BVB-Triumph 1966: Libudas Bogenlampe gegen Liverpool

DFB.de erinnert in einer Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der BVB ringt 1966 in Glasgow den FC Liverpool nieder und wird in der Heimat frenetisch empfangen.

Seit 1955 wurden Europapokal-Spiele ausgetragen, zunächst im Landesmeister, dann im Pokalsieger-Cup. Zwei deutsche Mannschaften hatten bereits eine Hand am Pott gehabt und erst im Finale verloren (1960: Eintracht Frankfurt, 1965: TSV 1860 München), im dritten Anlauf klappte es schließlich: Am 5. Mai 1966 gewann Borussia Dortmund im Glasgower Hampden Park gegen den favorisierten FC Liverpool den Pokalsieger-Cup.

Der amtierende DFB-Pokalsieger erinnerte im Rahmen einer Jubiläumswoche an den großen Tag von Glasgow, im Werkstattverlag war termingerecht ein Buch erschienen. Der Journalist Gregor Schnittker würdigte „Die Helden von 66“ auf 136 Seiten. Was geschah damals und was machte sie zu Helden?

Journalisten für fünf Mark beim Training dabei

Schon der Weg nach Glasgow war aller Ehren wert, von den acht Partien bis zum Finale verlor Borussia nur eine – im Achtelfinale von Sofia setzte es gegen Armeeklub ZSKA ein 2:4 und einen Platzverweis gegen „Hoppy“ Kurrat. Doch das 3:0 aus dem Hinspiel reichte. In der ersten Runde gegen Floriana La Valetta hatte Borussia leichtes Spiel (5:1 und 8:0), im Rückspiel stellte Lothar Emmerich mit sechs Toren einen noch gültigen Europapokal-Rekord für einen deutschen Spieler auf. Im Viertelfinale riss die stolze Serie von Atletico Madrid, das alle 17 Heimspiele im Europacup im Estadio Metropolitano gewonnen hatte (bei 54:5 Toren) und Monate später Real als spanischer Meister ablösen würde, doch der wackere BVB holte auf Pfützen übersätem Geläuf ein 1:1. Sehr zur Freude der 300 BVB-Fans unter den 58.000 Zuschauern.

Unter Trainer Fischken Multhaup herrschte ein lockeres Klima, für fünf Mark durften sich auch Journalisten am Elfmeterschießen im Training gegen Hans Tilkowski beteiligen. Und Torschütze Lothar Emmerich ging am Vortag des Spiels noch mit WDR-Reporter Heribert Faßbender in den Prado und bestaunte die Gemälde von Goya, die allein drei Säle füllten („Wat‘ die Jungs früher malochen mussten!“). Malochen mussten auch die Spieler, für den Kicker war das Match im Matsch von Madrid „so schwer wie zwei Bundesligaspiele“. Und es wurde nicht leichter. „Um ehrlich zu sein: Dortmund schwamm“, titelten die Ruhr-Nachrichten über das Rückspiel. Am 2. März 1966 fiel unter diffusem Flutlicht nur ein Tor und wieder war Lothar Emmerich (15. Minute) das Glück hold. Ein trockener Schuss mit links, aus acht Metern. 32.500 Zuschauer in „Rote Erde“ verhalfen dem Verein zur damaligen Rekordeinnahme von 270.000 Mark, die ARD-Liveübertragung der zweiten Halbzeit brachte weitere 35.000 Mark.

Erster deutscher Sieg auf der Insel

Im Halbfinale bei West Ham United, das mit drei kommenden Weltmeistern (Moore, Peters, Hurst) spielte, leistete der Bundesliga-Tabellenführer 1966 echte Pionierarbeit. Das 2:1 im Upton Park bedeutete den ersten deutschen Sieg auf der britischen Insel. Weder die Nationalmannschaft noch ein Verein hatte das zuvor geschafft, was zwei späte Treffer von Emmerich (86., 87.) möglich machten. „Emmrichs letzter Atemzug zerschmetterte die Hammers“, schrieb der Daily Express. Der Torjäger war in der Form seines Lebens und sicherte sich besonders wegen seiner Auftritte im Europacup einen Platz im WM-Kader. Im ausverkauften Rückspiel, für das 100.000 Kartenanfragen vorlagen, schlug er schon nach 22 Sekunden zu und Fernsehreporter Ernst Huberty (ARD), der noch die Aufstellungen verlas, jauchzte: „Ein Auftakt, wie er turbulenter gar nicht sein kann.“ Diesmal zahlte das Fernsehen 66.000 DM, denn es übertrug das ganze Spiel und kein Tor ging „verloren“. Nach 29 Minuten erhöhte „Emma“ per Freistoßhammer auf 2:0, Byrnes Gegentor (43.) war zu verschmerzen. Für die Entscheidung sorgte ein Verteidiger: Gerhard Cyliax, mit 32 der Senior im Team, zog einfach mal aus 20 Metern ab, der Ball wurde noch abgefälscht – 3:1 (86.)! „Hi ha ho, West Ham ist k.o.!“, schallte es von den Rängen und Huberty resümierte: „Ein Spiel, das wir so schnell nicht vergessen werden.“ Doch es kam ein noch größeres, das alles überstrahlte.

Im Finale wartete eine weitere englische Mannschaft: der FC Liverpool, der fünf Tage zuvor Meister geworden war und entsprechend selbstbewusst war. „Wir sind unschlagbar. Wir holen den Cup“, tönte Teammanager Bill Shankley, der sein Team zum „besten Team der Welt“ erklärte und die Reserve zum zweitbesten. 20.000 Fans teilten den Optimismus und reisten schon wieder nach Glasgow, wo Liverpool im Halbfinale Celtic eliminiert hatte. Es schien ein gutes Omen zu sein. In der Nacht vor dem Spiel schlichen sich Fans der „Reds“ ins Stadion und strichen die Torpfosten rot an. Der BVB wurde von 4000 Anhängern und den besten Wünschen der Deutschen begleitet. Auch Borussia glaubte an die Magie guter Vorzeichen und bezog ein Hotel 20 Kilometer südlich von Glasgow an der Irischen See. Wer im „Marine-Hotel“ von Troon wohnte, so ging die Mär, hätte noch kein Spiel in Glasgow verloren. BVB-Trainer Willi Multhaup, den alle „Fischken“ nannten, weil er der Sohn eines Fischhändlers war, machte seinem Team auf ganz spezielle Weise Mut. „Von zehn Spielen gegen uns wird Liverpool neun gewinnen. Einmal gewinnen wir – und das ist heute, merkt euch das “, zitierte Alfred „Aki“ Schmidt den längst verstorbenen Coach oft und gerne.

Drei Tage verbrachten die kommenden Helden in Troon mit Training, Kartenspielen, Golf und Strandspaziergängen. Dann, nach dem auf 14.30 Uhr verlegten Mittagessen (Steak), wurde es allmählich ernst. Nur 42.000 Zuschauer füllten den Hampden Park, das damals größte Stadion Europas, nicht mal zu einem Drittel. Vielleicht auch, weil es regnete. Die Dortmunder Spielerfrauen waren immerhin vor Ort, der BVB hatte sie einfliegen lassen. „Zur Beruhigung des notorisch eifersüchtigen Libuda“, wie die Vereinschronik „Ein Jahrhundert Borussia Dortmund“ süffisant vermerkt. Vor dem Anpfiff rief „Aki“ Schmidt den zum Leichtsinn neigenden Rudi Assauer noch mal zur Ordnung: „Assi, wenn Du auch nur einen Fehlpass spielst, trete ich Dir in den Arsch.“ Fußballer-Jargon.



DFB.de erinnert in einer Serie an die deutschen Triumphe beim Europapokal der Pokalsieger, der zwischen 1960 und 1999 ausgetragen wurde. Heute: Der BVB ringt 1966 in Glasgow den FC Liverpool nieder und wird in der Heimat frenetisch empfangen.

Seit 1955 wurden Europapokal-Spiele ausgetragen, zunächst im Landesmeister, dann im Pokalsieger-Cup. Zwei deutsche Mannschaften hatten bereits eine Hand am Pott gehabt und erst im Finale verloren (1960: Eintracht Frankfurt, 1965: TSV 1860 München), im dritten Anlauf klappte es schließlich: Am 5. Mai 1966 gewann Borussia Dortmund im Glasgower Hampden Park gegen den favorisierten FC Liverpool den Pokalsieger-Cup.

Der amtierende DFB-Pokalsieger erinnerte im Rahmen einer Jubiläumswoche an den großen Tag von Glasgow, im Werkstattverlag war termingerecht ein Buch erschienen. Der Journalist Gregor Schnittker würdigte „Die Helden von 66“ auf 136 Seiten. Was geschah damals und was machte sie zu Helden?

Journalisten für fünf Mark beim Training dabei

Schon der Weg nach Glasgow war aller Ehren wert, von den acht Partien bis zum Finale verlor Borussia nur eine – im Achtelfinale von Sofia setzte es gegen Armeeklub ZSKA ein 2:4 und einen Platzverweis gegen „Hoppy“ Kurrat. Doch das 3:0 aus dem Hinspiel reichte. In der ersten Runde gegen Floriana La Valetta hatte Borussia leichtes Spiel (5:1 und 8:0), im Rückspiel stellte Lothar Emmerich mit sechs Toren einen noch gültigen Europapokal-Rekord für einen deutschen Spieler auf. Im Viertelfinale riss die stolze Serie von Atletico Madrid, das alle 17 Heimspiele im Europacup im Estadio Metropolitano gewonnen hatte (bei 54:5 Toren) und Monate später Real als spanischer Meister ablösen würde, doch der wackere BVB holte auf Pfützen übersätem Geläuf ein 1:1. Sehr zur Freude der 300 BVB-Fans unter den 58.000 Zuschauern.

Unter Trainer Fischken Multhaup herrschte ein lockeres Klima, für fünf Mark durften sich auch Journalisten am Elfmeterschießen im Training gegen Hans Tilkowski beteiligen. Und Torschütze Lothar Emmerich ging am Vortag des Spiels noch mit WDR-Reporter Heribert Faßbender in den Prado und bestaunte die Gemälde von Goya, die allein drei Säle füllten („Wat‘ die Jungs früher malochen mussten!“). Malochen mussten auch die Spieler, für den Kicker war das Match im Matsch von Madrid „so schwer wie zwei Bundesligaspiele“. Und es wurde nicht leichter. „Um ehrlich zu sein: Dortmund schwamm“, titelten die Ruhr-Nachrichten über das Rückspiel. Am 2. März 1966 fiel unter diffusem Flutlicht nur ein Tor und wieder war Lothar Emmerich (15. Minute) das Glück hold. Ein trockener Schuss mit links, aus acht Metern. 32.500 Zuschauer in „Rote Erde“ verhalfen dem Verein zur damaligen Rekordeinnahme von 270.000 Mark, die ARD-Liveübertragung der zweiten Halbzeit brachte weitere 35.000 Mark.

Erster deutscher Sieg auf der Insel

Im Halbfinale bei West Ham United, das mit drei kommenden Weltmeistern (Moore, Peters, Hurst) spielte, leistete der Bundesliga-Tabellenführer 1966 echte Pionierarbeit. Das 2:1 im Upton Park bedeutete den ersten deutschen Sieg auf der britischen Insel. Weder die Nationalmannschaft noch ein Verein hatte das zuvor geschafft, was zwei späte Treffer von Emmerich (86., 87.) möglich machten. „Emmrichs letzter Atemzug zerschmetterte die Hammers“, schrieb der Daily Express. Der Torjäger war in der Form seines Lebens und sicherte sich besonders wegen seiner Auftritte im Europacup einen Platz im WM-Kader. Im ausverkauften Rückspiel, für das 100.000 Kartenanfragen vorlagen, schlug er schon nach 22 Sekunden zu und Fernsehreporter Ernst Huberty (ARD), der noch die Aufstellungen verlas, jauchzte: „Ein Auftakt, wie er turbulenter gar nicht sein kann.“ Diesmal zahlte das Fernsehen 66.000 DM, denn es übertrug das ganze Spiel und kein Tor ging „verloren“. Nach 29 Minuten erhöhte „Emma“ per Freistoßhammer auf 2:0, Byrnes Gegentor (43.) war zu verschmerzen. Für die Entscheidung sorgte ein Verteidiger: Gerhard Cyliax, mit 32 der Senior im Team, zog einfach mal aus 20 Metern ab, der Ball wurde noch abgefälscht – 3:1 (86.)! „Hi ha ho, West Ham ist k.o.!“, schallte es von den Rängen und Huberty resümierte: „Ein Spiel, das wir so schnell nicht vergessen werden.“ Doch es kam ein noch größeres, das alles überstrahlte.

Im Finale wartete eine weitere englische Mannschaft: der FC Liverpool, der fünf Tage zuvor Meister geworden war und entsprechend selbstbewusst war. „Wir sind unschlagbar. Wir holen den Cup“, tönte Teammanager Bill Shankley, der sein Team zum „besten Team der Welt“ erklärte und die Reserve zum zweitbesten. 20.000 Fans teilten den Optimismus und reisten schon wieder nach Glasgow, wo Liverpool im Halbfinale Celtic eliminiert hatte. Es schien ein gutes Omen zu sein. In der Nacht vor dem Spiel schlichen sich Fans der „Reds“ ins Stadion und strichen die Torpfosten rot an. Der BVB wurde von 4000 Anhängern und den besten Wünschen der Deutschen begleitet. Auch Borussia glaubte an die Magie guter Vorzeichen und bezog ein Hotel 20 Kilometer südlich von Glasgow an der Irischen See. Wer im „Marine-Hotel“ von Troon wohnte, so ging die Mär, hätte noch kein Spiel in Glasgow verloren. BVB-Trainer Willi Multhaup, den alle „Fischken“ nannten, weil er der Sohn eines Fischhändlers war, machte seinem Team auf ganz spezielle Weise Mut. „Von zehn Spielen gegen uns wird Liverpool neun gewinnen. Einmal gewinnen wir – und das ist heute, merkt euch das “, zitierte Alfred „Aki“ Schmidt den längst verstorbenen Coach oft und gerne.

Drei Tage verbrachten die kommenden Helden in Troon mit Training, Kartenspielen, Golf und Strandspaziergängen. Dann, nach dem auf 14.30 Uhr verlegten Mittagessen (Steak), wurde es allmählich ernst. Nur 42.000 Zuschauer füllten den Hampden Park, das damals größte Stadion Europas, nicht mal zu einem Drittel. Vielleicht auch, weil es regnete. Die Dortmunder Spielerfrauen waren immerhin vor Ort, der BVB hatte sie einfliegen lassen. „Zur Beruhigung des notorisch eifersüchtigen Libuda“, wie die Vereinschronik „Ein Jahrhundert Borussia Dortmund“ süffisant vermerkt. Vor dem Anpfiff rief „Aki“ Schmidt den zum Leichtsinn neigenden Rudi Assauer noch mal zur Ordnung: „Assi, wenn Du auch nur einen Fehlpass spielst, trete ich Dir in den Arsch.“ Fußballer-Jargon.

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"Paul stand wie eine Eiche in der Hintermannschaft"

Es entwickelte sich ein zähes Spiel auf zunehmend matschigem Untergrund. Kurz nach Anpfiff mussten die BVB-Anhänger gleich mal den Atem anhalten, als Theo Redder für seinen etwas nervös beginnenden Torwart Hans Tikowski auf der Linie retten musste. Ansonsten wirkte die Abwehr sattelfest, und die Westfälische Rundschau lobte Kapitän und Ausputzer Wolfgang Paul blumig: „Er stand wie eine Eiche in der Hintermannschaft.“ Aber es mangelte an Entlastung. Die Shooting-Stars der Saison, Mittelstürmer Siggi Held und Linksaußen Lothar Emmrich, kamen kaum zur Geltung, auch „Stan“ Libuda hatte auf rechts seine liebe Mühe und Not mit der harten englischen Gangart. Nach 32 Minuten wäre Redder fast ein Kopfball-Eigentor unterlaufen, in der 38. hatte Held die Dortmunder Führung auf dem Fuß, aber Keeper Lawrence parierte.

In der Halbzeit tauschte Borussia trotz widrigen Wetters die durchnässten langärmeligen gegen kurzärmelige Trikots. Ob Absicht oder nicht – es war ein Zeichen von Entschlossenheit, sich den rauen Umständen dieses Ermüdungskampfes zu stellen. Liverpool verstärkte zwar den Druck und war in puncto Ballbesitz und Laufleistung, hätte man es schon damals gemessen, gewiss überlegen. Aber das erste Tor schoss der BVB. Siggi Held verwertete eine Vorlage von Lothar Emmerich, die „schrecklichen Zwillinge“, wie sie in der englischen Presse genannt wurden, taten etwas für ihren Ruf. Held erinnert sich 50 Jahre danach unaufgeregt: „Lothar flankt von links und ich verwandele.“

Liverpool-Fans feiern Ausgleich auf dem Platz

Sieben Minuten währte die Führung, dann fiel der irreguläre Ausgleich. Vor der Flanke auf den kommenden Weltmeister Hunt hatte der Ball schon die Seitenauslinie überschritten, der französische Schiedsrichter Schwinte ließ sich von den Protesten aber nicht beeindrucken. Hunderte Liverpool-Fans auch nicht, sie rannten ungehindert auf den Platz, um das Tor zu feiern. Es blieb ihre einzige Feier.

Das Spiel schleppte sich in die Verlängerung und es war auch beim kommenden Sieger nicht alles Gold, was glänzte. Wobei ohnehin wenig Glanz zu sehen war. Das Sport Magazin schrieb damals über den BVB: „Leider beschränkte man sich bei Dortmund allzu sehr auf das Wegschlagen des Balles. Man sah keinen vernünftigen Angriff, schlechtes Abspiel und einen ständig im Angriff liegenden Gegner.“

Libuda: Das Tor seines Lebens

Bill Shankley, der schlechte Verlierer, attestierte Borussia grimmig, sie könne in der englischen Liga nicht bestehen. Hinterher war es egal, denn die Schwarz-Gelben nahmen den Pokal mit. Und das kam so: Es lief die 106. Minute, als Siggi Held nach einem langen Pass vom überragenden Aki Schmidt aufs Liverpooler Tor zueilte und sich ihm Keeper Lawrence entgegen warf. Der Ball prallte zu Reinhard Libuda, den alle nur Stan nannten – weil er dribbeln konnte wie der legendäre Stanley Matthews. Das Tor war leer, doch der Weg weit. Nicht weit genug für Libuda, der „ohne einen gezielten Blick“ (FAZ) den Ball gefühlvoll über dreißig Meter ins linke obere Eck schlenzte. Mit Hilfe des Pfostens und des herbeieilenden Verteidigers Yeats prallte das Leder ins Netz.

„Libudas Ball senkt sich ins Tor. Ins Tor, ins Tor. Es ist unglaublich“, rief ARD-Reporter Ernst Huberty in sein Mikrofon. Libuda schilderte das Tor seines Lebens auf seine Weise und widerlegte die Theorie vom ziellosen Blick: „Ich sah, wie der Ball abprallte und sah ihn kommen. Mit dem linken Auge bemerkte ich das leere Tor, da hab ich abgezogen. Ich dachte mir: ‚jetzt oder nie!‘ Als der Ball in der Luft war, spürte ich, der geht rein.“

Das war sein Glück, die Mitspieler verstehen bis heute nicht, wieso der 1996 verstorbene Dribbelkünstler nicht noch ein paar Meter gelaufen ist. „Du, ich hätte Dich umgebracht, wenn der nicht reingegangen wäre“, vertraute der Fußball-Arbeiter Schmidt dem Fußball-Künstler Libuda an. Aber es ging ja alles gut.

300.000 Menschen beim Empfang in Dortmund

Nach Abpfiff um 21.50 Uhr spielten sich turbulente Szenen ab. Fans beider Lager wollten den Spielern an die Wäsche. Die Dortmunder wollten Souvenirs, die Liverpooler Aggressionen abbauen. Die Westfälische Rundschau registrierte Belagerungsszenen vor den Kabinen und vermerkte: „Schlachtenbummler und Spieler bedrohten und schlugen die Borussen. Wosab wurde regelrecht k.o. geschlagen, Aki Schmidt erhielt einen Tritt gegen das Schienbein und Torhüter Tilkowski einen Boxhieb in die Magengrube.“ Schmidt hatte schon im Spiel einen Kinnhaken bekommen, so dass „ich am Abend nur Sekt einträufeln konnte.“ Spätestens jetzt wussten sie, dass sie etwas Großes, Sensationelles geschafft hatten. Auch wenn die Nacht unspektakulär ausklang. Im Hotel wartete kein Bankett auf die Sieger, der Vorstand hatte nicht damit gerechnet. Der Zeugwart hatte immerhin eine Kiste Sekt aufgetrieben, die die Helden in einsamer Nacht am Strand von Troon leerten.

Zu essen gab es belegte Brötchen, wie sich Hans Tilkowski erinnert. Spät in der Nacht fiel dann sogar der Pokal in die Irische See, wie das eben so ist, wenn glückliche junge Männer albern. Sie fanden ihn wieder, zum Glück. Denn in der Heimat waren am nächsten Tag mehr als 300.000 Menschen gekommen, um den Pokal zu sehen und die Mannschaft, die ihn gewann. Am Borsig-Platz und auf dem Weg dorthin lauter glückliche Menschen, schon am Flugplatz in Köln, wo ein roter Teppich ausgerollt war, warteten Hunderte. Dortmunds Kinder hatten schulfrei, so ein Tag durfte niemand verpassen. Zur Siegprämie – die Angaben variieren zwischen 6000 und 10.000 DM – gab es eine weiße Porzellanvase und das Silberne Lorbeerblatt.

Nur die Meisterschaft, die gab es nicht mehr. Die ersten deutschen Europacup-Helden, die je nach Temperament und Umfeld noch tagelang weiter feierten, verloren die restlichen drei Saisonspiele. Umso wertvoller war der Pokal, den sie als erste deutsche Mannschaft nach Hause brachten.

Die Siegerelf: Hans Tilkowski – Gerd Cyliax, Theo Redder – Dieter Kurrat, Wolfgang Paul, Rudi Assauer – Reinhard Libuda, Alfred Schmidt, Siegfried Held, Wilhelm Sturm, Lothar Emmerich.

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