Spaß und Ehrgeiz beim Klaus-Kinkel-Pokal

Enrico Kreller hat sich ein großes Ziel gesetzt. Der 32 Jahre alte Torwart will nicht nur beim Turnier um den Klaus-Kinkel-Pokal den "Kasten" der Inklusionsmannschaft der Stiftung Liebenau sauber halten, sondern sagt: "Ich will Buffons Rekord brechen." Gianluigi Buffon, Weltmeister und elfmaliger italienischer Meister, steht bekanntlich auch mit 41 Jahren noch im Tor, nach dem Paris-Intermezzo wieder für Juve. Es ist also eine gleichermaßen stolze wie auch noch anwachsende Rekordmarke, die Enrico anzugreifen beabsichtigt. Er selbst hat dabei eine bewegte Lebensgeschichte. Doch der Reihe nach.

Kanariengelber Pullover und ein paar abgeschabte Handschuhe, so ausgerüstet hütet Enrico das Tor von Dynamo Lukas – benannt nach dem stiftungseigenen Hospital - beim Klaus-Kinkel-Pokal in Meckenbeuren am Bodensee. Für das Turnier der acht Mannschaften, in denen immer auch Frauen und Männer mit einer Behinderung mitspielen, sind Helmut Roleder, Torwart des VfB Stuttgart beim Titelgewinn 1984, und auch die Witwe des vor vier Monaten verstorbenen ehemaligen Justiz- und Außenministers aus Bonn angereist. Gemeinsam mit der Stiftung Liebenau hat die Sepp-Herberger-Stiftung das Turnier initiiert. "Wir wollen damit das Lebenswerk Klaus Kinkels ehren", sagt Stiftungsgeschäftsführer Tobias Wrzesinski, der Helmut Roleder und Ursula Kinkel zusammen mit Diana Kienle vom Württembergischen Fußballverband an den Bodensee begleitet hat.

Klaus Kinkel selbst unterstützte die Stiftung Liebenau schon seit seinen Jugendtagen. Der Sepp-Herberger-Stiftung war er über nahezu 20 Jahre als Mitglied des Kuratoriums eng verbunden. "Die Unterstützung von Klaus Kinkel war für unsere Arbeit von immensem Wert. Mit seiner Klugheit, seinem breiten Wissen, seiner großen Erfahrung und seiner Weitsicht unterstützte und begleitete er unser Wirken maßgeblich", betont Wrzesinski.

Stark gemacht hat sich der Mann, der bis zu seinem Tod als Vorsitzender die DFB-Ethikkommission führte, dabei auch für das alljährliche Fußballturnier in Liebenau. Begleitet etwa von Otto Rehhagel, Steffi Jones und Cacau war Kinkel etliche Male Ehrengast des Turniers, das nun erstmals in seinem Namen ausgetragen wurde. "Klaus Kinkel war ein 'echter' Freund der Stiftung Liebenau. Er hat auch mehrere Bundespräsidenten zu uns gelotst, um ihnen die Bedürfnisse und Lebensverhältnisse behinderter Menschen nahezubringen", erklärt Liebenau-Vorstand Dr. Berthold Broll.

Schäuble als Schirmherr

Sechs gegen sechs über einmal zehn Minuten, so der Turniermodus. Der Zufall spielt auch mit, denn die sehr spärlich linierte Wiese ähnelt eher einer Übungsstrecke für Mountainbiker als einem Fußballplatz – was den Spaß und den Ehrgeiz nicht mindert. Nichts hier ist Standard, nichts gelassene Routine. Begeisterung statt Perfektion, Euphorie statt Elite. Alles leuchtet, alles kommt von Herzen und mit Freude.

Wolfgang Schäuble hat die Schirmherrschaft übernommen und ein Grußwort geschickt. "Möge der Bessere gewinnen – auf faire Art und Weise", wünscht der Präsident des Deutschen Bundestages diesem besonderen Turnier und weiter: "Klaus Kinkel war dem Inklusionsgedanken stets verpflichtet. Der Siegerpreis dieses Turniers für fußballbegeisterte Menschen mit Handicap trägt also zu Recht seinen Namen."

Enrico: "Freue mich über mein Leben"

Ursula Kinkels ICE hatte eine Stunde Verspätung. "Der Anschlusszug war dann natürlich über alle Berge", sagt sie lachend. Zum ersten Mal ist sie heute zu Gast beim Fußballturnier in Meckenbeuren. "Mein Mann war ein unwahrscheinlich hilfsbereiter Typ. Wenn es drauf ankam, war er immer zur Stelle, insbesondere später, als er bedingt durch seine politische Karriere, die Möglichkeiten dazu hatte", sagt Ursula Kinkel. "Er hat nie jemanden vergessen und deshalb ist es wunderbar, dass er nun selbst auch nicht vergessen ist, sondern sein Wirken mit diesem Turnier geehrt wird", so Ursula Kinkel.

Anstoß, im letzten Gruppenspiel kämpft Enricos Mannschaft um den fünften Platz. Keine Minute gespielt, da kassiert Enrico das erste Tor, ein Schuss aus kurzer Distanz, flach ins linke Eck. Nur Buffon hätte den gehalten. "Kommt, Leute, kommt", ruft Enrico seinen Vorderleuten zu. Geboren in Chemnitz, war er zwei Jahre alt, da schlug ihn seine Mutter halbtot, in einer Notoperation konnte sein Leben gerettet werden. Die schwersten Misshandlungen führten zu nachhaltigen psychischen Entwicklungsdefiziten. Er kam zu Pateneltern nach Offenburg. Die leibliche Mutter verstarb früh, dem Vater hat er viel später einen langen Brief geschrieben, doch der meldete sich nie zurück. Heute ist er LKW-Beifahrer für ein Cateringunternehmen und lebt in einer therapeutischen Wohngruppe. "Die Behandlungen in der Klink gingen über Jahre. Heute freue ich mich über mein Leben", sagt er. Fußball ist ein wichtiger Teil davon. Enrico ist Fan des SC Freiburg und meint: "Ich hoffe, dass Jogi bald mal den Luca Waldschmidt nominiert."

Dynamo Lukas schafft den Ausgleich. Scooter läuft. "Püb-püb, püb-püb". Die Tore fallen im Minutentakt. 3:1 führt Enricos Team, kurz vor Schluss steht's dann aber wieder 3:3.

Bedürfnis nach Bewegung

"So viel ist gar nicht anders", sagt Dieter Hiller, der Enrico und das Team von Dynamo Lukas trainiert. "Meine Leute spielen genauso begeistert Fußball wie im normalen Fußball. Das Bedürfnis nach Bewegung ist genauso. Bei uns betonen wir vielleicht den sozialtherapeutischen Gedanken etwas stärker, dass wir als Mannschaft zusammenspielen." Fußball sei einfach ein toller Anlass, über den die Einrichtung mit der Gemeinde Meckenbeuren in Kontakt käme. Der Kaplan Adolf Aich hatte 1870 das Schloss Liebenau gekauft und unterstützt von sechs barmherzigen Schwestern eine "Pflege- und Bewahranstalt" für Menschen mit unheilbaren Krankheiten und Behinderungen gegründet. Heute arbeiten in den Einrichtungen des Verbunds der Stiftung Liebenau mehr als 7100 Mitarbeiter. Im nächsten Jahr feiert man den 150. Geburtstag. Die zweite Auflage des Turniers um den Klaus-Kinkel-Pokal ist schon fest eingeplant.

In der letzten Minute gelingt Dynamo Lukas der 4:3-Siegtreffer. Anstoß und der Gegner versucht von der Mittellinie einen Verzweiflungsschuss. Enrico pariert mit Fußabwehr und sichert den Sieg. Hätte er es gesehen, wäre Buffon sicher stolz auf ihn.

Bei der anschließenden Siegerehrung gibt es Sporttaschen, Medaillen und Kulturbeutel für alle Aktiven. Dann der besondere Moment: unter starkem Beifall übergibt Ursula Kinkel die mit dem Schriftzug "Klaus-Kinkel-Pokal" gravierte DFB-Meisterplakette. Die Freude ist groß. "Mein Mann würde sich freuen", meint Ursula Kinkel. Genau das war das Ziel an diesem besonderen Tag.

[th]

Enrico Kreller hat sich ein großes Ziel gesetzt. Der 32 Jahre alte Torwart will nicht nur beim Turnier um den Klaus-Kinkel-Pokal den "Kasten" der Inklusionsmannschaft der Stiftung Liebenau sauber halten, sondern sagt: "Ich will Buffons Rekord brechen." Gianluigi Buffon, Weltmeister und elfmaliger italienischer Meister, steht bekanntlich auch mit 41 Jahren noch im Tor, nach dem Paris-Intermezzo wieder für Juve. Es ist also eine gleichermaßen stolze wie auch noch anwachsende Rekordmarke, die Enrico anzugreifen beabsichtigt. Er selbst hat dabei eine bewegte Lebensgeschichte. Doch der Reihe nach.

Kanariengelber Pullover und ein paar abgeschabte Handschuhe, so ausgerüstet hütet Enrico das Tor von Dynamo Lukas – benannt nach dem stiftungseigenen Hospital - beim Klaus-Kinkel-Pokal in Meckenbeuren am Bodensee. Für das Turnier der acht Mannschaften, in denen immer auch Frauen und Männer mit einer Behinderung mitspielen, sind Helmut Roleder, Torwart des VfB Stuttgart beim Titelgewinn 1984, und auch die Witwe des vor vier Monaten verstorbenen ehemaligen Justiz- und Außenministers aus Bonn angereist. Gemeinsam mit der Stiftung Liebenau hat die Sepp-Herberger-Stiftung das Turnier initiiert. "Wir wollen damit das Lebenswerk Klaus Kinkels ehren", sagt Stiftungsgeschäftsführer Tobias Wrzesinski, der Helmut Roleder und Ursula Kinkel zusammen mit Diana Kienle vom Württembergischen Fußballverband an den Bodensee begleitet hat.

Klaus Kinkel selbst unterstützte die Stiftung Liebenau schon seit seinen Jugendtagen. Der Sepp-Herberger-Stiftung war er über nahezu 20 Jahre als Mitglied des Kuratoriums eng verbunden. "Die Unterstützung von Klaus Kinkel war für unsere Arbeit von immensem Wert. Mit seiner Klugheit, seinem breiten Wissen, seiner großen Erfahrung und seiner Weitsicht unterstützte und begleitete er unser Wirken maßgeblich", betont Wrzesinski.

Stark gemacht hat sich der Mann, der bis zu seinem Tod als Vorsitzender die DFB-Ethikkommission führte, dabei auch für das alljährliche Fußballturnier in Liebenau. Begleitet etwa von Otto Rehhagel, Steffi Jones und Cacau war Kinkel etliche Male Ehrengast des Turniers, das nun erstmals in seinem Namen ausgetragen wurde. "Klaus Kinkel war ein 'echter' Freund der Stiftung Liebenau. Er hat auch mehrere Bundespräsidenten zu uns gelotst, um ihnen die Bedürfnisse und Lebensverhältnisse behinderter Menschen nahezubringen", erklärt Liebenau-Vorstand Dr. Berthold Broll.

Schäuble als Schirmherr

Sechs gegen sechs über einmal zehn Minuten, so der Turniermodus. Der Zufall spielt auch mit, denn die sehr spärlich linierte Wiese ähnelt eher einer Übungsstrecke für Mountainbiker als einem Fußballplatz – was den Spaß und den Ehrgeiz nicht mindert. Nichts hier ist Standard, nichts gelassene Routine. Begeisterung statt Perfektion, Euphorie statt Elite. Alles leuchtet, alles kommt von Herzen und mit Freude.

Wolfgang Schäuble hat die Schirmherrschaft übernommen und ein Grußwort geschickt. "Möge der Bessere gewinnen – auf faire Art und Weise", wünscht der Präsident des Deutschen Bundestages diesem besonderen Turnier und weiter: "Klaus Kinkel war dem Inklusionsgedanken stets verpflichtet. Der Siegerpreis dieses Turniers für fußballbegeisterte Menschen mit Handicap trägt also zu Recht seinen Namen."

Enrico: "Freue mich über mein Leben"

Ursula Kinkels ICE hatte eine Stunde Verspätung. "Der Anschlusszug war dann natürlich über alle Berge", sagt sie lachend. Zum ersten Mal ist sie heute zu Gast beim Fußballturnier in Meckenbeuren. "Mein Mann war ein unwahrscheinlich hilfsbereiter Typ. Wenn es drauf ankam, war er immer zur Stelle, insbesondere später, als er bedingt durch seine politische Karriere, die Möglichkeiten dazu hatte", sagt Ursula Kinkel. "Er hat nie jemanden vergessen und deshalb ist es wunderbar, dass er nun selbst auch nicht vergessen ist, sondern sein Wirken mit diesem Turnier geehrt wird", so Ursula Kinkel.

Anstoß, im letzten Gruppenspiel kämpft Enricos Mannschaft um den fünften Platz. Keine Minute gespielt, da kassiert Enrico das erste Tor, ein Schuss aus kurzer Distanz, flach ins linke Eck. Nur Buffon hätte den gehalten. "Kommt, Leute, kommt", ruft Enrico seinen Vorderleuten zu. Geboren in Chemnitz, war er zwei Jahre alt, da schlug ihn seine Mutter halbtot, in einer Notoperation konnte sein Leben gerettet werden. Die schwersten Misshandlungen führten zu nachhaltigen psychischen Entwicklungsdefiziten. Er kam zu Pateneltern nach Offenburg. Die leibliche Mutter verstarb früh, dem Vater hat er viel später einen langen Brief geschrieben, doch der meldete sich nie zurück. Heute ist er LKW-Beifahrer für ein Cateringunternehmen und lebt in einer therapeutischen Wohngruppe. "Die Behandlungen in der Klink gingen über Jahre. Heute freue ich mich über mein Leben", sagt er. Fußball ist ein wichtiger Teil davon. Enrico ist Fan des SC Freiburg und meint: "Ich hoffe, dass Jogi bald mal den Luca Waldschmidt nominiert."

Dynamo Lukas schafft den Ausgleich. Scooter läuft. "Püb-püb, püb-püb". Die Tore fallen im Minutentakt. 3:1 führt Enricos Team, kurz vor Schluss steht's dann aber wieder 3:3.

Bedürfnis nach Bewegung

"So viel ist gar nicht anders", sagt Dieter Hiller, der Enrico und das Team von Dynamo Lukas trainiert. "Meine Leute spielen genauso begeistert Fußball wie im normalen Fußball. Das Bedürfnis nach Bewegung ist genauso. Bei uns betonen wir vielleicht den sozialtherapeutischen Gedanken etwas stärker, dass wir als Mannschaft zusammenspielen." Fußball sei einfach ein toller Anlass, über den die Einrichtung mit der Gemeinde Meckenbeuren in Kontakt käme. Der Kaplan Adolf Aich hatte 1870 das Schloss Liebenau gekauft und unterstützt von sechs barmherzigen Schwestern eine "Pflege- und Bewahranstalt" für Menschen mit unheilbaren Krankheiten und Behinderungen gegründet. Heute arbeiten in den Einrichtungen des Verbunds der Stiftung Liebenau mehr als 7100 Mitarbeiter. Im nächsten Jahr feiert man den 150. Geburtstag. Die zweite Auflage des Turniers um den Klaus-Kinkel-Pokal ist schon fest eingeplant.

In der letzten Minute gelingt Dynamo Lukas der 4:3-Siegtreffer. Anstoß und der Gegner versucht von der Mittellinie einen Verzweiflungsschuss. Enrico pariert mit Fußabwehr und sichert den Sieg. Hätte er es gesehen, wäre Buffon sicher stolz auf ihn.

Bei der anschließenden Siegerehrung gibt es Sporttaschen, Medaillen und Kulturbeutel für alle Aktiven. Dann der besondere Moment: unter starkem Beifall übergibt Ursula Kinkel die mit dem Schriftzug "Klaus-Kinkel-Pokal" gravierte DFB-Meisterplakette. Die Freude ist groß. "Mein Mann würde sich freuen", meint Ursula Kinkel. Genau das war das Ziel an diesem besonderen Tag.

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