Der Weg zum Weltmeister: Hier schreibt Jérôme Boateng

Gegen Polen, gegen starke Spieler, gegen eine starke Mannschaft. Deutschland gegen Polen am Donnerstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und Fan-Club-Radio) ist mehr als Deutschland gegen Robert Lewandowski. Viele Spieler sind zu beachten, der Stürmer des FC Bayern aber ganz besonders. Die Aufgabe gegen Lewandowski muss die ganze Mannschaft lösen, alle Spieler, die Defensive, die Innenverteidigung, allen voran Jérôme Boateng. Mit den Münchner Teamkollegen trifft Weltklasse aufeinander, einer der weltbesten Angreifer gegen einen der weltbesten Verteidiger. In seinem Gastbeitrag für DFB.de beschreibt der 27 Jahre alte Boateng den sportlichen und persönlichen Reifeprozess, den er vom kleinen Berliner Hinterhofkicker bis zum Weltklassefußballer erlebt hat.

Von Jérôme Boateng

Natürlich sind mir diese Szenen präsent, und sie werden es wohl immer sein. Die Magie von Rio, der Triumph vom Maracana, die Euphorie, das Erlebnis, die Erkenntnis: Ich bin Fußball-Weltmeister. Ganz viele Momente sind eingefroren. Die Nacht in Brasilien. Der Flug nach Berlin. Und dann die Fahrt durch die Hauptstadt. "Meine" Stadt ist auf den Beinen, wir fahren im offenen Bus durch die Massen Berlins - was für ein Wahnsinn. Und das gab es auch im Jubelrausch: kleine Augenblicke großer Dankbarkeit. Ich weiß, dass dieser Erfolg nicht nur mein Erfolg ist, nicht nur der Erfolg der Mannschaft. Hinter jedem Spieler stehen etliche Figuren, in etlichen Teams. Trainer, Betreuer, Zeugwarte. Mütter und Väter natürlich auch. Sie alle haben Teil am vierten Stern - von der Profimannschaft bis zu den Bambini. Denn alle Weltmeister haben ganz klein angefangen.

Wenn ich an meine ersten Schritte als Fußballer denke, denke ich an einen kleinen Jungen mit großen Träumen. Bundesligaspieler wollte ich werden, Nationalspieler, Weltmeister. So wie Millionen andere Kinder in Deutschland auch. Im Hinterhof mit meinem Vater habe ich zum ersten Mal gegen den Ball getreten, dann ging es auf den Bolzplatz. Es war Fußball in Reinform, wir haben einfach losgelegt, es gab kein Aufwärmen, keine Taktik, keine Schiedsrichter.

"Frühes Highlight: Meine Berufung an den DFB-Stützpunkt"

Meine erste Station im organisierten Fußball war Tennis Borussia Berlin. Die Jugendabteilung von TeBe hatte schon damals einen exzellenten Ruf, die Jugendteams waren überdurchschnittlich gut. Davon wusste ich allerdings nichts. Zu TeBe bin ich aus purem Zufall gekommen, ein Freund hat mich mitgenommen. Für mich war das Training im Verein gerade zu Beginn ein wenig ungewohnt. Aufwärmen, Passübungen - so etwas kannte ich nicht. Mir hat das Training aber gleich gefallen. Unser Trainer hat es richtig toll gemacht, er hat einen guten Draht zu uns Kindern entwickelt. Außerdem hat er uns fast alles mit Ball machen lassen. Ich habe schnell gemerkt, wie ich mich durch das Training als Fußballer verbessere. Mein Passspiel vor allem, aber auch mein Spielverständnis. Auf dem Bolzplatz ist man mehr Individualist, man macht viel alleine. Im Verein habe ich gelernt, meine Mitspieler einzubeziehen, mannschaftsdienlich zu sein.

Ein frühes Highlight war meine Berufung an den DFB-Stützpunkt und in die Berliner Auswahl. Darauf war ich wahnsinnig stolz. Das Stützpunkttraining fand jeden Mittwoch statt, und ich habe es immer kaum erwarten können, bis der nächste Mittwoch kommt. Ich konnte mich mit den besten Fußballern Berlins vergleichen - schon das war ein großer Mehrwert. In meiner Entwicklung habe ich von diesen Einheiten profitiert, das Niveau der Mitspieler war höher, und es wurde gezielter, spezieller mit uns trainiert, als dies im Verein möglich war.



Gegen Polen, gegen starke Spieler, gegen eine starke Mannschaft. Deutschland gegen Polen am Donnerstag (ab 21 Uhr, live im ZDF und Fan-Club-Radio) ist mehr als Deutschland gegen Robert Lewandowski. Viele Spieler sind zu beachten, der Stürmer des FC Bayern aber ganz besonders. Die Aufgabe gegen Lewandowski muss die ganze Mannschaft lösen, alle Spieler, die Defensive, die Innenverteidigung, allen voran Jérôme Boateng. Mit den Münchner Teamkollegen trifft Weltklasse aufeinander, einer der weltbesten Angreifer gegen einen der weltbesten Verteidiger. In seinem Gastbeitrag für DFB.de beschreibt der 27 Jahre alte Boateng den sportlichen und persönlichen Reifeprozess, den er vom kleinen Berliner Hinterhofkicker bis zum Weltklassefußballer erlebt hat.

Von Jérôme Boateng

Natürlich sind mir diese Szenen präsent, und sie werden es wohl immer sein. Die Magie von Rio, der Triumph vom Maracana, die Euphorie, das Erlebnis, die Erkenntnis: Ich bin Fußball-Weltmeister. Ganz viele Momente sind eingefroren. Die Nacht in Brasilien. Der Flug nach Berlin. Und dann die Fahrt durch die Hauptstadt. "Meine" Stadt ist auf den Beinen, wir fahren im offenen Bus durch die Massen Berlins - was für ein Wahnsinn. Und das gab es auch im Jubelrausch: kleine Augenblicke großer Dankbarkeit. Ich weiß, dass dieser Erfolg nicht nur mein Erfolg ist, nicht nur der Erfolg der Mannschaft. Hinter jedem Spieler stehen etliche Figuren, in etlichen Teams. Trainer, Betreuer, Zeugwarte. Mütter und Väter natürlich auch. Sie alle haben Teil am vierten Stern - von der Profimannschaft bis zu den Bambini. Denn alle Weltmeister haben ganz klein angefangen.

Wenn ich an meine ersten Schritte als Fußballer denke, denke ich an einen kleinen Jungen mit großen Träumen. Bundesligaspieler wollte ich werden, Nationalspieler, Weltmeister. So wie Millionen andere Kinder in Deutschland auch. Im Hinterhof mit meinem Vater habe ich zum ersten Mal gegen den Ball getreten, dann ging es auf den Bolzplatz. Es war Fußball in Reinform, wir haben einfach losgelegt, es gab kein Aufwärmen, keine Taktik, keine Schiedsrichter.

"Frühes Highlight: Meine Berufung an den DFB-Stützpunkt"

Meine erste Station im organisierten Fußball war Tennis Borussia Berlin. Die Jugendabteilung von TeBe hatte schon damals einen exzellenten Ruf, die Jugendteams waren überdurchschnittlich gut. Davon wusste ich allerdings nichts. Zu TeBe bin ich aus purem Zufall gekommen, ein Freund hat mich mitgenommen. Für mich war das Training im Verein gerade zu Beginn ein wenig ungewohnt. Aufwärmen, Passübungen - so etwas kannte ich nicht. Mir hat das Training aber gleich gefallen. Unser Trainer hat es richtig toll gemacht, er hat einen guten Draht zu uns Kindern entwickelt. Außerdem hat er uns fast alles mit Ball machen lassen. Ich habe schnell gemerkt, wie ich mich durch das Training als Fußballer verbessere. Mein Passspiel vor allem, aber auch mein Spielverständnis. Auf dem Bolzplatz ist man mehr Individualist, man macht viel alleine. Im Verein habe ich gelernt, meine Mitspieler einzubeziehen, mannschaftsdienlich zu sein.

Ein frühes Highlight war meine Berufung an den DFB-Stützpunkt und in die Berliner Auswahl. Darauf war ich wahnsinnig stolz. Das Stützpunkttraining fand jeden Mittwoch statt, und ich habe es immer kaum erwarten können, bis der nächste Mittwoch kommt. Ich konnte mich mit den besten Fußballern Berlins vergleichen - schon das war ein großer Mehrwert. In meiner Entwicklung habe ich von diesen Einheiten profitiert, das Niveau der Mitspieler war höher, und es wurde gezielter, spezieller mit uns trainiert, als dies im Verein möglich war.

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"Ich wollte, was alle wollen: Tore schießen"

Ich war damals noch Mittelfeldspieler beziehungsweise Stürmer. Dass ich heute in der Innenverteidigung zu Hause bin, verdanke ich auch einem Erlebnis mit der Berliner Auswahl. Als wir bei einem Turnier in Schweden waren, fiel plötzlich fast unsere gesamte Verteidigung aus. Und ich sollte aushelfen. Wenn ich ehrlich bin: Sofort und restlos begeistert von dieser Idee war ich nicht. Ich war schließlich Stürmer. und ich wollte, was alle wollen: Tore schießen. Aber ich habe ziemlich schnell den Reiz erkannt, das Spiel vor mir zu haben. Beim Turnier in Schweden habe ich zentral in einer Dreierkette agiert - und ich glaube, ich kann sagen, dass ich es ganz gut gemacht habe.

Die Rolle des Fußballs wurde in meinem Leben immer dominanter. Bei mir war es so, wie wohl bei vielen anderen Talenten auch, die mehr und mehr Zeit in den Fußball investieren - fast unweigerlich ergibt sich ein Problem in der schulischen Laufbahn. Für mich war die Einrichtung der Eliteschulen des Fußballs daher ein Glücksfall. An der Poelchau-Oberschule war sehr viel auf die sportlichen Bedürfnisse der Talente ausgerichtet, dreimal in der Woche hatten wir am Vormittag Training, bei den Klassenarbeiten konnten wir die Termine fast frei wählen, für die Fußballer wurden viele Kompromisse gemacht. Und so wurde ich auch durch die Poelchau-Schule ein immer besserer Fußballer.

In der zehnten Klasse habe ich meinen Hauptschulabschluss gemacht. Die Systematik mit den Eliteschulen habe ich zu meinem Vorteil genutzt, für andere gilt dies noch mehr. Von meinem Kollegen in der Nationalmannschaft haben es nicht wenige sogar geschafft, neben dem Fußball Fachabitur oder Abitur zu machen. Julian Draxler und Ilkay Gündogan sind zwei Beispiele. Sie hatten den Biss, der dafür nötig ist. Und dafür haben sie meinen großen Respekt.

"Bessere Spieler, bessere Trainer, besseres Training"

Ich habe mich im Alter von 16 Jahren komplett auf den Fußball verlassen. Und schon vorher hatte ich mit dem Wechsel zu Hertha BSC den nächsten Schritt gesetzt. Es war ein Sprung, der auf der Hand lag. Alles war eine Nummer größer, besser. Die besten Spieler aus Berlin waren im Nachwuchsleistungszentrum versammelt, die Gleichung war simpel: bessere Spieler, bessere Trainer, besseres Training, noch bessere Spieler. In der Hertha-Akademie wurde ganz gezielt mit uns Spielern gearbeitet. Zu Beginn war dies bei mir zum Beispiel die Förderung meines linken Fußes. Immer und immer und immer wieder habe ich Bälle mit links verarbeitet und gespielt, bis der Unterschied zu meinem rechten Fuß fast völlig aufgelöst war.

In meine Zeit in der Akademie von Hertha BSC fallen einige wesentliche Schritte meiner fußballerischen Laufbahn. Nie vergessen werde ich die erste Berufung durch den DFB, im März 2005 wurde ich für die Eliterunde der U 17 nominiert. Danach war ich regelmäßig dabei, habe für die U 19 und schließlich die U 21 gespielt. Und dabei meinen ersten internationalen Titel gewonnen, die U 21-EM 2009 in Schweden.

Für mich kann ich sagen, dass ich von jedem Lehrgang beim DFB profitiert habe. Für Deutschland zu spielen, ist der nächste Schritt. Und er ist ein großer. Es ist eine Ehre, eine Auszeichnung. Es hilft für den Kopf, es hilft aber auch tatsächlich sportlich, fußballerisch. Neue Trainer geben neuen Input, das Training mit den Besten des Landes ist ein anderes als mit den Besten bei Hertha. Für mich war jeder Lehrgang bei einer Junioren-Nationalmannschaft wertvoll, es gab immer Dinge, die ich vom DFB mitgenommen habe zum Verein.

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"Hoppla, ich kann mithalten"

Wir haben viel gewonnen damals mit Hertha, gerade in der B-Jugend hatten wir ein richtig starkes Team. Höhepunkt war die Deutsche B-Jugend-Meisterschaft im Jahr 2005. Mit jedem Erfolg hat sich bei mir der Glaube verfestigt, dass ich es tatsächlich schaffen kann, dass ich gut genug bin. Profi werden, diesem Traum kam ich immer näher. Kurz vor der WM 2006 hatte ich ein Erlebnis, dass diesen Glauben zur Überzeugung hat wachsen lassen. Damals trainierte die Nationalmannschaft auf dem Gelände von Hertha, und wir von der A-Jugend absolvierten ein Trainingsspiel gegen sie. Dabei merkte ich: Hoppla, ich kann mithalten. Und das waren nicht normale Profis, das waren die besten deutschen Fußballer. Mir war schon klar, dass es nur ein Testspiel war und alle sich ein wenig zurücknehmen. Aber es war dennoch zu sehen, dass ich in Sachen Tempo und Passspiel nicht sonderlich weit entfernt gewesen bin.

Eine Bestätigung dafür bekam ich, als ich zum ersten Mal in der Bundesliga gespielt habe. Das war am 31. Januar 2007 in Hannover. Wir haben das Spiel zwar verloren, aber jetzt war ich, was ich immer sein wollte: Bundesligaspieler. Zu Ende war meine Ausbildung damit noch nicht. Und sie ist es noch nicht. Noch heute bin ich gierig, will mich entwickeln, will mich verbessern. Dabei helfen mir das Training von Bundestrainer Joachim Löw bei der Nationalmannschaft und natürlich die tägliche Arbeit an der Säbener Straße beim FC Bayern.

"Mein Bruder George hatte nicht die Möglichkeiten, die ich hatte"

Ich weiß, dass ich sehr vom Talentfördersystem in Deutschland profitiert habe. Und ich weiß, dass mein Weg sehr wahrscheinlich nicht im Profifußball gemündet wäre, hätte ich diese Möglichkeiten nicht gehabt. Ich weiß dies deswegen, weil es in meiner Familie ein Beispiel dafür gibt: mein Bruder George. Es ist ziemlich eindeutig, dass er von uns allen das größte Talent hatte. Aber zu seiner Zeit gab es die Förderung in ihrer heutigen Form noch nicht. Er hatte keine Trainer, die speziell mit ihm gearbeitet haben, hatte auch niemanden, der ihm mal den Kopf gewaschen hat, wenn dies nötig gewesen wäre. Er hatte kein Stützpunkttraining, Nachwuchsleistungszentren gab es nicht. Er hatte nicht die Möglichkeiten, die ich hatte. Und so hat er keine Profikarriere gemacht - obwohl er bessere Anlagen hatte als ich.

Heute bin ich Weltmeister, ich spiele bei einem der weltbesten Vereine. Mir wurden alle Wünsche erfüllt. Und wie gesagt: Dafür bin ich dankbar. Ich habe einige Opfer bringen müssen, habe einige echte Freunde verloren und manchmal auch falschen Freunden vertraut. Der Weg war nicht immer leicht, gerade als Jugendlicher. Ich habe zu Hause bleiben müssen, wenn andere ausgegangen sind, habe an einigen Stellen manche Entbehrung auf mich nehmen müssen. Aber es hat sich gelohnt. Alles, was ich investiert habe, habe ich zurückbekommen. Doppelt. Und dreifach. Und noch viel mehr.

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