"Pray4Afghanistan": Benefizspiel in Kassel

Harez Habib veranstaltet heute (ab 18 Uhr) im Auestadion Kassel ein Benefizspiel. Die Einnahmen gehen an afghanische Frauen und afghanische Ortskräfte, die in diesen Tagen vor der Taliban-Herrschaft flüchten. Mit DFB.de spricht der 16-malige afghanische Nationalspieler darüber.

DFB.de: Herr Habib, Sie waren drei Jahre alt, als Ihre Familie nach dem Einmarsch der Sowjetunion das Land verließ. Angesichts der jüngsten Geschehnisse am Kabuler Flughafen, wie froh sind Sie heute noch über die Entscheidung Ihrer Eltern?

Harez Habib: Wie Sie sich denken können, sehr froh. Dass habe ich meinen beiden Eltern auch mehrfach in den letzten Tagen gesagt. Ich bin unendlich dankbar, dass sie Mitte der achtziger Jahre bereits Afghanistan verließen und ich hier in Deutschland aufwachsen, zur Schule gehen und studieren durfte.

DFB.de: Zwischen 2009 und 2014 bestritten Sie 16 Länderspiele für Afghanistan. DFB-Auslandsexperte Klaus Stärk hatte Sie damals beim Regionalligaklub KSV Hessen Kassel entdeckt und überzeugt, für Afghanistan zu spielen. Wie viel Angst hatten Sie, wenn Sie für ein Länderspiel nach Afghanistan fliegen mussten?

Habib: Das war nicht so schlimm. Einfach weil ich kaum einmal nach Kabul fliegen musste. Die Sicherheitslage war zu instabil. Es gab diese Angst vor einem Anschlag auf die afghanische Mannschaft. Die FIFA gestattete es deshalb, dass der Afghanische Fußballverband seine Heimspiele im Ausland austragen durfte. Auch unsere WM-Qualifikationsspiele haben wir also in Tadschikistan ausgetragen. Ich war damals übrigens nicht der einzige Legionär. Mansur Faqiryar vom VfB Oldenburg oder Milad Salem von Wehen Wiesbaden waren zwei weitere Nationalspieler, die in Deutschland aufwuchsen, aber für Afghanistan Fußball spielten.

DFB.de: Gefährlich war es dennoch auch in dieser Zeit in Afghanistan. Klaus Stärk berichtete einmal über sein Leben in Kabul. Ein Internetcafé, das er einen Tag vorher besucht hatte, flog in die Luft und viel zu häufig sei es zu schweren Anschlägen gekommen.

Habib: Sein Mut und sein Einsatz waren großartig. Klaus Stärk war für den Fußball in Afghanistan weit mehr als ein Trainer. Ihm ist es zu verdanken, dass in diesen Anfangsjahren des Wiederaufbaus der Nationalmannschaft Strukturen entstanden. Stärks Engagement war überall spürbar, bei der Talentförderung und bei der Qualifizierung von Trainern und Schiedsrichtern. Er war weit mehr als der Nationaltrainer.

DFB.de: Einige Ihrer Mitspieler 2010 standen schon während der Herrschaft der Taliban zwischen September 1996 und Oktober 2001 in der Nationalmannschaft. Fußball war zwar nicht verboten, aber ein Mittel zur Machtdemonstration. Spieler durften bei Temperaturen über 40 Grad nur mit langen Hosen antreten, mussten Vollbärte tragen. Torjubel der Zuschauer war unerwünscht, für unerlaubtes Applaudieren gab es zehn Hiebe. Was berichteten Ihre Mitspieler noch?

Habib: Die mussten gar nicht so viel erzählen, ich kannte die Bilder schon, die gingen damals ja auch durch die Medien. Im Nationalstadion in Kabul fanden regelmäßig Hinrichtungen statt. Mitspieler erzählten mir, wie die Taliban die Leute zwangen, zu den Hinrichtungen ins Stadion zu gehen. Einige meiner Mitspieler waren durch diese Erlebnisse traumatisiert.

DFB.de: Haben Sie heute noch einen afghanischen Pass?

Habib: Den habe ich nach meiner Karriere als Nationalspieler beim afghanischen Konsulat abgegeben. Nach meiner Zeit beim KSV Hessen Kassel bin ich nach Frankfurt gezogen und lebe heute mit meiner Frau und meiner Tochter in Karben, einem Vorort von Frankfurt. Beruflich arbeite ich in einem Unternehmen für Medizintechnik im Bereich der Personalfindung. Der Fußball interessiert mich heute immer mehr in seiner Wirkung außerhalb des rein sportlichen. Schon meine Diplomarbeit habe ich über die Integrationskraft des Fußballs geschrieben. Dieses Potenzial ist noch nicht vollständig ausgenutzt.

DFB.de: „Habib and Friends“ – unter diesem internationalen Motto findet nun ein Benefizspiel zum Wohle Afghanistans statt. Aufeinandertreffen werden die Hessen Kassel-Allstars und die Mannschaft "Pray4Afghanistan", eine Auswahl afghanischer Fußballer. Auf welche Spieler freuen Sie sich besonders?

Habib: Das ist immer schwierig, weil ich mich über alle freue, die zugesagt haben. Thorsten Bauer spielt mit. Mit 161 in 297 Spielen ist er der Rekordtorschütze beim KSV Hessen Kassel und zumindest hier in Nordhessen ein bekannter Fußballer. Und dann freue ich mich sehr, dass Holger Brück und Mirko Dickhaut als Trainer der beiden Mannschaften zugesagt haben.

DFB.de: Die Zuschauer unterstützen also nicht nur eine gute Sache, sondern dürfen auch einen guten Kick erwarten?

Habib: Wir spielen mit Tempo. Das Durchschnittsalter beider Mannschaften liegt bei 36 Jahren, die Jungs sind noch gut unterwegs. Wir wollen definitiv auch fußballerisch für einen schönen Abend sorgen.

DFB.de: Wechseln Sie selbst in der Halbzeit die Mannschaft?

Habib: Yusuf Barack und ich wurden gemeinsam von Klaus Stärk für die afghanische Nationalmannschaft rekrutiert, wir spielten damals auch beide in der Regionalliga für Hessen Kassel. Ich denke, wir werden in der Halbzeit das afghanische Trikot ausziehen und nochmal Seite an Seite für den KSV spielen. Das wäre ein schönes Erlebnis.

DFB.de: Wie kommt man an Karten?

Habib: Den Online-Ticketshop findet man leicht auf der Internetseite des KSV Hessen Kassel. Eine Einzelkarte kostet 10 Euro, ein Familienticket 20 Euro. Selbstverständlich wird ein striktes Hygienekonzept in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt der Stadt Kassel umgesetzt. Wer am Mittwochabend nicht vor Ort sein kann, hat die Möglichkeit für die Gebühr von 3,99 Euro das Spiel per Livestream zu verfolgen. Co-Kommentatoren des Livestreams werden der langjährige Kassler Kapitän Thorsten Schönewolf und mit Hassan Amin der vielleicht beste afghanische Fußballer in Deutschland sein. Er muss leider passen, weil er gerade einen Kreuzbandriss auskuriert. Alle Einnahmen gehen direkt auf das Spendenkonto. Schon jetzt freuen wir uns über die Spendenbereitschaft.

DFB.de: Konkret, an welche Projekte gehen die erzielten Einnahmen?

Habib: Wir haben zwei Einrichtungen gefunden, die genau den betroffenen Gruppen zur Seite stehen. Zum einen ist das der Afghanische Frauenverein mit Sitz in Hamburg. Gründerin Nadia Nashir wurde für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Zum anderen werden wir das Partnerschaftsnetzwerk Afghanischer Ortskräfte e.V. mit Sitz in Potsdam, eine Initiative ehemals in Afghanistan stationierter Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, finanziell stärken. Viele Menschen werden in den kommenden Monaten ein völlig neues Leben aufbauen müssen. Jede Hilfe stößt hier auf große Dankbarkeit.

DFB.de: Ab welchem Spendenbetrag sind Sie selbst zufrieden?

Habib: Ich weiß genau, dass wir einen Betrag erspielen werden, den ich niemals selbst gestemmt hätte. Und dass am Dienstagabend deutsche Menschen und Menschen mit afghanischer Herkunft, Fußballer und Zuschauer, gemeinsam etwas Gutes für die Notleidenden in Kabul leisten, dieser ideelle Wert ist doch in Geld gar nicht aufzuwiegen.

DFB.de: Wieviel Hoffnung haben Sie für Afghanistan?

Habib: Wir Afghanen in Deutschland befürchten eher eine schlimme Zukunft für unser Herkunftsland.

[th]

Harez Habib veranstaltet heute (ab 18 Uhr) im Auestadion Kassel ein Benefizspiel. Die Einnahmen gehen an afghanische Frauen und afghanische Ortskräfte, die in diesen Tagen vor der Taliban-Herrschaft flüchten. Mit DFB.de spricht der 16-malige afghanische Nationalspieler darüber.

DFB.de: Herr Habib, Sie waren drei Jahre alt, als Ihre Familie nach dem Einmarsch der Sowjetunion das Land verließ. Angesichts der jüngsten Geschehnisse am Kabuler Flughafen, wie froh sind Sie heute noch über die Entscheidung Ihrer Eltern?

Harez Habib: Wie Sie sich denken können, sehr froh. Dass habe ich meinen beiden Eltern auch mehrfach in den letzten Tagen gesagt. Ich bin unendlich dankbar, dass sie Mitte der achtziger Jahre bereits Afghanistan verließen und ich hier in Deutschland aufwachsen, zur Schule gehen und studieren durfte.

DFB.de: Zwischen 2009 und 2014 bestritten Sie 16 Länderspiele für Afghanistan. DFB-Auslandsexperte Klaus Stärk hatte Sie damals beim Regionalligaklub KSV Hessen Kassel entdeckt und überzeugt, für Afghanistan zu spielen. Wie viel Angst hatten Sie, wenn Sie für ein Länderspiel nach Afghanistan fliegen mussten?

Habib: Das war nicht so schlimm. Einfach weil ich kaum einmal nach Kabul fliegen musste. Die Sicherheitslage war zu instabil. Es gab diese Angst vor einem Anschlag auf die afghanische Mannschaft. Die FIFA gestattete es deshalb, dass der Afghanische Fußballverband seine Heimspiele im Ausland austragen durfte. Auch unsere WM-Qualifikationsspiele haben wir also in Tadschikistan ausgetragen. Ich war damals übrigens nicht der einzige Legionär. Mansur Faqiryar vom VfB Oldenburg oder Milad Salem von Wehen Wiesbaden waren zwei weitere Nationalspieler, die in Deutschland aufwuchsen, aber für Afghanistan Fußball spielten.

DFB.de: Gefährlich war es dennoch auch in dieser Zeit in Afghanistan. Klaus Stärk berichtete einmal über sein Leben in Kabul. Ein Internetcafé, das er einen Tag vorher besucht hatte, flog in die Luft und viel zu häufig sei es zu schweren Anschlägen gekommen.

Habib: Sein Mut und sein Einsatz waren großartig. Klaus Stärk war für den Fußball in Afghanistan weit mehr als ein Trainer. Ihm ist es zu verdanken, dass in diesen Anfangsjahren des Wiederaufbaus der Nationalmannschaft Strukturen entstanden. Stärks Engagement war überall spürbar, bei der Talentförderung und bei der Qualifizierung von Trainern und Schiedsrichtern. Er war weit mehr als der Nationaltrainer.

DFB.de: Einige Ihrer Mitspieler 2010 standen schon während der Herrschaft der Taliban zwischen September 1996 und Oktober 2001 in der Nationalmannschaft. Fußball war zwar nicht verboten, aber ein Mittel zur Machtdemonstration. Spieler durften bei Temperaturen über 40 Grad nur mit langen Hosen antreten, mussten Vollbärte tragen. Torjubel der Zuschauer war unerwünscht, für unerlaubtes Applaudieren gab es zehn Hiebe. Was berichteten Ihre Mitspieler noch?

Habib: Die mussten gar nicht so viel erzählen, ich kannte die Bilder schon, die gingen damals ja auch durch die Medien. Im Nationalstadion in Kabul fanden regelmäßig Hinrichtungen statt. Mitspieler erzählten mir, wie die Taliban die Leute zwangen, zu den Hinrichtungen ins Stadion zu gehen. Einige meiner Mitspieler waren durch diese Erlebnisse traumatisiert.

DFB.de: Haben Sie heute noch einen afghanischen Pass?

Habib: Den habe ich nach meiner Karriere als Nationalspieler beim afghanischen Konsulat abgegeben. Nach meiner Zeit beim KSV Hessen Kassel bin ich nach Frankfurt gezogen und lebe heute mit meiner Frau und meiner Tochter in Karben, einem Vorort von Frankfurt. Beruflich arbeite ich in einem Unternehmen für Medizintechnik im Bereich der Personalfindung. Der Fußball interessiert mich heute immer mehr in seiner Wirkung außerhalb des rein sportlichen. Schon meine Diplomarbeit habe ich über die Integrationskraft des Fußballs geschrieben. Dieses Potenzial ist noch nicht vollständig ausgenutzt.

DFB.de: „Habib and Friends“ – unter diesem internationalen Motto findet nun ein Benefizspiel zum Wohle Afghanistans statt. Aufeinandertreffen werden die Hessen Kassel-Allstars und die Mannschaft "Pray4Afghanistan", eine Auswahl afghanischer Fußballer. Auf welche Spieler freuen Sie sich besonders?

Habib: Das ist immer schwierig, weil ich mich über alle freue, die zugesagt haben. Thorsten Bauer spielt mit. Mit 161 in 297 Spielen ist er der Rekordtorschütze beim KSV Hessen Kassel und zumindest hier in Nordhessen ein bekannter Fußballer. Und dann freue ich mich sehr, dass Holger Brück und Mirko Dickhaut als Trainer der beiden Mannschaften zugesagt haben.

DFB.de: Die Zuschauer unterstützen also nicht nur eine gute Sache, sondern dürfen auch einen guten Kick erwarten?

Habib: Wir spielen mit Tempo. Das Durchschnittsalter beider Mannschaften liegt bei 36 Jahren, die Jungs sind noch gut unterwegs. Wir wollen definitiv auch fußballerisch für einen schönen Abend sorgen.

DFB.de: Wechseln Sie selbst in der Halbzeit die Mannschaft?

Habib: Yusuf Barack und ich wurden gemeinsam von Klaus Stärk für die afghanische Nationalmannschaft rekrutiert, wir spielten damals auch beide in der Regionalliga für Hessen Kassel. Ich denke, wir werden in der Halbzeit das afghanische Trikot ausziehen und nochmal Seite an Seite für den KSV spielen. Das wäre ein schönes Erlebnis.

DFB.de: Wie kommt man an Karten?

Habib: Den Online-Ticketshop findet man leicht auf der Internetseite des KSV Hessen Kassel. Eine Einzelkarte kostet 10 Euro, ein Familienticket 20 Euro. Selbstverständlich wird ein striktes Hygienekonzept in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt der Stadt Kassel umgesetzt. Wer am Mittwochabend nicht vor Ort sein kann, hat die Möglichkeit für die Gebühr von 3,99 Euro das Spiel per Livestream zu verfolgen. Co-Kommentatoren des Livestreams werden der langjährige Kassler Kapitän Thorsten Schönewolf und mit Hassan Amin der vielleicht beste afghanische Fußballer in Deutschland sein. Er muss leider passen, weil er gerade einen Kreuzbandriss auskuriert. Alle Einnahmen gehen direkt auf das Spendenkonto. Schon jetzt freuen wir uns über die Spendenbereitschaft.

DFB.de: Konkret, an welche Projekte gehen die erzielten Einnahmen?

Habib: Wir haben zwei Einrichtungen gefunden, die genau den betroffenen Gruppen zur Seite stehen. Zum einen ist das der Afghanische Frauenverein mit Sitz in Hamburg. Gründerin Nadia Nashir wurde für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Zum anderen werden wir das Partnerschaftsnetzwerk Afghanischer Ortskräfte e.V. mit Sitz in Potsdam, eine Initiative ehemals in Afghanistan stationierter Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, finanziell stärken. Viele Menschen werden in den kommenden Monaten ein völlig neues Leben aufbauen müssen. Jede Hilfe stößt hier auf große Dankbarkeit.

DFB.de: Ab welchem Spendenbetrag sind Sie selbst zufrieden?

Habib: Ich weiß genau, dass wir einen Betrag erspielen werden, den ich niemals selbst gestemmt hätte. Und dass am Dienstagabend deutsche Menschen und Menschen mit afghanischer Herkunft, Fußballer und Zuschauer, gemeinsam etwas Gutes für die Notleidenden in Kabul leisten, dieser ideelle Wert ist doch in Geld gar nicht aufzuwiegen.

DFB.de: Wieviel Hoffnung haben Sie für Afghanistan?

Habib: Wir Afghanen in Deutschland befürchten eher eine schlimme Zukunft für unser Herkunftsland.

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