Raml: "Ohne meinen Tango ging gar nichts"

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute schreibt Silke Raml, Vorsitzende des Frauen- und Mädchenausschusses des DFB, Vizepräsidentin des Bayerischen Fußball-Verbandes und von Beruf Kämmerin des Landkreises Straubing-Bogen, über ihre Leidenschaft Fußball.

"Im Osten des Freistaats. Im Bayerischen Wald. Am Südhang des Altensteins. Ein paar Kilometer zur Grenze nach Österreich und Tschechien. Nicht ganz 500 Einwohner. Das ist Großarmschlag im Landkreis Freyung-Grafenau. Hier, werden viele sagen, ist die Welt noch in Ordnung. Wer hier lebt, der weiß, was Natur bedeutet, der kennt und lebt das Gen der Gemeinschaft. Der Dorfgemeinschaft. Hier bin ich groß geworden - und für uns gab es keine Grenzen, keine Unterschiede zwischen Buben und Mädchen, der Ball hat uns vereint. Der Fußball. Nicht irgendeiner. Ohne meinen "Tango" von adidas ging gar nichts.

Nach Hause kommen, schnell Essen, Hausaufgaben – alles hatte der Fußball in meiner Kindheit getaktet und vorgegeben. Wir wollten raus, wir wollten kicken und wir haben uns täglich getroffen. Egal, ob auf Asphalt am Kirchplatz und den mit Rucksäcken abgesteckten Toren oder auf der gemähten Wiese mit selbstgebauten Toren. Das Paradies lag vor meiner Haustüre. Champions League gab es damals noch nicht, aber Champions League war für uns der Kick auf dem Sportplatz am Dorfanger. Der Tango rollte. Jungs und Mädels haben gekickt, getrickst, geflankt, geackert und gerackert. Die Welt war in Ordnung und für mich als Mädchen gab es kein Problem mit den Jungs. Jeder kennt hier schließlich jeden. Der Tango war meiner – und er tanzte bis in den Sonnenuntergang hinein. Der Schlusspfiff kam nicht aus der Pfeife, sondern war der laute Schrei meiner Mutter, die zum Abendessen rief. Aber nicht selten gab's eine Verlängerung, weil wir unseren Turniersieger noch nicht gekürt hatten. Ich wollte mehr. Immer mehr.

"Geschichten wie die meine müssen Mutmacher sein"

Mit Jungs offiziell in der Mannschaft zu kicken, auf Tore- und Punktejagd im offiziellen Spielbetrieb zu gehen, war damals quasi nicht möglich. Ich wollte trotzdem, weil ich längst nicht das einzige Mädchen war, das Spaß mit dem Ball hatte. Beim TSV Grafenau, der Spartenleiter Fußball wohnte bei mir in Großarmschlag um die Ecke, fanden wir Gehör: Zum Probetraining waren fast 30 Mädels, weil wir keinen ausließen, wenn es darum ging, Werbung für unser Ding zu machen.

Meine Geschichte, die so schön klingt und die Idylle transportiert, bleibt für immer. Sie ist noch heute so präsent, als wäre sie erst gestern geschrieben worden. Sie treibt mich an, weil sie zeigt, wie es gehen kann. Denn das, was wir heute erleben, zeigt, dass diese Geschichten nicht von gestern sind. Überall da, wo hierzulande engagierte Menschen buchstäblich am Ball bleiben, da tut sich was in Sachen Frauen- und Mädchenfußball. Es hängt an den handelnden Personen, die überzeugt sind von einer Sache, die auch heute nur zu gerne immer noch belächelt wird. Wir dürfen die Realitäten nicht ausblenden, wir können sie aber ändern. Überall in unserem Land gibt es diese Geschichten, allerdings immer noch zu wenige. Wir brauchen mehr Geschichtenschreiberinnen und Kümmerer. Wir müssen sie gezielt suchen, sie entdecken, sie stützen und animieren.

Dort, wo die Ärmel hochgekrempelt werden und das Ziel beharrlich verfolgt wird, rollt der Frauen- und Mädchenfußball. Es sind Hochburgen, die jeder aus seiner Umgebung kennt, meistens wird dort im Verein sogar höherklassiger als bei den Männern gespielt. Aber es darf nicht bei diesen tollen Leuchttürmen bleiben, eines habe ich gelernt: Wir müssen die Antreiberinnen, wie ich eine war, weiter fördern, unterstützen, ihnen helfen, auch Geschichten zu schreiben. Die Zeiten sind schwieriger geworden, ja, unsere Gesellschaft verändert sich - aber diese Geschichten wie die meine, die jeder von uns kennt, müssen Mutmacher sein. Wir müssen sie erzählen und damit ein Feuer entfachen. Es darf nicht beim Reden bleiben, wir müssen Unterstützer*innen sein, Ideen entwickeln und die Macher*innen von morgen aktiv suchen, sie ausbilden und damit dazu bringen, selbst eine Geschichte zu schreiben. Ihre eigene. adidas verkauft den Tango auch heute noch."

[dfb]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute schreibt Silke Raml, Vorsitzende des Frauen- und Mädchenausschusses des DFB, Vizepräsidentin des Bayerischen Fußball-Verbandes und von Beruf Kämmerin des Landkreises Straubing-Bogen, über ihre Leidenschaft Fußball.

"Im Osten des Freistaats. Im Bayerischen Wald. Am Südhang des Altensteins. Ein paar Kilometer zur Grenze nach Österreich und Tschechien. Nicht ganz 500 Einwohner. Das ist Großarmschlag im Landkreis Freyung-Grafenau. Hier, werden viele sagen, ist die Welt noch in Ordnung. Wer hier lebt, der weiß, was Natur bedeutet, der kennt und lebt das Gen der Gemeinschaft. Der Dorfgemeinschaft. Hier bin ich groß geworden - und für uns gab es keine Grenzen, keine Unterschiede zwischen Buben und Mädchen, der Ball hat uns vereint. Der Fußball. Nicht irgendeiner. Ohne meinen "Tango" von adidas ging gar nichts.

Nach Hause kommen, schnell Essen, Hausaufgaben – alles hatte der Fußball in meiner Kindheit getaktet und vorgegeben. Wir wollten raus, wir wollten kicken und wir haben uns täglich getroffen. Egal, ob auf Asphalt am Kirchplatz und den mit Rucksäcken abgesteckten Toren oder auf der gemähten Wiese mit selbstgebauten Toren. Das Paradies lag vor meiner Haustüre. Champions League gab es damals noch nicht, aber Champions League war für uns der Kick auf dem Sportplatz am Dorfanger. Der Tango rollte. Jungs und Mädels haben gekickt, getrickst, geflankt, geackert und gerackert. Die Welt war in Ordnung und für mich als Mädchen gab es kein Problem mit den Jungs. Jeder kennt hier schließlich jeden. Der Tango war meiner – und er tanzte bis in den Sonnenuntergang hinein. Der Schlusspfiff kam nicht aus der Pfeife, sondern war der laute Schrei meiner Mutter, die zum Abendessen rief. Aber nicht selten gab's eine Verlängerung, weil wir unseren Turniersieger noch nicht gekürt hatten. Ich wollte mehr. Immer mehr.

"Geschichten wie die meine müssen Mutmacher sein"

Mit Jungs offiziell in der Mannschaft zu kicken, auf Tore- und Punktejagd im offiziellen Spielbetrieb zu gehen, war damals quasi nicht möglich. Ich wollte trotzdem, weil ich längst nicht das einzige Mädchen war, das Spaß mit dem Ball hatte. Beim TSV Grafenau, der Spartenleiter Fußball wohnte bei mir in Großarmschlag um die Ecke, fanden wir Gehör: Zum Probetraining waren fast 30 Mädels, weil wir keinen ausließen, wenn es darum ging, Werbung für unser Ding zu machen.

Meine Geschichte, die so schön klingt und die Idylle transportiert, bleibt für immer. Sie ist noch heute so präsent, als wäre sie erst gestern geschrieben worden. Sie treibt mich an, weil sie zeigt, wie es gehen kann. Denn das, was wir heute erleben, zeigt, dass diese Geschichten nicht von gestern sind. Überall da, wo hierzulande engagierte Menschen buchstäblich am Ball bleiben, da tut sich was in Sachen Frauen- und Mädchenfußball. Es hängt an den handelnden Personen, die überzeugt sind von einer Sache, die auch heute nur zu gerne immer noch belächelt wird. Wir dürfen die Realitäten nicht ausblenden, wir können sie aber ändern. Überall in unserem Land gibt es diese Geschichten, allerdings immer noch zu wenige. Wir brauchen mehr Geschichtenschreiberinnen und Kümmerer. Wir müssen sie gezielt suchen, sie entdecken, sie stützen und animieren.

Dort, wo die Ärmel hochgekrempelt werden und das Ziel beharrlich verfolgt wird, rollt der Frauen- und Mädchenfußball. Es sind Hochburgen, die jeder aus seiner Umgebung kennt, meistens wird dort im Verein sogar höherklassiger als bei den Männern gespielt. Aber es darf nicht bei diesen tollen Leuchttürmen bleiben, eines habe ich gelernt: Wir müssen die Antreiberinnen, wie ich eine war, weiter fördern, unterstützen, ihnen helfen, auch Geschichten zu schreiben. Die Zeiten sind schwieriger geworden, ja, unsere Gesellschaft verändert sich - aber diese Geschichten wie die meine, die jeder von uns kennt, müssen Mutmacher sein. Wir müssen sie erzählen und damit ein Feuer entfachen. Es darf nicht beim Reden bleiben, wir müssen Unterstützer*innen sein, Ideen entwickeln und die Macher*innen von morgen aktiv suchen, sie ausbilden und damit dazu bringen, selbst eine Geschichte zu schreiben. Ihre eigene. adidas verkauft den Tango auch heute noch."

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