Fünfmal gegen Island: Vier Siege und eine legendäre Wutrede

Vor 61 Jahren begann die deutsche Länderspielgeschichte mit Island. Sie beinhaltet erst fünf wenig spektakuläre Spiele, keine Niederlagen und einen unvergesslichen Fernsehmoment. Heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) folgt die sechste Auflage in Reykjavik. DFB.de wirft vorher einen Blick zurück.

Nationalspieler mögen diese August-Termine eigentlich nicht. Die Saison steht erst am Anfang, die meist harte Vorbereitung steckt allen noch in den Knochen. Und dann soll man gleich unter dem Brennglas der Nation für sein Land spielen? Auch der kicker unkte: "Die Reise direkt in den ersten Tagen einer neuen Saison ist freilich nicht ganz ohne Risiko." Aber beinahe alternativlos für jeden, der vor 60 Jahren gegen Island spielen wollte.

Denn Fußball spielten die Skandinavier damals nur in den drei Sommermonaten, und nur in Reykjavik gab es ein Stadion mit Rasen. Also stieg Bundestrainer Sepp Herberger im August 1960 mit einem 19-köpfigen Aufgebot in ein viermotoriges Flugzeug, das über der Zwischenstation Kopenhagen in der isländischen Hauptstadt landete. Dort bezogen sie als Quartier ein im Sommer leer stehendes Studentenheim. Am 3. August 1960 stieg die Länderspielpremiere mit diesem Gegner, der nach dem Krieg vom früheren deutschen Nationaltorhüter Fritz Buchloh trainiert worden war und sich allmählich einen Namen in der Fußballwelt zu machen suchte.

1960: Ein 5:0 und zwei Testspiele

Herberger suchte schon seinen Kader für die WM in Chile, weshalb er die Nordlandfahrt zu Experimenten nutzte. So wurden in Island binnen sechs Tagen drei Spiele ausgetragen, aber nur die Premiere galt als offizielles Länderspiel. Sie endete vor 8000 Zuschauen mit einem leichten 5:0, die Tore erzielten Uwe Seeler, Helmut Haller und die Debütanten Charly Dörfel, Werner Reitgaßl und Josef Marx. Dörfels Tor aus unmöglichem Winkel begeisterte sogar den stets kritischen Herberger, die isländischen Reporter lobten besonders Seeler und Horst Szymaniak, und der kicker schwärmte: "Wohl noch nie begann eine Nationalelf eine Saison so vielversprechend."

Etwas nachlässiger agierten die Deutschen im folgenden Privatspiel gegen die Mannschaft von IA Akranes (2:1), wo die Akteure ähnlich zielsicher waren wie am Vortag beim vom Gastgeber organisierten Angelausflug. Vom Motorbootfischen kamen die hohen Gäste nämlich fast mit leeren Händen zurück, nur der Hamburger Jung Uwe Seeler angelte einen Fisch. Aber dafür waren sie ja nicht gekommen. Im letzten Test gegen KR Reykjavik lief der Ball wieder, nach einem 10:0-Schützenfest schrieb eine örtliche Zeitung: "Das war der beste Fußball, der jemals in unserem Lande gezeigt wurde." Mit 17:1 Toren aus drei Spielen, von denen zwei nie in die DFB-Annalen eingingen, und der Hoffnung neue Flügelstürmer für die WM entdeckt zu haben, traten sie die achtstündige Heimreise an. Island war eine Reise wert gewesen.

1979: Letztes Länderspiel für Sepp Maier

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Bundestrainer 19 Jahre später. Nun hieß er Jupp Derwall, und wie Herberger nutzte er den Ausflug in den Norden zu Experimenten. Die Reise fand eine Woche vor Abschluss der Saison 1978/1979 statt und begann mit einem Spiel in Irland. Dann ging es weiter ins Land der Geysire. Grund für den erneut ungewöhnlichen Termin (29. Mai) war das 80-jährige Verbandsbestehen der Isländer. Derwall nutzte die Chance, nach holprigem Start in die EM-Qualifikation, dem Team frisches Blut zuzuführen.

So betrug die Erfahrung der Feldspieler vor Torwart Sepp Maier im Schnitt 6,2 Länderspiele. Nach der Pause spielte Debütant Toni Schumacher für Maier, niemand ahnte dass dieser Wechsel wegweisend für die nächsten Jahre sein würde. Denn das 95. war das letzte Länderspiel für Maier, der im Juli 1979 schwer verunglückte und seine Karriere beenden musste. Eigentlich aber stand der Test vor nur 9000 Zuschauern im Zeichen des Neuanfangs. Zwei Debütanten (Schumacher und Kaiserslauterns Jürgen Groh) standen neben sechs Spielern, die erst ihren zweiten Einsatz absolvierten.

"Man denkt erst mal: Du bist auf dem Mond"

Einer von ihnen war Dieter Hoeneß, der zur fünfköpfigen Stuttgart-Fraktion gehörte. Der lange Mittelstürmer gehörte zu den Gewinnern, erzielte er doch gleich zwei Treffer, nachdem er schon gegen Irland ein Tor gemacht hatte. 40 Jahre später sagt er noch: "Die Reise war etwas Besonderes für mich. Ich stand kurz vor meinem Wechsel zu den Bayern, und dann so ein super Einstand. Drei Tore in den ersten beiden Länderspielen, das war schon ein Traumstart."

Besonders waren auch die Umstände. Es war Ende Mai, doch ein kalter Wind fegte durchs Stadion. Sie waren in einer fremden Welt. Hoeneß: "Wenn man vom Flughafen von Reykjavik in die Stadt fährt, denkt man erst mal: Du bist auf dem Mond. Keine Bäume, viel Vulkangestein." Land und Leute durften die Nationalspieler sogar näher kennen lernen. "Wir haben interessante Ausflüge gemacht zu den Geysiren und heißen Quellen. Das war alles sehr beeindruckend für uns."

Wie der Umstand, dass es im Frühsommer in diesem Teil der Erde eigentlich gar nicht dunkel wird. Hell waren auch die Mienen bei der Abreise nach einem leichten 3:1. Derwall machte allen Kandidaten Hoffnung, "es hat sich keiner rausgespielt."

2003: Völlers Wutrede nach Nullnummer in Reykjavik

Beim dritten Trip nach Reykjavik verboten sich jegliche Experimente. Erstmals ging es zwischen diesen Ländern um Punkte und bei der Premiere gab es keinen Sieger. Nicht mal Torschützen erbrachte das legendäre Spiel vom 6. September 2003 (0:0), die Treffer wurden erst hinterher im Fernsehstudio erteilt. Das Spiel beim damaligen Tabellenführer (!) schrieb keine besondere Geschichte, natürlich war die Nation enttäuscht, dass kein Sieg in der EM-Qualifikation eingefahren worden war - zumal als WM-Zweiter.

Die Situation hatte sich seit 2002 verschlechtert, Teamchef Rudi Völler verwaltete den Mangel an Talenten und wurde ob der Kritik zunehmend dünnhäutiger. In Reykjavik konnte das ein Millionenpublikum miterleben. Im ARD-Studio in der Heimat standen Moderator Gerhard Delling und Experte Günter Netzer. Beide schonten die Nationalelf nicht, Delling witzelte: "Die Samstagabendunterhaltung steckt in der Krise". Netzer diagnostizierte "einen Tiefpunkt".

Völler hörte die Kommentare aus Deutschland und entlud seine Wut zunächst auf ARD-Mann Waldemar Hartmann im Studio in Reykjavik. Das etwas andere Interview ist längst Kult geworden und Teil von Völlers Popularität, weil da einer ungeschminkt seinen Emotionen freien Lauf ließ. Wenn er auch mit der bissigen Annahme, Hartmann habe schon "drei Weißbier intus", danebenlag, erntete Völler in der Branche viel Beifall für Sätze wie: "Dann soll der Herr Delling doch Samstagabendunterhaltung machen und keinen Sport. Dann soll er bei 'Wetten dass' den Gottschalk ablösen." Oder: "Wenn Günter Netzer sagt, sie hätten früher auch mal ein schlechtes Spiel gemacht, aber danach zehn überragende - die zehn überragenden hätte ich früher gerne mal gesehen. Das muss noch vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein."

"Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert"

Auf der Pressekonferenz legte er nach: "Diese Häme, diese hämische Kritik von Ex-Spielern oder Ex-Trainern, die früher eine große Karriere hatten, nimmt bei uns eine Steilkurve nach oben, die total überzogen ist. Natürlich haben wir heute schlecht gespielt. Aber diese ganzen Gurus! Wenn ich immer höre, wie gut die alle waren… Das ist für mich eine absolute Sauerei. Das ist das Allerletzte, das lasse ich mir nicht gefallen." Da brodelte ein deutscher Vulkan auf Island, da war einer auf 180.

Für den Weißbier-Spruch entschuldigte sich Völler direkt bei Hartmann, der dennoch davon profitierte: Nun als "Weißbier-Waldi" bekannt, bekam er einen lukrativen Werbevertrag von einer Brauerei und dankt Völler jedes Jahr am 6. September per SMS dafür. Hartmann: "Mit einem Interview hat er meine Altersvorsorge gesichert." Die ARD verlängerte damals extra die Sendung, denn "wir haben gemerkt, dass da etwas Besonderes passiert und sind drauf geblieben", erzählte der Sendeleiter später.

Die Fans hätten sich einen wie Völler zuvor auf dem Platz gewünscht, wo wenig zusammenlief. Die Isländer hatten mehr Chancen (6:3), gleich zweimal mussten deutsche Verteidiger auf der Linie retten. Die Zuschauer verabschiedeten ihre Mannschaft mit Applaus, während die Deutschen beschämt vom Platz gingen. "Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert", gestand Kapitän Oliver Kahn. "Was besser werden muss? Alles!" - so analysierte der kicker hart.

Im Rückspiel "mit Glanz und Gloria zur EM"

Schon vier Wochen später beim Rückspiel in Hamburg war fast alles besser. Das entscheidende Spiel um die EM-Fahrkarte 2004, die für die Isländer auch möglich war, wurde unerwartet einseitig. Die Aussöhnung mit dem Publikum jedenfalls gelang, 50.780 Menschen im Volkspark sahen ein 3:0 und die Welt am Sonntag titelte: "Mit Glanz und Gloria zur EM".

Mann des Tages war Michael Ballack, der schon nach achtzehn Sekunden (!) das 1:0 auf dem Fuß hatte und es nach neun Minuten nachholte. Nach einer Stunde fiel die Vorentscheidung durch Hertha-Stürmer Fredi Bobic mit einem fulminanten Direktschuss. Besiegelt wurde der deutsche Sieg durch Kevin Kuranyi, der die Vorarbeit von Miroslav Klose zum 3:0-Endstand nutzte. Bobic sagte: "Wir haben gezeigt, dass wir keine Blinden sind." Und Völler? War längst wieder abgekühlt und befand: "Wir haben eine etwas holprige Qualifikation gespielt. Aber der letzte Eindruck war der beste."

2021: Sieg bei Musiala-Debüt

Zwei Bundestrainer und fast 18 Jahre später kam es zu einem Wiedersehen mit komplett neuen Darstellern. Das Hinspiel zur WM-Quali am 25. März in Duisburg wurde eine unerwartet einseitige Sache, hatten sich die Isländer doch in der Zwischenzeit erstaunlich entwickelt und an der EM 2016 und der WM 2018 teilgenommen. Es waren die ersten Turniere dieses Verbandes, 2016 hatten sie mit ihrem forschen Stil und ihren sympathischen Fans die Sympathien der Fußballwelt erobert. Damals kamen sie bis ins Viertelfinale. Bei der WM blieben sie zwar in der Vorrunde hängen, trotzten aber Argentinien ein 1:1 ab und unterlagen dem späteren Finalisten Kroatien nur 1:2.

Die DFB-Auswahl hatte weniger Mühe an diesem Tag vor fünf Monaten. Schon nach sieben Minuten stand es 2:0 durch Treffer von Leon Goretzka und Kai Havertz, und in normalen Zeiten hätten die Zuschauer wohl ein "Oh wie ist das schön" angestimmt. Aber es gab keine Zuschauer, Duisburg sah wegen der Pandemie ein Geisterspiel. Es war auch Spiel eins nach dem 0:6 gegen Spanien Ende 2020, die Mannschaft hatte etwas gutzumachen. Sie versprach es und hielt Wort, auch wenn es nach dem Blitzstart etwas länger bis zum entscheidenden dritten Tor durch den überragenden Ilkay Gündogan (56.) dauerte.

Für Island gab es jedenfalls im Jubiläumsländerspiel - es war die 500. Partie der Gäste - kein Pardon. Zwölf Minuten vor Schluss gab der 27 Tage zuvor gerade 18 Jahre alt gewordene Bayern-Offensivspieler Jamal Musiala sein Debüt und avancierte damit zum viertjüngsten deutschen Nationalspieler. "Musiala ist ein Versprechen für die Zukunft", schrieb der kicker damals. Heute bekommt er womöglich die nächste Gelegenheit, es einzuhalten.

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Vor 61 Jahren begann die deutsche Länderspielgeschichte mit Island. Sie beinhaltet erst fünf wenig spektakuläre Spiele, keine Niederlagen und einen unvergesslichen Fernsehmoment. Heute (ab 20.45 Uhr, live bei RTL) folgt die sechste Auflage in Reykjavik. DFB.de wirft vorher einen Blick zurück.

Nationalspieler mögen diese August-Termine eigentlich nicht. Die Saison steht erst am Anfang, die meist harte Vorbereitung steckt allen noch in den Knochen. Und dann soll man gleich unter dem Brennglas der Nation für sein Land spielen? Auch der kicker unkte: "Die Reise direkt in den ersten Tagen einer neuen Saison ist freilich nicht ganz ohne Risiko." Aber beinahe alternativlos für jeden, der vor 60 Jahren gegen Island spielen wollte.

Denn Fußball spielten die Skandinavier damals nur in den drei Sommermonaten, und nur in Reykjavik gab es ein Stadion mit Rasen. Also stieg Bundestrainer Sepp Herberger im August 1960 mit einem 19-köpfigen Aufgebot in ein viermotoriges Flugzeug, das über der Zwischenstation Kopenhagen in der isländischen Hauptstadt landete. Dort bezogen sie als Quartier ein im Sommer leer stehendes Studentenheim. Am 3. August 1960 stieg die Länderspielpremiere mit diesem Gegner, der nach dem Krieg vom früheren deutschen Nationaltorhüter Fritz Buchloh trainiert worden war und sich allmählich einen Namen in der Fußballwelt zu machen suchte.

1960: Ein 5:0 und zwei Testspiele

Herberger suchte schon seinen Kader für die WM in Chile, weshalb er die Nordlandfahrt zu Experimenten nutzte. So wurden in Island binnen sechs Tagen drei Spiele ausgetragen, aber nur die Premiere galt als offizielles Länderspiel. Sie endete vor 8000 Zuschauen mit einem leichten 5:0, die Tore erzielten Uwe Seeler, Helmut Haller und die Debütanten Charly Dörfel, Werner Reitgaßl und Josef Marx. Dörfels Tor aus unmöglichem Winkel begeisterte sogar den stets kritischen Herberger, die isländischen Reporter lobten besonders Seeler und Horst Szymaniak, und der kicker schwärmte: "Wohl noch nie begann eine Nationalelf eine Saison so vielversprechend."

Etwas nachlässiger agierten die Deutschen im folgenden Privatspiel gegen die Mannschaft von IA Akranes (2:1), wo die Akteure ähnlich zielsicher waren wie am Vortag beim vom Gastgeber organisierten Angelausflug. Vom Motorbootfischen kamen die hohen Gäste nämlich fast mit leeren Händen zurück, nur der Hamburger Jung Uwe Seeler angelte einen Fisch. Aber dafür waren sie ja nicht gekommen. Im letzten Test gegen KR Reykjavik lief der Ball wieder, nach einem 10:0-Schützenfest schrieb eine örtliche Zeitung: "Das war der beste Fußball, der jemals in unserem Lande gezeigt wurde." Mit 17:1 Toren aus drei Spielen, von denen zwei nie in die DFB-Annalen eingingen, und der Hoffnung neue Flügelstürmer für die WM entdeckt zu haben, traten sie die achtstündige Heimreise an. Island war eine Reise wert gewesen.

1979: Letztes Länderspiel für Sepp Maier

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Bundestrainer 19 Jahre später. Nun hieß er Jupp Derwall, und wie Herberger nutzte er den Ausflug in den Norden zu Experimenten. Die Reise fand eine Woche vor Abschluss der Saison 1978/1979 statt und begann mit einem Spiel in Irland. Dann ging es weiter ins Land der Geysire. Grund für den erneut ungewöhnlichen Termin (29. Mai) war das 80-jährige Verbandsbestehen der Isländer. Derwall nutzte die Chance, nach holprigem Start in die EM-Qualifikation, dem Team frisches Blut zuzuführen.

So betrug die Erfahrung der Feldspieler vor Torwart Sepp Maier im Schnitt 6,2 Länderspiele. Nach der Pause spielte Debütant Toni Schumacher für Maier, niemand ahnte dass dieser Wechsel wegweisend für die nächsten Jahre sein würde. Denn das 95. war das letzte Länderspiel für Maier, der im Juli 1979 schwer verunglückte und seine Karriere beenden musste. Eigentlich aber stand der Test vor nur 9000 Zuschauern im Zeichen des Neuanfangs. Zwei Debütanten (Schumacher und Kaiserslauterns Jürgen Groh) standen neben sechs Spielern, die erst ihren zweiten Einsatz absolvierten.

"Man denkt erst mal: Du bist auf dem Mond"

Einer von ihnen war Dieter Hoeneß, der zur fünfköpfigen Stuttgart-Fraktion gehörte. Der lange Mittelstürmer gehörte zu den Gewinnern, erzielte er doch gleich zwei Treffer, nachdem er schon gegen Irland ein Tor gemacht hatte. 40 Jahre später sagt er noch: "Die Reise war etwas Besonderes für mich. Ich stand kurz vor meinem Wechsel zu den Bayern, und dann so ein super Einstand. Drei Tore in den ersten beiden Länderspielen, das war schon ein Traumstart."

Besonders waren auch die Umstände. Es war Ende Mai, doch ein kalter Wind fegte durchs Stadion. Sie waren in einer fremden Welt. Hoeneß: "Wenn man vom Flughafen von Reykjavik in die Stadt fährt, denkt man erst mal: Du bist auf dem Mond. Keine Bäume, viel Vulkangestein." Land und Leute durften die Nationalspieler sogar näher kennen lernen. "Wir haben interessante Ausflüge gemacht zu den Geysiren und heißen Quellen. Das war alles sehr beeindruckend für uns."

Wie der Umstand, dass es im Frühsommer in diesem Teil der Erde eigentlich gar nicht dunkel wird. Hell waren auch die Mienen bei der Abreise nach einem leichten 3:1. Derwall machte allen Kandidaten Hoffnung, "es hat sich keiner rausgespielt."

2003: Völlers Wutrede nach Nullnummer in Reykjavik

Beim dritten Trip nach Reykjavik verboten sich jegliche Experimente. Erstmals ging es zwischen diesen Ländern um Punkte und bei der Premiere gab es keinen Sieger. Nicht mal Torschützen erbrachte das legendäre Spiel vom 6. September 2003 (0:0), die Treffer wurden erst hinterher im Fernsehstudio erteilt. Das Spiel beim damaligen Tabellenführer (!) schrieb keine besondere Geschichte, natürlich war die Nation enttäuscht, dass kein Sieg in der EM-Qualifikation eingefahren worden war - zumal als WM-Zweiter.

Die Situation hatte sich seit 2002 verschlechtert, Teamchef Rudi Völler verwaltete den Mangel an Talenten und wurde ob der Kritik zunehmend dünnhäutiger. In Reykjavik konnte das ein Millionenpublikum miterleben. Im ARD-Studio in der Heimat standen Moderator Gerhard Delling und Experte Günter Netzer. Beide schonten die Nationalelf nicht, Delling witzelte: "Die Samstagabendunterhaltung steckt in der Krise". Netzer diagnostizierte "einen Tiefpunkt".

Völler hörte die Kommentare aus Deutschland und entlud seine Wut zunächst auf ARD-Mann Waldemar Hartmann im Studio in Reykjavik. Das etwas andere Interview ist längst Kult geworden und Teil von Völlers Popularität, weil da einer ungeschminkt seinen Emotionen freien Lauf ließ. Wenn er auch mit der bissigen Annahme, Hartmann habe schon "drei Weißbier intus", danebenlag, erntete Völler in der Branche viel Beifall für Sätze wie: "Dann soll der Herr Delling doch Samstagabendunterhaltung machen und keinen Sport. Dann soll er bei 'Wetten dass' den Gottschalk ablösen." Oder: "Wenn Günter Netzer sagt, sie hätten früher auch mal ein schlechtes Spiel gemacht, aber danach zehn überragende - die zehn überragenden hätte ich früher gerne mal gesehen. Das muss noch vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein."

"Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert"

Auf der Pressekonferenz legte er nach: "Diese Häme, diese hämische Kritik von Ex-Spielern oder Ex-Trainern, die früher eine große Karriere hatten, nimmt bei uns eine Steilkurve nach oben, die total überzogen ist. Natürlich haben wir heute schlecht gespielt. Aber diese ganzen Gurus! Wenn ich immer höre, wie gut die alle waren… Das ist für mich eine absolute Sauerei. Das ist das Allerletzte, das lasse ich mir nicht gefallen." Da brodelte ein deutscher Vulkan auf Island, da war einer auf 180.

Für den Weißbier-Spruch entschuldigte sich Völler direkt bei Hartmann, der dennoch davon profitierte: Nun als "Weißbier-Waldi" bekannt, bekam er einen lukrativen Werbevertrag von einer Brauerei und dankt Völler jedes Jahr am 6. September per SMS dafür. Hartmann: "Mit einem Interview hat er meine Altersvorsorge gesichert." Die ARD verlängerte damals extra die Sendung, denn "wir haben gemerkt, dass da etwas Besonderes passiert und sind drauf geblieben", erzählte der Sendeleiter später.

Die Fans hätten sich einen wie Völler zuvor auf dem Platz gewünscht, wo wenig zusammenlief. Die Isländer hatten mehr Chancen (6:3), gleich zweimal mussten deutsche Verteidiger auf der Linie retten. Die Zuschauer verabschiedeten ihre Mannschaft mit Applaus, während die Deutschen beschämt vom Platz gingen. "Wir haben uns nicht mit Ruhm bekleckert", gestand Kapitän Oliver Kahn. "Was besser werden muss? Alles!" - so analysierte der kicker hart.

Im Rückspiel "mit Glanz und Gloria zur EM"

Schon vier Wochen später beim Rückspiel in Hamburg war fast alles besser. Das entscheidende Spiel um die EM-Fahrkarte 2004, die für die Isländer auch möglich war, wurde unerwartet einseitig. Die Aussöhnung mit dem Publikum jedenfalls gelang, 50.780 Menschen im Volkspark sahen ein 3:0 und die Welt am Sonntag titelte: "Mit Glanz und Gloria zur EM".

Mann des Tages war Michael Ballack, der schon nach achtzehn Sekunden (!) das 1:0 auf dem Fuß hatte und es nach neun Minuten nachholte. Nach einer Stunde fiel die Vorentscheidung durch Hertha-Stürmer Fredi Bobic mit einem fulminanten Direktschuss. Besiegelt wurde der deutsche Sieg durch Kevin Kuranyi, der die Vorarbeit von Miroslav Klose zum 3:0-Endstand nutzte. Bobic sagte: "Wir haben gezeigt, dass wir keine Blinden sind." Und Völler? War längst wieder abgekühlt und befand: "Wir haben eine etwas holprige Qualifikation gespielt. Aber der letzte Eindruck war der beste."

2021: Sieg bei Musiala-Debüt

Zwei Bundestrainer und fast 18 Jahre später kam es zu einem Wiedersehen mit komplett neuen Darstellern. Das Hinspiel zur WM-Quali am 25. März in Duisburg wurde eine unerwartet einseitige Sache, hatten sich die Isländer doch in der Zwischenzeit erstaunlich entwickelt und an der EM 2016 und der WM 2018 teilgenommen. Es waren die ersten Turniere dieses Verbandes, 2016 hatten sie mit ihrem forschen Stil und ihren sympathischen Fans die Sympathien der Fußballwelt erobert. Damals kamen sie bis ins Viertelfinale. Bei der WM blieben sie zwar in der Vorrunde hängen, trotzten aber Argentinien ein 1:1 ab und unterlagen dem späteren Finalisten Kroatien nur 1:2.

Die DFB-Auswahl hatte weniger Mühe an diesem Tag vor fünf Monaten. Schon nach sieben Minuten stand es 2:0 durch Treffer von Leon Goretzka und Kai Havertz, und in normalen Zeiten hätten die Zuschauer wohl ein "Oh wie ist das schön" angestimmt. Aber es gab keine Zuschauer, Duisburg sah wegen der Pandemie ein Geisterspiel. Es war auch Spiel eins nach dem 0:6 gegen Spanien Ende 2020, die Mannschaft hatte etwas gutzumachen. Sie versprach es und hielt Wort, auch wenn es nach dem Blitzstart etwas länger bis zum entscheidenden dritten Tor durch den überragenden Ilkay Gündogan (56.) dauerte.

Für Island gab es jedenfalls im Jubiläumsländerspiel - es war die 500. Partie der Gäste - kein Pardon. Zwölf Minuten vor Schluss gab der 27 Tage zuvor gerade 18 Jahre alt gewordene Bayern-Offensivspieler Jamal Musiala sein Debüt und avancierte damit zum viertjüngsten deutschen Nationalspieler. "Musiala ist ein Versprechen für die Zukunft", schrieb der kicker damals. Heute bekommt er womöglich die nächste Gelegenheit, es einzuhalten.

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