Fußballschuh der Zukunft: In Adi Dasslers Fußstapfen

Dr. Thorsten Sterzing ist viel herumgekommen. Der Sportwissenschaftler promovierte auf dem Fachgebiet der Biomechanik, habilitierte in der Fußballschuh- und Laufschuhforschung. An der Universität Duisburg-Essen arbeitete er sieben Jahre mit Nike zusammen, an der TU Chemnitz fünf Jahre mit Puma. Danach schloss sich der 44-Jährige dem größten chinesischen Sportartikelhersteller Li Ning in Peking an, dem "adidas vom China".

Beim 3. DFB-Wissenschaftskongress in Frankfurt am 21. und 22. Januar 2016 hält Sterzing ein Referat zum Fußballschuh der Zukunft: "Wechselwirkung von Schuh, Untergrund und Training für Verletzungsprävention und sportliche Leistung". Im Interview auf DFB.de spricht er über 3D-Druck von Fußballschuhen, warum moderne Schuhe grelle Farben haben und was ihn mit Adi Dassler verbindet.

DFB.de: Herr Sterzing, Sie sind an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft tätig. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den großen Sportartikelherstellern aus?

Dr. Thorsten Sterzing: Die Industrie ist sehr schnelllebig, da bleibt kaum Zeit um grundlegend zu forschen. Deswegen arbeiten viele Firmen mit wissenschaftlichen Partnern zusammen, was in der Regel eine Win-Win-Situation ist. Die Wissenschaft erhält Forschungsaufträge aus der Wirtschaft, die Unternehmen gewinnen exklusive Erkenntnisse für Ihre Produkte. Firmen wie Nike oder Adidas können so ihre internen Forschungstätigkeiten sinnvoll ergänzen. Andere Firmen, unterhalten hingegen gar keine größeren eigenen Forschungslabore. Sie sind darauf angewiesen, mit wissenschaftlichen Partnern zu kooperieren, um Ihre Produkte fundiert weiterzuentwickeln.

DFB.de: Entwickeln Sie Ihre Schuh-Innovationen hauptsächlich zur Verletzungsprävention oder zur Leistungssteigerung?

Sterzing: Wenn man es aus Firmenperspektive sieht, steht zumeist die Leistung im Vordergrund. Einfach deshalb, weil das einfacher zu vermarkten ist. Jeder will mit einem neuen Schuh schneller werden, besser schießen, mehr Ballgefühl haben. Dass man sich darin nicht verletzt, davon geht man in der Regel sowieso aus. Ich persönlich sehe das natürlich etwas anders. Wenn man im Jahr eine Woche anstatt drei Wochen verletzt ist, hat das ja auch einen Einfluss auf die Leistung. Für mich ist also beides gleichwertig zu betrachten.

DFB.de: Kann man messen, welchen Einfluss der Schuh auf die Verletzungsanfälligkeit hat?

Sterzing: Genau da liegt das Problem. Wenn die Verletzung durch Einwirkung des Gegners entsteht, kann ein Schuh das sowieso nicht verhindern. Abgesehen davon hat man ja bei jeder Verletzung einen Schuh an. Wir wissen allerdings häufig nicht, ob ein anderer, besserer Schuh die Verletzung verhindert hätte. Bisher gibt es noch keine wissenschaftliche Untersuchung zur Verletzungshäufigkeit im Fußball, die den Schuh als möglichen Einflussfaktor mit einbezieht.

DFB.de: Wie könnte das gehen?

Sterzing: Indem man über ein paar Jahre bei der statistischen Aufzeichnungen von Verletzungen immer auch die Art des Schuhs mit registriert. Für andere Einflussfaktoren wie beispielsweise den Untergrund – also Naturrasen oder Kunstrasen – gibt es schon viele Zahlen. Eine Untersuchung der Schuhe ist dringend erforderlich.

DFB.de: Besteht auf Kunstrasenplätzen eine höhere Verletzungsgefahr?

Sterzing: Mittlerweile haben wir ja schon die dritte Generation von Kunstrasen, die seit 2004 auch von der FIFA für jegliche Spielklassen bis hin zu Weltmeisterschaften genehmigt ist. Bei der ersten und zweiten Generation war die Verletzungsgefahr nachweislich höher. Nach wissenschaftlich erhobenen Verletzungsstatistiken aus den Jahren 2006/2007 ist sie das inzwischen nicht mehr. Kunstrasen ist also nicht mehr gefährdender als Naturrasen. Gefährlich wird es allerdings immer dann, wenn man den Untergrund wechselt. Wenn der Körper 365 Tage im Jahr Naturrasen gewohnt ist und man dann für ein entscheidendes Spiel zu einem Gegner muss, der auf Kunstrasen spielt, erhöht das die Verletzungsgefahr.

DFB.de: Was können Sie mit Ihrer Forschung gegen diese Verletzungsgefahr tun?

Sterzing: Als in der Saison 2004/2005 der Kunstrasen neu war, haben Spieler, aus Mangel an guten Kunstrasenschuhen, noch lange Schraubstollen darauf getragen. Wir haben ein dreijähriges wissenschaftliches Forschungsprojekt angelegt und festgestellt, dass die Sohle und Stollenkonfiguration anders beschaffen sein muss. Man braucht eine größere Anzahl an Stollen als beim klassischen Fußballschuh und diese müssen auch nicht so lang sein. Deshalb haben sich speziell auf Kunstrasen abgestimmte Sohlenmodelle entwickelt.

DFB.de: Wie genau sah das Forschungsprojekt aus?

Sterzing: Sehr praxisnah. Wir haben im Institut an der TU Chemnitz Kunstrasen verlegt und die Spieler dort biomechanisch getestet. Außerdem haben wir sie nach ihrer subjektiven Wahrnehmung befragt, was sehr wichtig ist. Wir haben auch die Schnelligkeit der Spieler gemessen und festgestellt, dass eine zu aggressive Stollenkonstruktion es den Spielern auf Kunstrasen nicht ermöglicht, ihre volle Muskelkontrolle zu erhalten.

DFB.de: Heißt das im Klartext, mit der falschen Schuhwahl wird man langsamer?

Sterzing: Ja, das ist ein Fakt!



Dr. Thorsten Sterzing ist viel herumgekommen. Der Sportwissenschaftler promovierte auf dem Fachgebiet der Biomechanik, habilitierte in der Fußballschuh- und Laufschuhforschung. An der Universität Duisburg-Essen arbeitete er sieben Jahre mit Nike zusammen, an der TU Chemnitz fünf Jahre mit Puma. Danach schloss sich der 44-Jährige dem größten chinesischen Sportartikelhersteller Li Ning in Peking an, dem "adidas vom China".

Beim 3. DFB-Wissenschaftskongress in Frankfurt am 21. und 22. Januar 2016 hält Sterzing ein Referat zum Fußballschuh der Zukunft: "Wechselwirkung von Schuh, Untergrund und Training für Verletzungsprävention und sportliche Leistung". Im Interview auf DFB.de spricht er über 3D-Druck von Fußballschuhen, warum moderne Schuhe grelle Farben haben und was ihn mit Adi Dassler verbindet.

DFB.de: Herr Sterzing, Sie sind an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft tätig. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den großen Sportartikelherstellern aus?

Dr. Thorsten Sterzing: Die Industrie ist sehr schnelllebig, da bleibt kaum Zeit um grundlegend zu forschen. Deswegen arbeiten viele Firmen mit wissenschaftlichen Partnern zusammen, was in der Regel eine Win-Win-Situation ist. Die Wissenschaft erhält Forschungsaufträge aus der Wirtschaft, die Unternehmen gewinnen exklusive Erkenntnisse für Ihre Produkte. Firmen wie Nike oder Adidas können so ihre internen Forschungstätigkeiten sinnvoll ergänzen. Andere Firmen, unterhalten hingegen gar keine größeren eigenen Forschungslabore. Sie sind darauf angewiesen, mit wissenschaftlichen Partnern zu kooperieren, um Ihre Produkte fundiert weiterzuentwickeln.

DFB.de: Entwickeln Sie Ihre Schuh-Innovationen hauptsächlich zur Verletzungsprävention oder zur Leistungssteigerung?

Sterzing: Wenn man es aus Firmenperspektive sieht, steht zumeist die Leistung im Vordergrund. Einfach deshalb, weil das einfacher zu vermarkten ist. Jeder will mit einem neuen Schuh schneller werden, besser schießen, mehr Ballgefühl haben. Dass man sich darin nicht verletzt, davon geht man in der Regel sowieso aus. Ich persönlich sehe das natürlich etwas anders. Wenn man im Jahr eine Woche anstatt drei Wochen verletzt ist, hat das ja auch einen Einfluss auf die Leistung. Für mich ist also beides gleichwertig zu betrachten.

DFB.de: Kann man messen, welchen Einfluss der Schuh auf die Verletzungsanfälligkeit hat?

Sterzing: Genau da liegt das Problem. Wenn die Verletzung durch Einwirkung des Gegners entsteht, kann ein Schuh das sowieso nicht verhindern. Abgesehen davon hat man ja bei jeder Verletzung einen Schuh an. Wir wissen allerdings häufig nicht, ob ein anderer, besserer Schuh die Verletzung verhindert hätte. Bisher gibt es noch keine wissenschaftliche Untersuchung zur Verletzungshäufigkeit im Fußball, die den Schuh als möglichen Einflussfaktor mit einbezieht.

DFB.de: Wie könnte das gehen?

Sterzing: Indem man über ein paar Jahre bei der statistischen Aufzeichnungen von Verletzungen immer auch die Art des Schuhs mit registriert. Für andere Einflussfaktoren wie beispielsweise den Untergrund – also Naturrasen oder Kunstrasen – gibt es schon viele Zahlen. Eine Untersuchung der Schuhe ist dringend erforderlich.

DFB.de: Besteht auf Kunstrasenplätzen eine höhere Verletzungsgefahr?

Sterzing: Mittlerweile haben wir ja schon die dritte Generation von Kunstrasen, die seit 2004 auch von der FIFA für jegliche Spielklassen bis hin zu Weltmeisterschaften genehmigt ist. Bei der ersten und zweiten Generation war die Verletzungsgefahr nachweislich höher. Nach wissenschaftlich erhobenen Verletzungsstatistiken aus den Jahren 2006/2007 ist sie das inzwischen nicht mehr. Kunstrasen ist also nicht mehr gefährdender als Naturrasen. Gefährlich wird es allerdings immer dann, wenn man den Untergrund wechselt. Wenn der Körper 365 Tage im Jahr Naturrasen gewohnt ist und man dann für ein entscheidendes Spiel zu einem Gegner muss, der auf Kunstrasen spielt, erhöht das die Verletzungsgefahr.

DFB.de: Was können Sie mit Ihrer Forschung gegen diese Verletzungsgefahr tun?

Sterzing: Als in der Saison 2004/2005 der Kunstrasen neu war, haben Spieler, aus Mangel an guten Kunstrasenschuhen, noch lange Schraubstollen darauf getragen. Wir haben ein dreijähriges wissenschaftliches Forschungsprojekt angelegt und festgestellt, dass die Sohle und Stollenkonfiguration anders beschaffen sein muss. Man braucht eine größere Anzahl an Stollen als beim klassischen Fußballschuh und diese müssen auch nicht so lang sein. Deshalb haben sich speziell auf Kunstrasen abgestimmte Sohlenmodelle entwickelt.

DFB.de: Wie genau sah das Forschungsprojekt aus?

Sterzing: Sehr praxisnah. Wir haben im Institut an der TU Chemnitz Kunstrasen verlegt und die Spieler dort biomechanisch getestet. Außerdem haben wir sie nach ihrer subjektiven Wahrnehmung befragt, was sehr wichtig ist. Wir haben auch die Schnelligkeit der Spieler gemessen und festgestellt, dass eine zu aggressive Stollenkonstruktion es den Spielern auf Kunstrasen nicht ermöglicht, ihre volle Muskelkontrolle zu erhalten.

DFB.de: Heißt das im Klartext, mit der falschen Schuhwahl wird man langsamer?

Sterzing: Ja, das ist ein Fakt!

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DFB.de: Welche Unterschiede gibt es bei der Schuhwahl zwischen Männern, Frauen und Kindern?

Sterzing: Männer haben ganz andere Kraftverhältnisse als Frauen. Auch die körperliche Konstitution ist unterschiedlich. Zum Beispiel ist bei Frauen die Fußform anders, die neuro-muskuläre Steuerung von Bewegungen funktioniert unterschiedlich. Kinder treten ganz anders auf als Erwachsene. Daher ist es nur logisch, dass auch die Schuhe entsprechend angepasst sein müssten. Das muss dringend geschehen. Und eigentlich sind dafür auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr nötig, hier müssen nur noch die Hausaufgaben gemacht werden, um zielgruppenorientierte Innovationen herzustellen.

DFB.de: "Fußballschuh der Zukunft" klingt nach Hightech. Integrierter Chip, innovative Materialien, futuristisches Design – kann man sich das so in etwa vorstellen?

Sterzing: Der Fußballschuh ist anders als ein Laufschuh. Im Fußball hat man viele verschiedene Bewegungen, bewegt sich in verschiedene Richtungen und tritt hin und wieder auch mal gegen den Ball. Dementsprechend gibt es an den Fußballschuh viele verschiedene Anforderungen: Technisch, Energetisch, Ballbehandlung, Komfort. Ein Chip macht da nur bedingt Sinn.

DFB.de: Können Sie ein paar mögliche Innovationen skizzieren?

Sterzing: Ich denke es wird viel über innovative Materialien gehen, durch die sich der Schuh besser an den Fuß anpasst. Neue Fertigungsprozesse wie der 3D-Druck spielen hier eine Rolle, dadurch kann man den Schuh sehr genau individualisieren.

DFB.de: Warum ist das sinnvoll?

Sterzing: Nehmen Sie als Beispiel Marco Reus. Er ist sehr flink unterwegs, mit vielen Sprints und Richtungswechseln. Ein Bastian Schweinsteiger dagegen ist im zentralen Mittelfeld eher ein Stratege. Außerdem haben die beiden Spieler unterschiedliche körperliche Konstitutionen und Kraftverhältnisse, was sich auf die Biomechanik ihrer Bewegungen auswirkt. Durch individualisierte biomechanische Messungen könnte man zum Beispiel die Steifigkeit der Sohle ziemlich genau auf die jeweiligen Anforderungen von Marco Reus und Bastian Schweinsteiger anpassen.

DFB.de: Die grellen Farben der modernen Schuhe kann man aber nicht wissenschaftlich begründen, oder?

Sterzing:(lacht) Nein, das ist pures Marketing.

DFB.de: Was hat denn der Fußballschuh von heute überhaupt noch mit Adi Dasslers Modell von 1954 zu tun?

Sterzing: Das Grundprinzip ist immer noch dasselbe. Klar, die Schuhe sind heutzutage technologisch viel weiter entwickelt und mehr auf die Anatomie des Fußes angepasst. Aber gerade das Beispiel von der WM 1954 war ein entscheidender Moment. Damals hat sich einer Gedanken gemacht, wie man das Schuhwerk besser an den Untergrund anpassen kann. Es war der Start der systematischen Variation von Fußballschuhen. Genau das machen wir heute immer noch. Wir sind sozusagen in die Fußstapfen von Adi Dassler getreten.

Der 3. DFB-Wissenschaftskongress findet am 21. und 22. Januar 2016 in Frankfurt statt. Die Teilnahmegebühr beträgt 300 Euro, Interessierte können sich online anmelden.