Duelle mit der Schweiz: In guten wie in schlechten Zeiten

Deutschland und die Schweiz haben fast nur Freundschaftsspiele gegeneinander bestritten – und doch waren es einige der wichtigsten der DFB-Geschichte: 1908 das erste Länderspiel, 1920 und 1950 die ersten Spiele nach dem Krieg, 1990 das erste nach der Wiedervereinigung. Einen besseren Freund kann man sich nicht wünschen. DFB.de blickt zurück.

Der Krieg lag fünfeinhalb Jahre zurück, als Deutschland am 22. November 1950 wieder ein Länderspiel bestreiten durfte. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland 1945 aus der FIFA ausgeschlossen worden. Die Schweiz setzte sich erfolgreich für die Wiederaufnahme ein und reichte dem neuerstandenen DFB und damit auch dem ganzen Land als erstes die Hand. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Punkt ihre Funktionäre Ernst Thomsen und Gustav Wiederkehr. Auch ihretwegen rollte der Ball wieder und darauf wartete scheinbar ein ganzes Land. Jedenfalls fiel der Zuschauerrekord der DFB-Historie, auch wenn niemand die exakte Besucherzahl je wird angeben können. Zu voll war es allemal in Stuttgart, wo die meisten der 22 Heimspiele gegen die Schweiz stattfanden, sieben waren es ander Zahl.

Die Premiere endete mit einem schmucklosen 1:0, aber das Ergebnis war das Unwichtigste an diesem neblig-trübem Buß- und Bettag. Dabeisein war alles in jenen Tagen der Demut, genau ein Jahr nachdem die Westalliierten die Demontage der deutschen Industrie offiziell eingestellt hatten und der Wiederaufbau beginnen konnte. Das Interesse an diesem Fußballspiel dokumentierte die Sehnsucht der Menschen nach ein bisschen Abwechslung und den Wunsch, wieder ein respektierter Teil der Völkergemeinschaft sein zu dürfen. Obwohl es nur ein Freundschaftsspiel gewesen ist, haben bis heute nie mehr Menschen der Nationalmannschaft bei einem Heimspiel zugesehen. Der DFB meldete offiziell 96.400 Zuschauer, aber die Schätzungen schwanken zwischen 103.000 und 120.000 – jedenfalls waren es viel zu viele für das Neckarstadion, das offiziell 80.000 Plätze auswies. Schiedsrichter Ellis wollte zunächst nicht anpfeifen, weil die Massen bis zum Spielfeldrand drängten.

Es war eben wieder eine historische Stunde, lange genug hatten sie gewartet. Und wieder galt es den Schweizern zu danken, deren Teams schon 1948 den Boykott brachen und nach München, Stuttgart und Karlsruhe fuhren. Dafür ernteten sie international viel Kritik: "Nein, Schweizer, das war falsch von euch, das war geschmacklos. Europa blutet noch aus tausenden, durch die Deutschen geschlagenen Wunden, und in zehntausenden Familien herrscht noch Trauer", schrieb eine niederländische Zeitung.

Bewegendes Ereignis

Die Schweiz, im Krieg neutral und dem DFB seit jeher verbunden, machte dennoch den Anfang. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens sprach von einem "großen bewegenden Ereignis". Nun waren die Eintrittspreise niedrig wie nie: von 50 Pfennig für Schüler bis sieben Mark für den besten Tribünenplatz. Als die Mannschaften an jenem Mittwoch um 14.30 Uhr einliefen, hatten viele Zuschauer schon einen stundenlangen harten Kampf hinter sich. Auf den überfüllten Rängen kam es immer wieder zu Unfällen, da auf dem Schlammboden kaum Halt zu finden war, Wellenbrecher gab es keine. Chaos pur. In Leserbriefen war von ruinierten Schuhen und Hosen die Rede, ein Mann aus Tübingen fand: "Wir sahen nicht anders aus wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung". Man zählte hinterher, auch durch das entstehende Verkehrschaos, 240 Verletzte, 72 schwere Unfälle und 38 Menschen, die ins Krankenhaus mussten.

Als die Schweizer Hymne gespielt wurde, war es auf den Stehrängen zu eng, um den Hut zu ziehen, sodass es in manchen Fällen der Hintermann für einen tat und, so ein Augenzeuge, "man sich gegenseitig aus der Verlegenheit half". Das neue Deutschland hatte keine offizielle Hymne, stattdessen gab es eine ergreifende Schweigeminute. "Totenstille herrscht im weiten Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war", schrieb das Sport Magazin. Grund zur Freude gab es dann auch noch, ein Elfmeter des Bremers Herbert Burdenski verschaffte der DFB-Auswahl zum Neustart in eine glanzvolle Epoche ein erstes Erfolgserlebnis. Nationalspieler Karl Barufka sprach von "einem der schönsten Tage meines Lebens." Der mit 100 DM Prämie und einer Schweizer Uhr honoriert wurde.

Kurioser Auftakt

Das Spiel vor 70 Jahren war einer von 52 Vergleichen gegen den Nachbarn. Die Paarung an sich ist schließlich ein Rekord der DFB-Historie, 47-mal waren es Freundschaftsspiele. So sieht Köln heute in der Nations League erst das sechste Pflichtspiel. Geradezu unglaublich, dass es nie ein Qualifikationsspiel gegeben hat und auch keine EM-Partie, nur vier WM-Spiele, ein Olympiaspiel (1928, 4:0 in Amsterdam) und das Hinspiel in der Nations League. Die Gesamtbilanz spricht klar für Deutschland: 36 Siege, sieben Remis, neun Niederlagen, 139:66 Tore. Aber sie erzählt nichts über das ganz spezielle Verhältnis zu den Eidgenossen, die schon an der Wiege der Nationalmannschaft standen und am 5. April 1908 quasi Geburtshilfe leisteten. Sie luden den DFB ein – und die Deutschen nahmen erfreut an, schlossen sogar einen Vertrag mit der Schweiz, dass jährlich mindestens ein Spiel stattfinden müsse. Daran hielt man sich bis Kriegsausbruch 1914.

Über das 3:5 auf dem Landhof von Basel 1908 ist im Rückblick manch satirischer Artikel erschienen, der sich an den skurrilen Umständen ergötzte. Die Nominierungspraxis über die Zeitung, die teils zu weiten Trikots, das Fehlen eines Trainers, Spieler die einander nicht kannten, der Ausflug in den Biergarten am Spieltag und die durch eine verschüttete Soße allzu teure Smoking-Reinigung, die dem ersten DFB-Torschützen Fritz Becker das Bankett vermieste. Aller Anfang war eben schwer, auch für die Journalisten, die die Frühzeit dieses Duells vor Rätsel stellte. Jedenfalls nachträglich. 1943 entstand durch das Anekdotenbuch "Der lachende Fußball" Verwirrung über das Ergebnis, angeblich solle Fritz Förderers Tor nie gezählt haben, es habe danach keinen Anstoß gegeben. Mangels Belegen (wie auch ohne Filmaufnahmen) blieb es beim 3:5.

1909 gab es in Karlsruhe den ersten Sieg der deutschen Nationalmannschaft durch ein Tor von Eugen Kipp. Und dann war da noch die Geschichte vom Gablonsky-Tor beim 6:2 in Stuttgart anno 1911. In den DFB-Statistiken wurde es bis 2011 Gottfried Fuchs zugebilligt, dann kam er dank seiner Nachfahren zu seinem Recht. Die hatten in seinem Nachlass eine Notiz gefunden: "6. Tor von mir." Mit Zeitungsberichten unterfüttert, bekam Max Gablonsky, 1969 verstorben, post mortem, zu seinem Tor. "100 Jahre bis zur Gerechtigkeit", schrieb damals Die Welt. Auch die Korrektur der Länderspielstatistik verdient das Etikett historisch.

Geste der Dankbarkeit

Die Schweizer kommen! Die Nachricht löste heute vor fast 100 Jahren eine regelrechte Hysterie aus. Als der Zug aus dem Nachbarland im März 1922 im Frankfurter Hauptbahnhof einfuhr, sollen dort 40.000 Menschen gewartet haben. Es herrschte ein solches Chaos, dass für die Dauer eines Fußballspiels keine Zugabfertigung möglich war. Kam dort etwa der Weltmeister? Mitnichten, nur ein guter Freund mit einer aufstrebenden Mannschaft, die 1924 bei Olympia Silber holen würde. Das konnte niemand wissen und war auch nicht der Grund für die Begeisterung. Vielmehr war es die Geste, dass sie überhaupt gekommen waren. Deutschland war nach dem ersten Weltkrieg seit 1918 politisch wie sportlich isoliert, erst die Schweiz war im Juni 1920 bereit wieder mit dem DFB zu spielen, wofür sie einige Kritik einstecken musste. Selbst in der Schweiz gab es Gegenstimmen, zur Partie in Zürich traten die Westschweizer Spieler nicht an, bis auf einen "Streikbrecher" von Servette Genf, der prompt aus seinem Verein flog. In Zürich zogen die Deutschen vor lauter Dankbarkeit für ihre Wiedereingliederung in den Spielverkehr in Zweikämpfen schon mal zurück, "nur um einem möglichen Zusammenprall aus dem Weg zu gehen", wie der Nürnberger Hans Kalb noch Jahrzehnte später gern erzählte. DFB-Vizepräsident Felix Linnemann hatte die Mannschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, im ersten Spiel nach dem Krieg ein gutes Bild abzugeben. Den Spielern war nicht minder wichtig, mal wieder anständig essen zu können, wofür die Schweizer Bürger gleich nach Grenzübertritt sorgten.

"Man stopft ihnen Magen und Taschen mit all den guten Sachen voll, die das ausgehungerte Deutschland nur noch vom Hörensagen kennt", heißt es in der Länderspielchronik "Im Dress der elf Besten" von Gerd Krämer. HSV-Stürmer "Tull" Harder gab zu, dass ihn der Duft von den Bratwurstbuden beim Spiel abgelenkt habe. Sie waren wirklich gute Gastgeber, die Schweizer, die auch noch ein reichhaltiges Bankett veranstalteten. DFB-Nationalspieler Adolf Höschle erinnerte sich: "Nicht der großkopferte Neureiche lud den armen Vetter zu Tisch, sondern Sportkameraden reichten sich die Hand." Solchen Freunden bereitet man einen großen Empfang und das erklärt den Bahnhofssturm von Frankfurt.

15.000 Mark Eintritt

Am nächsten Tag strömten am Römer mehr Menschen zusammen als bei mancher Kaiserkrönung, die die Freie Reichsstadt am Main im Mittelalter gesehen hatte. 20.000 Menschen waren gekommen, nur um die Rede des Schweizer Verbandspräsidenten zu hören. Es ging nicht um Fußball, sondern um das, was er möglich machen kann: Völker verbinden. Das erste Länderspiel in Frankfurt sahen dann 35.000 Fans, mehr gingen nicht rein, und es endete geradezu wunschgemäß ohne Verlierer (2:2). Es markierte einen nicht ganz gesicherten Rekord der DFB-Historie, selten war der Stadionbesuch jedenfalls teurer: Der Stehplatz kostete 15.000 Mark, es war eben Inflation!

16 Jahre später traf man sich erstmals in einem Pflichtspiel. In Paris sorgte die Schweiz für das früheste WM-Aus einer deutschen Mannschaft – nach nur zwei Spielen, damals war es das Achtelfinale. Nach dem 1:1 gab es drei Tage später ein Wiederholungsspiel (2:4). Es waren die schwierigsten Tage im Verhältnis der Nachbarn, das expansionslüsterne Nazi-Deutschland hatte 1938 kaum noch Freunde auf der Welt. Von den Rängen flogen Flaschen in Paris, auf dem Platz die Fetzen und mit dem Wiener Johann Pesser erstmals ein "Deutscher" bei einer WM vom Platz. Die gleichgeschaltete Fachpresse suchte nach Ausreden: "Wenn hier nach Schuldigen zu fahnden ist, dann im Zuschauerraum", schrieb die Fußball-Woche. Trainer Sepp Herberger war geschockt: "Wir haben in einem tobenden Hexenkessel verloren, in dem sich alles gegen uns verschworen hat. Glauben Sie mir, es war eine furchtbare Schlacht, es war kein Spiel mehr."

Beckenbauer-Doppelpack bei WM-Debüt

Wieder WM, diesmal 1962 in der Vorrunde in Santiago de Chile. Deutschland gewann durch Treffer von Albert Brülls und Uwe Seeler mit 2:1, die Partie hob sich angenehm vom sonstigen Niveau in Chile ab. "Es begeistert die Zuschauer, heute von diesen beiden europäischen Mannschaften fairen und auch fürs Auge schönen Fußball vorgeführt zu bekommen", schrieb der kicker. In Erinnerung blieb allen, die es live und in Farbe gesehen haben – also nicht im Fernsehen – dass Schiedsrichter Horn (Niederlande) ganz in Rot gewandet war. Bei der nächsten WM in England traf man sich, bis dato, letztmals auf ganz großer Bühne. Nun war es der Turnierauftakt und der wurde leichter als gedacht, beim 5:0-Sieg in Sheffield ging der Stern des 20-jährigen Franz Beckenbauer auf, der bei seinem WM-Debüt zwei Tore schoss. Es blieb bis 2002 der höchste Auftaktsieg bei einer WM.

In den 70ern, als sich die Länder sportlich so weit wie nie zuvor voneinander entfernten, gab es wieder nur Freundschaftsspiele. Aber es fielen historische Tore. Ein Doppelpass zwischen Gerd Müller und Günter Netzer, den Letzterer verwertete (1972 in Düsseldorf) und ein sagenhafter Fallrückzieher von Klaus Fischer (1977 in Stuttgart) wurden zum "Tor des Jahres" gewählt. Für Fischers Treffer gab es noch zwei Upgrades: "Tor des Jahrzehnts" und "Tor des Jahrhunderts". Das verdient nähere Betrachtung. Was war da los?

Fischers Traumtor

Es lief die 60. Minute im Stuttgarter Neckarstadion, es stand schon 3:1 für den Weltmeister. Da eilte der Mann mit der Nummer sieben auf rechts seinen Verteidigern davon, während der mit der Nummer neun sich auf Höhe des langen Pfostens am Fünf-Meterraum postierte. Beide spielten sie für Schalke 04. Die Sieben trug Rüdiger Abramczik, die Neun Klaus Fischer. Knapp vor der Eckfahne schlug Abramczik den Ball mit Wucht und hoch vors Tor. Zu hoch für einen 1,82-Meter-Mann, eigentlich. Doch Klaus Fischer machte Tore eben nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit Köpfchen. Er legte sich waagerecht in die Luft und traf den Ball mit dem rechten Fuß volley. Ohne zu sehen, wohin er schoss. Der Schuss überwand den verdutzten Schweizer Torhüter Burgener, über dessen Kopf der Ball einschlug. Das Publikum raste, so was hatten sie noch nie gesehen. Minutenlang skandierte es "Zugabe" und der kicker wusste schon am nächsten Tag, was da passiert war: "4:1 und Fischers Tor des Jahres" wurde der Spielbericht übertitelt – sechs Wochen vor Jahresende. Es kam kein schöneres mehr.

Das Spiel fiel in eine Serie von acht deutschen Siegen, die von 1972 bis 1995 währte und eines einschloss, das von vornherein historisch war – wiederum in Stuttgart. Ein Jahr nach dem Mauerfall kam es im November 1990 auch im Fußball zur Deutschen Einheit und am 19. Dezember 1990 natürlich gegen die Schweiz zum ersten Spiel einer gesamtdeutschen Mannschaft nach dem Krieg. Es war mehr als ein Spiel, denn die Zuschauereinnahmen wurden dem in den DFB eingegliederten NOFV als Starthilfe zur Verfügung gestellt. Mit Matthias Sammer lief zwar zunächst nur ein Star aus der ehemaligen DDR auf, mit Andreas Thom kam noch ein Zweiter als Joker zum Einsatz – und der traf prompt, nach 25 Sekunden. Fast ein Rekord, nur Uwe Rahn war 1984 schneller als Joker. Auch Rudi Völlers 1:0 nur 28 Sekunden nach Anpfiff war rekordverdächtig. Am Ende stand ein 4:0 für den amtierenden Weltmeister gegen den treuen Partner beim Aufbruch in neue Zeiten.

Der Freund in der Not kam also auch an glücklichen Tagen. Was auch umgekehrt galt. Zum 100-jährigen Verbandsjubiläum der Schweizer kamen die Deutschen 1995 nach Bern und nahmen an einem Drei-Länder-Turnier teil. Gastgeschenke machte die Elf von Berti Vogts nicht – sie gewann 2:1, ein gewisser Oliver Kahn gab sein Debüt an historischer Stätte, wo einst Toni Turek zum "Fußballgott" wurde. Nicht gegen, aber in der Schweiz. Irgendein historischer Bezug lässt sich bei diesem Gegner wohl immer finden. Selbst beim vorletzten Treffen kurz vor der EM 2012 in Basel. Es endete, wie das erste am gleichen Ort, 3:5. Da schloss sich ein Kreis, nur das Ergebnis zweifelte diesmal keiner an – höchstens aus fachlichen Gründen. Im Nations-League-Spiel im September, wieder in Basel, gab es ein 1:1. Auch das brachte einen Rekord, nie spielte die Nationalmannschaft auswärts vor weniger Zuschauern. Corona machte es nötig. Die Schweiz, ein steter Begleiter in Freud und Leid – wie ein Freund fürs Leben.

[um]

Deutschland und die Schweiz haben fast nur Freundschaftsspiele gegeneinander bestritten – und doch waren es einige der wichtigsten der DFB-Geschichte: 1908 das erste Länderspiel, 1920 und 1950 die ersten Spiele nach dem Krieg, 1990 das erste nach der Wiedervereinigung. Einen besseren Freund kann man sich nicht wünschen. DFB.de blickt zurück.

Der Krieg lag fünfeinhalb Jahre zurück, als Deutschland am 22. November 1950 wieder ein Länderspiel bestreiten durfte. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland 1945 aus der FIFA ausgeschlossen worden. Die Schweiz setzte sich erfolgreich für die Wiederaufnahme ein und reichte dem neuerstandenen DFB und damit auch dem ganzen Land als erstes die Hand. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Punkt ihre Funktionäre Ernst Thomsen und Gustav Wiederkehr. Auch ihretwegen rollte der Ball wieder und darauf wartete scheinbar ein ganzes Land. Jedenfalls fiel der Zuschauerrekord der DFB-Historie, auch wenn niemand die exakte Besucherzahl je wird angeben können. Zu voll war es allemal in Stuttgart, wo die meisten der 22 Heimspiele gegen die Schweiz stattfanden, sieben waren es ander Zahl.

Die Premiere endete mit einem schmucklosen 1:0, aber das Ergebnis war das Unwichtigste an diesem neblig-trübem Buß- und Bettag. Dabeisein war alles in jenen Tagen der Demut, genau ein Jahr nachdem die Westalliierten die Demontage der deutschen Industrie offiziell eingestellt hatten und der Wiederaufbau beginnen konnte. Das Interesse an diesem Fußballspiel dokumentierte die Sehnsucht der Menschen nach ein bisschen Abwechslung und den Wunsch, wieder ein respektierter Teil der Völkergemeinschaft sein zu dürfen. Obwohl es nur ein Freundschaftsspiel gewesen ist, haben bis heute nie mehr Menschen der Nationalmannschaft bei einem Heimspiel zugesehen. Der DFB meldete offiziell 96.400 Zuschauer, aber die Schätzungen schwanken zwischen 103.000 und 120.000 – jedenfalls waren es viel zu viele für das Neckarstadion, das offiziell 80.000 Plätze auswies. Schiedsrichter Ellis wollte zunächst nicht anpfeifen, weil die Massen bis zum Spielfeldrand drängten.

Es war eben wieder eine historische Stunde, lange genug hatten sie gewartet. Und wieder galt es den Schweizern zu danken, deren Teams schon 1948 den Boykott brachen und nach München, Stuttgart und Karlsruhe fuhren. Dafür ernteten sie international viel Kritik: "Nein, Schweizer, das war falsch von euch, das war geschmacklos. Europa blutet noch aus tausenden, durch die Deutschen geschlagenen Wunden, und in zehntausenden Familien herrscht noch Trauer", schrieb eine niederländische Zeitung.

Bewegendes Ereignis

Die Schweiz, im Krieg neutral und dem DFB seit jeher verbunden, machte dennoch den Anfang. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens sprach von einem "großen bewegenden Ereignis". Nun waren die Eintrittspreise niedrig wie nie: von 50 Pfennig für Schüler bis sieben Mark für den besten Tribünenplatz. Als die Mannschaften an jenem Mittwoch um 14.30 Uhr einliefen, hatten viele Zuschauer schon einen stundenlangen harten Kampf hinter sich. Auf den überfüllten Rängen kam es immer wieder zu Unfällen, da auf dem Schlammboden kaum Halt zu finden war, Wellenbrecher gab es keine. Chaos pur. In Leserbriefen war von ruinierten Schuhen und Hosen die Rede, ein Mann aus Tübingen fand: "Wir sahen nicht anders aus wie Infanteristen nach schwierigster Geländeübung". Man zählte hinterher, auch durch das entstehende Verkehrschaos, 240 Verletzte, 72 schwere Unfälle und 38 Menschen, die ins Krankenhaus mussten.

Als die Schweizer Hymne gespielt wurde, war es auf den Stehrängen zu eng, um den Hut zu ziehen, sodass es in manchen Fällen der Hintermann für einen tat und, so ein Augenzeuge, "man sich gegenseitig aus der Verlegenheit half". Das neue Deutschland hatte keine offizielle Hymne, stattdessen gab es eine ergreifende Schweigeminute. "Totenstille herrscht im weiten Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war", schrieb das Sport Magazin. Grund zur Freude gab es dann auch noch, ein Elfmeter des Bremers Herbert Burdenski verschaffte der DFB-Auswahl zum Neustart in eine glanzvolle Epoche ein erstes Erfolgserlebnis. Nationalspieler Karl Barufka sprach von "einem der schönsten Tage meines Lebens." Der mit 100 DM Prämie und einer Schweizer Uhr honoriert wurde.

Kurioser Auftakt

Das Spiel vor 70 Jahren war einer von 52 Vergleichen gegen den Nachbarn. Die Paarung an sich ist schließlich ein Rekord der DFB-Historie, 47-mal waren es Freundschaftsspiele. So sieht Köln heute in der Nations League erst das sechste Pflichtspiel. Geradezu unglaublich, dass es nie ein Qualifikationsspiel gegeben hat und auch keine EM-Partie, nur vier WM-Spiele, ein Olympiaspiel (1928, 4:0 in Amsterdam) und das Hinspiel in der Nations League. Die Gesamtbilanz spricht klar für Deutschland: 36 Siege, sieben Remis, neun Niederlagen, 139:66 Tore. Aber sie erzählt nichts über das ganz spezielle Verhältnis zu den Eidgenossen, die schon an der Wiege der Nationalmannschaft standen und am 5. April 1908 quasi Geburtshilfe leisteten. Sie luden den DFB ein – und die Deutschen nahmen erfreut an, schlossen sogar einen Vertrag mit der Schweiz, dass jährlich mindestens ein Spiel stattfinden müsse. Daran hielt man sich bis Kriegsausbruch 1914.

Über das 3:5 auf dem Landhof von Basel 1908 ist im Rückblick manch satirischer Artikel erschienen, der sich an den skurrilen Umständen ergötzte. Die Nominierungspraxis über die Zeitung, die teils zu weiten Trikots, das Fehlen eines Trainers, Spieler die einander nicht kannten, der Ausflug in den Biergarten am Spieltag und die durch eine verschüttete Soße allzu teure Smoking-Reinigung, die dem ersten DFB-Torschützen Fritz Becker das Bankett vermieste. Aller Anfang war eben schwer, auch für die Journalisten, die die Frühzeit dieses Duells vor Rätsel stellte. Jedenfalls nachträglich. 1943 entstand durch das Anekdotenbuch "Der lachende Fußball" Verwirrung über das Ergebnis, angeblich solle Fritz Förderers Tor nie gezählt haben, es habe danach keinen Anstoß gegeben. Mangels Belegen (wie auch ohne Filmaufnahmen) blieb es beim 3:5.

1909 gab es in Karlsruhe den ersten Sieg der deutschen Nationalmannschaft durch ein Tor von Eugen Kipp. Und dann war da noch die Geschichte vom Gablonsky-Tor beim 6:2 in Stuttgart anno 1911. In den DFB-Statistiken wurde es bis 2011 Gottfried Fuchs zugebilligt, dann kam er dank seiner Nachfahren zu seinem Recht. Die hatten in seinem Nachlass eine Notiz gefunden: "6. Tor von mir." Mit Zeitungsberichten unterfüttert, bekam Max Gablonsky, 1969 verstorben, post mortem, zu seinem Tor. "100 Jahre bis zur Gerechtigkeit", schrieb damals Die Welt. Auch die Korrektur der Länderspielstatistik verdient das Etikett historisch.

Geste der Dankbarkeit

Die Schweizer kommen! Die Nachricht löste heute vor fast 100 Jahren eine regelrechte Hysterie aus. Als der Zug aus dem Nachbarland im März 1922 im Frankfurter Hauptbahnhof einfuhr, sollen dort 40.000 Menschen gewartet haben. Es herrschte ein solches Chaos, dass für die Dauer eines Fußballspiels keine Zugabfertigung möglich war. Kam dort etwa der Weltmeister? Mitnichten, nur ein guter Freund mit einer aufstrebenden Mannschaft, die 1924 bei Olympia Silber holen würde. Das konnte niemand wissen und war auch nicht der Grund für die Begeisterung. Vielmehr war es die Geste, dass sie überhaupt gekommen waren. Deutschland war nach dem ersten Weltkrieg seit 1918 politisch wie sportlich isoliert, erst die Schweiz war im Juni 1920 bereit wieder mit dem DFB zu spielen, wofür sie einige Kritik einstecken musste. Selbst in der Schweiz gab es Gegenstimmen, zur Partie in Zürich traten die Westschweizer Spieler nicht an, bis auf einen "Streikbrecher" von Servette Genf, der prompt aus seinem Verein flog. In Zürich zogen die Deutschen vor lauter Dankbarkeit für ihre Wiedereingliederung in den Spielverkehr in Zweikämpfen schon mal zurück, "nur um einem möglichen Zusammenprall aus dem Weg zu gehen", wie der Nürnberger Hans Kalb noch Jahrzehnte später gern erzählte. DFB-Vizepräsident Felix Linnemann hatte die Mannschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, im ersten Spiel nach dem Krieg ein gutes Bild abzugeben. Den Spielern war nicht minder wichtig, mal wieder anständig essen zu können, wofür die Schweizer Bürger gleich nach Grenzübertritt sorgten.

"Man stopft ihnen Magen und Taschen mit all den guten Sachen voll, die das ausgehungerte Deutschland nur noch vom Hörensagen kennt", heißt es in der Länderspielchronik "Im Dress der elf Besten" von Gerd Krämer. HSV-Stürmer "Tull" Harder gab zu, dass ihn der Duft von den Bratwurstbuden beim Spiel abgelenkt habe. Sie waren wirklich gute Gastgeber, die Schweizer, die auch noch ein reichhaltiges Bankett veranstalteten. DFB-Nationalspieler Adolf Höschle erinnerte sich: "Nicht der großkopferte Neureiche lud den armen Vetter zu Tisch, sondern Sportkameraden reichten sich die Hand." Solchen Freunden bereitet man einen großen Empfang und das erklärt den Bahnhofssturm von Frankfurt.

15.000 Mark Eintritt

Am nächsten Tag strömten am Römer mehr Menschen zusammen als bei mancher Kaiserkrönung, die die Freie Reichsstadt am Main im Mittelalter gesehen hatte. 20.000 Menschen waren gekommen, nur um die Rede des Schweizer Verbandspräsidenten zu hören. Es ging nicht um Fußball, sondern um das, was er möglich machen kann: Völker verbinden. Das erste Länderspiel in Frankfurt sahen dann 35.000 Fans, mehr gingen nicht rein, und es endete geradezu wunschgemäß ohne Verlierer (2:2). Es markierte einen nicht ganz gesicherten Rekord der DFB-Historie, selten war der Stadionbesuch jedenfalls teurer: Der Stehplatz kostete 15.000 Mark, es war eben Inflation!

16 Jahre später traf man sich erstmals in einem Pflichtspiel. In Paris sorgte die Schweiz für das früheste WM-Aus einer deutschen Mannschaft – nach nur zwei Spielen, damals war es das Achtelfinale. Nach dem 1:1 gab es drei Tage später ein Wiederholungsspiel (2:4). Es waren die schwierigsten Tage im Verhältnis der Nachbarn, das expansionslüsterne Nazi-Deutschland hatte 1938 kaum noch Freunde auf der Welt. Von den Rängen flogen Flaschen in Paris, auf dem Platz die Fetzen und mit dem Wiener Johann Pesser erstmals ein "Deutscher" bei einer WM vom Platz. Die gleichgeschaltete Fachpresse suchte nach Ausreden: "Wenn hier nach Schuldigen zu fahnden ist, dann im Zuschauerraum", schrieb die Fußball-Woche. Trainer Sepp Herberger war geschockt: "Wir haben in einem tobenden Hexenkessel verloren, in dem sich alles gegen uns verschworen hat. Glauben Sie mir, es war eine furchtbare Schlacht, es war kein Spiel mehr."

Beckenbauer-Doppelpack bei WM-Debüt

Wieder WM, diesmal 1962 in der Vorrunde in Santiago de Chile. Deutschland gewann durch Treffer von Albert Brülls und Uwe Seeler mit 2:1, die Partie hob sich angenehm vom sonstigen Niveau in Chile ab. "Es begeistert die Zuschauer, heute von diesen beiden europäischen Mannschaften fairen und auch fürs Auge schönen Fußball vorgeführt zu bekommen", schrieb der kicker. In Erinnerung blieb allen, die es live und in Farbe gesehen haben – also nicht im Fernsehen – dass Schiedsrichter Horn (Niederlande) ganz in Rot gewandet war. Bei der nächsten WM in England traf man sich, bis dato, letztmals auf ganz großer Bühne. Nun war es der Turnierauftakt und der wurde leichter als gedacht, beim 5:0-Sieg in Sheffield ging der Stern des 20-jährigen Franz Beckenbauer auf, der bei seinem WM-Debüt zwei Tore schoss. Es blieb bis 2002 der höchste Auftaktsieg bei einer WM.

In den 70ern, als sich die Länder sportlich so weit wie nie zuvor voneinander entfernten, gab es wieder nur Freundschaftsspiele. Aber es fielen historische Tore. Ein Doppelpass zwischen Gerd Müller und Günter Netzer, den Letzterer verwertete (1972 in Düsseldorf) und ein sagenhafter Fallrückzieher von Klaus Fischer (1977 in Stuttgart) wurden zum "Tor des Jahres" gewählt. Für Fischers Treffer gab es noch zwei Upgrades: "Tor des Jahrzehnts" und "Tor des Jahrhunderts". Das verdient nähere Betrachtung. Was war da los?

Fischers Traumtor

Es lief die 60. Minute im Stuttgarter Neckarstadion, es stand schon 3:1 für den Weltmeister. Da eilte der Mann mit der Nummer sieben auf rechts seinen Verteidigern davon, während der mit der Nummer neun sich auf Höhe des langen Pfostens am Fünf-Meterraum postierte. Beide spielten sie für Schalke 04. Die Sieben trug Rüdiger Abramczik, die Neun Klaus Fischer. Knapp vor der Eckfahne schlug Abramczik den Ball mit Wucht und hoch vors Tor. Zu hoch für einen 1,82-Meter-Mann, eigentlich. Doch Klaus Fischer machte Tore eben nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit Köpfchen. Er legte sich waagerecht in die Luft und traf den Ball mit dem rechten Fuß volley. Ohne zu sehen, wohin er schoss. Der Schuss überwand den verdutzten Schweizer Torhüter Burgener, über dessen Kopf der Ball einschlug. Das Publikum raste, so was hatten sie noch nie gesehen. Minutenlang skandierte es "Zugabe" und der kicker wusste schon am nächsten Tag, was da passiert war: "4:1 und Fischers Tor des Jahres" wurde der Spielbericht übertitelt – sechs Wochen vor Jahresende. Es kam kein schöneres mehr.

Das Spiel fiel in eine Serie von acht deutschen Siegen, die von 1972 bis 1995 währte und eines einschloss, das von vornherein historisch war – wiederum in Stuttgart. Ein Jahr nach dem Mauerfall kam es im November 1990 auch im Fußball zur Deutschen Einheit und am 19. Dezember 1990 natürlich gegen die Schweiz zum ersten Spiel einer gesamtdeutschen Mannschaft nach dem Krieg. Es war mehr als ein Spiel, denn die Zuschauereinnahmen wurden dem in den DFB eingegliederten NOFV als Starthilfe zur Verfügung gestellt. Mit Matthias Sammer lief zwar zunächst nur ein Star aus der ehemaligen DDR auf, mit Andreas Thom kam noch ein Zweiter als Joker zum Einsatz – und der traf prompt, nach 25 Sekunden. Fast ein Rekord, nur Uwe Rahn war 1984 schneller als Joker. Auch Rudi Völlers 1:0 nur 28 Sekunden nach Anpfiff war rekordverdächtig. Am Ende stand ein 4:0 für den amtierenden Weltmeister gegen den treuen Partner beim Aufbruch in neue Zeiten.

Der Freund in der Not kam also auch an glücklichen Tagen. Was auch umgekehrt galt. Zum 100-jährigen Verbandsjubiläum der Schweizer kamen die Deutschen 1995 nach Bern und nahmen an einem Drei-Länder-Turnier teil. Gastgeschenke machte die Elf von Berti Vogts nicht – sie gewann 2:1, ein gewisser Oliver Kahn gab sein Debüt an historischer Stätte, wo einst Toni Turek zum "Fußballgott" wurde. Nicht gegen, aber in der Schweiz. Irgendein historischer Bezug lässt sich bei diesem Gegner wohl immer finden. Selbst beim vorletzten Treffen kurz vor der EM 2012 in Basel. Es endete, wie das erste am gleichen Ort, 3:5. Da schloss sich ein Kreis, nur das Ergebnis zweifelte diesmal keiner an – höchstens aus fachlichen Gründen. Im Nations-League-Spiel im September, wieder in Basel, gab es ein 1:1. Auch das brachte einen Rekord, nie spielte die Nationalmannschaft auswärts vor weniger Zuschauern. Corona machte es nötig. Die Schweiz, ein steter Begleiter in Freud und Leid – wie ein Freund fürs Leben.

###more###