Boateng zurück in Berlin: "Dit is Heimat"

Der Mann ist ein Jäger und Sammler. Gut, das mit dem Jagen ist eine etwas antiquierte Beschreibung für einen modernen Abwehrspieler. Schließlich ist Jérôme Boateng kein Vorstopper der alten Prägung, kein Manndecker, wie man die Kohlers und Försters früher nannte. Boateng jagt seine Gegenspieler, all die Mittel- und Flügelstürmer, nicht quer über den Platz. Durch sein Stellungsspiel, seine Präsenz und seine Athletik jagt er ihnen Angst ein. Und wer Angst hat, verliert. Den Zweikampf. Den Ball. Wer Boateng hat, gewinnt meist beides.

Boateng, Jérôme Boateng, 27 Jahre alt, seit 2009 Nationalspieler, seit 2011 beim FC Bayern und dort unumstrittener Abwehrchef. Champions-League-Sieger 2013, Weltmeister 2014. Eine Stütze. Ein Garant. Eine Institution. Einer der besten Innenverteidiger der Welt. Einer, der gejagt wird, von allen großen europäischen Vereinen. Letzten Dezember jedoch hat er sich klar zum FC Bayern bekannt, seinen Vertrag in München bis 2021 verlängert. Weil er süchtig ist. Nach Erfolgen, nach Titeln, weil er niemals satt wird.

Das vereint sie beim Rekordmeister: wenn die Lust nach dem Duft des Erfolges zur Sucht wird. "Süchtig ist ein gutes Wort", sagt Boateng und lächelt. Als sein Gegenüber merkt man: Das Adjektiv gefällt ihm. Bingo. Gute Gesprächseröffnung. Schnell legt er seine Definition von "süchtig" nach: "Solange ich spiele, möchte ich jeden Titel holen, den man gewinnen kann. Das muss ja das Ziel sein - ob beim FC Bayern oder in der Nationalmannschaft."

Bolzplatz-Kicker, B-Jugend-Meister, Bayern-Star

Boatengs nächste Gelegenheit ist für ihn eine ganz besondere. Den nächsten Titel will er in Berlin feiern, in seiner Heimat. Im "Finale daheeme". Der gebürtige Berliner trifft mit dem FC Bayern am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und auf Sky) auf Borussia Dortmund - und hat ein Heimspiel. Er mag den "Menschenschlag", sagt er. Berlin sei "einfach toll". Nichts gegen München, seine Wahlheimat gefalle ihm natürlich auch. Aber Berlin ist eben Berlin. Dit is Heimat.

Und Hertha BSC. "Ich verfolge sehr genau, was die Hertha macht, checke immer sofort die Ergebnisse auf dem Handy und drücke ihnen immer die Daumen", sagt Boateng und fügt mit leiser Stimme hinzu: "Hoffentlich hilft es. Ich bin ja Berliner, das ist ja auch irgendwie meine Mannschaft." Geboren in Charlottenburg besuchte er die Poelchau-Oberschule im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Kickte mit seinen Halbbruder Kevin-Prince und Freunden auf der "Panke", einem Bolzplatz zwischen Sozialwohnungen in Wedding, im Alter von zehn Jahren fing er bei Tennis Borussia Berlin in der Jugend an. Mit 14 wechselte er in die Nachwuchsabteilung des Lokalrivalen Hertha BSC und durchlief dort sämtliche Altersklassen, wurde 2005 mit der U 17 B-Jugend-Meister.

Sein Profidebüt gab Jérôme Boateng im Januar 2007. Der Abschied aus der Hauptstadt zum Hamburger SV im Sommer darauf ist mittlerweile neun Jahre her. Und dennoch "verbindet mich einiges" mit Berlin. Mit dem HSV und Manchester City, den weiteren Stationen bis 2011, dagegen weniger. Dass Hertha eine so gute Saison und nächstes Jahr europäisch spielt, sei "überraschend für alle". Lediglich der Fan-Support überzeugte Boateng weniger: "Die Unterstützung war schon mal besser. Dass zum Teil nur 40.000 Fans kamen, fand ich schade." Da leidet einer mit - das kauft man ihm ab.

Dritter DFB-Pokalsieg im vierten Versuch?

Beim DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion ist immer volles Haus. Die Partie gegen Dortmund wird sein viertes Endspiel, danach will Boateng zum dritten Mal den goldenen Cup in Händen halten. Beim ersten Versuch 2012 setzte es ein bitteres 2:5 gegen Borussia Dortmund, die drei Treffer des damaligen BVB-Torjägers Robert Lewandowski wurden auch ihm angekreidet. 2013 bildete der Triumph von Berlin, 3:2 im Endspiel gegen den VfB Stuttgart, das i-Tüpfelchen auf dem Triple unter Jupp Heynckes. Beim 2:0 nach Verlängerung im Finale 2014 gegen den BVB unter Pep Guardiola stand Boateng ebenfalls in der Startelf. Das Pokalfinale ist die ultimativ letzte Partie des Spaniers, der im Sommer eine neue Herausforderung bei Manchester City in der Premier League sucht. So wird das Berliner Endspiel zum Ende einer Ära.

Wer Boateng privat begegnet, trifft auf einen zurückhaltenden, ruhigen, manchmal stillen, weil nachdenklichen Menschen. Ein Fußballer, der denkt, bevor er redet. Auch in diesem Sinne ein Ausnahmefußballer. Doch Boateng kann auch laut und unangenehm werden - für die Kollegen und natürlich für die Gegenspieler "wegen der Lautstärke im Stadion". Über sich selbst sagt er: "Aber insgesamt bin ich eher der leise Typ und halte nichts davon, auf dem Platz herumzubrüllen." Er findet: "Man muss durch Leistung überzeugen." Macht er. Und Recht hat er.

Zu Beginn seiner Bayern-Zeit wurde Boateng von Fans und Medien sehr kritisch gesehen, seine hektische, zum Teil ungestüme Spielweise brachte ihm den Ruf ein, für die eigene Mannschaft ein Sicherheitsrisiko zu sein. Unnötige Fouls hatten Rote Karten und in der Folge den Verlust des Stammplatz zur Folge. Jupp Heynckes und Pep Guardiola sowie in der Nationalmannschaft Bundestrainer Joachim Löw lehrten ihm ein neues Zweikampfverhalten. Mit Ruhe und Selbstsicherheit. Ohne Risiko. Ohne Grätschen. Damals habe es "Klick gemacht", sagt Boateng, der sich fortan auf dem Platz zusätzlich fortan selbst coachte. Seitdem redet er während des Spiels mit sich, bleibt so stets bei voller Konzentration, unter Spannung.

Sammer: "Boatengs Entwicklung ist atemberaubend"

In der Hinrunde war er laut Statistiken der zweikampfstärkste Stammspieler der Bundesliga. Mit seinen weiten Diagonalbällen, einem Quarterback beim American Football ähnlich, zeigte er neue Qualitäten. Die langen Pässe, von denen zwei zu Toren beim 5:1 im Oktober gegen Borussia Dortmund führten, brachten ihm innerhalb der Mannschaft - Adressat natürlich Thomas Müller - den Spitznamen "Kaiser" ein, in Erinnerung an Franz Beckenbauers geschlenzte Bälle. Darüber lächelte Boateng nur. Zu viel der Ehre. Er war peinlich berührt. Sollen andere über ihn reden.

"Wenn man die Entwicklung bei Jérôme in den vergangenen Jahren Revue passieren lässt, ist das atemberaubend", sagte Bayerns Sportvorstand Matthias Sammer, "er ist der beste Innenverteidiger der Welt." Und Guardiola lobte, im typischen Pep-Duktus: "Jérôme ist wow - er kann alles erreichen." Sein nächstes Ziel: der Europameister-Titel. Im zweiten Anlauf nach dem Aus im Halbfinale 2012 von Warschau gegen Italien.

Nach dem Turnier kann er sich im Urlaub wieder seinem Hobby widmen - dem Sammeln. Caps, Schuhe, insbesondere Sneaker. Davon hat er mehr als 500 Paar. Neuerdings kommen Brillen hinzu. Boateng ist unter die Designer gegangen - mit einer eigenen Brillenkollektion. "Es war mal was ganz Neues für mich, aber da ich mich sowieso für Mode interessiere und auch Brillenträger bin, war das für mich spannend", sagt er. Zwei Räume sind in seinem Haus mit Schuhen vollgestellt, "und die Brillen in mehreren Fächern eingereiht", sagt Boateng, "die Caps auch." Ordnung muss sein. Ist ja das halbe Leben für einen Abwehrspieler.

[pst]

Der Mann ist ein Jäger und Sammler. Gut, das mit dem Jagen ist eine etwas antiquierte Beschreibung für einen modernen Abwehrspieler. Schließlich ist Jérôme Boateng kein Vorstopper der alten Prägung, kein Manndecker, wie man die Kohlers und Försters früher nannte. Boateng jagt seine Gegenspieler, all die Mittel- und Flügelstürmer, nicht quer über den Platz. Durch sein Stellungsspiel, seine Präsenz und seine Athletik jagt er ihnen Angst ein. Und wer Angst hat, verliert. Den Zweikampf. Den Ball. Wer Boateng hat, gewinnt meist beides.

Boateng, Jérôme Boateng, 27 Jahre alt, seit 2009 Nationalspieler, seit 2011 beim FC Bayern und dort unumstrittener Abwehrchef. Champions-League-Sieger 2013, Weltmeister 2014. Eine Stütze. Ein Garant. Eine Institution. Einer der besten Innenverteidiger der Welt. Einer, der gejagt wird, von allen großen europäischen Vereinen. Letzten Dezember jedoch hat er sich klar zum FC Bayern bekannt, seinen Vertrag in München bis 2021 verlängert. Weil er süchtig ist. Nach Erfolgen, nach Titeln, weil er niemals satt wird.

Das vereint sie beim Rekordmeister: wenn die Lust nach dem Duft des Erfolges zur Sucht wird. "Süchtig ist ein gutes Wort", sagt Boateng und lächelt. Als sein Gegenüber merkt man: Das Adjektiv gefällt ihm. Bingo. Gute Gesprächseröffnung. Schnell legt er seine Definition von "süchtig" nach: "Solange ich spiele, möchte ich jeden Titel holen, den man gewinnen kann. Das muss ja das Ziel sein - ob beim FC Bayern oder in der Nationalmannschaft."

Bolzplatz-Kicker, B-Jugend-Meister, Bayern-Star

Boatengs nächste Gelegenheit ist für ihn eine ganz besondere. Den nächsten Titel will er in Berlin feiern, in seiner Heimat. Im "Finale daheeme". Der gebürtige Berliner trifft mit dem FC Bayern am Samstag (ab 20 Uhr, live in der ARD und auf Sky) auf Borussia Dortmund - und hat ein Heimspiel. Er mag den "Menschenschlag", sagt er. Berlin sei "einfach toll". Nichts gegen München, seine Wahlheimat gefalle ihm natürlich auch. Aber Berlin ist eben Berlin. Dit is Heimat.

Und Hertha BSC. "Ich verfolge sehr genau, was die Hertha macht, checke immer sofort die Ergebnisse auf dem Handy und drücke ihnen immer die Daumen", sagt Boateng und fügt mit leiser Stimme hinzu: "Hoffentlich hilft es. Ich bin ja Berliner, das ist ja auch irgendwie meine Mannschaft." Geboren in Charlottenburg besuchte er die Poelchau-Oberschule im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Kickte mit seinen Halbbruder Kevin-Prince und Freunden auf der "Panke", einem Bolzplatz zwischen Sozialwohnungen in Wedding, im Alter von zehn Jahren fing er bei Tennis Borussia Berlin in der Jugend an. Mit 14 wechselte er in die Nachwuchsabteilung des Lokalrivalen Hertha BSC und durchlief dort sämtliche Altersklassen, wurde 2005 mit der U 17 B-Jugend-Meister.

Sein Profidebüt gab Jérôme Boateng im Januar 2007. Der Abschied aus der Hauptstadt zum Hamburger SV im Sommer darauf ist mittlerweile neun Jahre her. Und dennoch "verbindet mich einiges" mit Berlin. Mit dem HSV und Manchester City, den weiteren Stationen bis 2011, dagegen weniger. Dass Hertha eine so gute Saison und nächstes Jahr europäisch spielt, sei "überraschend für alle". Lediglich der Fan-Support überzeugte Boateng weniger: "Die Unterstützung war schon mal besser. Dass zum Teil nur 40.000 Fans kamen, fand ich schade." Da leidet einer mit - das kauft man ihm ab.

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Dritter DFB-Pokalsieg im vierten Versuch?

Beim DFB-Pokalfinale im Berliner Olympiastadion ist immer volles Haus. Die Partie gegen Dortmund wird sein viertes Endspiel, danach will Boateng zum dritten Mal den goldenen Cup in Händen halten. Beim ersten Versuch 2012 setzte es ein bitteres 2:5 gegen Borussia Dortmund, die drei Treffer des damaligen BVB-Torjägers Robert Lewandowski wurden auch ihm angekreidet. 2013 bildete der Triumph von Berlin, 3:2 im Endspiel gegen den VfB Stuttgart, das i-Tüpfelchen auf dem Triple unter Jupp Heynckes. Beim 2:0 nach Verlängerung im Finale 2014 gegen den BVB unter Pep Guardiola stand Boateng ebenfalls in der Startelf. Das Pokalfinale ist die ultimativ letzte Partie des Spaniers, der im Sommer eine neue Herausforderung bei Manchester City in der Premier League sucht. So wird das Berliner Endspiel zum Ende einer Ära.

Wer Boateng privat begegnet, trifft auf einen zurückhaltenden, ruhigen, manchmal stillen, weil nachdenklichen Menschen. Ein Fußballer, der denkt, bevor er redet. Auch in diesem Sinne ein Ausnahmefußballer. Doch Boateng kann auch laut und unangenehm werden - für die Kollegen und natürlich für die Gegenspieler "wegen der Lautstärke im Stadion". Über sich selbst sagt er: "Aber insgesamt bin ich eher der leise Typ und halte nichts davon, auf dem Platz herumzubrüllen." Er findet: "Man muss durch Leistung überzeugen." Macht er. Und Recht hat er.

Zu Beginn seiner Bayern-Zeit wurde Boateng von Fans und Medien sehr kritisch gesehen, seine hektische, zum Teil ungestüme Spielweise brachte ihm den Ruf ein, für die eigene Mannschaft ein Sicherheitsrisiko zu sein. Unnötige Fouls hatten Rote Karten und in der Folge den Verlust des Stammplatz zur Folge. Jupp Heynckes und Pep Guardiola sowie in der Nationalmannschaft Bundestrainer Joachim Löw lehrten ihm ein neues Zweikampfverhalten. Mit Ruhe und Selbstsicherheit. Ohne Risiko. Ohne Grätschen. Damals habe es "Klick gemacht", sagt Boateng, der sich fortan auf dem Platz zusätzlich fortan selbst coachte. Seitdem redet er während des Spiels mit sich, bleibt so stets bei voller Konzentration, unter Spannung.

Sammer: "Boatengs Entwicklung ist atemberaubend"

In der Hinrunde war er laut Statistiken der zweikampfstärkste Stammspieler der Bundesliga. Mit seinen weiten Diagonalbällen, einem Quarterback beim American Football ähnlich, zeigte er neue Qualitäten. Die langen Pässe, von denen zwei zu Toren beim 5:1 im Oktober gegen Borussia Dortmund führten, brachten ihm innerhalb der Mannschaft - Adressat natürlich Thomas Müller - den Spitznamen "Kaiser" ein, in Erinnerung an Franz Beckenbauers geschlenzte Bälle. Darüber lächelte Boateng nur. Zu viel der Ehre. Er war peinlich berührt. Sollen andere über ihn reden.

"Wenn man die Entwicklung bei Jérôme in den vergangenen Jahren Revue passieren lässt, ist das atemberaubend", sagte Bayerns Sportvorstand Matthias Sammer, "er ist der beste Innenverteidiger der Welt." Und Guardiola lobte, im typischen Pep-Duktus: "Jérôme ist wow - er kann alles erreichen." Sein nächstes Ziel: der Europameister-Titel. Im zweiten Anlauf nach dem Aus im Halbfinale 2012 von Warschau gegen Italien.

Nach dem Turnier kann er sich im Urlaub wieder seinem Hobby widmen - dem Sammeln. Caps, Schuhe, insbesondere Sneaker. Davon hat er mehr als 500 Paar. Neuerdings kommen Brillen hinzu. Boateng ist unter die Designer gegangen - mit einer eigenen Brillenkollektion. "Es war mal was ganz Neues für mich, aber da ich mich sowieso für Mode interessiere und auch Brillenträger bin, war das für mich spannend", sagt er. Zwei Räume sind in seinem Haus mit Schuhen vollgestellt, "und die Brillen in mehreren Fächern eingereiht", sagt Boateng, "die Caps auch." Ordnung muss sein. Ist ja das halbe Leben für einen Abwehrspieler.