England gegen Deutschland: Legendäre Duelle in Wembley

Immer wieder Wembley. Zum Länderspiel gegen England heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) tritt die deutsche Nationalmannschaft zum zehnten Mal im Nationalstadion der Briten an. Der Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an die größten Klassiker zwischen England und Deutschland an dieser Stätte.

Nach der Premiere am 1. Dezember 1954, als der amtierende Weltmeister Deutschland vor 100.000 Zuschauern 1:3 verlor, ging es erst 1966 weiter. Völlig vergessen ist der zweite Auftritt im Februar 1966 (1:0 für England), denn das WM-Finale fünf Monate später überstrahlt bis heute alles im Zusammenhang mit dieser Partie.

WM-FINALE 1966

Die ganze Welt blickte am 30. Juli gespannt nach Wembley, wo Deutschland vor 96.924 Zuschauern, darunter die Queen, zum zweiten Male überhaupt ein WM-Finale bestritt. Für die Engländer war es gar eine Premiere. Schon vor dem legendärsten Tor oder Nicht-Tor des Fußballs war es ein Drama. Deutschland startete mutig und ging durch Italien-Legionär Helmut Haller früh in Führung (12. Minute). Doch glich Geoff Hurst alsbald zum Pausenstand von 1:1 aus (17.).

Die Partie wogte hin und her, 19 Chancen hatten die Berichterstatter bereits in der zweiten Hälfte notiert, ehe wieder ein Tor fiel. Nach einer "Kerze" des Bremers Horst-Dieter Höttges kam Martin Peters frei zum Schuss und erzielte das 2:1 (78.). Verzweifelt rannten die Deutschen an: Karl-Heinz Schnellinger scheiterte an Gordon Banks, Uwe Seeler köpfte um Zentimeter über das Tor. Als zwei Minuten vor Schluss auch Wolfgang Overath verzog, begannen auf den Rängen schon die Siegesfeierlichkeiten. Der deutsche Radioreporter Herbert Zimmermann, obwohl beim Wunder von Bern durch alle Gefühlswechselbäder gegangen, resignierte bereits: "Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass es unsere Stürmer noch mal packen werden", sagte er in der 90. Minute.

Da gab es noch mal Freistoß, den der Dortmunder Lothar Emmerich ausführte. Die Engländer konnten nicht klären, und über zwei Abpraller landete der Ball beim Kölner Verteidiger Wolfgang Weber. Der drückte mit langem Bein ein - zum 2:2 in letzter Sekunde. Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz pfiff gar nicht mehr an - nur zur Verlängerung.

Drin oder nicht drin?

Was dann kam, weiß jeder Fußballfan: der Lattenschuss von Hurst in der 101. Minute und der legendäre Abpraller, der auf, vor oder doch hinter der Linie landete. Damals wusste es keiner genau zu sagen. Schiedsrichter Dienst gab bereits Ecke, weil Weber den Ball ins Toraus geköpft hatte. Da meldete sich Linienrichter Tofik Bachramow aus der damaligen Sowjetunion gestenreich und plädierte auf Tor.

Es war wohl der größte Irrtum der Fußballgeschichte, jedenfalls gemessen an seiner Bedeutung. Wissenschaftliche Computer-Simulationen von 1995, ausgerechnet von britischen Forschern der Universität Oxford, legen nahe, dass der Ball die Linie nicht überschritten hat. Was die Deutschen ja sowieso immer sagten... Bachramow gab später zu, er habe es selbst auch nicht gesehen, sondern aus dem Verhalten der Spieler - die einen jubelten, die anderen waren zumindest konsterniert - geschlossen, dass es ein Tor gewesen sein müsse.

Schön als fairer Verlierer: "Ein glücklicher Tag für den Fußball"

So also werden Weltmeisterschaften entschieden. In der Schlussminute fiel noch das 4:2 durch Hurst, nicht minder irregulär, da bereits feiernde Fans über den Platz rannten, von Bobbies gehetzt. "Das hatte das Spiel nicht verdient", titelte der kicker am nächsten Tag. Ungeachtet der Umstände bei den entscheidenden Toren waren sich die Kritiker dennoch einig, dass die Engländer die etwas bessere Mannschaft gewesen und deshalb ein verdienter Weltmeister waren.

Bundestrainer Helmut Schön sagte: "Alles in allem war es ein glücklicher Tag für den Fußball. Ich glaube, die 90.000 Zuschauer im Wembleystadion und die vielen Millionen an den Fernsehschirmen haben ein großes Spiel gesehen." Und sie waren Zeugen der Geburt eines Klassikers, der diese Paarung fortan war. Sie in Wembley zu gewinnen, ist seit 1966 eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung. Deutschland sollte schon die nächste Gelegenheit nutzen. Trotz der Vorboten.

EM-VIERTELFINALE 1972

Am 12. Januar 1972 führte das Los in Zürich Deutschland und England im Viertelfinale der EM zusammen. "Schlimmer ging's nicht, England!" - das schrieb der kicker entsetzt. Im Mutterland des Fußballs hatte die Nationalmannschaft seit 1908 noch nicht gewonnen, in Wembley sowieso nicht. Es war das Los, das keiner wollte.

Der Pessimismus in den deutschen Reihen wuchs bis zum Anpfiff am 29. April 1972 quasi täglich, Personal- und Formprobleme bei den "Block-Mächten" aus München und Mönchengladbach drückten die Stimmung. "Wenn wir keine fünf Tore kriegen, haben wir ein gutes Ergebnis erreicht", sagte Günter Netzer zu Franz Beckenbauer in der Kabine. Der Kaiser-Konter: "Ja mei!" Er war angesichts deftiger Packungen seiner Bayern (1:5 in Köln, 0:3 in Duisburg, 0:2 in Glasgow) auch nicht gerade zuversichtlich.

Torwart Sepp Maier hatte sich beim Europacup-Aus der Münchner in Glasgow verletzt. Er wachte am Spieltag mit dickem Ellenbogen auf und musste in Wembley mit Schaumverband auflaufen, was die Ärzte selbst Helmut Schön verschwiegen. Der Bundestrainer hatte Sorgen genug und schon wieder mal seine Magenschmerzen. Auf der Ausfallliste standen ganz oben Berti Vogts, Wolfgang Overath sowie die Schalker Skandal-Sünder Klaus Fichtel und "Stan" Libuda.

Eins der besten deutschen Länderspiele

In der Not setzte Schön auf die Jugend. Die Bayern Paul Breitner (20), Uli Hoeneß (20) und Katsche Schwarzenbeck (22) schlossen die Lücken. Auf englischer Seite standen fünf Weltmeister. Revanche wollten beide - Deutschland für das dritte Tor von 1966, England für das 2:3 von Leon bei der WM 1970. Die Deutschen trugen Grün an diesem April-Samstag, was anschließend als gutes Omen gelten sollte. Denn in diesem Jersey machten sie eines ihrer besten Länderspiele überhaupt.

Die Spielkunst, die die Elf entfaltete, hob sie schlagartig auf den Favoritenschild. Sämtliche Spieler waren ständig in Bewegung. Die Verteidigung spielte hervorragend, glänzend dirigiert von Beckenbauer, das Mittelfeld gehörte nur den Deutschen. Ein großartiger Netzer, der Overath vergessen ließ, regierte das Spiel, das als eines der besten in die DFB-Historie einging. Denn sie nahmen an diesem Tag ihr Herz in die Hand und suchten die Entscheidung.

Alle Verzagtheit wich mit dem Anpfiff, das Wechselspiel der Feldherren Beckenbauer und Netzer, von der Bild als "Ramba-Zamba-Fußball" gefeiert, funktionierte traumhaft. Libero und Spielmacher übergaben einander den Taktstock und gaben den jungen Mitspielern Halt. Netzer machte wohl sein bestes von 37 Länderspielen und sagt bis heute: "In Wembley waren wir der Perfektion sehr nahe!"

Der erste deutsche Erfolg in England

Mit heutigen Maßstäben würde man das 3:1, das erst durch zwei späte Tore von Netzer (Elfmeter, 84.) und Gerd Müller (88.) zustande kam, sicher etwas nüchterner sehen. Die Engländer hatten mehr Torschüsse (25:13) und Ecken (14:4) und wurden keineswegs an die Wand gespielt, aber die Deutschen spielten einfach besser und effizienter in einer Partie ohne ein einziges Abseits. Am verdienten Sieg, zu dem Uli Hoeneß die bis zur 77. Minute währende Führung beigesteuert hatte, zweifelte jedenfalls niemand.

Groß machte ihn sicherlich die Tatsache, dass es der erste auf englischem Boden war - und dann noch an dem Ort, wo 1966 das mythische dritte Tor gefallen war. Das Wembley-Trauma war noch nicht überwunden mit diesem Triumph, aber leichter zu ertragen allemal. England aber jammerte. "Oh what a black day for England", titelte der Sunday Express.

Es folgten zwei weitere deutsche Siege in Wembley in Testspielen 1982 (2:1) und 1991 (1:0), aber schlimmer war für die Engländer eine Niederlage, die offiziell als Unentschieden zählt.

EM-HALBFINALE 1996

Das große Spiel hatte in den Medien sein Vorspiel. Alte Ressentiments wurden im Boulevard ausgelebt. Für den Daily Mirror jedenfalls war der 2. Weltkrieg noch nicht so ganz vorbei. Er montierte den Gesichtern von Paul Gascoigne und Stuart Pearce Stahlhelme auf und ließ sie "Surrender!" (Ergebt euch) rufen. Im Text wurde die Bundesregierung aufgerufen, die Mannschaft bis elf Uhr vom Turnier abzuziehen, sonst begänne der Fußballkrieg. Wer wollte, konnte darüber lachen. In England war die Empörung dennoch groß, Nationaltrainer Terry Venables war regelrecht angewidert, und die Redaktion stellte sich am nächsten Tag selbst an den Pranger.

Britischer Humor - ein Kapitel für sich. Das Spiel entschädigte die Deutschen für so manches, das Ergebnis erst recht. 75.860 Menschen sahen in Wembley das beste Spiel der EM 1996. Der Klassiker wurde seinem Ruf gerecht. England ging schon in der dritten Minute nach einer Ecke durch einen Kopfball von Alan Shearer in Führung. Doch nach Vorarbeit von Verteidiger Thomas Helmer glich Klinsmann-Vertreter Stefan Kuntz, damals bei Galatasaray Istanbul, aus. Kuntz hatte alle Kollegen auf einem türkischen Basar mit seinem Talisman - "Das Auge Gottes" - versorgt. Nun hatte er selbst Glück und traf mit seinem schwachen rechten Fuß.

Als er in der Verlängerung ein eigentlich reguläres Tor köpfte - es wäre der erste Sieg durch "Golden Goal" gewesen -, ließ ihn der Talisman aber im Stich. Schiedsrichter Sandor Puhl gab das Tor nicht. Ganz England atmete hörbar auf, und Deutschland ging es nicht anders, als Gascoigne mit langem Bein an einer Flanke vorbeirutschte, die Köpke schon hatte passieren lassen. So ging auch dieses Halbfinale ins Elfmeterschießen. Erinnerungen an Italien 1990, das Halbfinale in Turin, wurden wach. Es war der Beginn des englischen Traumas in dieser Disziplin.

Elfmeterschießen - das englische Trauma

Auch an das Elfmeterschießen von Wembley haben alle Zeitzeugen noch lebendige Erinnerungen, die verdeutlichen, dass auch hochbezahlte Millionäre nur Menschen sind. Dieter Eilts bettelte kurz vor Abpfiff um seine Auswechslung, denn "ich schieße garantiert nicht". Berti Vogts erhörte ihn nicht, suchte aber zunächst andere Schützen. Er kam zunächst nur auf vier.

Dann fragte er Thomas Helmer, ob Bayern-Kollege Thomas Strunz sicher sei. "Kein Risiko", versicherte Helmer, doch Matthias Sammer intervenierte: "Der ist doch erst zwei Minuten im Spiel und hatte noch gar keinen Ballkontakt." Strunz holte sich deshalb den Ball vom Schiedsrichter und jonglierte sich ein wenig in Stimmung. Der Bremer Marco Bode wurde von Markus Babbel informiert, er sei die Nummer sieben. Da fiel Bode ein, dass er 1992 mit Werder im Pokalhalbfinale als Nummer sieben entscheidend versagt hatte: "Meine Beine wurden immer weicher, ich immer aufgeregter, aber ich kam davon."

Weil Andreas Möller nach dem ersten und einzigen englischen Fehlschuss von Gareth Southgate - Andreas Köpke parierte - auch zur Freude aller, die noch auf der Liste standen, verwandelte. Sammer etwa sagte auf die Frage, ob er oder Eilts als Neunter geschossen hätte: "Da hätte es wohl eine Schlägerei gegeben." So aber gab es nur Jubel und Freudentränen.

WM-QUALIFIKATION 2000

In turbulenten Zeiten kreuzte die DFB-Auswahl zum bis heute letzten Pflichtspiel in Wembley auf. Die gerade ausgebrochene Kokain-Affäre um den designierten Bundestrainer Christoph Daum schwebte über diesem Spiel, das am 7. Oktober 2000 ausgetragen wurde. Teamchef Rudi Völler ging zum damaligen Zeitpunkt noch davon aus, dass er schon im Rückspiel im September 2001 nicht mehr im Amt sein würde. Bekanntlich kam es anders. Der Tag von Wembley war erst Völlers drittes Länderspiel, und nach dem 1:0-Auswärtssieg hatte er immer noch eine blütenreine Weste - drei Siege.

Dieser wichtige Erfolg in schwerer Zeit hatte noch eine andere Note; es war auch das allerletzte Länderspiel im 1923 eingeweihten Wembleystadion, das danach abgerissen und umgebaut wurde. Dabei hatten sich die Gastgeber zum Abschied vor 76.377 Zuschauern natürlich ein würdiges Ende der Länderspiel-Arena gewünscht, doch Deutschland nahm darauf keine Rücksicht. Ein scharf geschossener Freistoß von Dietmar Hamann (14.) aus 32 Metern, der dennoch nicht ganz unhaltbar zu sein schien für David Seaman, brachte Deutschland den Prestigesieg.

Hamann erzielt das letzte Tor im "alten" Wembleystadion

Es war das letzte Tor, das das alte Wembleystadion sah. Eigentlich wollte Mehmet Scholl schießen, doch Hamann vertrieb ihn mit den Worten: "Scholli, lass die Finger weg, das ist zu weit für dich!" Für Hamann nicht, auch weil die Engländer keine Mauer stellten. "Hamann schwang die Abriss-Birne für Wembley", schrieb eine englische Sonntagszeitung. Kurios: Bei einer Internetabstimmung über den Namen einer Fußgänger-Brücke zum neuen Stadion kam dank deutscher Witzbolde "Didi Hamann Bridge" heraus, was die traditionsbewussten Engländer dann doch nicht zuließen.

Ausgerechnet die Deutschen luden die Engländer ein, als das neue Wembleystadion fertig war. Selbst Schuld, kann man da nur sagen. Zur Eröffnung setzte es sogleich wieder eine Niederlage. Schalker Wertarbeit stand Pate an diesem 22. August 2007: Kevin Kuranyi und Christian Pander schossen die Tore zum 2:1-Triumph, den schon Joachim Löw verantwortete. Auf ein Neues, Jogi!

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Immer wieder Wembley. Zum Länderspiel gegen England heute (ab 21 Uhr, live in der ARD) tritt die deutsche Nationalmannschaft zum zehnten Mal im Nationalstadion der Briten an. Der Historiker Udo Muras erinnert auf DFB.de an die größten Klassiker zwischen England und Deutschland an dieser Stätte.

Nach der Premiere am 1. Dezember 1954, als der amtierende Weltmeister Deutschland vor 100.000 Zuschauern 1:3 verlor, ging es erst 1966 weiter. Völlig vergessen ist der zweite Auftritt im Februar 1966 (1:0 für England), denn das WM-Finale fünf Monate später überstrahlt bis heute alles im Zusammenhang mit dieser Partie.

WM-FINALE 1966

Die ganze Welt blickte am 30. Juli gespannt nach Wembley, wo Deutschland vor 96.924 Zuschauern, darunter die Queen, zum zweiten Male überhaupt ein WM-Finale bestritt. Für die Engländer war es gar eine Premiere. Schon vor dem legendärsten Tor oder Nicht-Tor des Fußballs war es ein Drama. Deutschland startete mutig und ging durch Italien-Legionär Helmut Haller früh in Führung (12. Minute). Doch glich Geoff Hurst alsbald zum Pausenstand von 1:1 aus (17.).

Die Partie wogte hin und her, 19 Chancen hatten die Berichterstatter bereits in der zweiten Hälfte notiert, ehe wieder ein Tor fiel. Nach einer "Kerze" des Bremers Horst-Dieter Höttges kam Martin Peters frei zum Schuss und erzielte das 2:1 (78.). Verzweifelt rannten die Deutschen an: Karl-Heinz Schnellinger scheiterte an Gordon Banks, Uwe Seeler köpfte um Zentimeter über das Tor. Als zwei Minuten vor Schluss auch Wolfgang Overath verzog, begannen auf den Rängen schon die Siegesfeierlichkeiten. Der deutsche Radioreporter Herbert Zimmermann, obwohl beim Wunder von Bern durch alle Gefühlswechselbäder gegangen, resignierte bereits: "Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass es unsere Stürmer noch mal packen werden", sagte er in der 90. Minute.

Da gab es noch mal Freistoß, den der Dortmunder Lothar Emmerich ausführte. Die Engländer konnten nicht klären, und über zwei Abpraller landete der Ball beim Kölner Verteidiger Wolfgang Weber. Der drückte mit langem Bein ein - zum 2:2 in letzter Sekunde. Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz pfiff gar nicht mehr an - nur zur Verlängerung.

Drin oder nicht drin?

Was dann kam, weiß jeder Fußballfan: der Lattenschuss von Hurst in der 101. Minute und der legendäre Abpraller, der auf, vor oder doch hinter der Linie landete. Damals wusste es keiner genau zu sagen. Schiedsrichter Dienst gab bereits Ecke, weil Weber den Ball ins Toraus geköpft hatte. Da meldete sich Linienrichter Tofik Bachramow aus der damaligen Sowjetunion gestenreich und plädierte auf Tor.

Es war wohl der größte Irrtum der Fußballgeschichte, jedenfalls gemessen an seiner Bedeutung. Wissenschaftliche Computer-Simulationen von 1995, ausgerechnet von britischen Forschern der Universität Oxford, legen nahe, dass der Ball die Linie nicht überschritten hat. Was die Deutschen ja sowieso immer sagten... Bachramow gab später zu, er habe es selbst auch nicht gesehen, sondern aus dem Verhalten der Spieler - die einen jubelten, die anderen waren zumindest konsterniert - geschlossen, dass es ein Tor gewesen sein müsse.

Schön als fairer Verlierer: "Ein glücklicher Tag für den Fußball"

So also werden Weltmeisterschaften entschieden. In der Schlussminute fiel noch das 4:2 durch Hurst, nicht minder irregulär, da bereits feiernde Fans über den Platz rannten, von Bobbies gehetzt. "Das hatte das Spiel nicht verdient", titelte der kicker am nächsten Tag. Ungeachtet der Umstände bei den entscheidenden Toren waren sich die Kritiker dennoch einig, dass die Engländer die etwas bessere Mannschaft gewesen und deshalb ein verdienter Weltmeister waren.

Bundestrainer Helmut Schön sagte: "Alles in allem war es ein glücklicher Tag für den Fußball. Ich glaube, die 90.000 Zuschauer im Wembleystadion und die vielen Millionen an den Fernsehschirmen haben ein großes Spiel gesehen." Und sie waren Zeugen der Geburt eines Klassikers, der diese Paarung fortan war. Sie in Wembley zu gewinnen, ist seit 1966 eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung. Deutschland sollte schon die nächste Gelegenheit nutzen. Trotz der Vorboten.

EM-VIERTELFINALE 1972

Am 12. Januar 1972 führte das Los in Zürich Deutschland und England im Viertelfinale der EM zusammen. "Schlimmer ging's nicht, England!" - das schrieb der kicker entsetzt. Im Mutterland des Fußballs hatte die Nationalmannschaft seit 1908 noch nicht gewonnen, in Wembley sowieso nicht. Es war das Los, das keiner wollte.

Der Pessimismus in den deutschen Reihen wuchs bis zum Anpfiff am 29. April 1972 quasi täglich, Personal- und Formprobleme bei den "Block-Mächten" aus München und Mönchengladbach drückten die Stimmung. "Wenn wir keine fünf Tore kriegen, haben wir ein gutes Ergebnis erreicht", sagte Günter Netzer zu Franz Beckenbauer in der Kabine. Der Kaiser-Konter: "Ja mei!" Er war angesichts deftiger Packungen seiner Bayern (1:5 in Köln, 0:3 in Duisburg, 0:2 in Glasgow) auch nicht gerade zuversichtlich.

Torwart Sepp Maier hatte sich beim Europacup-Aus der Münchner in Glasgow verletzt. Er wachte am Spieltag mit dickem Ellenbogen auf und musste in Wembley mit Schaumverband auflaufen, was die Ärzte selbst Helmut Schön verschwiegen. Der Bundestrainer hatte Sorgen genug und schon wieder mal seine Magenschmerzen. Auf der Ausfallliste standen ganz oben Berti Vogts, Wolfgang Overath sowie die Schalker Skandal-Sünder Klaus Fichtel und "Stan" Libuda.

Eins der besten deutschen Länderspiele

In der Not setzte Schön auf die Jugend. Die Bayern Paul Breitner (20), Uli Hoeneß (20) und Katsche Schwarzenbeck (22) schlossen die Lücken. Auf englischer Seite standen fünf Weltmeister. Revanche wollten beide - Deutschland für das dritte Tor von 1966, England für das 2:3 von Leon bei der WM 1970. Die Deutschen trugen Grün an diesem April-Samstag, was anschließend als gutes Omen gelten sollte. Denn in diesem Jersey machten sie eines ihrer besten Länderspiele überhaupt.

Die Spielkunst, die die Elf entfaltete, hob sie schlagartig auf den Favoritenschild. Sämtliche Spieler waren ständig in Bewegung. Die Verteidigung spielte hervorragend, glänzend dirigiert von Beckenbauer, das Mittelfeld gehörte nur den Deutschen. Ein großartiger Netzer, der Overath vergessen ließ, regierte das Spiel, das als eines der besten in die DFB-Historie einging. Denn sie nahmen an diesem Tag ihr Herz in die Hand und suchten die Entscheidung.

Alle Verzagtheit wich mit dem Anpfiff, das Wechselspiel der Feldherren Beckenbauer und Netzer, von der Bild als "Ramba-Zamba-Fußball" gefeiert, funktionierte traumhaft. Libero und Spielmacher übergaben einander den Taktstock und gaben den jungen Mitspielern Halt. Netzer machte wohl sein bestes von 37 Länderspielen und sagt bis heute: "In Wembley waren wir der Perfektion sehr nahe!"

Der erste deutsche Erfolg in England

Mit heutigen Maßstäben würde man das 3:1, das erst durch zwei späte Tore von Netzer (Elfmeter, 84.) und Gerd Müller (88.) zustande kam, sicher etwas nüchterner sehen. Die Engländer hatten mehr Torschüsse (25:13) und Ecken (14:4) und wurden keineswegs an die Wand gespielt, aber die Deutschen spielten einfach besser und effizienter in einer Partie ohne ein einziges Abseits. Am verdienten Sieg, zu dem Uli Hoeneß die bis zur 77. Minute währende Führung beigesteuert hatte, zweifelte jedenfalls niemand.

Groß machte ihn sicherlich die Tatsache, dass es der erste auf englischem Boden war - und dann noch an dem Ort, wo 1966 das mythische dritte Tor gefallen war. Das Wembley-Trauma war noch nicht überwunden mit diesem Triumph, aber leichter zu ertragen allemal. England aber jammerte. "Oh what a black day for England", titelte der Sunday Express.

Es folgten zwei weitere deutsche Siege in Wembley in Testspielen 1982 (2:1) und 1991 (1:0), aber schlimmer war für die Engländer eine Niederlage, die offiziell als Unentschieden zählt.

EM-HALBFINALE 1996

Das große Spiel hatte in den Medien sein Vorspiel. Alte Ressentiments wurden im Boulevard ausgelebt. Für den Daily Mirror jedenfalls war der 2. Weltkrieg noch nicht so ganz vorbei. Er montierte den Gesichtern von Paul Gascoigne und Stuart Pearce Stahlhelme auf und ließ sie "Surrender!" (Ergebt euch) rufen. Im Text wurde die Bundesregierung aufgerufen, die Mannschaft bis elf Uhr vom Turnier abzuziehen, sonst begänne der Fußballkrieg. Wer wollte, konnte darüber lachen. In England war die Empörung dennoch groß, Nationaltrainer Terry Venables war regelrecht angewidert, und die Redaktion stellte sich am nächsten Tag selbst an den Pranger.

Britischer Humor - ein Kapitel für sich. Das Spiel entschädigte die Deutschen für so manches, das Ergebnis erst recht. 75.860 Menschen sahen in Wembley das beste Spiel der EM 1996. Der Klassiker wurde seinem Ruf gerecht. England ging schon in der dritten Minute nach einer Ecke durch einen Kopfball von Alan Shearer in Führung. Doch nach Vorarbeit von Verteidiger Thomas Helmer glich Klinsmann-Vertreter Stefan Kuntz, damals bei Galatasaray Istanbul, aus. Kuntz hatte alle Kollegen auf einem türkischen Basar mit seinem Talisman - "Das Auge Gottes" - versorgt. Nun hatte er selbst Glück und traf mit seinem schwachen rechten Fuß.

Als er in der Verlängerung ein eigentlich reguläres Tor köpfte - es wäre der erste Sieg durch "Golden Goal" gewesen -, ließ ihn der Talisman aber im Stich. Schiedsrichter Sandor Puhl gab das Tor nicht. Ganz England atmete hörbar auf, und Deutschland ging es nicht anders, als Gascoigne mit langem Bein an einer Flanke vorbeirutschte, die Köpke schon hatte passieren lassen. So ging auch dieses Halbfinale ins Elfmeterschießen. Erinnerungen an Italien 1990, das Halbfinale in Turin, wurden wach. Es war der Beginn des englischen Traumas in dieser Disziplin.

Elfmeterschießen - das englische Trauma

Auch an das Elfmeterschießen von Wembley haben alle Zeitzeugen noch lebendige Erinnerungen, die verdeutlichen, dass auch hochbezahlte Millionäre nur Menschen sind. Dieter Eilts bettelte kurz vor Abpfiff um seine Auswechslung, denn "ich schieße garantiert nicht". Berti Vogts erhörte ihn nicht, suchte aber zunächst andere Schützen. Er kam zunächst nur auf vier.

Dann fragte er Thomas Helmer, ob Bayern-Kollege Thomas Strunz sicher sei. "Kein Risiko", versicherte Helmer, doch Matthias Sammer intervenierte: "Der ist doch erst zwei Minuten im Spiel und hatte noch gar keinen Ballkontakt." Strunz holte sich deshalb den Ball vom Schiedsrichter und jonglierte sich ein wenig in Stimmung. Der Bremer Marco Bode wurde von Markus Babbel informiert, er sei die Nummer sieben. Da fiel Bode ein, dass er 1992 mit Werder im Pokalhalbfinale als Nummer sieben entscheidend versagt hatte: "Meine Beine wurden immer weicher, ich immer aufgeregter, aber ich kam davon."

Weil Andreas Möller nach dem ersten und einzigen englischen Fehlschuss von Gareth Southgate - Andreas Köpke parierte - auch zur Freude aller, die noch auf der Liste standen, verwandelte. Sammer etwa sagte auf die Frage, ob er oder Eilts als Neunter geschossen hätte: "Da hätte es wohl eine Schlägerei gegeben." So aber gab es nur Jubel und Freudentränen.

WM-QUALIFIKATION 2000

In turbulenten Zeiten kreuzte die DFB-Auswahl zum bis heute letzten Pflichtspiel in Wembley auf. Die gerade ausgebrochene Kokain-Affäre um den designierten Bundestrainer Christoph Daum schwebte über diesem Spiel, das am 7. Oktober 2000 ausgetragen wurde. Teamchef Rudi Völler ging zum damaligen Zeitpunkt noch davon aus, dass er schon im Rückspiel im September 2001 nicht mehr im Amt sein würde. Bekanntlich kam es anders. Der Tag von Wembley war erst Völlers drittes Länderspiel, und nach dem 1:0-Auswärtssieg hatte er immer noch eine blütenreine Weste - drei Siege.

Dieser wichtige Erfolg in schwerer Zeit hatte noch eine andere Note; es war auch das allerletzte Länderspiel im 1923 eingeweihten Wembleystadion, das danach abgerissen und umgebaut wurde. Dabei hatten sich die Gastgeber zum Abschied vor 76.377 Zuschauern natürlich ein würdiges Ende der Länderspiel-Arena gewünscht, doch Deutschland nahm darauf keine Rücksicht. Ein scharf geschossener Freistoß von Dietmar Hamann (14.) aus 32 Metern, der dennoch nicht ganz unhaltbar zu sein schien für David Seaman, brachte Deutschland den Prestigesieg.

Hamann erzielt das letzte Tor im "alten" Wembleystadion

Es war das letzte Tor, das das alte Wembleystadion sah. Eigentlich wollte Mehmet Scholl schießen, doch Hamann vertrieb ihn mit den Worten: "Scholli, lass die Finger weg, das ist zu weit für dich!" Für Hamann nicht, auch weil die Engländer keine Mauer stellten. "Hamann schwang die Abriss-Birne für Wembley", schrieb eine englische Sonntagszeitung. Kurios: Bei einer Internetabstimmung über den Namen einer Fußgänger-Brücke zum neuen Stadion kam dank deutscher Witzbolde "Didi Hamann Bridge" heraus, was die traditionsbewussten Engländer dann doch nicht zuließen.

Ausgerechnet die Deutschen luden die Engländer ein, als das neue Wembleystadion fertig war. Selbst Schuld, kann man da nur sagen. Zur Eröffnung setzte es sogleich wieder eine Niederlage. Schalker Wertarbeit stand Pate an diesem 22. August 2007: Kevin Kuranyi und Christian Pander schossen die Tore zum 2:1-Triumph, den schon Joachim Löw verantwortete. Auf ein Neues, Jogi!