Ramona Ziegenhahn über Kinderschutz: "Alle müssen aufmerksam sein"

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht sich seit vielen Jahren stark für den Kinderschutz. Und immer mehr Vereine richten präventive Strukturen ein, um das Wohl von Kindern und Jugendlichen bestmöglich zu sichern. Der Klub Victoria Hamburg im Norden der Hansestadt ist ein Gründungsmitglied des DFB und auch für die Zukunft überzeugend aufgestellt.

Ramona Ziegenhahn und ihr Mann haben sechs Kinder, für beide ist es die zweite Ehe, sie sind eine Patchwork-Familie, in der sich vieles um den Fußball dreht. Ihr Jüngster Elyas ist zwar erst dreieinhalb, aber spielt schon beim Victoria-Nachwuchs. Wie übrigens auch der Sohn des ehemaligen HSV-Spielmachers Rafael van der Vaart. Als ihr Verein Victoria Hamburg vor eineinhalb Jahren eine Kinderschutzbeauftragte suchte, hatte Ziegenhahn schnell beschlossen, die verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Nicht weil ihr langweilig war - die 41 Jahre alte Ehrenamtlerin leitet auch noch die Turnabteilung des Hamburger Traditionsklubs -, sondern weil sie wusste, wie wichtig und verantwortungsvoll die Aufgabe sein würde. "Schon als Kind hasste ich es, wenn ich dem Onkel noch einen Kuss geben sollte", sagt die Hamburgerin. "Kinder müssen ermutigt werden zu sagen, wenn ihnen etwas unangenehm ist. Und Kinder sind schutzbedürftig. Sie brauchen unsere Obhut."

Das nötige Wissen erwarb sie sich durch eine Schulung beim Hamburger Verein "Zündfunke" und aus der DFB-Broschüre "Kinderschutz im Verein". Bald kam die erste schwierige Situation. Ein Trainer ging gemeinsam mit seinen D-Junioren duschen. "Die Eltern waren sofort sehr aufgeregt, dabei hatte der Nachwuchstrainer nur einen folgenden Termin, war knapp dran, und dachte, das geht mal so. Ich habe ihm erklärt, dass so ein Verhalten inakzeptabel ist und ihm so etwas kein zweites Mal passieren darf", erzählt Ramona Ziegenhahn. "Ich bin kein Polizist und kein Psychologe", beschreibt sie ihre Aufgabe. Entscheidend sei, als Ansprechpartnerin bei den Kindern, Jugendlichen, Eltern und Trainerinnen und Trainern bekannt zu sein. "Ich bin klar, aber nicht unfreundlich. Ich mische mich ein. Und ich traue mir die Aufgabe zu." Sie fühlt sich gewappnet für den Fall der Fälle - der hoffentlich nie eintreten wird.

"Das Bewusstsein bei den Eltern ist gewachsen"

Der Deutsche Fußball-Bund unterstützt Ramona Ziegenhahn wie auch die vielen anderen Ehrenamtler im Land. So veröffentlichte der DFB die Broschüre "Kinderschutz im Verein", die mittlerweile in dritter Auflage erschienen ist. Die Nachfrage zeigt, dass das Thema in den Vereinen angekommen ist. Regelmäßig lädt der DFB die Landesverbände zu einem Fachtag ein. Zudem kooperiert der DFB mit dem Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) und ließ so etwa die Betreuerstäbe aller Juniorenmannschaften schulen. "Wieder ein Pflichttermin. So sitzen am Anfang alle da, aber wenn man daran erinnert, was sie selbst erlebt haben, oder wie schnell sie heute etwas falsch machen können, sind alle hellwach", erzählt Ralf Slüter vom DKSB. Slüter leitet den DKSB-Hamburg und ist sich sicher: "Das Bewusstsein bei den Eltern ist gewachsen."

Die jüngsten schweren Missbrauchsfälle in Nordrhein-Westfalen haben die Sorgen nochmal größer werden lassen. Und auch die Zahlen können nicht beruhigen. Experten sprechen von 250.000 Pädophilen in Deutschland. Die Anzahl kinderpornografischer Seiten hat sich binnen weniger Jahre verzehnfacht. Die Kriminalstatistik aus dem Jahr 2014 listete 12.134 Fälle mit 14.168 kindlichen Opfern. Die Psychologin und Autorin Julia von Weiler vom Verein "Innocence in Danger" spricht von einer Dunkelziffer von 1:5 oder schlimmer und fordert die Sicherheitsverwahrung von Wiederholungstätern. Problematisch auch: Das sogenannte 'Sexting' ist ein Trend unter Jugendlichen, also das Verschicken sexualisierter Fotos oder Videos. Täter nutzen unter gefälschter Identität Social-Media-Kanäle als Einfallstor, um Kinder und Jugendliche zu bedrängen.

Um etwas gegen die Gefahren des Kindesmissbrauchs zu setzen, erheben auch die Nationalspieler ihre Stimme. Etwa Toni Kroos, selbst zweifacher Familienvater. "Hey Kids, sagt Nein wenn euch etwas nicht passt, ihr euch nicht wohlfühlt oder irgendetwas seltsam ist. Geht zu eurem Vertrauten oder eurem Kinderschutzbeauftragten im Verein", rät der Weltmeister in einem Spot, der auf der Facebookseite der Nationalmannschaft veröffentlicht wurde.

Osnabrügge: "In den Vereinen könnte noch mehr geschehen"

"Um potentielle Täter abzuschrecken, braucht es präventive Strukturen in den Vereinen, etwa die Bereitstellung von Ansprechpersonen und auch klare Regeln für Trainer und Trainerinnen", empfiehlt Dr. Stephan Osnabrügge den Klubs an der Basis des Fußballs. Der Jurist aus dem Rheinland ist als Schatzmeister für das finanzielle Wohl des weltgrößten Einzelsportverbandes zuständig. Osnabrügge ist zudem auch DFB-Kinderschutzbeauftragter. Osnabrügge: "Das Umdenken hat begonnen. Aber die Risiken steigen auch. In den Vereinen könnte noch mehr geschehen."

Klare Regeln, keine sexualisierte Sprache im Training, keine Geheimnisse, keine Geschenke – das alles sind wichtige Punkte des umfangreichen Ehrenkodex, den bei Victoria Hamburg jeder Trainer unterschreibt. Zudem verlangt der Verein von jedem Trainer und jeder Trainerin ein erweitertes Führungszeugnis. Entscheidend, sagt Ramona Ziegenhahn, sei der Kampf um die Köpfe. "Alle müssen aufmerksam sein, alle müssen überzeugt davon sein, dass der Ausbau des Kinderschutzes uns stärker macht. Kinderschutz ist das Qualitätsmerkmal eines modernen Vereins." Eylem Caglars zwei Söhne spielen für Victoria Hamburg. Sie sagt: "Wenn man als Eltern weiß, dass der Verein beim Kinderschutz gut aufgestellt ist, fühlt man sich sicherer."

Victoria Hamburg ist einer von 86 Vereinen, deren Vertreter im Sommer 1900 im Leipziger Restaurant "Zum Mariengarten" saßen und den Deutschen Fußball-Bund gründeten. Ein Verein mit Tradition. Und dank Ramona Ziegenhahn auch einer mit einem überzeugenden Kinderschutz.

[th]

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) macht sich seit vielen Jahren stark für den Kinderschutz. Und immer mehr Vereine richten präventive Strukturen ein, um das Wohl von Kindern und Jugendlichen bestmöglich zu sichern. Der Klub Victoria Hamburg im Norden der Hansestadt ist ein Gründungsmitglied des DFB und auch für die Zukunft überzeugend aufgestellt.

Ramona Ziegenhahn und ihr Mann haben sechs Kinder, für beide ist es die zweite Ehe, sie sind eine Patchwork-Familie, in der sich vieles um den Fußball dreht. Ihr Jüngster Elyas ist zwar erst dreieinhalb, aber spielt schon beim Victoria-Nachwuchs. Wie übrigens auch der Sohn des ehemaligen HSV-Spielmachers Rafael van der Vaart. Als ihr Verein Victoria Hamburg vor eineinhalb Jahren eine Kinderschutzbeauftragte suchte, hatte Ziegenhahn schnell beschlossen, die verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Nicht weil ihr langweilig war - die 41 Jahre alte Ehrenamtlerin leitet auch noch die Turnabteilung des Hamburger Traditionsklubs -, sondern weil sie wusste, wie wichtig und verantwortungsvoll die Aufgabe sein würde. "Schon als Kind hasste ich es, wenn ich dem Onkel noch einen Kuss geben sollte", sagt die Hamburgerin. "Kinder müssen ermutigt werden zu sagen, wenn ihnen etwas unangenehm ist. Und Kinder sind schutzbedürftig. Sie brauchen unsere Obhut."

Das nötige Wissen erwarb sie sich durch eine Schulung beim Hamburger Verein "Zündfunke" und aus der DFB-Broschüre "Kinderschutz im Verein". Bald kam die erste schwierige Situation. Ein Trainer ging gemeinsam mit seinen D-Junioren duschen. "Die Eltern waren sofort sehr aufgeregt, dabei hatte der Nachwuchstrainer nur einen folgenden Termin, war knapp dran, und dachte, das geht mal so. Ich habe ihm erklärt, dass so ein Verhalten inakzeptabel ist und ihm so etwas kein zweites Mal passieren darf", erzählt Ramona Ziegenhahn. "Ich bin kein Polizist und kein Psychologe", beschreibt sie ihre Aufgabe. Entscheidend sei, als Ansprechpartnerin bei den Kindern, Jugendlichen, Eltern und Trainerinnen und Trainern bekannt zu sein. "Ich bin klar, aber nicht unfreundlich. Ich mische mich ein. Und ich traue mir die Aufgabe zu." Sie fühlt sich gewappnet für den Fall der Fälle - der hoffentlich nie eintreten wird.

"Das Bewusstsein bei den Eltern ist gewachsen"

Der Deutsche Fußball-Bund unterstützt Ramona Ziegenhahn wie auch die vielen anderen Ehrenamtler im Land. So veröffentlichte der DFB die Broschüre "Kinderschutz im Verein", die mittlerweile in dritter Auflage erschienen ist. Die Nachfrage zeigt, dass das Thema in den Vereinen angekommen ist. Regelmäßig lädt der DFB die Landesverbände zu einem Fachtag ein. Zudem kooperiert der DFB mit dem Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) und ließ so etwa die Betreuerstäbe aller Juniorenmannschaften schulen. "Wieder ein Pflichttermin. So sitzen am Anfang alle da, aber wenn man daran erinnert, was sie selbst erlebt haben, oder wie schnell sie heute etwas falsch machen können, sind alle hellwach", erzählt Ralf Slüter vom DKSB. Slüter leitet den DKSB-Hamburg und ist sich sicher: "Das Bewusstsein bei den Eltern ist gewachsen."

Die jüngsten schweren Missbrauchsfälle in Nordrhein-Westfalen haben die Sorgen nochmal größer werden lassen. Und auch die Zahlen können nicht beruhigen. Experten sprechen von 250.000 Pädophilen in Deutschland. Die Anzahl kinderpornografischer Seiten hat sich binnen weniger Jahre verzehnfacht. Die Kriminalstatistik aus dem Jahr 2014 listete 12.134 Fälle mit 14.168 kindlichen Opfern. Die Psychologin und Autorin Julia von Weiler vom Verein "Innocence in Danger" spricht von einer Dunkelziffer von 1:5 oder schlimmer und fordert die Sicherheitsverwahrung von Wiederholungstätern. Problematisch auch: Das sogenannte 'Sexting' ist ein Trend unter Jugendlichen, also das Verschicken sexualisierter Fotos oder Videos. Täter nutzen unter gefälschter Identität Social-Media-Kanäle als Einfallstor, um Kinder und Jugendliche zu bedrängen.

Um etwas gegen die Gefahren des Kindesmissbrauchs zu setzen, erheben auch die Nationalspieler ihre Stimme. Etwa Toni Kroos, selbst zweifacher Familienvater. "Hey Kids, sagt Nein wenn euch etwas nicht passt, ihr euch nicht wohlfühlt oder irgendetwas seltsam ist. Geht zu eurem Vertrauten oder eurem Kinderschutzbeauftragten im Verein", rät der Weltmeister in einem Spot, der auf der Facebookseite der Nationalmannschaft veröffentlicht wurde.

Osnabrügge: "In den Vereinen könnte noch mehr geschehen"

"Um potentielle Täter abzuschrecken, braucht es präventive Strukturen in den Vereinen, etwa die Bereitstellung von Ansprechpersonen und auch klare Regeln für Trainer und Trainerinnen", empfiehlt Dr. Stephan Osnabrügge den Klubs an der Basis des Fußballs. Der Jurist aus dem Rheinland ist als Schatzmeister für das finanzielle Wohl des weltgrößten Einzelsportverbandes zuständig. Osnabrügge ist zudem auch DFB-Kinderschutzbeauftragter. Osnabrügge: "Das Umdenken hat begonnen. Aber die Risiken steigen auch. In den Vereinen könnte noch mehr geschehen."

Klare Regeln, keine sexualisierte Sprache im Training, keine Geheimnisse, keine Geschenke – das alles sind wichtige Punkte des umfangreichen Ehrenkodex, den bei Victoria Hamburg jeder Trainer unterschreibt. Zudem verlangt der Verein von jedem Trainer und jeder Trainerin ein erweitertes Führungszeugnis. Entscheidend, sagt Ramona Ziegenhahn, sei der Kampf um die Köpfe. "Alle müssen aufmerksam sein, alle müssen überzeugt davon sein, dass der Ausbau des Kinderschutzes uns stärker macht. Kinderschutz ist das Qualitätsmerkmal eines modernen Vereins." Eylem Caglars zwei Söhne spielen für Victoria Hamburg. Sie sagt: "Wenn man als Eltern weiß, dass der Verein beim Kinderschutz gut aufgestellt ist, fühlt man sich sicherer."

Victoria Hamburg ist einer von 86 Vereinen, deren Vertreter im Sommer 1900 im Leipziger Restaurant "Zum Mariengarten" saßen und den Deutschen Fußball-Bund gründeten. Ein Verein mit Tradition. Und dank Ramona Ziegenhahn auch einer mit einem überzeugenden Kinderschutz.

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