Bielefelds Müller: "Verletzungszeit war Partyzeit"

Die meisten Fußballer verbinden mit ihren Länderspielen schöne Erinnerungen. Die Hymne. Das Flair. Der Stolz. Bei Christian Müller ist das anders. Sein erster und einziger Einsatz im Trikot der deutschen U 21-Nationalmannschaft endete mit einer schweren Verletzung. Der Berliner brach sich in der Partie gegen Polen das Schien- und Wadenbein und fiel anschließend über zwei Jahre aus.

Müller war damals 20 und galt bei Hertha BSC als großes Talent. Es war die Zeit der Boatengs, die Zeit eines Ashkan Dejagah und eines Patrick Ebert in Berlin. Heute ist Müller 29 und spielt für Arminia Biefeld in der 3. Liga. Am Ende dieser Saison könnte der erste Aufstieg in seiner Profikarriere stehen.

Vor dem Spitzenspiel beim 1. FC Heidenheim am Samstag (ab 14 Uhr) spricht Christian Müller im DFB.de-Interview mit Redakteur Jochen Breideband über bewegte Jahre, sein Verletzungspech, seine großen Fehler und über zweite Chancen.

DFB.de: Herr Müller, es gibt im Fußball das Sprichwort, dass sich Glück und Pech im Laufe der Zeit ausgleichen. Wie weit sind Sie von diesem Punkt noch entfernt?

Christian Müller: Sehr weit. Aber ich bin auf einem guten Weg. Zieht man meine Verletzungen ab, fühle ich mich wie 23, 24.

DFB.de: Inwieweit würde Sie der Aufstieg mit Arminia Bielefeld in die 2. Bundesliga für die vielen Rückschläge entschädigen?

Müller: Er wäre auf jeden Fall eine Entschädigung. Der Aufstieg würde dem Verein und der Stadt sehr gut tun, und für mich wäre er ein riesiger Schub nach den ganzen Knicken und Fehlern in meiner Karriere. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. Wir haben eine Mannschaft, die man nicht beschreiben kann. Wir sind jeden Tag zusammen, auch abseits des Platzes. Alle sind mit viel Spaß, aber auch dem nötigen Ernst bei der Sache. Das habe ich so noch nicht erlebt. Die Mischung ist genial, auch in Verbindung mit Trainer Stefan Krämer.

DFB.de: Wie entscheidend war der Faktor Pech in Ihrer Karriere?

Müller: Ich habe 18 Operationen hinter mir, ich war also nicht vom Glück verfolgt. Mich haut so schnell nichts mehr um. Aber das war nicht alles. In den U-Jahrgängen hieß es jahrelang, ich sei zu dünn oder zu klein. Dann mache ich meine ersten fünf Spiele in der Bundesliga und schieße zwei Tore - mit ähnlicher Größe und ähnlichem Gewicht. Das verdreht einem den Kopf. Ich habe mich auf einmal als etwas Besseres gefühlt, das war dumm. Heute fühle ich mich normal, das fühlt sich besser an. Ich bin eigentlich froh, dass ich so früh gefallen und auf dem Boden der Tatsachen gelandet bin.

DFB.de: Welche gravierenden Fehler haben Sie rückblickend gemacht?

Müller: Auf einen kurzen Nenner gebracht: Verletzungszeit war Partyzeit. So war ich, dazu stehe ich, da brauche ich nicht drumherum reden. Hertha-Manager Dieter Hoeneß hat mir damals die Ohren lang gezogen, das war auch nötig. 2009 ist dann meine Tochter auf die Welt gekommen. Spätestens seitdem weiß ich zu schätzen, was ich habe. Meine Fehler haben mich Zeit gekostet, das weiß ich. Aber ich blicke nicht bedauernd zurück, weil ich es nicht mehr ändern kann. Ich bin froh, dass mir Arminia noch eine Chance gegeben hat.

DFB.de: Sie haben auch zwei Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt, unter anderem vor dieser Saison. War das noch schwieriger als die lange Verletzungspause, während der Ihnen Hertha immerhin einen Dreijahresvertrag als Profi gab?

Müller: Ja, keinen Verein zu haben, ist noch schlimmer. Man kann keine Ansprüche stellen, muss warten und hoffen. Außerdem eilte mir mein Ruf aus Berlin voraus. Allerdings habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass es mit dem Profifußball vorbei sein könnte. Ich habe nie den Glauben verloren. Beim ersten Mal hat mir Ewald Lienen eine zweite Chance gegeben. Wir haben heute noch Kontakt. Ich bin ihm dankbar, ebenso wie ich Arminia Bielefeld dankbar bin.

DFB.de: Vor zehn Jahren waren Sie bei Hertha BSC ein großes Talent. Was würde der Christian Müller von heute dem Christian Müller von damals sagen?

Müller: Ich würde ihm sagen: "Mach' Dein Ding, aber lass' das Feiern weg." Letztlich war der Schien- und ein Wadenbeinbruch der Knackpunkt in meiner Karriere. Auf der anderen Seite hätte ich ohne diese Verletzung wohl heute meine Tochter nicht. Ich habe meine Freundin während der Verletzungszeit kennengelernt. Und eins ist klar: Die Kleine ist mir wichtiger als der Fußball.

DFB.de: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Müller: Oh je, ich weiß noch nicht mal, wo ich mich in einem halben Jahr sehe. (lacht) Nein, Quatsch, natürlich in Bielefeld. Meine Familie und ich fühlen uns sehr wohl hier. Aber in zehn Jahren? Das kann ich nicht sagen. Ich hoffe, meine Fußballerkarriere dauert noch lange. Ich möchte spielen, solange die Knochen halten.

Das sagen die DFB.de-User:

"Manchmal hilft so ein Interview, um seine angesammelten Vorurteile zumindest zu revidieren. Bisher fand ich CM nicht gerade sympathisch und seine fußballerischen Fähigkeiten reichlich eingeschränkt. Wenn ich dann aber über sein Schicksal nachdenke, ist es schon aller Ehren wert, dass er sich immer wieder hochgehangelt hat. Das spricht sehr für ihn. Leider schaffe ich es im Moment noch nicht ganz, den Menschen Müller abzukoppeln von seinem gegen Münster verschossenen Elfmeter. Ich habe es mir aber fest vorgenommen, denn wenn man alle Spieler, die einen Elfer verschossen haben, mit einem Bannstrahl versieht, bleiben objektiv nicht viele übrig..." (Dr. Michael Folle, Bad Kissingen)

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Die meisten Fußballer verbinden mit ihren Länderspielen schöne Erinnerungen. Die Hymne. Das Flair. Der Stolz. Bei Christian Müller ist das anders. Sein erster und einziger Einsatz im Trikot der deutschen U 21-Nationalmannschaft endete mit einer schweren Verletzung. Der Berliner brach sich in der Partie gegen Polen das Schien- und Wadenbein und fiel anschließend über zwei Jahre aus.

Müller war damals 20 und galt bei Hertha BSC als großes Talent. Es war die Zeit der Boatengs, die Zeit eines Ashkan Dejagah und eines Patrick Ebert in Berlin. Heute ist Müller 29 und spielt für Arminia Biefeld in der 3. Liga. Am Ende dieser Saison könnte der erste Aufstieg in seiner Profikarriere stehen.

Vor dem Spitzenspiel beim 1. FC Heidenheim am Samstag (ab 14 Uhr) spricht Christian Müller im DFB.de-Interview mit Redakteur Jochen Breideband über bewegte Jahre, sein Verletzungspech, seine großen Fehler und über zweite Chancen.

DFB.de: Herr Müller, es gibt im Fußball das Sprichwort, dass sich Glück und Pech im Laufe der Zeit ausgleichen. Wie weit sind Sie von diesem Punkt noch entfernt?

Christian Müller: Sehr weit. Aber ich bin auf einem guten Weg. Zieht man meine Verletzungen ab, fühle ich mich wie 23, 24.

DFB.de: Inwieweit würde Sie der Aufstieg mit Arminia Bielefeld in die 2. Bundesliga für die vielen Rückschläge entschädigen?

Müller: Er wäre auf jeden Fall eine Entschädigung. Der Aufstieg würde dem Verein und der Stadt sehr gut tun, und für mich wäre er ein riesiger Schub nach den ganzen Knicken und Fehlern in meiner Karriere. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. Wir haben eine Mannschaft, die man nicht beschreiben kann. Wir sind jeden Tag zusammen, auch abseits des Platzes. Alle sind mit viel Spaß, aber auch dem nötigen Ernst bei der Sache. Das habe ich so noch nicht erlebt. Die Mischung ist genial, auch in Verbindung mit Trainer Stefan Krämer.

DFB.de: Wie entscheidend war der Faktor Pech in Ihrer Karriere?

Müller: Ich habe 18 Operationen hinter mir, ich war also nicht vom Glück verfolgt. Mich haut so schnell nichts mehr um. Aber das war nicht alles. In den U-Jahrgängen hieß es jahrelang, ich sei zu dünn oder zu klein. Dann mache ich meine ersten fünf Spiele in der Bundesliga und schieße zwei Tore - mit ähnlicher Größe und ähnlichem Gewicht. Das verdreht einem den Kopf. Ich habe mich auf einmal als etwas Besseres gefühlt, das war dumm. Heute fühle ich mich normal, das fühlt sich besser an. Ich bin eigentlich froh, dass ich so früh gefallen und auf dem Boden der Tatsachen gelandet bin.

DFB.de: Welche gravierenden Fehler haben Sie rückblickend gemacht?

Müller: Auf einen kurzen Nenner gebracht: Verletzungszeit war Partyzeit. So war ich, dazu stehe ich, da brauche ich nicht drumherum reden. Hertha-Manager Dieter Hoeneß hat mir damals die Ohren lang gezogen, das war auch nötig. 2009 ist dann meine Tochter auf die Welt gekommen. Spätestens seitdem weiß ich zu schätzen, was ich habe. Meine Fehler haben mich Zeit gekostet, das weiß ich. Aber ich blicke nicht bedauernd zurück, weil ich es nicht mehr ändern kann. Ich bin froh, dass mir Arminia noch eine Chance gegeben hat.

DFB.de: Sie haben auch zwei Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt, unter anderem vor dieser Saison. War das noch schwieriger als die lange Verletzungspause, während der Ihnen Hertha immerhin einen Dreijahresvertrag als Profi gab?

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Müller: Ja, keinen Verein zu haben, ist noch schlimmer. Man kann keine Ansprüche stellen, muss warten und hoffen. Außerdem eilte mir mein Ruf aus Berlin voraus. Allerdings habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass es mit dem Profifußball vorbei sein könnte. Ich habe nie den Glauben verloren. Beim ersten Mal hat mir Ewald Lienen eine zweite Chance gegeben. Wir haben heute noch Kontakt. Ich bin ihm dankbar, ebenso wie ich Arminia Bielefeld dankbar bin.

DFB.de: Vor zehn Jahren waren Sie bei Hertha BSC ein großes Talent. Was würde der Christian Müller von heute dem Christian Müller von damals sagen?

Müller: Ich würde ihm sagen: "Mach' Dein Ding, aber lass' das Feiern weg." Letztlich war der Schien- und ein Wadenbeinbruch der Knackpunkt in meiner Karriere. Auf der anderen Seite hätte ich ohne diese Verletzung wohl heute meine Tochter nicht. Ich habe meine Freundin während der Verletzungszeit kennengelernt. Und eins ist klar: Die Kleine ist mir wichtiger als der Fußball.

DFB.de: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Müller: Oh je, ich weiß noch nicht mal, wo ich mich in einem halben Jahr sehe. (lacht) Nein, Quatsch, natürlich in Bielefeld. Meine Familie und ich fühlen uns sehr wohl hier. Aber in zehn Jahren? Das kann ich nicht sagen. Ich hoffe, meine Fußballerkarriere dauert noch lange. Ich möchte spielen, solange die Knochen halten.

Das sagen die DFB.de-User:

"Manchmal hilft so ein Interview, um seine angesammelten Vorurteile zumindest zu revidieren. Bisher fand ich CM nicht gerade sympathisch und seine fußballerischen Fähigkeiten reichlich eingeschränkt. Wenn ich dann aber über sein Schicksal nachdenke, ist es schon aller Ehren wert, dass er sich immer wieder hochgehangelt hat. Das spricht sehr für ihn. Leider schaffe ich es im Moment noch nicht ganz, den Menschen Müller abzukoppeln von seinem gegen Münster verschossenen Elfmeter. Ich habe es mir aber fest vorgenommen, denn wenn man alle Spieler, die einen Elfer verschossen haben, mit einem Bannstrahl versieht, bleiben objektiv nicht viele übrig..." (Dr. Michael Folle, Bad Kissingen)