Feldes verwiesen – Rekord seit Einführung der Gelb-Roten Karte (1991/1992). Im Vorjahr waren es noch 55. 
  • ###more###