Früher Irans Nationaltorwart, heute Brückenbauer

500 Euro sind nun wirklich kein Batzen Geld, aber Siegfried Pillmann hat schon eine Idee. Seinen neuesten Vereinsmitgliedern will Pillmann erstmal einen Satz Schienbeinschoner kaufen gehen. Für Wintertrikots und Jogginghosen wird es auch noch reichen. Pillmann ist Vorsitzender des TSV Wandsetal, eines Vereins im Osten Hamburgs, 1600 Mitglieder insgesamt, 600 davon spielen in 21 Mannschaften Fußball. Jedes zweite Kind in der Fußballabteilung hat Eltern oder Großeltern, die nach Deutschland eingewandert sind.

Myra, das heutige Demre liegt in der Türkei, es ist der Geburtsort des "Nikolaus", und Syrien liegt nur ein paar hundert Kilometer entfernt. Wie man also am Nikolaustag beim 2. Adventssingen des TSV Wandsetal zusammenstand, kam eine Idee auf, die bald zur Überzeugung reifen sollte: Wir könnten doch ein Fußballangebot für Flüchtlinge schaffen. Zwei Gruppen Jugendlicher, eine bestehend aus jungen Syrern und Afghanen, die andere aus jungen Flüchtlingen aus Eritrea, trainieren heute auf dem Ascheplatz des Vereins. Am Vorabend fand ein erstes Trainingsspiel statt - gegeneinander. Feuer sei da drin gewesen, eine gesunde Grundaggressivität, lacht Siegfried Pillmann und deshalb will er jetzt erstmal Schienbeinschoner kaufen gehen.

270 Vereine bei "1:0 für ein Willkommen" schon dabei

Der Zuzug von Flüchtlingen – 200.000 Menschen im vergangenen Jahr, nachdem es lange 20.000 bis 30.000 pro Jahr nur waren – beschäftigt Deutschland, die Kommunen und auch viele Fußballvereine. Sieben Wochen nach dem Auftakt zur Initiative "1:0 für ein Willkommen" ist der TSV Wandsetal bereits der 270. Verein, der eine Starthilfe von 500 Euro beantragt und überwiesen bekommen hat. Darunter – stand heute - 62 Vereine aus Bayern, 52 aus Niedersachsen, fünf aus Sachsen-Anhalt, 13 aus Sachsen, fünf aus dem Rheinland und 26 aus Westfalen. 600.000 Euro stehen zur Verfügung, 300.000 durch die Bundesregierung, die andere Hälfte dank der Beteiligung der DFB-Stiftung Egidius Braun und der Nationalmannschaft.

Mit 63 Jahren ist man noch nicht wirklich alt, aber doch in einem Alter, in dem die wenigsten darüber nachdenken, ihre Heimat für immer zu verlassen. Mansour Ghalami wurde dazu gezwungen. Schon immer begeisterte Mansour Ghalami sich für den Fußball, mit 18 Jahren wurde der junge Torwart sogar Profi, er schaffte es bis in die geliebte Hauptstadt Teheran und irgendwann sogar bis ins Tor der iranischen Nationalmannschaft. Später arbeitete er für eine Ölfirma, und natürlich gründete er dort eine Betriebsmannschaft.

Aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland

Sein Leben in der Kleinstadt Karatch, eine Stunde von Teheran entfernt, änderte sich schlagartig, berichtet er, als sein Sohn zum Christentum konvertierte. "Die Stadt und die Polizei erfuhren von seinem Glaubenswechsel, er wurde inhaftiert. Als ich ein Papier unterschrieb, und für meinen erwachsenen Sohn nochmal die Vormundschaft übernahm, kam er aus dem Gefängnis. Er floh aus dem Iran. Nun wurde ich ins Gefängnis geworfen. Und als ich dann entlassen wurde, bin ich mit meiner ganzen Familie geflohen." Seine Frau und er und sein Sohn kamen über die Türkei nach Deutschland. 19 Monate verbrachten sie in einer Sammelunterkunft, jetzt konnten sie in eine gemeinsame Wohnung umziehen. Ghalamis andere neue Heimat ist der TSV Wandsetal.

"Im Fußball ist es nicht wichtig, welche Nationalität man hat oder aus welchem Land man kommt", sagt Mansour Ghalami. Integration, da schüttelt er den Kopf. Es gehe immer darum, dass junge Menschen Fußball spielen und dabei lernen, wie man sich in der Gemeinschaft einbringt. Er war einmal Nationaltorwart, heute will er Brückenbauer sein. Ghalami spricht Farsi, wenn er über Fußball redet, versteht man jedes Wort. Beckenbauer, Vogts, Seeler, Müller, Klinsmann, sagt er. Und natürlich weiß er um die großen Erfolge iranischer Fußballer in Deutschland: Ali Daei, Vahed Hashemian und hier in Hamburg Mehdi Mahdavikia. Am Tag seiner Flucht hatte er auch ein paar alte Medaillen und ausgeschnittene Zeitungsartikel in den Koffer gepackt. Er sagt: "Meine Liebe für den Fußball habe ich nicht im Iran zurückgelassen." Dreimal die Woche trainiert er die Eriträer, die Gruppe aus der Litzowstraße, seit kurzem eine dritte Gruppe aus dem Erstversorgungslager in der Eifelstraße. Er sagt: "Das mache ich gerne, das mache ich ehrenamtlich, das werde ich weiter machen."

Özoguz: "Fußballvereine tragen zur Integration der Flüchtlinge bei"

Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die SPD-Politikerin im Bundeskanzleramt und Hamburgerin mit türkischen Wurzeln hat also mehrere Gründe, warum sie an diesem wolkenverhangenen Maitag den TSV Wandsetal besucht. Es ist ihr Thema, sie stellt die Hälfte des Geldes und, wie sie sagt, "ich bin eine Nachbarin". Hier im Osten Hamburgs wohnt sie, "elf Minuten bin ich mit dem Auto hergefahren." Die Staatsministerin baut auf die Kraft des Fußballs. Lange spricht sie mit den jungen Flüchtlingen. "Fußballvereine tragen zur Integration der Flüchtlinge bei. Und der DFB ist ein starker Partner", sagt Özoguz, deren Vorgängerin Dr. Maria Böhmer bereits für ihre wichtige Aufgabe den Fußball zu nutzen wusste.

Die finanzielle Unterstützung der Fußballvereine darf dabei nicht als politische Botschaft missverstanden werden, die Entscheidungen, ob Flüchtlinge nach Deutschland kommen, und wie viele kommen, fallen woanders. Es geht um das positive Gestalten des Ankommens. Viele Flüchtlinge sind aus ganzem Herzen Fußballer. Özoguz sagt: "Wir wollen, dass sie einen Spielerpass bekommen." Das Verfahren darüber, ob Flüchtlinge wieder abgeschoben werden oder einen Aufenthaltsstatus erhalten, "wollen und müssen wir jetzt verkürzen. Wir können nicht alle armen Menschen der ganzen Welt aufnehmen." Drei Monate seien das Ziel. "Dann wissen die Leute auch, woran sie sind."

Siegfried Pillmann wird jetzt erstmal Schienbeinschoner kaufen gehen und danach will er die Flüchtlingsmannschaften beim TSV Wandsetal langsam auflösen. "Wir wollen diese jungen Menschen in unsere bestehenden Mannschaften integrieren. Sie bereichern unseren Verein." Und dann sagt Pillmann noch einen schönen Satz: "Integration, das machen wir hier beim TSV Wandsetal doch schon seit 125 Jahren."

[th]

500 Euro sind nun wirklich kein Batzen Geld, aber Siegfried Pillmann hat schon eine Idee. Seinen neuesten Vereinsmitgliedern will Pillmann erstmal einen Satz Schienbeinschoner kaufen gehen. Für Wintertrikots und Jogginghosen wird es auch noch reichen. Pillmann ist Vorsitzender des TSV Wandsetal, eines Vereins im Osten Hamburgs, 1600 Mitglieder insgesamt, 600 davon spielen in 21 Mannschaften Fußball. Jedes zweite Kind in der Fußballabteilung hat Eltern oder Großeltern, die nach Deutschland eingewandert sind.

Myra, das heutige Demre liegt in der Türkei, es ist der Geburtsort des "Nikolaus", und Syrien liegt nur ein paar hundert Kilometer entfernt. Wie man also am Nikolaustag beim 2. Adventssingen des TSV Wandsetal zusammenstand, kam eine Idee auf, die bald zur Überzeugung reifen sollte: Wir könnten doch ein Fußballangebot für Flüchtlinge schaffen. Zwei Gruppen Jugendlicher, eine bestehend aus jungen Syrern und Afghanen, die andere aus jungen Flüchtlingen aus Eritrea, trainieren heute auf dem Ascheplatz des Vereins. Am Vorabend fand ein erstes Trainingsspiel statt - gegeneinander. Feuer sei da drin gewesen, eine gesunde Grundaggressivität, lacht Siegfried Pillmann und deshalb will er jetzt erstmal Schienbeinschoner kaufen gehen.

270 Vereine bei "1:0 für ein Willkommen" schon dabei

Der Zuzug von Flüchtlingen – 200.000 Menschen im vergangenen Jahr, nachdem es lange 20.000 bis 30.000 pro Jahr nur waren – beschäftigt Deutschland, die Kommunen und auch viele Fußballvereine. Sieben Wochen nach dem Auftakt zur Initiative "1:0 für ein Willkommen" ist der TSV Wandsetal bereits der 270. Verein, der eine Starthilfe von 500 Euro beantragt und überwiesen bekommen hat. Darunter – stand heute - 62 Vereine aus Bayern, 52 aus Niedersachsen, fünf aus Sachsen-Anhalt, 13 aus Sachsen, fünf aus dem Rheinland und 26 aus Westfalen. 600.000 Euro stehen zur Verfügung, 300.000 durch die Bundesregierung, die andere Hälfte dank der Beteiligung der DFB-Stiftung Egidius Braun und der Nationalmannschaft.

Mit 63 Jahren ist man noch nicht wirklich alt, aber doch in einem Alter, in dem die wenigsten darüber nachdenken, ihre Heimat für immer zu verlassen. Mansour Ghalami wurde dazu gezwungen. Schon immer begeisterte Mansour Ghalami sich für den Fußball, mit 18 Jahren wurde der junge Torwart sogar Profi, er schaffte es bis in die geliebte Hauptstadt Teheran und irgendwann sogar bis ins Tor der iranischen Nationalmannschaft. Später arbeitete er für eine Ölfirma, und natürlich gründete er dort eine Betriebsmannschaft.

Aus dem Iran über die Türkei nach Deutschland

Sein Leben in der Kleinstadt Karatch, eine Stunde von Teheran entfernt, änderte sich schlagartig, berichtet er, als sein Sohn zum Christentum konvertierte. "Die Stadt und die Polizei erfuhren von seinem Glaubenswechsel, er wurde inhaftiert. Als ich ein Papier unterschrieb, und für meinen erwachsenen Sohn nochmal die Vormundschaft übernahm, kam er aus dem Gefängnis. Er floh aus dem Iran. Nun wurde ich ins Gefängnis geworfen. Und als ich dann entlassen wurde, bin ich mit meiner ganzen Familie geflohen." Seine Frau und er und sein Sohn kamen über die Türkei nach Deutschland. 19 Monate verbrachten sie in einer Sammelunterkunft, jetzt konnten sie in eine gemeinsame Wohnung umziehen. Ghalamis andere neue Heimat ist der TSV Wandsetal.

"Im Fußball ist es nicht wichtig, welche Nationalität man hat oder aus welchem Land man kommt", sagt Mansour Ghalami. Integration, da schüttelt er den Kopf. Es gehe immer darum, dass junge Menschen Fußball spielen und dabei lernen, wie man sich in der Gemeinschaft einbringt. Er war einmal Nationaltorwart, heute will er Brückenbauer sein. Ghalami spricht Farsi, wenn er über Fußball redet, versteht man jedes Wort. Beckenbauer, Vogts, Seeler, Müller, Klinsmann, sagt er. Und natürlich weiß er um die großen Erfolge iranischer Fußballer in Deutschland: Ali Daei, Vahed Hashemian und hier in Hamburg Mehdi Mahdavikia. Am Tag seiner Flucht hatte er auch ein paar alte Medaillen und ausgeschnittene Zeitungsartikel in den Koffer gepackt. Er sagt: "Meine Liebe für den Fußball habe ich nicht im Iran zurückgelassen." Dreimal die Woche trainiert er die Eriträer, die Gruppe aus der Litzowstraße, seit kurzem eine dritte Gruppe aus dem Erstversorgungslager in der Eifelstraße. Er sagt: "Das mache ich gerne, das mache ich ehrenamtlich, das werde ich weiter machen."

Özoguz: "Fußballvereine tragen zur Integration der Flüchtlinge bei"

Aydan Özoguz ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Die SPD-Politikerin im Bundeskanzleramt und Hamburgerin mit türkischen Wurzeln hat also mehrere Gründe, warum sie an diesem wolkenverhangenen Maitag den TSV Wandsetal besucht. Es ist ihr Thema, sie stellt die Hälfte des Geldes und, wie sie sagt, "ich bin eine Nachbarin". Hier im Osten Hamburgs wohnt sie, "elf Minuten bin ich mit dem Auto hergefahren." Die Staatsministerin baut auf die Kraft des Fußballs. Lange spricht sie mit den jungen Flüchtlingen. "Fußballvereine tragen zur Integration der Flüchtlinge bei. Und der DFB ist ein starker Partner", sagt Özoguz, deren Vorgängerin Dr. Maria Böhmer bereits für ihre wichtige Aufgabe den Fußball zu nutzen wusste.

Die finanzielle Unterstützung der Fußballvereine darf dabei nicht als politische Botschaft missverstanden werden, die Entscheidungen, ob Flüchtlinge nach Deutschland kommen, und wie viele kommen, fallen woanders. Es geht um das positive Gestalten des Ankommens. Viele Flüchtlinge sind aus ganzem Herzen Fußballer. Özoguz sagt: "Wir wollen, dass sie einen Spielerpass bekommen." Das Verfahren darüber, ob Flüchtlinge wieder abgeschoben werden oder einen Aufenthaltsstatus erhalten, "wollen und müssen wir jetzt verkürzen. Wir können nicht alle armen Menschen der ganzen Welt aufnehmen." Drei Monate seien das Ziel. "Dann wissen die Leute auch, woran sie sind."

Siegfried Pillmann wird jetzt erstmal Schienbeinschoner kaufen gehen und danach will er die Flüchtlingsmannschaften beim TSV Wandsetal langsam auflösen. "Wir wollen diese jungen Menschen in unsere bestehenden Mannschaften integrieren. Sie bereichern unseren Verein." Und dann sagt Pillmann noch einen schönen Satz: "Integration, das machen wir hier beim TSV Wandsetal doch schon seit 125 Jahren."