Ottmar Hitzfeld: "Ich habe für beide Mannschaften Sympathien"

Zum zweiten Mal trifft die deutsche Nationalmannschaft in der Nations League auf die Schweiz. Nach dem 1:1 in Basel im ersten Aufeinandertreffen, treten die Eidgenossen nun am Dienstag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) in Köln. Ausgewiesener Experte für die Kontrahenten ist Ottmar Hitzfeld, der als Spieler und Trainer in beiden Nationen aktiv war. Im DFB.de-Interview spricht er über die anstehende Partie und das Verhältnis der Nachbarn.

DFB.de: Herr Hitzfeld, ist die Paarung Deutschland gegen die Schweiz ein besonderes Länderspiel?

Ottmar Hitzfeld: Für mich ist es natürlich ein besonderes Spiel. Ich bin ja fast ein halber Schweizer, auch wenn ich letztlich mehr ein Deutscher bin. Ich bin nur 100 Meter von der Grenze zur Schweiz aufgewachsen und habe als Grenzgänger eine enge Beziehung zur Schweiz. Außerdem habe ich meine Karriere in der Schweiz beim FC Basel, wo ich meine Chance bekam, begonnen und als Nationaltrainer dort 2014 beendet. Das verbindet natürlich.

DFB.de: Welcher Mannschaft gehören Ihre Sympathien eher?

Hitzfeld: Ich bin da ziemlich neutral, wie wenn Dortmund gegen Bayern spielt. Ich möchte einfach nur ein gutes Spiel sehen. Ich habe für beide Mannschaften Sympathien und hoffe auf ein spannendes Spiel.

DFB.de: Was hat Sie mehr geprägt: Ihre Tätigkeit als Spieler und Trainer in Dortmund und beim FC Bayern oder Ihre Zeit als Schweizer Nationaltrainer 2008 bis 2014?

Hitzfeld: Ich hatte als Spieler das Glück, dass mich der FC Basel erst für ein Probetraining kommen ließ - ich hatte selbst dort angerufen - und mich dann übernahm. Ich bin dem FC Basel sehr dankbar, dass er mir den Kontakt zum Profifußball ermöglicht hat. Und meine Trainerkariere begann ebenfalls in der Schweiz…

DFB.de: … 1983, beim SC Zug.

Hitzfeld: … all das prägt natürlich, deshalb habe ich zu beiden Ländern einen engen Bezug. In Dortmund und beim FC Bayern konnte ich Träume verwirklichen. Es war jeweils eine lange Zeit, die ich dort verbracht habe, sechs Jahre beim BVB und siebeneinhalb in München.

DFB.de: Sie kennen den Fußball beider Länder in- und auswändig. Inwiefern unterscheidet sich das reine Spiel in beiden Ländern?

Hitzfeld: Der Fußball in beiden Ländern bewegt sich auf einem hohen taktischen Niveau. Die Schweiz hat eine sehr gute Trainerausbildung, Deutschland ebenso. 1990, als Deutschland mit Libero und Manndeckern Weltmeister wurde, habe ich in der Schweiz bei Grasshopper Zürich mit Raumdeckung und Viererkette gespielt. Da es die Deutsch-Schweiz gibt, die italienische und die französische Schweiz kommen da die Einflüsse aus drei Ländern zusammen, so dass den Schweizer Fußball verschiedene Philosophien ausmachen.

DFB.de: Welche Einflüsse sind es?

Hitzfeld: Die Franzosen verteidigten immer mit der Kette, die Italiener pflegten den Catenaccio, dazu kamen noch Elemente aus der Bundesliga. Deshalb sind die Schweizer sehr flexibel und kommen überall zurecht. Bei ihrer Verpflichtung weiß ein Verein, dass Schweizer Spieler gut ausgebildet und pflegeleicht sind, dass sie eine gute Mentalität haben. Die Mehrsprachigkeit hilft ihnen zudem.

DFB.de: Welche Unterschiede gibt es sonst noch?

Hitzfeld: Deutschland ist groß und hat zehn Mal so viele Einwohner wie die Schweiz. Entsprechend ist das Selbstbewusstsein in Deutschland größer. Die eingebürgerten Migrantenkinder in der Schweiz haben das Selbstbewusstsein der Nationalelf gesteigert, sie können alle gut Fußball spielen und im Fußball Karriere machen. Früher hatten die Schweizer einen kleinen Komplex gegenüber Deutschland, sie sahen sich wie ein kleines Bundesland. Heute ist das Selbstverständnis ein anderes.

DFB.de: Die Länderspielstatistik zwischen Deutschland und der Schweiz weist 35 Siege für die DFB-Auswahl, neun für die Nationalmannschaft der Schweiz und sieben Unentschieden auf. Ist damit die Leistungsstärke beider Teams, auf die Historie bezogen, wiedergegeben?

Hitzfeld: Ja, absolut. Wenn die Schweiz Deutschland schlagen kann, ist es immer eine Überraschung.

DFB.de: Das erste Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft fand gegen die Schweiz statt. Es war am 5. April 1908 eine 3:5-Niederlage. Wurden Sie in Ihrer Karriere jemals mit dieser DFB-Premiere konfrontiert?

Hitzfeld: Nein, nie. Es ist einfach zu lange her. Für die heutige Generation ist es nicht mehr präsent.

DFB.de: Gibt es Spiele zwischen beiden Ländern, die Ihnen sofort in den Sinn kommen?

Hitzfeld: Die 0:5-Niederlage in England bei der WM 1966 in England. Dieses Spiel war legendär und jahrzehntelang im Gespräch. Dieses Ergebnis war die Höchststrafe für die Schweizer.

DFB.de: Am 26. Mai 2012 besiegten Sie als Schweizer Nationaltrainer Deutschland in Basel mit 5:3, kurz vor der EM in Polen und der Ukraine. Was bedeutete Ihnen dieser Sieg?

Hitzfeld: Es war einer der schönsten Siege mit der Schweizer Nationalmannschaft für mich - obwohl es nur ein Freundschaftsspiel war. Es war einfach ein tolles Erlebnis, die deutsche Hymne zu hören und gegen eine große Nation zu spielen. Diese Begegnung war mit ein Highlight in meiner Karriere.

DFB.de: Fühlten Sie sich damals besonders motiviert?

Hitzfeld: Es war ein besonderer Moment, gegen Deutschland zu spielen, wo ich meine Familie und meine Freunde habe. Da wusste ich, dass viele dieses Spiel verfolgten. Es war für mich eine Art persönliches Duell.

DFB.de: Wie schätzen Sie die Leistungsstärke beider Nationalmannschaften aktuell ein?

Hitzfeld: Beide befinden sich im Umbruch und probieren etwas Neues. Testspiele sind für den Trainer, nicht aber für die Öffentlichkeit wichtig. Die Nations League finde ich ein gutes Turnier, das besser ist, als nur Freundschaftsspiele zu haben: Es gibt Ergebnisse und eine Tabelle, so dass eine solche Partie ernster genommen wird als ein Testspiel.

DFB.de: Welche Schweizer Spieler haben eine große Karriere vor sich?

Hitzfeld: Shaqiri ist eigentlich der beste Spieler, er fehlt. Und Xhaka ist Stammspieler bei Arsenal, ein genialer Spieler, den ich als 18-Jährigen in die Auswahl holte. Auch Saw im Mittelfeld ist ein sehr guter Mann.

DFB.de: Das jüngste Spiel zwischen beiden Ländern endete in der Nations League 1:1. Wie bewerten Sie diese Partie im Rückblick?

Hitzfeld: Es war ein offenes Spiel, in dem ein Schweizer Sieg durchaus möglich war. Deutschland ist noch immer auf der Suche nach der idealen Formation. Man braucht halt Ergebnisse, das darf man nicht unterschätzen im Fußball. Auch Testspiele haben einen gewissen Wert, wenn es Ergebnisse gibt.

DFB.de: Was erwarten Sie vom Spiel am Dienstag in Köln?

Hitzfeld: Ich erwarte, dass Deutschland versucht, einiges ins rechte Licht zu rücken; dass das Team zeigt, dass es wieder eine Fußball-Großmacht werden möchte und entsprechend auftritt. Die Schweizer werden versuchen, frech mitzuspielen. Wenn die Deutschen die beste Elf aufbieten, sind sie klarer Favorit. Aber die Schweizer können an einem guten Tag gegen jeden Gegner gewinnen. Die Konstanz, über drei, vier, fünf Spiele Topleistungen zu bringen, fehlt ihnen. Die Deutschen haben einfach mehr Klasse.

DFB.de: Was trauen Sie beiden Teams bei der EM 2021 zu?

Hitzfeld: Deutschland ist immer mit der Favorit. Die Spieler haben die entsprechenden Ansprüche, wenn man mit der halben Bayern-Mannschaft spielt. Die Schweizer können immer für eine Überraschung sorgen; zunächst ist es für sie ein Erfolg, wenn sie eine Runde weiterkommen.

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Zum zweiten Mal trifft die deutsche Nationalmannschaft in der Nations League auf die Schweiz. Nach dem 1:1 in Basel im ersten Aufeinandertreffen, treten die Eidgenossen nun am Dienstag (ab 20.45 Uhr, live in der ARD) in Köln. Ausgewiesener Experte für die Kontrahenten ist Ottmar Hitzfeld, der als Spieler und Trainer in beiden Nationen aktiv war. Im DFB.de-Interview spricht er über die anstehende Partie und das Verhältnis der Nachbarn.

DFB.de: Herr Hitzfeld, ist die Paarung Deutschland gegen die Schweiz ein besonderes Länderspiel?

Ottmar Hitzfeld: Für mich ist es natürlich ein besonderes Spiel. Ich bin ja fast ein halber Schweizer, auch wenn ich letztlich mehr ein Deutscher bin. Ich bin nur 100 Meter von der Grenze zur Schweiz aufgewachsen und habe als Grenzgänger eine enge Beziehung zur Schweiz. Außerdem habe ich meine Karriere in der Schweiz beim FC Basel, wo ich meine Chance bekam, begonnen und als Nationaltrainer dort 2014 beendet. Das verbindet natürlich.

DFB.de: Welcher Mannschaft gehören Ihre Sympathien eher?

Hitzfeld: Ich bin da ziemlich neutral, wie wenn Dortmund gegen Bayern spielt. Ich möchte einfach nur ein gutes Spiel sehen. Ich habe für beide Mannschaften Sympathien und hoffe auf ein spannendes Spiel.

DFB.de: Was hat Sie mehr geprägt: Ihre Tätigkeit als Spieler und Trainer in Dortmund und beim FC Bayern oder Ihre Zeit als Schweizer Nationaltrainer 2008 bis 2014?

Hitzfeld: Ich hatte als Spieler das Glück, dass mich der FC Basel erst für ein Probetraining kommen ließ - ich hatte selbst dort angerufen - und mich dann übernahm. Ich bin dem FC Basel sehr dankbar, dass er mir den Kontakt zum Profifußball ermöglicht hat. Und meine Trainerkariere begann ebenfalls in der Schweiz…

DFB.de: … 1983, beim SC Zug.

Hitzfeld: … all das prägt natürlich, deshalb habe ich zu beiden Ländern einen engen Bezug. In Dortmund und beim FC Bayern konnte ich Träume verwirklichen. Es war jeweils eine lange Zeit, die ich dort verbracht habe, sechs Jahre beim BVB und siebeneinhalb in München.

DFB.de: Sie kennen den Fußball beider Länder in- und auswändig. Inwiefern unterscheidet sich das reine Spiel in beiden Ländern?

Hitzfeld: Der Fußball in beiden Ländern bewegt sich auf einem hohen taktischen Niveau. Die Schweiz hat eine sehr gute Trainerausbildung, Deutschland ebenso. 1990, als Deutschland mit Libero und Manndeckern Weltmeister wurde, habe ich in der Schweiz bei Grasshopper Zürich mit Raumdeckung und Viererkette gespielt. Da es die Deutsch-Schweiz gibt, die italienische und die französische Schweiz kommen da die Einflüsse aus drei Ländern zusammen, so dass den Schweizer Fußball verschiedene Philosophien ausmachen.

DFB.de: Welche Einflüsse sind es?

Hitzfeld: Die Franzosen verteidigten immer mit der Kette, die Italiener pflegten den Catenaccio, dazu kamen noch Elemente aus der Bundesliga. Deshalb sind die Schweizer sehr flexibel und kommen überall zurecht. Bei ihrer Verpflichtung weiß ein Verein, dass Schweizer Spieler gut ausgebildet und pflegeleicht sind, dass sie eine gute Mentalität haben. Die Mehrsprachigkeit hilft ihnen zudem.

DFB.de: Welche Unterschiede gibt es sonst noch?

Hitzfeld: Deutschland ist groß und hat zehn Mal so viele Einwohner wie die Schweiz. Entsprechend ist das Selbstbewusstsein in Deutschland größer. Die eingebürgerten Migrantenkinder in der Schweiz haben das Selbstbewusstsein der Nationalelf gesteigert, sie können alle gut Fußball spielen und im Fußball Karriere machen. Früher hatten die Schweizer einen kleinen Komplex gegenüber Deutschland, sie sahen sich wie ein kleines Bundesland. Heute ist das Selbstverständnis ein anderes.

DFB.de: Die Länderspielstatistik zwischen Deutschland und der Schweiz weist 35 Siege für die DFB-Auswahl, neun für die Nationalmannschaft der Schweiz und sieben Unentschieden auf. Ist damit die Leistungsstärke beider Teams, auf die Historie bezogen, wiedergegeben?

Hitzfeld: Ja, absolut. Wenn die Schweiz Deutschland schlagen kann, ist es immer eine Überraschung.

DFB.de: Das erste Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft fand gegen die Schweiz statt. Es war am 5. April 1908 eine 3:5-Niederlage. Wurden Sie in Ihrer Karriere jemals mit dieser DFB-Premiere konfrontiert?

Hitzfeld: Nein, nie. Es ist einfach zu lange her. Für die heutige Generation ist es nicht mehr präsent.

DFB.de: Gibt es Spiele zwischen beiden Ländern, die Ihnen sofort in den Sinn kommen?

Hitzfeld: Die 0:5-Niederlage in England bei der WM 1966 in England. Dieses Spiel war legendär und jahrzehntelang im Gespräch. Dieses Ergebnis war die Höchststrafe für die Schweizer.

DFB.de: Am 26. Mai 2012 besiegten Sie als Schweizer Nationaltrainer Deutschland in Basel mit 5:3, kurz vor der EM in Polen und der Ukraine. Was bedeutete Ihnen dieser Sieg?

Hitzfeld: Es war einer der schönsten Siege mit der Schweizer Nationalmannschaft für mich - obwohl es nur ein Freundschaftsspiel war. Es war einfach ein tolles Erlebnis, die deutsche Hymne zu hören und gegen eine große Nation zu spielen. Diese Begegnung war mit ein Highlight in meiner Karriere.

DFB.de: Fühlten Sie sich damals besonders motiviert?

Hitzfeld: Es war ein besonderer Moment, gegen Deutschland zu spielen, wo ich meine Familie und meine Freunde habe. Da wusste ich, dass viele dieses Spiel verfolgten. Es war für mich eine Art persönliches Duell.

DFB.de: Wie schätzen Sie die Leistungsstärke beider Nationalmannschaften aktuell ein?

Hitzfeld: Beide befinden sich im Umbruch und probieren etwas Neues. Testspiele sind für den Trainer, nicht aber für die Öffentlichkeit wichtig. Die Nations League finde ich ein gutes Turnier, das besser ist, als nur Freundschaftsspiele zu haben: Es gibt Ergebnisse und eine Tabelle, so dass eine solche Partie ernster genommen wird als ein Testspiel.

DFB.de: Welche Schweizer Spieler haben eine große Karriere vor sich?

Hitzfeld: Shaqiri ist eigentlich der beste Spieler, er fehlt. Und Xhaka ist Stammspieler bei Arsenal, ein genialer Spieler, den ich als 18-Jährigen in die Auswahl holte. Auch Saw im Mittelfeld ist ein sehr guter Mann.

DFB.de: Das jüngste Spiel zwischen beiden Ländern endete in der Nations League 1:1. Wie bewerten Sie diese Partie im Rückblick?

Hitzfeld: Es war ein offenes Spiel, in dem ein Schweizer Sieg durchaus möglich war. Deutschland ist noch immer auf der Suche nach der idealen Formation. Man braucht halt Ergebnisse, das darf man nicht unterschätzen im Fußball. Auch Testspiele haben einen gewissen Wert, wenn es Ergebnisse gibt.

DFB.de: Was erwarten Sie vom Spiel am Dienstag in Köln?

Hitzfeld: Ich erwarte, dass Deutschland versucht, einiges ins rechte Licht zu rücken; dass das Team zeigt, dass es wieder eine Fußball-Großmacht werden möchte und entsprechend auftritt. Die Schweizer werden versuchen, frech mitzuspielen. Wenn die Deutschen die beste Elf aufbieten, sind sie klarer Favorit. Aber die Schweizer können an einem guten Tag gegen jeden Gegner gewinnen. Die Konstanz, über drei, vier, fünf Spiele Topleistungen zu bringen, fehlt ihnen. Die Deutschen haben einfach mehr Klasse.

DFB.de: Was trauen Sie beiden Teams bei der EM 2021 zu?

Hitzfeld: Deutschland ist immer mit der Favorit. Die Spieler haben die entsprechenden Ansprüche, wenn man mit der halben Bayern-Mannschaft spielt. Die Schweizer können immer für eine Überraschung sorgen; zunächst ist es für sie ein Erfolg, wenn sie eine Runde weiterkommen.

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