"Wenn irgendwo der Ball rollt, ist ein bisschen was in Ordnung"

Reinhold Beckmann ist gerade viel unterwegs für seine neue ARD-Reportage-Reihe #Beckmann. Umtriebig ist er auch privat, engagiert sowieso. 1999 hatte der TV-Journalist in seiner Heimatstadt Hamburg "NestWerk" gegründet, eine Sozialinitiative für Jugendliche. Am 26. März wird Reinhold Beckmann von Wolfgang Niersbach, Oliver Bierhoff, Staatsministerin Aydan Özoguz und Laura Tilly von der Daimler AG in Frankfurt für sein Engagement mit dem DFB- und Mercedes Benz-Integrationspreis ausgezeichnet. Im DFB.de-Gespräch der Woche redet der Journalist, Talkmaster und Entertainer mit Redakteur Thomas Hackbarth über NestWerk, den "Tag der Legenden" und diesen einen Moment im Sommer 2006, als Fabio Grosso traf.

DFB.de: Herr Beckmann, wie kamen Sie auf NestWerk?

Reinhold Beckmann: 1998 saßen wir mit Freunden zusammen und überlegten, wie man Jugendlichen in benachteiligten Stadteilen helfen könnte. Musik, Sport und insbesondere der Fußball, das sind die schnellsten Wege, um sie zu erreichen. Zunächst haben wir in einer Halle "Midnight-Soccer" angeboten, abends und am Wochenende. Also zu den Zeiten, wenn Turnhallen normalerweise geschlossen sind. Die Idee hat jedenfalls ziemlich eingeschlagen und sich langsam ausgebreitet.

DFB.de: "Langsam ausgebreitet" - das sagen Sie sehr bescheiden. NestWerk ist heute ein Verein mit vier Festangestellten, freien Sozialpädagogen und Projektmanagern. Sie organisieren unter anderem jedes Jahr 40 Straßenfußballturniere mit mehr als 2000 teilnehmenden Kindern und Jugendlichen, das sehr erfolgreiche Musikprojekt "jamliner" und die neue Initiative "Los Geht's". In elf Hamburger Bädern bietet NestWerk eine Schwimmförderung an. Dazu kommt der Tag der Legenden.

Beckmann: Alle Projekte setzen wir mit Kooperationspartnern vor Ort um. Anders wäre diese Vielfalt an Projekten nicht zu realisieren. Wir haben über die Jahre immer wieder geschaut, welche nächsten Schritte sinnvoll sind. Zum Beispiel haben wir in Kooperation mit der Jugendmusikschule Hamburg zwei frühere Linienbusse zu Tonstudios umgebaut, in denen Jugendliche Musik machen können. Mit diesen "jamliner"-Bussen fahren wir regelmäßig in Stadtteile wie Billstedt, Wilhelmsburg oder Osdorf. Beim "jamliner" geht es nicht um Virtuosität, sondern darum, dass Jugendliche ihre eigenen Geschichten und Gedanken musikalisch ausdrücken können. Und wenn da einer nach zwei, drei Monaten rausgeht und sagen kann, das ist mein Song, den Text habe ich mit Freunden geschrieben, der spiegelt meine Probleme, meine Fantasie oder Sehnsüchte wider, dann gibt das einen gehörigen Schub fürs Selbstwertgefühl.



Reinhold Beckmann ist gerade viel unterwegs für seine neue ARD-Reportage-Reihe #Beckmann. Umtriebig ist er auch privat, engagiert sowieso. 1999 hatte der TV-Journalist in seiner Heimatstadt Hamburg "NestWerk" gegründet, eine Sozialinitiative für Jugendliche. Am 26. März wird Reinhold Beckmann von Wolfgang Niersbach, Oliver Bierhoff, Staatsministerin Aydan Özoguz und Laura Tilly von der Daimler AG in Frankfurt für sein Engagement mit dem DFB- und Mercedes Benz-Integrationspreis ausgezeichnet. Im DFB.de-Gespräch der Woche redet der Journalist, Talkmaster und Entertainer mit Redakteur Thomas Hackbarth über NestWerk, den "Tag der Legenden" und diesen einen Moment im Sommer 2006, als Fabio Grosso traf.

DFB.de: Herr Beckmann, wie kamen Sie auf NestWerk?

Reinhold Beckmann: 1998 saßen wir mit Freunden zusammen und überlegten, wie man Jugendlichen in benachteiligten Stadteilen helfen könnte. Musik, Sport und insbesondere der Fußball, das sind die schnellsten Wege, um sie zu erreichen. Zunächst haben wir in einer Halle "Midnight-Soccer" angeboten, abends und am Wochenende. Also zu den Zeiten, wenn Turnhallen normalerweise geschlossen sind. Die Idee hat jedenfalls ziemlich eingeschlagen und sich langsam ausgebreitet.

DFB.de: "Langsam ausgebreitet" - das sagen Sie sehr bescheiden. NestWerk ist heute ein Verein mit vier Festangestellten, freien Sozialpädagogen und Projektmanagern. Sie organisieren unter anderem jedes Jahr 40 Straßenfußballturniere mit mehr als 2000 teilnehmenden Kindern und Jugendlichen, das sehr erfolgreiche Musikprojekt "jamliner" und die neue Initiative "Los Geht's". In elf Hamburger Bädern bietet NestWerk eine Schwimmförderung an. Dazu kommt der Tag der Legenden.

Beckmann: Alle Projekte setzen wir mit Kooperationspartnern vor Ort um. Anders wäre diese Vielfalt an Projekten nicht zu realisieren. Wir haben über die Jahre immer wieder geschaut, welche nächsten Schritte sinnvoll sind. Zum Beispiel haben wir in Kooperation mit der Jugendmusikschule Hamburg zwei frühere Linienbusse zu Tonstudios umgebaut, in denen Jugendliche Musik machen können. Mit diesen "jamliner"-Bussen fahren wir regelmäßig in Stadtteile wie Billstedt, Wilhelmsburg oder Osdorf. Beim "jamliner" geht es nicht um Virtuosität, sondern darum, dass Jugendliche ihre eigenen Geschichten und Gedanken musikalisch ausdrücken können. Und wenn da einer nach zwei, drei Monaten rausgeht und sagen kann, das ist mein Song, den Text habe ich mit Freunden geschrieben, der spiegelt meine Probleme, meine Fantasie oder Sehnsüchte wider, dann gibt das einen gehörigen Schub fürs Selbstwertgefühl.

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DFB.de: Etwas ganz Besonderes ist auch "Los Geht's" - worum geht’s dabei?

Beckmann: Das machen wir jetzt seit etwa drei Jahren. Es gibt viele Jugendliche, die kennen nur ihren "Kiez". Ausflüge, ob mit der Familie oder der Schulklasse, finden heute kaum mehr statt, sie sind zu teuer. "Los Geht's" bietet Jugendlichen die Chance, aus ihren Vierteln rauszukommen und gemeinsam etwas Neues zu erleben.

DFB.de: Die Jugendlichen besuchen Museen, gehen zum Bundesliga-Handball oder Eishockey, in Klettergärten und Skaterparks. Alles umsonst.

Beckmann: Genau, und vieles andere auch noch, nennen wir es mal eine Fantasiereise in der eigenen Stadt. Manche haben nie den Hafen gesehen, andere waren noch nie in einem Museum. Diese Jugendlichen wachsen heute einfach nicht mehr in gemischten sozialen Umfeldern auf. Wenn sie sich aber immer nur in ihrem Quartier aufhalten, ist die Chance halt nicht sehr groß, einen selbstbewussten Schritt nach draußen zu machen. Oder gar auf die Idee zu kommen: "Ich mache jetzt Abitur, auch wenn das noch keiner aus meiner Familie geschafft hat." Für mich als Kind der 70er-Jahre war das leichter möglich. Damals waren die Gesellschaftsschichten in meiner Heimatstadt etwas durchlässiger. NestWerk will mit dem Selbstwertgefühl der Jugendlichen auch ihre Bildungschancen steigern. Unsere Initiativen bieten jungen Menschen einen wichtigen Anlaufpunkt. Das spüre ich zum Beispiel freitagabends, wenn ich manchmal in den Hallen vorbeischaue. Die Kids fangen um 21 Uhr an, spielen bis ca. ein Uhr Fußball oder Basketball und hören dazu ihre Musik. In einem anderen Projekt in Hamburg-Harburg beispielsweise spielen mehrere sehr gute Fußballer aus Togo, einer hat schon bei Holstein Kiel vorgespielt. Jeden Montagabend laden wir jugendliche Flüchtlinge ein, um mit ihnen zu kicken.

DFB.de: Wie sehr freut Sie der Integrationspreis?

Beckmann: Als wir informiert wurden, hat mich das erst mal sehr überrascht und natürlich sehr gefreut. Wir haben schon einige Auszeichnungen für NestWerk bekommen, dieser Preis aber ist etwas Besonderes.

DFB.de: Wie gefällt Ihnen das Wort Migrationshintergrund?

Beckmann: Na ja, es ist auf der einen Seite ein Stempel geworden, auf der anderen Seite ist es eine Begrifflichkeit, mit der wir mittlerweile ganz normal umgehen. Wir bei NestWerk versuchen auf solche Etiketten zu verzichten, soweit es geht. Wir sind nun mal ein Zuwanderungsland. Daher wird es auch weiterhin darauf ankommen, dass wir politisch Verfolgte und andere Flüchtlinge aus Krisenregionen gesellschaftlich integrieren. Man muss nur in den Irak schauen, da wird noch einiges auf uns zukommen. Wir müssen dafür offen sein.

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DFB.de: Der Integrationspreis geht in diesem Jahr auch an Amateurklubs, die Flüchtlinge in den Verein holen. Der sächsische Klub SV Lindenau hat zahlreiche Kinder aus Flüchtlingsfamilien aufgenommen, etwas aus dem Irak, Afghanistan und dem Libanon.

Beckmann: Fußball verbindet, zur Verständigung genügen da nur ein paar Worte. Für meine neue Reportagereihe waren wir jetzt in Flüchtlingscamps im Nordirak. Auch dort konnte man beobachten: Wenn irgendwo der Ball rollt, ist ein bisschen was in Ordnung, wenigstens für eine Stunde oder zwei. Ein Fußball ist auch dort oben in den Flüchtlingscamps in den Momenten größter Verlassenheit etwas, womit die Jugendlichen Spaß haben und sich zumindest für kurze Zeit ablenken können. Fußball ist ein so einfaches Kommunikationsmittel. Genau das macht Fußball so stark.

DFB.de: Wie lange waren Sie im Nordirak?

Beckmann: Acht Tage.

DFB.de: War's gefährlich?

Beckmann: Wir waren gut auf diese extreme Situation vorbereitet und hatten zwei jesidische Fahrer, die sich in der Region auskennen und auf uns aufgepasst haben. Es ist eine Katastrophe, was sich dort gerade abspielt. Zwar gibt es organisierte UN-Flüchtlingscamps, die sind aber oft total überfüllt. Deshalb müssen viele, die auf der Flucht sind, in irgendwelchen Betonruinen campieren. Es fehlt überall am Nötigsten. An Medikamenten, Babynahrung, Decken, warmer Kleidung. Dort oben im Nordirak, nahe der türkischen Grenze, ist es jetzt nachts bitter, bitter kalt.

DFB.de: Harter Schnitt - etliche Große haben beim "Tag der Legenden" am Millerntor schon gespielt: Beckenbauer, Seeler, Netzer, Keagan, Hrubesch... Sie eigentlich auch schon mal?

Beckmann: Ich sollte das lassen. Als Veranstalter sollte man dort nicht spielen. Ich habe mir in meinem kleinen Fußballerleben zwei Kreuzbandrisse schwer verdient. Die pflege ich jetzt. Wenn Hermann Rieger noch da wäre, würde er sagen: "Burschi, lass es."

DFB.de: Auf welchen Weltstar haben Sie sich ganz besonders gefreut?

Beckmann: Na ja, an Kevin Keagan hatten wir sechs Jahre lang gekratzt. Ich habe ihm netteste Mails geschickt, "Fummel" Wehmeyer hat's versucht, Hermann Rieger auch, und 2011 war Keegan plötzlich da. Hamburg liebt Kevin Keagan nach wie vor, und Kevin Keagan liebt Hamburg. Die Heimkehr von "Mighty Mouse" war etwas ganz Großes, mit ihm verbinden die Hamburger bis heute die große Zeit des HSV. Das hat man gespürt.

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DFB.de: Klaus Fischer hat Ihnen mal ein Traumtor versprochen. Hat damals geklappt, oder?

Beckmann: Mit Klaus Fischer kannst du die besten Verabredungen treffen. Machst du heute deinen Fallrückzieher wieder so wie beim Tor des Jahrhunderts im Länderspiel gegen die Schweiz? Das liefert er dann. Du kannst auch sagen: Heute bitte, Klaus, eine kleine Halbzeiteinlage, zwei Flanken, zwei Traumtore. Macht er dann. Großartig!

DFB.de: Steht schon das Datum für den diesjährigen Tag der Legenden?

Beckmann: Nein, weil wir eine Pause einlegen und Zeit zur Neuorientierung brauchen. Der "Tag der Legenden" ist seit der Premiere 2005 dermaßen groß geworden, dass wir ihn mit unserem kleinen Team so nicht mehr stemmen können. Das Millerntorstadion war zuletzt immer ausverkauft, Sport1 hat live übertragen. Und das ganze Beiprogramm verlangt eine ungeheure organisatorische Arbeit, die wir bisher immer selbst geleistet haben. Nach zehn Jahren müssen wir das Konzept anpassen, damit wir uns zum richtigen Zeitpunkt mit voller Kraft und neuen Ideen wieder zurückmelden können.

DFB.de: Das wird viele legendäre Fußballer betrüben. Die großen Älteren kommen gerne ans Millerntor.

Beckmann: Ja, ich weiß, dass sie unseren "Tag der Legenden" alle lieben und schätzen. Auch weil abends nach dem Spiel die "Nacht der Legenden" folgt. Wir treffen uns dann im Schmidts Tivoli-Theater, wo es einen etwas wilden Kulturabend mit Musik, Kabarett und Comedy gibt. Ich weiß, Jürgen Klopp liebt diese Veranstaltung über alles, Jens Lehmann auch. Udo Lindenberg hat dort mehrmals gespielt, Udo Jürgens, Marius Müller-Westernhagen, Xavier Naidoo, Peter Maffay und viele andere auch. Wir hatten große Musiker, aber auch schräge Kiez-Künstler bei uns - so wie es sich auf der Reeperbahn gehört.

DFB.de: Sie haben das Klassentreffen des deutschen Fußballs erfunden.

Beckmann: Ich denke, der Tag und die Nacht der Legenden sind tatsächlich mittlerweile das große Ehemaligentreffen. Uwe Seeler kommt jedesmal und unterbricht sogar seinen Urlaub für den Tag der Legenden. Uwe und Max Lorenz auf dem Ersatzbanksofa bei Kaffee und Kuchen, dieses Bild ist schon einzigartig. Ich freue mich immer sehr auf die Geschichten der beiden.

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DFB.de: Sie kommen aus Norddeutschland. War Uwe Seeler Ihr Kindheitsidol?

Beckmann: Uwe war mein Held. In Twistringen gab es einen kleinen Schuhladen mit einer kleinen Kollektion von adidas-Schuhen. Irgendwann stand ich dort, und Uwe Seeler kam rein. Als kleiner Bengel schlug mein Herz wie verrückt. Ich hatte mir die "adidas Uwe" gekauft, die mit den Gummistollen für 19,90 Mark. Das habe ich ihm später auch erzählt. Uwe ist und bleibt eine Legende. Damals bei Werder Bremen, das ist ja heute unvorstellbar, standen wir als kleine Jungs immer vor der Kabine, um Autogramme zu bekommen. Irgendwann durften wir auch rein in die Kabine, und Max Lorenz war der lustigste von allen. Der hatte immer einen Scherz auf den Lippen und immer einen Blick für uns Kinder. Irgendwann hat er mich mit seinem Rasierwasser eingeschmiert, und ich weiß noch, ich kam nach Hause, und meine Mutter schaute mich etwas ungläubig an. Ich roch wohl wie ein Puma.

DFB.de: Ist es schwierig für NestWerk, wenn der "Tag der Legenden" 2015 aussetzt?

Beckmann: Wir haben die Entscheidung mit unseren Partnern besprochen. Ihnen gilt unser großer Dank, denn sie werden auch unsere Projekte weiter unterstützen. So können wir die Pause überbrücken. Für dieses Jahr ist Nachdenkarbeit angesagt.

DFB.de: Lange galt das Diktum: "Sport und Politik haben nichts miteinander zu tun." Nun haben Sie journalistisch immer beide Themenfelder bearbeitet. Wie sehen Sie es: Sollte der Fußball politisch sein?

Beckmann: Das ist automatisch so. Wenn man eine Weltmeisterschaft nach Katar vergibt, ist das auch eine politische Entscheidung. Das muss man sich schon genau anschauen und hinterfragen, ob das zu verantworten ist. Spätestens an dieser Stelle wird Sport zur Politik. Ähnlich ist es auch bei weniger spektakulären Themen wie Integration. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, für die der Sport und gerade der Fußball eine Menge leisten kann. Dass Integration gelingen kann, zeigt doch auch unsere Nationalmannschaft. Oder wenn man mal in die Vereine in Hamburg schaut, weiß man: Wir sind eine gemischte Gesellschaft, und Integration ist in Deutschland Teil unseres Alltags. Da hat Fußball eine wichtige Funktion. Wenn sich gelungene Integration jedes Wochenende in der Bundesliga widerspiegelt, dann ist das auch Vorbild für alle Spieler und Verantwortlichen in den unteren Klassen.

DFB.de: Fast hätten Sie 2006 die deutsche Nationalmannschaft in einem WM-Finale kommentiert. Wie haben Sie damals das Ausscheiden gegen Italien miterlebt? Haben Sie irgendwo gegengetreten?

Beckmann: Ich war beim Halbfinale in Dortmund. Mein Kollege Volker Kottkamp stand neben mir, und als das 0:1 durch Fabio Grosso fiel, hat er mich in den Arm genommen. Er dachte, er müsse mich ein bisschen trösten. Wir hatten es aber geahnt, dass es für die damalige Mannschaft einen Tick zuviel gewesen wäre. Ich kann mich aber nicht beschweren. Es war ein gutes Endspiel mit Italien gegen Frankreich. Verlängerung plus Elfmeterschießen, der spektakuläre Platzverweis von Zidane. Daran erinnere mich noch immer gern.