25 Jahre nach Lens: DFB-Podiumsrunde im Fußballmuseum in Dortmund

Das Ziel, das nächste Lens zu verhindern, rechtfertigt gewiss alle Anstrengungen. Die Prävention etwa über die Fanprojekte ist durchdacht und wirksam. Die Ultras haben die Hooliganszene vielerorts aus den Stadien gedrängt. Vieles hat sich bewegt. Ganz zufrieden kann und wollte Michael Gabriel dennoch nicht sein. "Es fehlt die Kontinuität", urteilte er über die zumindest aus seiner Sicht immer noch ungenügenden Projekte und Maßnahmen der Fußballverbände und Vereine.

25 Jahre nach dem Anschlag auf den französischen Gendarmen Daniel Nivel und am Abend vor dem Frankreich-Länderspiel fand am Montagabend im Deutschen Fußballmuseum eine Podiumsrunde statt. Thema: Gewalt im Fußball. Gabriel, früher ein guter Fußballer, der mit Eintracht Frankfurt A- und B-Jugendmeister wurde, koordiniert seit 2006 die Fanprojekte in Deutschland. Damals im WM-Sommer 1998 tourten er und ein Trupp Sozialpädagogen mit einer mobilen Fanbotschaft durch Frankreich. Man wollte "positive Atmosphäre" schaffen. Und wusste, wie schwer es gerade in Lens sein würde, wo die deutsche Mannschaft im zweiten Gruppenspiel auf Jugoslawien traf. Von Aachen aus sind es nur rund 270 Kilometer. "Lens lag einigermaßen nahe der deutschen Grenze. Wir erwarteten schon, dass viele Hooligans anreisen würden." Genauso kam es. Unmut hatte sich in den Tagen zuvor unter den Fans breit gemacht, eine Ticketverknappung sei schuld gewesen. Für Gabriel der Grund, dass "die Rechten damals keinen Widerstand erfahren haben."

Steffen Simon, Kommunikationsdirektor beim Deutschen Fußball-Bund, erlebte Lens aus der Perspektive des TV-Fußballjournalisten. Im Sommer 1998 wechselte er von der ARD-Sportschau zur SAT1-Bundesligashow "Ran". "In den Redaktionskonferenzen wurde nicht über Nivel und die Folgen geredet, ich kann mich wirklich an keinen einzigen Moment erinnern. Es spielte einfach keine Rolle." Im Sommer nach Lens sei die Bundesliga ohne jedwede kritische Aufbereitung in die neue Saison gestartet. "Das ist heute nicht mehr vorstellbar", sagte Simon, der trotz schwerer Tage an der Podiumsrunde teilnahm.

Der Sportsoziologe Prof. Gunter A. Pilz und die Fanaktivistin Helen Breit komplettierten das Podium. "Ich war damals 11 Jahre alt und habe erst viel später erfahren, wofür Lens steht", sagte Breit.  DFB-Präsident Bernd Neuendorf beschrieb anlässlich des Jahrestages, Lens stehe für "eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Fußballgeschichte", die Erinnerung daran sei "für uns alle eine Mahnung und einer Verpflichtung zugleich.

In der Rue Romuald Provost hatten damals Daniel Nivel und zwei weitere Gendarmen Position bezogen. In der Innenstadt waren Straßenschlachten ausgebrochen, die drei Gendarmen abkommandiert, die Einsatzfahrzeuge zu bewachen. Daniel Nivel, verheiratet, zweifacher Vater und damals 43 Jahre alt, spielte mit einem kleinen Jungen Fußball. Kurz darauf tauchten am Eingang der Rue Provost 30 deutsche Fußballfans auf. "Die schlagen wir zu Brei!", sollen sie gerufen haben. Sieben Hooligans stürmten auf die überraschten Gendarmen, zwei konnten sich retten, Nivel nicht. Seinen Helm verlor er gleich als er umgerannt wurde. Gemeinsam schlugen sie auf den am Boden liegenden Polzisten, mit Fäusten, einem Schild, dann mit dem Kolben seiner Tränengasgewehrs. Sein Schädel brach.

Sechs Hooligans zu Haftstrafen verurteilt

Die Anonymität der Gruppe lasse Gewalt oft eskalieren, erklärte Pilz auf dem Podium. Ein Zeuge sagte vor Gericht damals. "Sie waren so gewalttätig, wie man es sonst nur von Tieren kennt."

Der langjährige Generalsekretär Horst R. Schmidt, der Ansprechpartner beim DFB für die Familie Nivel, erinnerte sich an die heranbrechende Nacht. "Ich fuhr aus Lens zurück nach Paris und irgendwann hieß es, Nivel sei gestorben. Daniel Nivels furchtbares Leid und Egidius Brauns Entschlossenheit haben mich bewogen, wirklich alles zu tun, damit wir der Familie helfen. Irgendwann war alles geregelt." Jedenfalls Alles, was die Medizin und Geld regeln können.

Nivel ist halbseitig gelähmt, auf einem Auge blind und konnte anfangs nur mühsam sprechen, inzwischen gar nicht mehr. Er kann nichts mehr riechen oder schmecken. Sechs der Hooligans wurden zu Haftstrafen verurteilt, einer davon wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren.

"Lens war ein Fanal, es war der Anfang vom Ende der Hooliganszene in den Stadien", urteilte Michael Gabriel in Dortmund. Der Soziologe Robert Claus schreibt im Sachbuch "Hooligans": "Der Angriff auf Daniel Nivel steht bis heute symbolisch für die Gewalt extrem rechter Hooligans. Der DFB war aufgrund der laufenden Bewerbung für die WM 2006 damals sehr von der Sorge umtrieben, dass die furchtbare Tat von Lens sich auf die Turniervergabe auswirken könnte. Damals entstanden sehr viele Maßnahmen, etwa der Aufbau der polizeilichen Zentralkarteien und der Ausbau der Sicherheitstechnik in den Stadien. Der DFB verstärkte deutlich seine sozialen und politischen Anstrengungen."

Der DFB und der französische Verband, unterstützt durch FIFA und UEFA, gründeten die Daniel-Nivel-Stiftung, die mit den Zukunftswerkstätten ein Format schufen, bei dem sich Fußballfans und Polizisten zum Austausch trafen. "Es war spannend zu beobachten, dass die Vorwürfe beider Seiten völlig identisch waren. Viel zu undifferenziert, nicht kommunikativ, respektlos – so urteilten die Polizisten über die Fans genauso wie die Fans über die Polizei", erinnerte sich Gunter Pilz.

Helen Breit warb auch auf dem Podium in Dortmund um mehr und vor allem anhaltende Unterstützung für Prävention. "Die positiven Kräfte müssen gestärkt werden, nur dann wird es gelingen, gewalttätige Kräfte weiter marginalisiert zu halten." Heute haben die Ultragruppen die Hooligans überwiegend aus den Stadien gedrängt. Doch die Gewalt hat sich nur verlagert. Gabriel berichtet von Gruppen, teil aus dem Rotlicht-Milieu oder aus der Naziszene, die sich auf Waldwiesen und bei illegalen Käfigkämpfen die Köpfe einschlagen. "Die wollen wir nicht wieder in den Stadien sehen."

Wie schon so oft, hatte der DFB Daniel Nivel und seine Frau Lorette auch zum heutigen Länderspiel gegen Frankreich eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen mussten sie absagen. 25 Jahre sind seit dem 21. Juni 1998 vergangen. An den Folgen leidet Daniel Nivel bis heute.

[th]

Das Ziel, das nächste Lens zu verhindern, rechtfertigt gewiss alle Anstrengungen. Die Prävention etwa über die Fanprojekte ist durchdacht und wirksam. Die Ultras haben die Hooliganszene vielerorts aus den Stadien gedrängt. Vieles hat sich bewegt. Ganz zufrieden kann und wollte Michael Gabriel dennoch nicht sein. "Es fehlt die Kontinuität", urteilte er über die zumindest aus seiner Sicht immer noch ungenügenden Projekte und Maßnahmen der Fußballverbände und Vereine.

25 Jahre nach dem Anschlag auf den französischen Gendarmen Daniel Nivel und am Abend vor dem Frankreich-Länderspiel fand am Montagabend im Deutschen Fußballmuseum eine Podiumsrunde statt. Thema: Gewalt im Fußball. Gabriel, früher ein guter Fußballer, der mit Eintracht Frankfurt A- und B-Jugendmeister wurde, koordiniert seit 2006 die Fanprojekte in Deutschland. Damals im WM-Sommer 1998 tourten er und ein Trupp Sozialpädagogen mit einer mobilen Fanbotschaft durch Frankreich. Man wollte "positive Atmosphäre" schaffen. Und wusste, wie schwer es gerade in Lens sein würde, wo die deutsche Mannschaft im zweiten Gruppenspiel auf Jugoslawien traf. Von Aachen aus sind es nur rund 270 Kilometer. "Lens lag einigermaßen nahe der deutschen Grenze. Wir erwarteten schon, dass viele Hooligans anreisen würden." Genauso kam es. Unmut hatte sich in den Tagen zuvor unter den Fans breit gemacht, eine Ticketverknappung sei schuld gewesen. Für Gabriel der Grund, dass "die Rechten damals keinen Widerstand erfahren haben."

Steffen Simon, Kommunikationsdirektor beim Deutschen Fußball-Bund, erlebte Lens aus der Perspektive des TV-Fußballjournalisten. Im Sommer 1998 wechselte er von der ARD-Sportschau zur SAT1-Bundesligashow "Ran". "In den Redaktionskonferenzen wurde nicht über Nivel und die Folgen geredet, ich kann mich wirklich an keinen einzigen Moment erinnern. Es spielte einfach keine Rolle." Im Sommer nach Lens sei die Bundesliga ohne jedwede kritische Aufbereitung in die neue Saison gestartet. "Das ist heute nicht mehr vorstellbar", sagte Simon, der trotz schwerer Tage an der Podiumsrunde teilnahm.

Der Sportsoziologe Prof. Gunter A. Pilz und die Fanaktivistin Helen Breit komplettierten das Podium. "Ich war damals 11 Jahre alt und habe erst viel später erfahren, wofür Lens steht", sagte Breit.  DFB-Präsident Bernd Neuendorf beschrieb anlässlich des Jahrestages, Lens stehe für "eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Fußballgeschichte", die Erinnerung daran sei "für uns alle eine Mahnung und einer Verpflichtung zugleich.

In der Rue Romuald Provost hatten damals Daniel Nivel und zwei weitere Gendarmen Position bezogen. In der Innenstadt waren Straßenschlachten ausgebrochen, die drei Gendarmen abkommandiert, die Einsatzfahrzeuge zu bewachen. Daniel Nivel, verheiratet, zweifacher Vater und damals 43 Jahre alt, spielte mit einem kleinen Jungen Fußball. Kurz darauf tauchten am Eingang der Rue Provost 30 deutsche Fußballfans auf. "Die schlagen wir zu Brei!", sollen sie gerufen haben. Sieben Hooligans stürmten auf die überraschten Gendarmen, zwei konnten sich retten, Nivel nicht. Seinen Helm verlor er gleich als er umgerannt wurde. Gemeinsam schlugen sie auf den am Boden liegenden Polzisten, mit Fäusten, einem Schild, dann mit dem Kolben seiner Tränengasgewehrs. Sein Schädel brach.

Sechs Hooligans zu Haftstrafen verurteilt

Die Anonymität der Gruppe lasse Gewalt oft eskalieren, erklärte Pilz auf dem Podium. Ein Zeuge sagte vor Gericht damals. "Sie waren so gewalttätig, wie man es sonst nur von Tieren kennt."

Der langjährige Generalsekretär Horst R. Schmidt, der Ansprechpartner beim DFB für die Familie Nivel, erinnerte sich an die heranbrechende Nacht. "Ich fuhr aus Lens zurück nach Paris und irgendwann hieß es, Nivel sei gestorben. Daniel Nivels furchtbares Leid und Egidius Brauns Entschlossenheit haben mich bewogen, wirklich alles zu tun, damit wir der Familie helfen. Irgendwann war alles geregelt." Jedenfalls Alles, was die Medizin und Geld regeln können.

Nivel ist halbseitig gelähmt, auf einem Auge blind und konnte anfangs nur mühsam sprechen, inzwischen gar nicht mehr. Er kann nichts mehr riechen oder schmecken. Sechs der Hooligans wurden zu Haftstrafen verurteilt, einer davon wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren.

"Lens war ein Fanal, es war der Anfang vom Ende der Hooliganszene in den Stadien", urteilte Michael Gabriel in Dortmund. Der Soziologe Robert Claus schreibt im Sachbuch "Hooligans": "Der Angriff auf Daniel Nivel steht bis heute symbolisch für die Gewalt extrem rechter Hooligans. Der DFB war aufgrund der laufenden Bewerbung für die WM 2006 damals sehr von der Sorge umtrieben, dass die furchtbare Tat von Lens sich auf die Turniervergabe auswirken könnte. Damals entstanden sehr viele Maßnahmen, etwa der Aufbau der polizeilichen Zentralkarteien und der Ausbau der Sicherheitstechnik in den Stadien. Der DFB verstärkte deutlich seine sozialen und politischen Anstrengungen."

Der DFB und der französische Verband, unterstützt durch FIFA und UEFA, gründeten die Daniel-Nivel-Stiftung, die mit den Zukunftswerkstätten ein Format schufen, bei dem sich Fußballfans und Polizisten zum Austausch trafen. "Es war spannend zu beobachten, dass die Vorwürfe beider Seiten völlig identisch waren. Viel zu undifferenziert, nicht kommunikativ, respektlos – so urteilten die Polizisten über die Fans genauso wie die Fans über die Polizei", erinnerte sich Gunter Pilz.

Helen Breit warb auch auf dem Podium in Dortmund um mehr und vor allem anhaltende Unterstützung für Prävention. "Die positiven Kräfte müssen gestärkt werden, nur dann wird es gelingen, gewalttätige Kräfte weiter marginalisiert zu halten." Heute haben die Ultragruppen die Hooligans überwiegend aus den Stadien gedrängt. Doch die Gewalt hat sich nur verlagert. Gabriel berichtet von Gruppen, teil aus dem Rotlicht-Milieu oder aus der Naziszene, die sich auf Waldwiesen und bei illegalen Käfigkämpfen die Köpfe einschlagen. "Die wollen wir nicht wieder in den Stadien sehen."

Wie schon so oft, hatte der DFB Daniel Nivel und seine Frau Lorette auch zum heutigen Länderspiel gegen Frankreich eingeladen. Aus gesundheitlichen Gründen mussten sie absagen. 25 Jahre sind seit dem 21. Juni 1998 vergangen. An den Folgen leidet Daniel Nivel bis heute.

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