Thomas Müller - Deutschlands wilde 13

Im Jahr 2011 war die Nummer 13 der einzige deutsche Spieler, der in allen 13 Spielen dabei war, und dabei wurden ihm 13 Scorerpunkte gutgeschrieben. Wirklich gut, dass er es nicht mit dem Aberglauben hat. Christof Kneer über einen Spieler, der in keinen Plan passt.

Die Experten haben ein bisschen nachdenken müssen, aber irgendwann ist ihnen Wolfgang Overath eingefallen. Özil spielt wie Overath? Stimmt zwar nicht so ganz, weil Özil mit seiner engen Ballführung zwar an den großen Alten erinnert, aber keineswegs mit seinen modernen offensiven Laufwegen. Aber was soll’s? Özil spielt wie Overath, das klingt gut, und es macht die Menschen glücklich. Menschen vergleichen gern, immer wollen sie irgendwas mit irgendwem in Beziehung setzen. Manuel Neuer? Okay, erinnert an Jens Lehmann. Mats Hummels? Sieht von der Tribüne aus wie Beckenbauer. Sami Khedira? Hm. Schon schwieriger. Vielleicht Hacki Wimmer mit Offensivdrang?

Man muss schon suchen, um die Heutigen mit den Gestrigen zu vergleichen, aber mit ein bisschen Fantasie und mit ein bisschen Mut zum hinkenden Vergleich wird man fündig. Aber Thomas Müller? Als er im WM-Auftaktspiel in Südafrika das 3:0 gegen Australien erzielte, da sah es für einen Moment so aus, als wolle er die deutsche Fußballgeschichte nachstellen. Als Müller sich erst nach rechts drehte und dann mit dem rechten Fuß ausholte und den Ball ins entfernte Eck schoss, kam einem die Bewegung irgendwie bekannt vor. Würde man die Szene schwarz-weiß einfärben und ein wenig Schärfe wegnehmen, man bekäme einen Mann mit der Rückennummer 13 zu sehen, der sich unnachahmlich dreht und trifft: Gerd Müller.

Manchmal hat man das Gefühl, dass sich Thomas Müller einen Spaß daraus macht, die Menschen in die Irre zu führen. Ihm ist es so was von wurscht, mit wem sie ihn vergleichen, sie könnten auch Thomas Brdaric hernehmen, Klaus Augenthaler oder Goleo, er würde es mit einem oberbayerischen Grinsen quittieren. Er weiß ja am besten: Thomas Müller aus Pähl in Oberbayern ist nur mit Thomas Müller aus Pähl in Oberbayern zu vergleichen.

Humorvoller Müller

„Ich kenne auch keinen Spieler, der so spielt wie ich“, sagt er. Und dann noch: „So einen komischen Laufstil wie ich hat doch sonst keiner.“ Auch das ein typischer Müller: Bevor man dem ersten Satz entnehmen könnte, dass er einzigartig sei, hängt er schnell ein Witzchen an, das diese Interpretation wieder entkräftet. Mei, er ist halt der Müller Thomas, was soll er sonst auch sagen über sich? Für ihn ist es normal, der Müller Thomas zu sein, er war ja noch nie ein anderer. Aber er ist natürlich auch ein schlauer Hund, er kennt seinen Wert, er sieht bloß nicht ein, warum er da nochmal extra drauf hinweisen müsste. Sollen sie halt hinschauen, die Leute, sollen sie ihn halt selber bewerten, da brauchen sie ihn doch nicht dafür.

Thomas Müller ist ein Gesamtkunstwerk. Typen wie ihn findet man sonst in oberbayerischen Biergärten, wo lauter solche kantigen Gestalten herumsitzen und in Ruhe und Gelassenheit ihr Werk vollenden. Vielleicht muss man diesen Burschen wirklich aus seiner Herkunft erklären: Vielleicht braucht man dieses oberbayerische Gemüt, diese naturbelassene Lässigkeit, um es mit der ganzen deutschen Fußballgeschichte aufzunehmen. Thomas Müller kann sich gut erinnern, wie er bei der WM 2010 zu dieser mythenbeladenen Rückennummer 13 kam. Er erzählt das genauso unspektakulär, wie es sich für ihn angefühlt haben muss. „Wir waren im Südtiroler Trainingslager in einem kleinen Raum und haben die Nummern vergeben. Die etablierten Spieler hatten ihre festen Nummern schon, aber es gab noch einige Spieler, die keine Nummer hatten. Ich als Neuling kam am Ende dran, da waren nur noch die 4, die 13 und die 14 übrig. Ja, und die 13, die wollte dann halt keiner.“ Er schon, der Müller Thomas.

13 - die Nummer vom großen Gerd

Die 13 – das war die Nummer vom großen Gerd Müller, aber okay, das mag trotz des gleichen Nachnamens lang genug her sein, um noch gegen jemanden verwendet zu werden. Aber die 13 war auch die Nummer von Michael Ballack. Es war die Nummer des Spielers, der bei dieser WM immer noch als der offizielle Kapitän amtierte; es war die Nummer des Spielers, über den dauernd diskutiert wurde. Und dann kommt der Müller Thomas und nimmt einfach dessen Rückennummer, gerade so, als wäre es die Rückennummer von Clemens Fritz. Es passt zu diesem Burschen, dass er mit Aberglauben und hysterischen Überhöhungen nichts anfangen kann. „Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre im Profigeschäft und habe festgestellt, dass der Erfolg nicht von der Rückennummer abhängt“, sagt er schmunzelnd. „Und wenn abergläubische Rituale was bewirken würden, dann würden das alle machen, und es müssten immer alle gewinnen.“

Trotzdem gefällt es der „13“ inzwischen so gut bei Thomas Müller, dass sie ihn gar nicht mehr verlässt. Er hat es im Jahr 2011 auf 13 Länderspiel- Einsätze gebracht, und dabei wurden ihm 13 Scorerpunkte gutgeschrieben. „Ist das so?“, sagt Müller, wenn man ihn damit konfrontiert. Es interessiert ihn schon, wie viele Tore er schießt und vorbereitet, aber so wichtig, dass er mitzählt und Buch führt, ist es ihm dann auch wieder nicht. Es ist am Ende dieses Fußballjahres viel darüber diskutiert worden, wer denn nun der gefühlte DFB-Spieler des Jahres sei: Mario Götze, der den Sprung vom nationalen aufs internationale Podium mit beeindruckender Leichtigkeit geschafft hat? Toni Kroos, der beim DFB und beim FC Bayern als hochbegabter Reservespieler vorgesehen war und jetzt beide Mannschaften mit eleganter Souveränität führt? Mario Gomez, der Tor um Tor erzielte und das sogenannte DFB-Trauma überzeugend besiegte? Oder vielleicht der stille Miroslav Klose, der sich bei einem komplizierten Klub wie Lazio Rom so schnell zu Hause fühlte, als sei das der 1. FC Kaiserslautern? Oder vielleicht: Thomas Müller?

Müller entgeht dem WM-Loch

Thomas Müller, 22, hat kein absolut herausragendes Jahr gespielt, einerseits. Andererseits ist es doch eine herausragende Leistung, dass es immer noch ein gutes Jahr geworden ist. Was wurde ihm nicht alles prophezeit: dass er ins WM-Loch plumpsen würde, dass ihm die Kraft ausgehen würde, dass die Gegenspieler sich bald auf ihn einstellen würden. Es spricht für Müllers Qualität, dass im Grunde nichts davon eingetreten ist. Der Bursche ist stabil und zäh, und entschlüsselt ist sein Spiel noch lange nicht. Sein Spielstil ist und bleibt so unorthodox, seine Laufwege folgen einem Navigationssystem, das außer ihm keiner lesen kann. „Ich finde nicht, dass meine Laufwege besonders außergewöhnlich sind“, sagt er und hat natürlich Recht damit. Er ist nicht wie Roy Makaay, dessen Pfade manchmal so surreal waren, dass kein Mitspieler sie verstand. Müller macht auch das Überraschende, aber er zerstört das System dabei nicht. Er verlässt die Ordnung nicht, er baut auf ihr auf und gibt ihr etwas hinzu. „Ich finde schon, dass ich sinnvoll laufe“, sagt er, „vielleicht erkenne ich den einen oder anderen Weg einfach früher als ein anderer.“

Bundestrainer Joachim Löw ist nach der EM-Gruppenauslosung mal wieder die Spanien-Frage gestellt worden, wieder mal musste er über dieses Duell sprechen, das viele Experten als EM-Finale erwarten. Löw hat aber erst Besuch auf der Wies’n: Müller mit seiner Frau Lisa beim Münchner Oktoberfest. Müller für mal über das bisher letzte Duell gesprochen, das WM-Halbfinale in Durban, das 0:1 verloren ging. „Der Thomas Müller hat da natürlich schon gefehlt“, meinte Löw. Trainer machen so etwas normalerweise nicht, sie weisen ungern auf fehlende Spieler hin, sie wollen keine Alibis bedienen, und sie wollen auch nicht den Rest der Mannschaft kleinreden, indem sie einen Einzelnen herausheben. Aber warum künstlich drum herumreden? Es hatte ja doch jeder gesehen, wie sehr dieser Müller mit seiner Gelbsperre vermisst wurde. Piotr Trochowski, sein Vertreter an diesem Abend, hatte wirklich kein schlechtes Spiel gemacht, aber er kann eben nicht, was Müller kann. Trochowski ist ein guter Techniker und ein guter Passspieler, aber er geht nicht in die Tiefe des Raumes. Dieses Stilmittel hätte die Spanier vielleicht verwunden können, aber ohne Müller blieb das deutsche Spiel ein Stück weit durchschaubar. Thomas Müller würde mutmaßlich jedes Team dieser Welt verstärken, aber für Joachim Löws Auswahl ist er ein besonderer Segen. Der Mann mit den dünnen Beinen gibt dieser Mannschaft, die so gerne ausgetüftelten Plänen folgt, etwas Wildes, Unberechenbares.

Müller: "Hinter einer Spitze sehe ich mich am wirkungsvollsten"

Thomas Müller sagt von sich selbst, er sei ein „Offensivallrounder“. Es ist ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses, dass er rechts vorne, links vorne und zentral hinter einem Stürmer spielen kann, und wenn es unbedingt sein muss, dann macht er halt auch noch den Stürmer selbst. Aber manchmal geht es ihm wie so vielen vielseitigen Spielern, manchmal wäre es ihm lieber, er dürfte einfach auf seiner Lieblingsposition bleiben. „Hinter einer Spitze sehe ich mich am wirkungsvollsten“, sagt er, „das habe ich immer gesagt, und das gilt immer noch.“ Von dort kann er am besten zu seinen Beutezügen aufbrechen, er hat dann vor sich viel Raum, rechts und links viel Raum, für einen „Vagabunden“ wie ihn ist das ein Paradies.

Dass er in der Nationalmannschaft meistens rechts beginnt, stört ihn wenig, weil er sich mit dem Zentralspieler Mesut Özil inzwischen so gut versteht, dass es den Gegnern manchmal schwindlig wird. „Der Mesut kommt mit seinem linken Fuß oft über rechts“, sagt Müller, „und dann ziehe ich nach innen.“ Es waren solche blitzschnell und instinktiv ausgeführten Rochaden, die die Niederländer beim Testspiel in Hamburg (3:0) zur Verzweiflung trieben. „Ich brauche für mein Spiel einfach ein, zwei Kombinationsspieler um mich herum“, sagt er.

Beim FC Bayern hat er zuletzt aber ein bisschen häufiger Rechtsaußen gespielt, als ihm lieb sein konnte. Im Grunde war das ein Kompliment, denn nach Arjen Robbens Verletzung gab es halt nur einen, der den Weltstar ersetzen konnte. Von rechts musste Müller aber oft mit ansehen, wie sich das linkslastige Bayern- Spiel entwickelte, er kam auf weniger Szenen, weniger Tore, weniger Assists. Aber egal, ob er rechts, links, krumm oder quer spielt: Um den Müller Thomas, diese wilde 13, muss sich nun wirklich niemand Sorgen machen.

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Im Jahr 2011 war die Nummer 13 der einzige deutsche Spieler, der in allen 13 Spielen dabei war, und dabei wurden ihm 13 Scorerpunkte gutgeschrieben. Wirklich gut, dass er es nicht mit dem Aberglauben hat. Christof Kneer über einen Spieler, der in keinen Plan passt.

Die Experten haben ein bisschen nachdenken müssen, aber irgendwann ist ihnen Wolfgang Overath eingefallen. Özil spielt wie Overath? Stimmt zwar nicht so ganz, weil Özil mit seiner engen Ballführung zwar an den großen Alten erinnert, aber keineswegs mit seinen modernen offensiven Laufwegen. Aber was soll’s? Özil spielt wie Overath, das klingt gut, und es macht die Menschen glücklich. Menschen vergleichen gern, immer wollen sie irgendwas mit irgendwem in Beziehung setzen. Manuel Neuer? Okay, erinnert an Jens Lehmann. Mats Hummels? Sieht von der Tribüne aus wie Beckenbauer. Sami Khedira? Hm. Schon schwieriger. Vielleicht Hacki Wimmer mit Offensivdrang?

Man muss schon suchen, um die Heutigen mit den Gestrigen zu vergleichen, aber mit ein bisschen Fantasie und mit ein bisschen Mut zum hinkenden Vergleich wird man fündig. Aber Thomas Müller? Als er im WM-Auftaktspiel in Südafrika das 3:0 gegen Australien erzielte, da sah es für einen Moment so aus, als wolle er die deutsche Fußballgeschichte nachstellen. Als Müller sich erst nach rechts drehte und dann mit dem rechten Fuß ausholte und den Ball ins entfernte Eck schoss, kam einem die Bewegung irgendwie bekannt vor. Würde man die Szene schwarz-weiß einfärben und ein wenig Schärfe wegnehmen, man bekäme einen Mann mit der Rückennummer 13 zu sehen, der sich unnachahmlich dreht und trifft: Gerd Müller.

Manchmal hat man das Gefühl, dass sich Thomas Müller einen Spaß daraus macht, die Menschen in die Irre zu führen. Ihm ist es so was von wurscht, mit wem sie ihn vergleichen, sie könnten auch Thomas Brdaric hernehmen, Klaus Augenthaler oder Goleo, er würde es mit einem oberbayerischen Grinsen quittieren. Er weiß ja am besten: Thomas Müller aus Pähl in Oberbayern ist nur mit Thomas Müller aus Pähl in Oberbayern zu vergleichen.

Humorvoller Müller

„Ich kenne auch keinen Spieler, der so spielt wie ich“, sagt er. Und dann noch: „So einen komischen Laufstil wie ich hat doch sonst keiner.“ Auch das ein typischer Müller: Bevor man dem ersten Satz entnehmen könnte, dass er einzigartig sei, hängt er schnell ein Witzchen an, das diese Interpretation wieder entkräftet. Mei, er ist halt der Müller Thomas, was soll er sonst auch sagen über sich? Für ihn ist es normal, der Müller Thomas zu sein, er war ja noch nie ein anderer. Aber er ist natürlich auch ein schlauer Hund, er kennt seinen Wert, er sieht bloß nicht ein, warum er da nochmal extra drauf hinweisen müsste. Sollen sie halt hinschauen, die Leute, sollen sie ihn halt selber bewerten, da brauchen sie ihn doch nicht dafür.

Thomas Müller ist ein Gesamtkunstwerk. Typen wie ihn findet man sonst in oberbayerischen Biergärten, wo lauter solche kantigen Gestalten herumsitzen und in Ruhe und Gelassenheit ihr Werk vollenden. Vielleicht muss man diesen Burschen wirklich aus seiner Herkunft erklären: Vielleicht braucht man dieses oberbayerische Gemüt, diese naturbelassene Lässigkeit, um es mit der ganzen deutschen Fußballgeschichte aufzunehmen. Thomas Müller kann sich gut erinnern, wie er bei der WM 2010 zu dieser mythenbeladenen Rückennummer 13 kam. Er erzählt das genauso unspektakulär, wie es sich für ihn angefühlt haben muss. „Wir waren im Südtiroler Trainingslager in einem kleinen Raum und haben die Nummern vergeben. Die etablierten Spieler hatten ihre festen Nummern schon, aber es gab noch einige Spieler, die keine Nummer hatten. Ich als Neuling kam am Ende dran, da waren nur noch die 4, die 13 und die 14 übrig. Ja, und die 13, die wollte dann halt keiner.“ Er schon, der Müller Thomas.

13 - die Nummer vom großen Gerd

Die 13 – das war die Nummer vom großen Gerd Müller, aber okay, das mag trotz des gleichen Nachnamens lang genug her sein, um noch gegen jemanden verwendet zu werden. Aber die 13 war auch die Nummer von Michael Ballack. Es war die Nummer des Spielers, der bei dieser WM immer noch als der offizielle Kapitän amtierte; es war die Nummer des Spielers, über den dauernd diskutiert wurde. Und dann kommt der Müller Thomas und nimmt einfach dessen Rückennummer, gerade so, als wäre es die Rückennummer von Clemens Fritz. Es passt zu diesem Burschen, dass er mit Aberglauben und hysterischen Überhöhungen nichts anfangen kann. „Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre im Profigeschäft und habe festgestellt, dass der Erfolg nicht von der Rückennummer abhängt“, sagt er schmunzelnd. „Und wenn abergläubische Rituale was bewirken würden, dann würden das alle machen, und es müssten immer alle gewinnen.“

Trotzdem gefällt es der „13“ inzwischen so gut bei Thomas Müller, dass sie ihn gar nicht mehr verlässt. Er hat es im Jahr 2011 auf 13 Länderspiel- Einsätze gebracht, und dabei wurden ihm 13 Scorerpunkte gutgeschrieben. „Ist das so?“, sagt Müller, wenn man ihn damit konfrontiert. Es interessiert ihn schon, wie viele Tore er schießt und vorbereitet, aber so wichtig, dass er mitzählt und Buch führt, ist es ihm dann auch wieder nicht. Es ist am Ende dieses Fußballjahres viel darüber diskutiert worden, wer denn nun der gefühlte DFB-Spieler des Jahres sei: Mario Götze, der den Sprung vom nationalen aufs internationale Podium mit beeindruckender Leichtigkeit geschafft hat? Toni Kroos, der beim DFB und beim FC Bayern als hochbegabter Reservespieler vorgesehen war und jetzt beide Mannschaften mit eleganter Souveränität führt? Mario Gomez, der Tor um Tor erzielte und das sogenannte DFB-Trauma überzeugend besiegte? Oder vielleicht der stille Miroslav Klose, der sich bei einem komplizierten Klub wie Lazio Rom so schnell zu Hause fühlte, als sei das der 1. FC Kaiserslautern? Oder vielleicht: Thomas Müller?

Müller entgeht dem WM-Loch

Thomas Müller, 22, hat kein absolut herausragendes Jahr gespielt, einerseits. Andererseits ist es doch eine herausragende Leistung, dass es immer noch ein gutes Jahr geworden ist. Was wurde ihm nicht alles prophezeit: dass er ins WM-Loch plumpsen würde, dass ihm die Kraft ausgehen würde, dass die Gegenspieler sich bald auf ihn einstellen würden. Es spricht für Müllers Qualität, dass im Grunde nichts davon eingetreten ist. Der Bursche ist stabil und zäh, und entschlüsselt ist sein Spiel noch lange nicht. Sein Spielstil ist und bleibt so unorthodox, seine Laufwege folgen einem Navigationssystem, das außer ihm keiner lesen kann. „Ich finde nicht, dass meine Laufwege besonders außergewöhnlich sind“, sagt er und hat natürlich Recht damit. Er ist nicht wie Roy Makaay, dessen Pfade manchmal so surreal waren, dass kein Mitspieler sie verstand. Müller macht auch das Überraschende, aber er zerstört das System dabei nicht. Er verlässt die Ordnung nicht, er baut auf ihr auf und gibt ihr etwas hinzu. „Ich finde schon, dass ich sinnvoll laufe“, sagt er, „vielleicht erkenne ich den einen oder anderen Weg einfach früher als ein anderer.“

Bundestrainer Joachim Löw ist nach der EM-Gruppenauslosung mal wieder die Spanien-Frage gestellt worden, wieder mal musste er über dieses Duell sprechen, das viele Experten als EM-Finale erwarten. Löw hat aber erst Besuch auf der Wies’n: Müller mit seiner Frau Lisa beim Münchner Oktoberfest. Müller für mal über das bisher letzte Duell gesprochen, das WM-Halbfinale in Durban, das 0:1 verloren ging. „Der Thomas Müller hat da natürlich schon gefehlt“, meinte Löw. Trainer machen so etwas normalerweise nicht, sie weisen ungern auf fehlende Spieler hin, sie wollen keine Alibis bedienen, und sie wollen auch nicht den Rest der Mannschaft kleinreden, indem sie einen Einzelnen herausheben. Aber warum künstlich drum herumreden? Es hatte ja doch jeder gesehen, wie sehr dieser Müller mit seiner Gelbsperre vermisst wurde. Piotr Trochowski, sein Vertreter an diesem Abend, hatte wirklich kein schlechtes Spiel gemacht, aber er kann eben nicht, was Müller kann. Trochowski ist ein guter Techniker und ein guter Passspieler, aber er geht nicht in die Tiefe des Raumes. Dieses Stilmittel hätte die Spanier vielleicht verwunden können, aber ohne Müller blieb das deutsche Spiel ein Stück weit durchschaubar. Thomas Müller würde mutmaßlich jedes Team dieser Welt verstärken, aber für Joachim Löws Auswahl ist er ein besonderer Segen. Der Mann mit den dünnen Beinen gibt dieser Mannschaft, die so gerne ausgetüftelten Plänen folgt, etwas Wildes, Unberechenbares.

Müller: "Hinter einer Spitze sehe ich mich am wirkungsvollsten"

Thomas Müller sagt von sich selbst, er sei ein „Offensivallrounder“. Es ist ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses, dass er rechts vorne, links vorne und zentral hinter einem Stürmer spielen kann, und wenn es unbedingt sein muss, dann macht er halt auch noch den Stürmer selbst. Aber manchmal geht es ihm wie so vielen vielseitigen Spielern, manchmal wäre es ihm lieber, er dürfte einfach auf seiner Lieblingsposition bleiben. „Hinter einer Spitze sehe ich mich am wirkungsvollsten“, sagt er, „das habe ich immer gesagt, und das gilt immer noch.“ Von dort kann er am besten zu seinen Beutezügen aufbrechen, er hat dann vor sich viel Raum, rechts und links viel Raum, für einen „Vagabunden“ wie ihn ist das ein Paradies.

Dass er in der Nationalmannschaft meistens rechts beginnt, stört ihn wenig, weil er sich mit dem Zentralspieler Mesut Özil inzwischen so gut versteht, dass es den Gegnern manchmal schwindlig wird. „Der Mesut kommt mit seinem linken Fuß oft über rechts“, sagt Müller, „und dann ziehe ich nach innen.“ Es waren solche blitzschnell und instinktiv ausgeführten Rochaden, die die Niederländer beim Testspiel in Hamburg (3:0) zur Verzweiflung trieben. „Ich brauche für mein Spiel einfach ein, zwei Kombinationsspieler um mich herum“, sagt er.

Beim FC Bayern hat er zuletzt aber ein bisschen häufiger Rechtsaußen gespielt, als ihm lieb sein konnte. Im Grunde war das ein Kompliment, denn nach Arjen Robbens Verletzung gab es halt nur einen, der den Weltstar ersetzen konnte. Von rechts musste Müller aber oft mit ansehen, wie sich das linkslastige Bayern- Spiel entwickelte, er kam auf weniger Szenen, weniger Tore, weniger Assists. Aber egal, ob er rechts, links, krumm oder quer spielt: Um den Müller Thomas, diese wilde 13, muss sich nun wirklich niemand Sorgen machen.