Vogts: "Jetzt kommt die deutsche Ära!"

Mit dem Eröffnungsspiel am 10. Juni 2016 im Stade de France beginnt morgen in genau einem Jahr die Endrunde der 15. Europameisterschaft. Die deutsche Nationalmannschaft wird in Frankreich, die erfolgreiche Qualifikation vorausgesetzt, als Weltmeister antreten und sich den Gewinn des EM-Titels als Ziel setzen. Genau 20 Jahre nach dem EM-Triumph 1996 in England unter Berti Vogts als Bundestrainer. Ein Doppelschlag mit zwei direkt aufeinander folgenden großen Turniersiegen gelang der DFB-Auswahl bislang nur ein einziges Mal, als sie dem EM-Triumph 1972 den WM-Titelgewinn 1974 mit Berti Vogts als Spieler folgen ließ.

Vogts (68), der seit 1967 in 96 Länderspielen als Verteidiger und danach bis 1998 beim DFB als Juniorenauswahl- und Bundestrainer die Geschicke der Nationalmannschaft mitgestaltet hat, arbeitet nach Engagements als Nationaltrainer in Kuwait, Schottland, Nigeria und zuletzt Aserbaidschan oder temporären Beobachter-Einsätzen für die FIFA und UEFA aktuell als Sonderberater des US-amerikanischen Nationaltrainers Jürgen Klinsmann und sitzt beim Länderspiel gegen die USA an diesem Mittwoch auf der Bank der Nordamerikaner.

Im Exklusivinterview für DFB.de mit Redakteur Wolfgang Tobien erklärt er die Gründe, warum es in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht mehr mit einem Doppelschlag geklappt hat. Und er beurteilt die Chancen der Mannschaft von Joachim Löw, dem WM-Siegeszug 2014 in Brasilien die Zugabe bei der EM 2016 in Frankreich folgen zu lassen.

DFB.de: Herr Vogts, in genau einem Jahr findet die Europameisterschaft in Frankreich statt. Wie beurteilen Sie die Chance, dass die deutsche Nationalmannschaft dem WM-Titel von Brasilien nun als direkte Zugabe den EM-Triumph folgen lässt?

Berti Vogts: Deutschland ist für mich im nächsten Jahr der absolute Topfavorit. Die Bundesliga bringt durch ihre Leistungszentren und die Talentförderung des DFB so viele junge Leute nach vorne, dass dies ein Glücksgriff für jeden Nationaltrainer ist. Ein Spieler, der es aus diesem Förderungssystem in die Nationalmannschaft schafft, weiß sofort, wie er sich auf welcher Position in welchem System bewegen muss. Das ist ein enormer Vorteil.

DFB.de: Was heißt das für die nächsten Monate?

Vogts: Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren die spanische Zeit. Jetzt kommt die deutsche Ära. Mit einem Nationalteam, das den perfekten Altersdurchschnitt hat. Und meiner Meinung nach bereit ist, dem Triumph von Brasilien 2014 nun den nächsten großen Erfolg 2016 in Frankreich folgen zu lassen.

DFB.de: Gelungen ist ein solcher Coup der DFB-Auswahl bisher nur einmal, als die Europameister von 1972 zwei Jahre später mit Ihnen als Abwehrspieler direkt auch Weltmeister wurden. Warum hat es danach generell mit dem großen Wurf nie wieder geklappt?

Vogts: Es war bisher insgesamt immer sehr schwierig, einen solchen Doppelschlag zu landen. Frankreich hat es in den Neunzigern mal geschafft. Danach, wie gesagt, auch Spanien. Es liegt fast in der Natur der Sache, dass die Spieler nach einem großen Erfolg im Jahr danach erst mal zu Ruhe kommen müssen. Das haben wir in der Saison 2014/15 nach dem WM-Titelgewinn bei unserer Mannschaft zunächst in der EM-Qualifikation erlebt. Wir hatten zwischen 1970 und 1974 eine so hochklassige und abgezockte Mannschaft, dass danach ein Qualitätsverlust mit dem Abgang großer Spieler fast zwangsläufig war. Und vielleicht hat man sich in den Siebzigern nach dem WM-Triumph von München zu lange auf dem Lorbeer ausgeruht. Wenn der Mensch bequem wird, hat er keine Chance mehr, Topleistungen zu bringen.



Mit dem Eröffnungsspiel am 10. Juni 2016 im Stade de France beginnt morgen in genau einem Jahr die Endrunde der 15. Europameisterschaft. Die deutsche Nationalmannschaft wird in Frankreich, die erfolgreiche Qualifikation vorausgesetzt, als Weltmeister antreten und sich den Gewinn des EM-Titels als Ziel setzen. Genau 20 Jahre nach dem EM-Triumph 1996 in England unter Berti Vogts als Bundestrainer. Ein Doppelschlag mit zwei direkt aufeinander folgenden großen Turniersiegen gelang der DFB-Auswahl bislang nur ein einziges Mal, als sie dem EM-Triumph 1972 den WM-Titelgewinn 1974 mit Berti Vogts als Spieler folgen ließ.

Vogts (68), der seit 1967 in 96 Länderspielen als Verteidiger und danach bis 1998 beim DFB als Juniorenauswahl- und Bundestrainer die Geschicke der Nationalmannschaft mitgestaltet hat, arbeitet nach Engagements als Nationaltrainer in Kuwait, Schottland, Nigeria und zuletzt Aserbaidschan oder temporären Beobachter-Einsätzen für die FIFA und UEFA aktuell als Sonderberater des US-amerikanischen Nationaltrainers Jürgen Klinsmann und sitzt beim Länderspiel gegen die USA an diesem Mittwoch auf der Bank der Nordamerikaner.

Im Exklusivinterview für DFB.de mit Redakteur Wolfgang Tobien erklärt er die Gründe, warum es in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht mehr mit einem Doppelschlag geklappt hat. Und er beurteilt die Chancen der Mannschaft von Joachim Löw, dem WM-Siegeszug 2014 in Brasilien die Zugabe bei der EM 2016 in Frankreich folgen zu lassen.

DFB.de: Herr Vogts, in genau einem Jahr findet die Europameisterschaft in Frankreich statt. Wie beurteilen Sie die Chance, dass die deutsche Nationalmannschaft dem WM-Titel von Brasilien nun als direkte Zugabe den EM-Triumph folgen lässt?

Berti Vogts: Deutschland ist für mich im nächsten Jahr der absolute Topfavorit. Die Bundesliga bringt durch ihre Leistungszentren und die Talentförderung des DFB so viele junge Leute nach vorne, dass dies ein Glücksgriff für jeden Nationaltrainer ist. Ein Spieler, der es aus diesem Förderungssystem in die Nationalmannschaft schafft, weiß sofort, wie er sich auf welcher Position in welchem System bewegen muss. Das ist ein enormer Vorteil.

DFB.de: Was heißt das für die nächsten Monate?

Vogts: Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren die spanische Zeit. Jetzt kommt die deutsche Ära. Mit einem Nationalteam, das den perfekten Altersdurchschnitt hat. Und meiner Meinung nach bereit ist, dem Triumph von Brasilien 2014 nun den nächsten großen Erfolg 2016 in Frankreich folgen zu lassen.

DFB.de: Gelungen ist ein solcher Coup der DFB-Auswahl bisher nur einmal, als die Europameister von 1972 zwei Jahre später mit Ihnen als Abwehrspieler direkt auch Weltmeister wurden. Warum hat es danach generell mit dem großen Wurf nie wieder geklappt?

Vogts: Es war bisher insgesamt immer sehr schwierig, einen solchen Doppelschlag zu landen. Frankreich hat es in den Neunzigern mal geschafft. Danach, wie gesagt, auch Spanien. Es liegt fast in der Natur der Sache, dass die Spieler nach einem großen Erfolg im Jahr danach erst mal zu Ruhe kommen müssen. Das haben wir in der Saison 2014/15 nach dem WM-Titelgewinn bei unserer Mannschaft zunächst in der EM-Qualifikation erlebt. Wir hatten zwischen 1970 und 1974 eine so hochklassige und abgezockte Mannschaft, dass danach ein Qualitätsverlust mit dem Abgang großer Spieler fast zwangsläufig war. Und vielleicht hat man sich in den Siebzigern nach dem WM-Triumph von München zu lange auf dem Lorbeer ausgeruht. Wenn der Mensch bequem wird, hat er keine Chance mehr, Topleistungen zu bringen.

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DFB.de: Ist eine solch längere Durststrecke jetzt auch von der aktuellen Nationalmannschaft zu befürchten?

Vogts: Nein! Wenn jetzt ab September die EM-Qualifikation in die entscheidende Phase geht, wird man wieder das wahre Gesicht der Mannschaft von Joachim Löw sehen.

DFB.de: In Ihren Anfangsjahren als DFB-Trainer hat die Nationalmannschaft nach dem EM-Triumph 1980 vier vergebliche Anläufe benötigt, ehe 1990 der nächste Titelgewinn zustande kam. Was waren die Gründe?

Vogts: Man darf nicht vergessen, dass wir in den Achtzigern zweimal ins WM-Finale kamen. Und bei der EM 1988 sind wir an einer damals überragenden holländischen Mannschaft am Eintritt ins Finale gehindert worden. Wirklich negativ war allerdings der Einbruch bei der EM 1984, der zum Rücktritt von Jupp Derwall und dem Amtsantritt von Franz Beckenbauer führte. Die Wahrheit ist aber auch, dass wir damals längst nicht aus einem so großen Fundus an Qualität und Klasse schöpfen konnten wie es heute der Fall ist. 1986 mit einer zwar ungemein kampfstarken, spielerisch aber sicherlich nicht herausragenden Mannschaft ins WM-Finale zu kommen und fast Weltmeister zu werden, das war schon ein Kunststück.

DFB.de: Nach 1990 ging es mit Ihnen als neuem Bundestrainer sowie mit den meisten Weltmeistern von Rom weiter. Warum hat es dennoch sechs Jahre gedauert, ehe der nächste Titelgewinn unter Dach und Fach war?

Vogts: Unter anderem gab es drei entscheidende Gründe. Zum einen dauerte es eine gewisse Zeit, die zweifellos geeigneten Spieler aus der DDR nach der Wiedervereinigung in unsere Mannschaft zu integrieren. Zum anderen sind wir, dies muss man klar sagen, 1992 in Schweden bei der EM an unserer eigenen Überheblichkeit als Weltmeister gescheitert. Und 1994 hätte ich vor und bei der WM in den USA einiges, auch personell, verändern müssen.

DFB.de: Hätten Sie sich, als Sie 1998 als Bundestrainer zurücktraten, die Nationalmannschaft bis 2014 ohne Titelgewinn vorstellen können?

Vogts: Dass die umfassende Neuorientierung bei der Sichtung und Förderung der Talente, die ab 2000 einsetzte, nicht von jetzt auf gleich zum großen Aufschwung der Nationalmannschaft führen würde, das war mir schon klar. Doch heute ernten wir die Früchte dieses Konzepts der gezielten und effektiven Sichtung und Förderung auf Verbands- und Klubebene und profitieren zudem von der Richtung, die die Liga vorgegeben hat. Heute könnte der DFB zwei komplette A-Nationalmannschaften aufstellen, was früher unmöglich war. Diese Feststellung verdeutlicht auch den heutigen immens hohen Stellenwert der Bundesliga. Zu meiner Zeit als Bundestrainer hatte ich neun Nationalspieler in Italien. Heute steht alles, kontinuierlich gewachsen, auf einem starken Fundament in einem tollen Miteinander von DFB und Liga.

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DFB.de: Weiter so oder personeller Umbruch – gibt es nach einem Titelgewinn ein Patentrezept für den Weg zum nächsten Turnier?

Vogts: Ich verstehe teilweise die Spieler, wenn sie nach einem Titelgewinn, auf den sie so stark fokussiert waren, erst einmal durchschnaufen und auch mal leben wollen. Doch das ist schon der erste Schritt in eine falsche Richtung. Fakt ist, dass wir heute einen Spieler A jeder Zeit durch den Spieler B ersetzen können.

DFB.de: Was war Ihrer Meinung nach das Erfolgsrezept der Spanier, die zwischen 2008 und 2012 zwei EM- und den WM-Titel feiern konnten?

Vogts: Spanien in jenen Jahren sehe ich im Rückblick auf dem Niveau, das der deutsche Fußball heute hat. Hervorragende Ausbildung der Spieler in den Klubs und optimale Bedingungen in den diversen Junioren-Auswahlteams. So wie es derzeit in den DFB-Juniorenteams insgesamt der Fall ist, die nahezu alle international an der Spitze stehen. Mit diesem großen Potenzial an so vielen guten Spielern sind wir inzwischen in der Situation wie vor kurzem noch die Spanier.

DFB.de: Wie sieht es konkret mit der Qualität im heutigen Team des Weltmeisters ein Jahr vor der EM aus?

Vogts: Der Vorwärtsdrang, der ja gar nicht typisch deutsch ist, absolut überragend, Weltspitze! Wie auf allen Positionen auf Angriff gespielt wird, das findet zu recht weltweit große Anerkennung. Dagegen müsste im Defensivbereich, wenn man ganz kritisch ist, noch einiges hinzukommen, da gibt es noch das eine oder andere Problem. Personell, aber auch grundsätzlich im direkten Zweikampf eins gegen eins und auf den Außenpositionen.

DFB.de: Mit Kapitän Lahm, Klose und Mertesacker traten nach der WM in Brasilien drei wichtige Führungsspieler zurück. Wer muss Ihrer Meinung nach jetzt der Mannschaft den Weg zum nächsten Titel weisen?

Vogts: Da habe ich zu wenig Einblick, um mir ein Urteil zu erlauben. Das muss Joachim Löw entscheiden. Generell gilt aber, dass ein Fußballer nur Führung von demjenigen annimmt, der Leistung bringt und auf dem Platz der Mannschaft weiterhilft. Khedira zum Beispiel stufe ich als Führungsspieler ein, aber er muss Stammspieler bei Juventus Turin sein.

DFB.de: Wie lange kann man einen großen Turniersieg überhaupt genießen, ohne im Hinblick auf die nächste hohe Herausforderung zu viel an Konzentration, Kraft und Kondition auf höchstem Niveau zu verlieren?

Vogts: Das ist vor allem eine Kopfsache. Wenn man im Unterbewusstsein keine 100 Prozent mehr gibt, verliert man damit an Persönlichkeit und an individueller Stärke. Das andere Problem ist, dass gegen den Weltmeister jeder Gegner glänzen und alles geben will, und du eigentlich nur verlieren kannst. Doch in unserer Mannschaft befinden sich so viele sehr gute Charaktere und positive Typen, dass sie in Kürze wieder ihr wahres Gesicht zeigen wird.

DFB.de: Was ist demnach in den nächsten Monaten von der Nationalmannschaft auf ihrem Weg zur EM und dann auch in Frankreich bei der Endrunde zu erwarten?

Vogts: Sie wird sich ganz sicher qualifizieren und sich dann in Frankreich mit vielen Weltmeistern in ihren Reihen daran erinnern, was im Sommer 2014 in Brasilien abgegangen ist und richtig Gas geben. Ab September würde ich höchst ungern gegen Deutschland spielen wollen. Löws Mannschaft hat sich mit dem WM-Titel großen Respekt verschafft. Das wird man in Frankreich sehen. Nur: Diesen Respekt muss sie ausnützen. Ganz konsequent und mit totalem Hunger auf Erfolge.