Nia Künzer: Gelungener Spagat

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Nia Künzer, Schützin des Golden Goal bei der WM 2003, die inzwischen ein Dezernat für Flüchtlingsangelegenheiten leitet.

Nia Künzer hat kein Problem damit, dass beinahe alle Gespräche oder Interviews meist noch diesen einen Moment ansprechen. 12. Oktober 2003, Finale der Frauen-Weltmeisterschaft in den USA, Deutschland gegen Schweden. 1:1 stand es nach regulärer Spielzeit, als die damals erst 23-Jährige in der achten Minute der Verlängerung einen Kopfball anbrachte, der ihr Leben verändern sollte. "Die Flanke kam damals von Renate Lingor, mit der ich beim 1. FFC Frankfurt schon ewig zusammengespielt hatte. Ich glaube, sie hat mich in dieser Situation gesucht, weil ich damals recht frisch ins Spiel gekommen bin. Überdies war ich trotz meiner eher bescheidenen Körpergröße recht kopfballstark, vielleicht mit Ariane Hingst sogar die kopfballstärkste Spielerin auf dem Feld. Und das Timing hat einfach gepasst", erinnert sie sich.

Das Golden Goal, der WM-Titel, der Konfettiregen waren gerade für sie eine besondere Entschädigung. Für eine lange Leidenszeit im Vorlauf. Drei Kreuzbandrisse hatte sie sich in jungen Jahren bereits zugezogen: Den ersten im Alter von 15 Jahren, drei Jahre später folgte dieselbe Verletzung. Der dritte Vorfall ereignete sich im Juni 2002. Neben starker Physis und Psyche führte sie rückblickend noch ihre Sturheit an, um Fußball-Geschichte zu schreiben. "Mein Glück war, dass der Kreuzbandriss auf der rechten Seite war – den dritten im linken Knie hätte ich nicht so weggesteckt. Ich habe trotzdem acht Monate gebraucht, mein Umfeld hat in dieser Zeit einiges ertragen müssen."

Kopfball ins Glück

Insofern gönnte ihr jeder den Kopfball ins Glück im kalifornischen Carson. Nur auf das, was der historischen Bogenlampe im Home Depot Center noch folgte, war die blonde Heldin aus dem Weltmeister-Ensemble mit den Stützen Silke Rottenberg, Maren Meinert oder Birgit Prinz trotzdem nicht vorbereitet. Die Stehauffrau nahm von der ARD den Preis für das Tor des Jahres entgegen, wurde Woman oft the Year und UNICEF-Botschafterin. Die Zeit danach sei schon verrückt gewesen, sagt sie. "Talkshows, Interviews, Empfänge: Das kannte ich in dieser Dimension gar nicht. Einerseits hat es mein Leben als Fußballerin in der Öffentlichkeit völlig verändert, andererseits ist im privaten Bereich vieles so geblieben: Wenn ich nach Hause kam, war immer noch derselbe Mann, dieselbe Familie und Freunde für mich da. Das hat geholfen, die Nia zu bleiben, die ich bin."

Nia Tsholofelo Künzer wurde aber in Mochudi in Botswana geboren, wo ihre Eltern Anfang der 80er Jahre als Entwicklungshelfer arbeiteten. Ihr Name stammt aus der Swahili-Sprache und bedeutet so viel wie "Ich kann, ich will". Mit wenigen Monaten kehrte sie zurück nach Deutschland, wo sie bald mit ihrem leiblichen Bruder und sieben Pflegekindern im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in  Wetzlar aufwuchs. Eine Kindheit als Lehre fürs Leben: "Ich hatte immer jemanden zum Spielen und immer jemanden zum Streiten." Ihre Eltern vermittelten ihr früh, über den Tellerrand zu schauen und sich um Benachteiligte zu kümmern.

Auch vier Kreuzbandrisse können sie nicht stoppen

Schon mit fünf Jahren hatte das "bewegungsfreudige Kind" (O-Ton Nia Künzer über sich selbst) mit dem Fußballspielen begonnen, stand bald jedes Wochenende mit "meinen Jungs", wie sie gerne sagte, auf dem Platz. Obwohl immer wieder von Verletzungen gebremst – sie erlitt auch noch einen vierten Kreuzbandriss – sollte sie zu einem prägenden Gesicht des 1. FFC Frankfurt werden. Von 1999 bis 2004 war sie Kapitänin, gewann sieben Deutsche Meisterschaften, sieben Mal den DFB-Pokal und drei Mal den UEFA Women‘s Cup. 2008 beendete die 34-malige Nationalspielerin ihre Karriere. Im selben Jahr schloss sie ihr Pädagogikstudium an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ab.

Seit mehr als zwei Jahren ist sie Dezernatsleisterin für Integration, Sozialbetreuung und Ehrenamt im Regierungspräsidium Gießen. Die zweifache Mutter – Tochter und Sohn kamen nach der aktiven Karriere zu Welt – ist für Flüchtlingsangelegenheiten und Integration in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen zuständig. Immerhin 36 Mitarbeiter hat ihr Dezernat. Sie beschrieb die Beförderung in diese verantwortungsvolle Position als Herausforderung, sich weiterzuentwickeln. Anstrengend, aber auch erfüllend sei der Job, der möglich ist,  "weil ich dafür den richtigen Mann und die Rückendeckung durch die Familie habe."

Für ihr umfangreiches soziales Engagement ist die Weltmeisterin mit dem Hessischen Verdienstorden und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Hilfsbereitschaft ist für sie Herzensangelegenheit: ob nun als DFB-Botschafterin für Entwicklungszusammenarbeit mit Gerald Asamoah, als Mitglied des Kuratoriums der Welthungerhilfe, als Laureus Botschafterin und Schirmherrin das Projekt "Kicking Girls". Sie engagiert sich auch für die Kampagne "Kinder stark machen" aus der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder "Integration gewinnt" von Lotto Hessen. Noch immer ist sie auch für die ARD bei Länderspielen und Turnieren der deutschen Frauen-Nationalmannschaft im Einsatz. Die Öffentlichkeit nimmt sie vor allem über diese Auftritte wahr, obwohl diese Tätigkeit, wie sie sagt, "ganz sicher nicht mein Leben bestimmt."

[dfb]

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de Persönlichkeiten aus dem Frauenfußball in den Fokus. Heute: Nia Künzer, Schützin des Golden Goal bei der WM 2003, die inzwischen ein Dezernat für Flüchtlingsangelegenheiten leitet.

Nia Künzer hat kein Problem damit, dass beinahe alle Gespräche oder Interviews meist noch diesen einen Moment ansprechen. 12. Oktober 2003, Finale der Frauen-Weltmeisterschaft in den USA, Deutschland gegen Schweden. 1:1 stand es nach regulärer Spielzeit, als die damals erst 23-Jährige in der achten Minute der Verlängerung einen Kopfball anbrachte, der ihr Leben verändern sollte. "Die Flanke kam damals von Renate Lingor, mit der ich beim 1. FFC Frankfurt schon ewig zusammengespielt hatte. Ich glaube, sie hat mich in dieser Situation gesucht, weil ich damals recht frisch ins Spiel gekommen bin. Überdies war ich trotz meiner eher bescheidenen Körpergröße recht kopfballstark, vielleicht mit Ariane Hingst sogar die kopfballstärkste Spielerin auf dem Feld. Und das Timing hat einfach gepasst", erinnert sie sich.

Das Golden Goal, der WM-Titel, der Konfettiregen waren gerade für sie eine besondere Entschädigung. Für eine lange Leidenszeit im Vorlauf. Drei Kreuzbandrisse hatte sie sich in jungen Jahren bereits zugezogen: Den ersten im Alter von 15 Jahren, drei Jahre später folgte dieselbe Verletzung. Der dritte Vorfall ereignete sich im Juni 2002. Neben starker Physis und Psyche führte sie rückblickend noch ihre Sturheit an, um Fußball-Geschichte zu schreiben. "Mein Glück war, dass der Kreuzbandriss auf der rechten Seite war – den dritten im linken Knie hätte ich nicht so weggesteckt. Ich habe trotzdem acht Monate gebraucht, mein Umfeld hat in dieser Zeit einiges ertragen müssen."

Kopfball ins Glück

Insofern gönnte ihr jeder den Kopfball ins Glück im kalifornischen Carson. Nur auf das, was der historischen Bogenlampe im Home Depot Center noch folgte, war die blonde Heldin aus dem Weltmeister-Ensemble mit den Stützen Silke Rottenberg, Maren Meinert oder Birgit Prinz trotzdem nicht vorbereitet. Die Stehauffrau nahm von der ARD den Preis für das Tor des Jahres entgegen, wurde Woman oft the Year und UNICEF-Botschafterin. Die Zeit danach sei schon verrückt gewesen, sagt sie. "Talkshows, Interviews, Empfänge: Das kannte ich in dieser Dimension gar nicht. Einerseits hat es mein Leben als Fußballerin in der Öffentlichkeit völlig verändert, andererseits ist im privaten Bereich vieles so geblieben: Wenn ich nach Hause kam, war immer noch derselbe Mann, dieselbe Familie und Freunde für mich da. Das hat geholfen, die Nia zu bleiben, die ich bin."

Nia Tsholofelo Künzer wurde aber in Mochudi in Botswana geboren, wo ihre Eltern Anfang der 80er Jahre als Entwicklungshelfer arbeiteten. Ihr Name stammt aus der Swahili-Sprache und bedeutet so viel wie "Ich kann, ich will". Mit wenigen Monaten kehrte sie zurück nach Deutschland, wo sie bald mit ihrem leiblichen Bruder und sieben Pflegekindern im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in  Wetzlar aufwuchs. Eine Kindheit als Lehre fürs Leben: "Ich hatte immer jemanden zum Spielen und immer jemanden zum Streiten." Ihre Eltern vermittelten ihr früh, über den Tellerrand zu schauen und sich um Benachteiligte zu kümmern.

Auch vier Kreuzbandrisse können sie nicht stoppen

Schon mit fünf Jahren hatte das "bewegungsfreudige Kind" (O-Ton Nia Künzer über sich selbst) mit dem Fußballspielen begonnen, stand bald jedes Wochenende mit "meinen Jungs", wie sie gerne sagte, auf dem Platz. Obwohl immer wieder von Verletzungen gebremst – sie erlitt auch noch einen vierten Kreuzbandriss – sollte sie zu einem prägenden Gesicht des 1. FFC Frankfurt werden. Von 1999 bis 2004 war sie Kapitänin, gewann sieben Deutsche Meisterschaften, sieben Mal den DFB-Pokal und drei Mal den UEFA Women‘s Cup. 2008 beendete die 34-malige Nationalspielerin ihre Karriere. Im selben Jahr schloss sie ihr Pädagogikstudium an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ab.

Seit mehr als zwei Jahren ist sie Dezernatsleisterin für Integration, Sozialbetreuung und Ehrenamt im Regierungspräsidium Gießen. Die zweifache Mutter – Tochter und Sohn kamen nach der aktiven Karriere zu Welt – ist für Flüchtlingsangelegenheiten und Integration in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen zuständig. Immerhin 36 Mitarbeiter hat ihr Dezernat. Sie beschrieb die Beförderung in diese verantwortungsvolle Position als Herausforderung, sich weiterzuentwickeln. Anstrengend, aber auch erfüllend sei der Job, der möglich ist,  "weil ich dafür den richtigen Mann und die Rückendeckung durch die Familie habe."

Für ihr umfangreiches soziales Engagement ist die Weltmeisterin mit dem Hessischen Verdienstorden und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Hilfsbereitschaft ist für sie Herzensangelegenheit: ob nun als DFB-Botschafterin für Entwicklungszusammenarbeit mit Gerald Asamoah, als Mitglied des Kuratoriums der Welthungerhilfe, als Laureus Botschafterin und Schirmherrin das Projekt "Kicking Girls". Sie engagiert sich auch für die Kampagne "Kinder stark machen" aus der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder "Integration gewinnt" von Lotto Hessen. Noch immer ist sie auch für die ARD bei Länderspielen und Turnieren der deutschen Frauen-Nationalmannschaft im Einsatz. Die Öffentlichkeit nimmt sie vor allem über diese Auftritte wahr, obwohl diese Tätigkeit, wie sie sagt, "ganz sicher nicht mein Leben bestimmt."

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