Kunstschütze Setonji Ogunbiyi: "Ich wollte es nicht glauben"

Die Konkurrenz von Setonji Ogunbiyi ist beeindruckend. Erling Haalands Treffer zum 4:2 gegen den 1. FC Union Berlin zählt genauso dazu wie der Fallrückzieher von U 19-Nationalspieler Armindo Sieb. Zur Wahl für das Tor des Monats der ARD-Sportschau steht aber auch Ogunbiyis perfekter Schuss. Die DFB-Stiftung Sepp Herberger gründete gemeinsam mit der Initiative "Anpfiff ins Leben" in diesem Jahr die Amputierten-Fußball-Bundesliga. Noch bis 23. Oktober läuft die Wahl der Sportschau. Wir sprachen mit dem 29-jährigen Nigerianer über seine besondere Freude am Fußball.

DFB.de: Herr Ogunbiyi, Glückwunsch zur Nominierung! Nach einer Ecke von Anpfiff Hoffenheim beim Ligaauftakt Anfang September in Trier eroberten Sie den Ball, um dann mit zwei, drei Sprüngen Anlauf quer übers 40 Meter lange Kunstrasenfeld zu schießen. Es war das 3:0 für Ihren Klub Fortuna Düsseldorf. Hatten Sie gesehen, dass der Torwart zu weit draußen stand?

Setonji Ogunbiyi: Nein, ehrlich gesagt nicht. Man weiß einfach, dass der gegnerische Keeper bei Eckbällen gerne mal ein paar Meter Richtung Mittellinie läuft. Daran dachte ich, schon bevor die Ecke ausgeführt wurde. Ich traf den Ball mit der Spitze. Glück war auch dabei. Als ich sah, dass der Ball direkt unter der Latte ins Tor flog, wollte ich's nicht glauben.

DFB.de: Sind Sie bei Fortuna Düsseldorf ein besserer Spieler geworden?

Ogunbiyi: Definitiv, durch das Training bei Fortuna habe ich mich deutlich verbessert, ganz besonders taktisch. Unsere Trainer scouten vorher den Gegner und erklären uns dessen Stärken und Schwächen. In Nigeria ging es eher um individuelle und technische Fähigkeiten. Mit dem Wissen von heute sehe ich viel bewusster, wie der Gegner steht. Ich weiß, in welchen Raum ein Mitspieler gleich starten wird. Wir arbeiten auch intensiv an der Bewegung. Ich bin mit meinen Gehhilfen deutlich schneller unterwegs als noch vor einem halben Jahr.

DFB.de: Sind Sie der beste Spieler in der Liga?

Ogunbiyi: (lacht) Nein, das denke ich nicht. Fortuna Düsseldorf stellt eine starke Mannschaft, aber auch für unseren Konkurrenten Anpfiff Hoffenheim spielen einige sehr starke Jungs.

DFB.de: Aktuell verbringen Sie einige Tage bei Ihrer Familie in Lagos, kehren aber rechtzeitig zum Ligafinale am 30. Oktober zurück. Wie führte Sie Ihr Weg nach Deutschland?

Ogunbiyi: Dank eines Stipendiums bekam ich einen Studienplatz an der Ruhr-Universität in Bochum. Ich studiere dort am Institut für Entwicklungspolitik "Developmental Studies". Die Zulassung kam bereits im Sommer 2020, aber aufgrund von Corona verzögerte sich mein Flug von Nigeria nach Deutschland. Ich lernte also erstmal in Online-Kursen der Ruhr-Universität Deutsch. Im Oktober vergangenen Jahres passte dann alles und ich durfte endlich nach Deutschland einreisen. Mein Ziel ist es, mein Master-Studium in Bochum abzuschließen. Die finanziellen und Bildungsunterschiede zwischen den Ländern Europas und Afrikas sind meiner Meinung nach viel zu groß. Diese Ungleichheit ist zunehmend unerträglich und befördert eine Marginalisierung von Millionen von Menschen. Später mal nach Abschluss des Studiums will ich meinen Teil dazu beitragen, diese Kluft zumindest ein wenig zu schließen.

DFB.de: Als Sie nach Deutschland kamen, erfuhren Sie auch von der Möglichkeit, hier Fußball zu spielen. Eine freudige Überraschung, oder?

Ogunbiyi: Genau. Ich spiele schon lange Fußball auf Krücken, habe in Nigeria damit angefangen. Als ich nach meiner Ankunft erfuhr, dass Fortuna Düsseldorf ein Team gründen will, war ich überglücklich. Absolut in der Nähe. Für mich war und ist das Freude pur.

DFB.de: Anders als andere Spieler in der Liga haben Sie noch beide Beine. Aber Ihr linkes Bein ist verwachsen und Sie können es überhaupt nicht belasten. Wie kam es dazu?

Ogunbiyi: Ich war drei Jahre alt, als meine Mutter feststellte, dass mein linkes Bein nicht so wuchs wie mein rechtes. Sie erkannte, dass ich immer stärker humpelte. Meine Familie lebt in Lagos. Sie brachte mich also ins Krankenhaus. Bei der Operation unterliefen den Ärzten einige Fehler. Der Zustand des Beins war anschließend viel schlechter als vor der OP. Bis heute wissen die Ärzte nicht, ob ich an Polio erkrankt war oder ob ein Nervenproblem meine Beinschmerzen ausgelöst hatte.

DFB.de: Alle, die beim Auftakt der neugegründeten Amputierten-Fußball-Bundesliga in Trier dabei waren, durften erleben, wie rasant und manchmal spektakulär diese Variante des Fußballs sein kann. Was bedeutet es Ihnen, trotz des Handicaps Fußball zu spielen?

Ogunbiyi: Ich kann gar nicht ausdrücken, wie groß meine Freude ist, wenn ich spielen kann. Ich bin der glücklichste Mensch, der ich überhaupt sein kann, sobald ich auf dem Platz stehe. Die Zuschauer reagieren total verblüfft, wenn wir uns im hohen Tempo auf Krücken übers Feld bewegen.

DFB.de: Tut es nicht unglaublich weh, gerade an den Händen, sich mit diesem irren Tempo auf Krücken gestützt zu bewegen?

Ogunbiyi: (lacht) Ja, klar tut das höllisch weh. An den Händen, auch der Rücken. Aber der Spaß daran, dass ich mich so bewegen kann, und die Freude an der Verbindung, die durch das Spiel mit meinen Teamkollegen entsteht, macht das mehr als wett.

[th]

Die Konkurrenz von Setonji Ogunbiyi ist beeindruckend. Erling Haalands Treffer zum 4:2 gegen den 1. FC Union Berlin zählt genauso dazu wie der Fallrückzieher von U 19-Nationalspieler Armindo Sieb. Zur Wahl für das Tor des Monats der ARD-Sportschau steht aber auch Ogunbiyis perfekter Schuss. Die DFB-Stiftung Sepp Herberger gründete gemeinsam mit der Initiative "Anpfiff ins Leben" in diesem Jahr die Amputierten-Fußball-Bundesliga. Noch bis 23. Oktober läuft die Wahl der Sportschau. Wir sprachen mit dem 29-jährigen Nigerianer über seine besondere Freude am Fußball.

DFB.de: Herr Ogunbiyi, Glückwunsch zur Nominierung! Nach einer Ecke von Anpfiff Hoffenheim beim Ligaauftakt Anfang September in Trier eroberten Sie den Ball, um dann mit zwei, drei Sprüngen Anlauf quer übers 40 Meter lange Kunstrasenfeld zu schießen. Es war das 3:0 für Ihren Klub Fortuna Düsseldorf. Hatten Sie gesehen, dass der Torwart zu weit draußen stand?

Setonji Ogunbiyi: Nein, ehrlich gesagt nicht. Man weiß einfach, dass der gegnerische Keeper bei Eckbällen gerne mal ein paar Meter Richtung Mittellinie läuft. Daran dachte ich, schon bevor die Ecke ausgeführt wurde. Ich traf den Ball mit der Spitze. Glück war auch dabei. Als ich sah, dass der Ball direkt unter der Latte ins Tor flog, wollte ich's nicht glauben.

DFB.de: Sind Sie bei Fortuna Düsseldorf ein besserer Spieler geworden?

Ogunbiyi: Definitiv, durch das Training bei Fortuna habe ich mich deutlich verbessert, ganz besonders taktisch. Unsere Trainer scouten vorher den Gegner und erklären uns dessen Stärken und Schwächen. In Nigeria ging es eher um individuelle und technische Fähigkeiten. Mit dem Wissen von heute sehe ich viel bewusster, wie der Gegner steht. Ich weiß, in welchen Raum ein Mitspieler gleich starten wird. Wir arbeiten auch intensiv an der Bewegung. Ich bin mit meinen Gehhilfen deutlich schneller unterwegs als noch vor einem halben Jahr.

DFB.de: Sind Sie der beste Spieler in der Liga?

Ogunbiyi: (lacht) Nein, das denke ich nicht. Fortuna Düsseldorf stellt eine starke Mannschaft, aber auch für unseren Konkurrenten Anpfiff Hoffenheim spielen einige sehr starke Jungs.

DFB.de: Aktuell verbringen Sie einige Tage bei Ihrer Familie in Lagos, kehren aber rechtzeitig zum Ligafinale am 30. Oktober zurück. Wie führte Sie Ihr Weg nach Deutschland?

Ogunbiyi: Dank eines Stipendiums bekam ich einen Studienplatz an der Ruhr-Universität in Bochum. Ich studiere dort am Institut für Entwicklungspolitik "Developmental Studies". Die Zulassung kam bereits im Sommer 2020, aber aufgrund von Corona verzögerte sich mein Flug von Nigeria nach Deutschland. Ich lernte also erstmal in Online-Kursen der Ruhr-Universität Deutsch. Im Oktober vergangenen Jahres passte dann alles und ich durfte endlich nach Deutschland einreisen. Mein Ziel ist es, mein Master-Studium in Bochum abzuschließen. Die finanziellen und Bildungsunterschiede zwischen den Ländern Europas und Afrikas sind meiner Meinung nach viel zu groß. Diese Ungleichheit ist zunehmend unerträglich und befördert eine Marginalisierung von Millionen von Menschen. Später mal nach Abschluss des Studiums will ich meinen Teil dazu beitragen, diese Kluft zumindest ein wenig zu schließen.

DFB.de: Als Sie nach Deutschland kamen, erfuhren Sie auch von der Möglichkeit, hier Fußball zu spielen. Eine freudige Überraschung, oder?

Ogunbiyi: Genau. Ich spiele schon lange Fußball auf Krücken, habe in Nigeria damit angefangen. Als ich nach meiner Ankunft erfuhr, dass Fortuna Düsseldorf ein Team gründen will, war ich überglücklich. Absolut in der Nähe. Für mich war und ist das Freude pur.

DFB.de: Anders als andere Spieler in der Liga haben Sie noch beide Beine. Aber Ihr linkes Bein ist verwachsen und Sie können es überhaupt nicht belasten. Wie kam es dazu?

Ogunbiyi: Ich war drei Jahre alt, als meine Mutter feststellte, dass mein linkes Bein nicht so wuchs wie mein rechtes. Sie erkannte, dass ich immer stärker humpelte. Meine Familie lebt in Lagos. Sie brachte mich also ins Krankenhaus. Bei der Operation unterliefen den Ärzten einige Fehler. Der Zustand des Beins war anschließend viel schlechter als vor der OP. Bis heute wissen die Ärzte nicht, ob ich an Polio erkrankt war oder ob ein Nervenproblem meine Beinschmerzen ausgelöst hatte.

DFB.de: Alle, die beim Auftakt der neugegründeten Amputierten-Fußball-Bundesliga in Trier dabei waren, durften erleben, wie rasant und manchmal spektakulär diese Variante des Fußballs sein kann. Was bedeutet es Ihnen, trotz des Handicaps Fußball zu spielen?

Ogunbiyi: Ich kann gar nicht ausdrücken, wie groß meine Freude ist, wenn ich spielen kann. Ich bin der glücklichste Mensch, der ich überhaupt sein kann, sobald ich auf dem Platz stehe. Die Zuschauer reagieren total verblüfft, wenn wir uns im hohen Tempo auf Krücken übers Feld bewegen.

DFB.de: Tut es nicht unglaublich weh, gerade an den Händen, sich mit diesem irren Tempo auf Krücken gestützt zu bewegen?

Ogunbiyi: (lacht) Ja, klar tut das höllisch weh. An den Händen, auch der Rücken. Aber der Spaß daran, dass ich mich so bewegen kann, und die Freude an der Verbindung, die durch das Spiel mit meinen Teamkollegen entsteht, macht das mehr als wett.

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