Auf den Spuren von Julius Hirsch

Vor 75 Jahren, am 1. März 1943, stieg der Nationalspieler Julius Hirsch am Karlsruher Hauptbahnhof zusammen mit anderen Jüdinnen und Juden in einen Zug, der ihn "zum Arbeitseinsatz im Osten" bringen sollte. Tatsächliches Ziel der Fahrt: das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Anlässlich des Jahrestages seiner Deportation befindet sich seit Mittwoch auf Einladung der DFB-Kulturstiftung eine gemischte Gruppe von 30 Fans, Spielern und Spielerinnen, Fanprojektlern, Vereins- und Verbandsmitarbeitern und anderen Interessierten auf einer Gedenkstättenfahrt in Oświęcim (Auschwitz). Fünf Tage lang setzen sie sich auf der Fahrt "Auf den Spuren von Julius Hirsch" mit den hier von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen und der Biographie des Nationalspielers auseinander.

Und sie setzen ein Zeichen des Gedenkens. In der staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau legte jeder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Blumen an der "alten Rampe" nieder, also an jenem Ort, an dem der Deportationszug, in dem sich mehr als 1.300 Jüdinnen und Juden aus dem ganzen Reichsgebiet befanden, in der Nacht zum 4. März 1943 Auschwitz-Birkenau erreichte. Julius Hirsch wurde wie die meisten der anderen Verschleppten vermutlich in einer von zwei zu dieser Zeit provisorischen Gaskammern ermordet. Auch dort, wo heute allenfalls noch Teile der Grundmauern original erhalten sind und die Standorte auf dem ehemaligen Lagergelände markieren, gedachte die Gruppe dem ehemaligen Nationalspieler.

Diskussion über Hirschs Geschichte

Zu Beginn der Gedenkstättenfahrt diskutierten die TeilnehmerInnen zunächst gemeinsam über die Geschichte von Julius Hirsch im historischen Kontext auf drei verschiedenen Ebenen. Zum Kontext "Deutsche Geschichte" zählte beispielsweise die Beschäftigung mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 oder die Einrichtung des Konzentrationslagers Auschwitz im Juni 1940. Zur Ebene "Geschichte des Fußballs" gehörte die Rolle des DFB im Nationalsozialismus mit Felix Linnemann an der Spitze. Die "Biographie Julius Hirsch" schließlich regte dazu an, wichtige Ereignisse aus seinem Leben historisch einzuordnen.

Kern der Auseinandersetzung vor Ort ist vor allem die detaillierte Beschäftigung mit dem Transport, welchen Julius Hirsch am 1. März 1943 in Karlsruhe besteigen musste: durch die Bearbeitung von Biographien ganz unterschiedlicher Menschen, die sich zusammengepfercht in den gleichen stickigen und kalten Holzwaggons wie Julius Hirsch befanden, bekommt die häufig als homogen wahrgenommene jüdische Opfergruppe eine Kontur sehr unterschiedlicher Gesichter, Lebensumstände und Herkünfte. Darüber hinaus erschließt sich aus den Schilderungen und Geschichten derjenigen seiner Leidensgenossen, welche die Deportation anders als Julius Hirsch erlebten, ein viel anschaulicherer Blick auf die Umstände seiner mutmaßlich letzten drei Lebenstage, als es die Biografien über den Nationalspieler bisher schildern konnten.

Besuch der Gedenkstättenteile Auschwitz I und II

Den historischen Hintergrund bildeten die von den HistorikerInnen Andreas Kahrs und Juliane Rölecke - gemeinsam mit Fanarbeiter Daniel Lörcher und Fanforscher Robert Claus die Mitglieder des Projektteams - eigens für die Fahrt über mehrere Wochen in zahlreichen Archiven recherchierten und in einem umfangreichen Reader zusammengestellten Informationen. Hierzu zählen beispielsweise biografische Daten zu Paul Hoffmann, der gemeinsam mit seiner Verlobten Lotte Windmüller aus Bielefeld nach Auschwitz deportiert wurde. Den beiden gelang es, vergleichbar mit Julius Hirsch, eine Postkarte aus dem Zug zu werfen, die mit Poststempel vom 3. März 1943 versendet wurde.

Die TeilnehmerInnen der Fahrt besuchen neben der Arbeit in den Workshops die unterschiedlichen Gedenkstättenteile Auschwitz I und II sowie das Gelände des ehemaligen Lagerteils Auschwitz III (Monowitz) und die Stadt Oświęcim. Julius Hirsch, geboren am 7. April 1892, lief in sieben Länderspielen als Stürmer für die deutsche Nationalmannschaft auf, wurde mit dem Karlsruher FV 1910 und der SpVgg Fürth 1914 deutscher Meister und nahm an den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm teil. Bereits am 10. April 1933 sah er sich genötigt aus seinem Fußballverein, dem Karlsruher FV auszutreten. In seinem Schreiben an den Karlsruher FV heißt es unter anderem: "Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen."

Einen Tag zuvor hatten 14 süddeutsche Fußballvereine ihre Absicht erklärt, jüdische Mitglieder in Führungspositionen aus ihren Vereinen auszuschließen. Seit 2005 erinnert der DFB durch die Vergabe des Julius Hirsch Preises an den Nationalspieler und zeichnet Projekte aus, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung im Umfeld des Fußballs engagieren.

[dfb]

Vor 75 Jahren, am 1. März 1943, stieg der Nationalspieler Julius Hirsch am Karlsruher Hauptbahnhof zusammen mit anderen Jüdinnen und Juden in einen Zug, der ihn "zum Arbeitseinsatz im Osten" bringen sollte. Tatsächliches Ziel der Fahrt: das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Anlässlich des Jahrestages seiner Deportation befindet sich seit Mittwoch auf Einladung der DFB-Kulturstiftung eine gemischte Gruppe von 30 Fans, Spielern und Spielerinnen, Fanprojektlern, Vereins- und Verbandsmitarbeitern und anderen Interessierten auf einer Gedenkstättenfahrt in Oświęcim (Auschwitz). Fünf Tage lang setzen sie sich auf der Fahrt "Auf den Spuren von Julius Hirsch" mit den hier von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen und der Biographie des Nationalspielers auseinander.

Und sie setzen ein Zeichen des Gedenkens. In der staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau legte jeder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Blumen an der "alten Rampe" nieder, also an jenem Ort, an dem der Deportationszug, in dem sich mehr als 1.300 Jüdinnen und Juden aus dem ganzen Reichsgebiet befanden, in der Nacht zum 4. März 1943 Auschwitz-Birkenau erreichte. Julius Hirsch wurde wie die meisten der anderen Verschleppten vermutlich in einer von zwei zu dieser Zeit provisorischen Gaskammern ermordet. Auch dort, wo heute allenfalls noch Teile der Grundmauern original erhalten sind und die Standorte auf dem ehemaligen Lagergelände markieren, gedachte die Gruppe dem ehemaligen Nationalspieler.

Diskussion über Hirschs Geschichte

Zu Beginn der Gedenkstättenfahrt diskutierten die TeilnehmerInnen zunächst gemeinsam über die Geschichte von Julius Hirsch im historischen Kontext auf drei verschiedenen Ebenen. Zum Kontext "Deutsche Geschichte" zählte beispielsweise die Beschäftigung mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 oder die Einrichtung des Konzentrationslagers Auschwitz im Juni 1940. Zur Ebene "Geschichte des Fußballs" gehörte die Rolle des DFB im Nationalsozialismus mit Felix Linnemann an der Spitze. Die "Biographie Julius Hirsch" schließlich regte dazu an, wichtige Ereignisse aus seinem Leben historisch einzuordnen.

Kern der Auseinandersetzung vor Ort ist vor allem die detaillierte Beschäftigung mit dem Transport, welchen Julius Hirsch am 1. März 1943 in Karlsruhe besteigen musste: durch die Bearbeitung von Biographien ganz unterschiedlicher Menschen, die sich zusammengepfercht in den gleichen stickigen und kalten Holzwaggons wie Julius Hirsch befanden, bekommt die häufig als homogen wahrgenommene jüdische Opfergruppe eine Kontur sehr unterschiedlicher Gesichter, Lebensumstände und Herkünfte. Darüber hinaus erschließt sich aus den Schilderungen und Geschichten derjenigen seiner Leidensgenossen, welche die Deportation anders als Julius Hirsch erlebten, ein viel anschaulicherer Blick auf die Umstände seiner mutmaßlich letzten drei Lebenstage, als es die Biografien über den Nationalspieler bisher schildern konnten.

Besuch der Gedenkstättenteile Auschwitz I und II

Den historischen Hintergrund bildeten die von den HistorikerInnen Andreas Kahrs und Juliane Rölecke - gemeinsam mit Fanarbeiter Daniel Lörcher und Fanforscher Robert Claus die Mitglieder des Projektteams - eigens für die Fahrt über mehrere Wochen in zahlreichen Archiven recherchierten und in einem umfangreichen Reader zusammengestellten Informationen. Hierzu zählen beispielsweise biografische Daten zu Paul Hoffmann, der gemeinsam mit seiner Verlobten Lotte Windmüller aus Bielefeld nach Auschwitz deportiert wurde. Den beiden gelang es, vergleichbar mit Julius Hirsch, eine Postkarte aus dem Zug zu werfen, die mit Poststempel vom 3. März 1943 versendet wurde.

Die TeilnehmerInnen der Fahrt besuchen neben der Arbeit in den Workshops die unterschiedlichen Gedenkstättenteile Auschwitz I und II sowie das Gelände des ehemaligen Lagerteils Auschwitz III (Monowitz) und die Stadt Oświęcim. Julius Hirsch, geboren am 7. April 1892, lief in sieben Länderspielen als Stürmer für die deutsche Nationalmannschaft auf, wurde mit dem Karlsruher FV 1910 und der SpVgg Fürth 1914 deutscher Meister und nahm an den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm teil. Bereits am 10. April 1933 sah er sich genötigt aus seinem Fußballverein, dem Karlsruher FV auszutreten. In seinem Schreiben an den Karlsruher FV heißt es unter anderem: "Ich lese heute im Sportbericht Stuttgart, dass die großen Vereine, darunter auch der KFV, einen Entschluss gefasst haben, dass die Juden aus den Sportvereinen zu entfernen seien. Leider muss ich nun bewegten Herzens meinem lieben KFV, dem ich seit 1902 angehöre, meinen Austritt anzeigen."

Einen Tag zuvor hatten 14 süddeutsche Fußballvereine ihre Absicht erklärt, jüdische Mitglieder in Führungspositionen aus ihren Vereinen auszuschließen. Seit 2005 erinnert der DFB durch die Vergabe des Julius Hirsch Preises an den Nationalspieler und zeichnet Projekte aus, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung im Umfeld des Fußballs engagieren.