Meister, Pokalsieger, Europameister: Stefan Kuntz wird 60

Im Saarland ist er geboren, als kleines Kind lebte er in Wien, sein Durchbruch als Profi glückte ihm im Ruhrpott und seine großen Erfolge feierte er in der Pfalz. Die Reise seines Fußballerlebens führte ihn bis in die Türkei, wo er mittlerweile wieder ist, nun als Nationaltrainer. Stefan Kuntz ist viel herumgekommen und hat fast alles erlebt. Eine WM, eine EM, Olympische Spiele, drei Junioren-EM-Endrunden, eine Meisterschaft und einen Pokalsieg, drei Abstiege. Er war Präsident, Manager, Trainer und vor allem natürlich Spieler. Wenn er heute seinen 60. Geburtstag feiert, kann er auf ein bewegtes Leben im Zeichen des Fußballs schauen, das einige Merkwürdigkeiten enthält.

Sein Vater Günter war Verteidiger und brachte es bei Borussia Neunkirchen zum Bundesligaspieler. Dem Sohn gab er mit auf den Weg: "Du bist nicht jeden Tag gleich gut. Nur eins kannst Du jeden Tag: kämpfen, bis es nicht mehr gut!" Und Stefan Kuntz kämpfte sich nach oben - und auf dem Platz nach vorne. Die Karriere bei Borussia startete er noch als Libero, aber schon bald brach der Stürmer in ihm durch. Sein Talent führte den robusten Kerl mit dem starken linken Fuß über die Saarlandauswahl und einen Zweitligaeinsatz über 14 Minuten für Neunkirchen 1983 in die Bundesliga.

Der VfL Bochum bekommt den Zuschlag für das umworbene Sturmtalent, das 1982/1983 mit 36 Treffern Oberliga-Torschützenkönig des Südwestens wird. Drei Jahre später trägt der Polizeihauptwachtmeister Kuntz - den Job bringt er mit dem Fußball anfangs noch unter einen Hut - diesen Titel auch in der Bundesliga. 22 Tore in der Saison 1985/1986 für einen Abstiegskandidaten - die Branche ist perplex. Seine Sternstunde ist ein Abend im Oktober 1985, als er den Bayern drei Tore reinknallt. Damals wie heute ein wahres Kunststück, der Boulevard macht daraus ein "Kuntz-Stück".

Als Torschützenkönig nicht zur WM

Muss so einer nicht für Deutschland spielen? Teamchef Franz Beckenbauer gibt dem öffentlichen Druck nach und nominiert ihn für das Qualifikationsspiel gegen die Tschechen in München, aber obwohl das WM-Ticket für Mexiko schon gelöst ist, scheut der "Kaiser" Experimente. Kuntz bleibt auf der Bank. Es ist der Anfang einer ungewöhnlichen Geschichte. Kuntz und die Nationalmannschaft - sie scheinen wie die Königskinder im Märchen nie zusammen zu kommen.

Stefan Kuntz bleibt jedenfalls in Bochum, als der Mexiko-Flieger abhebt - als erster Torschützenkönig in einem WM-Jahr. Zuschauer bleibt er auch bei der EM 1988 im eigenen Land und der glorreichen WM 1990. Nach drei Jahren bei Bayer Uerdingen ist er 1989 in die Pfalz gewechselt und schießt auf Anhieb 15 Tore, auch eins im Pokalfinale gegen Werder Bremen (3:2).

Die Medien fordern ihn, aber Deutschland fährt ohne Kuntz über den Brenner. Die Konkurrenz ist zu namhaft - an Jürgen Klinsmann und Rudi Völler kommt keiner vorbei. Das erfahren auch die Stürmer, die zur WM fahren. Ein Frank Mill spielt keine Sekunde, Andy Möller eine Nebenrolle.

Länderspieldebüt mit Hindernissen

Erst als Beckenbauer mit dem WM-Pokal abtritt, kommt Kuntz dem DFB-Trikot wieder näher. Berti Vogts, der ihm zwischen 1983 und 1985 zu vier Einsätzen in der U 21 verhilft, schaut weniger auf den Pass des Stürmers, sondern auf seine Leistungen. Im Oktober 1990 will er ihn noch mit 28 in Luxemburg debütieren lassen, doch der Kandidat sagt wegen eines doppelten Bänderrisses im Knie ab. 1991 dann wird Kaiserslautern sensationell Meister und Kuntz ist der Kapitän. Die Sportjournalisten wählen ihn zum Fußballer des Jahres, als ersten Nicht-Nationalspieler. Vogts lädt ihn zum ersten Spiel der neuen Saison ein, im September soll er in Wembley auflaufen.

Gibt es ein schöneres Stadion für ein Debüt? Kaum. Doch es kommt anders. Vier Tage vor seinem angedachten Debüt muss der FCK nach München und beim Aussteigen aus dem Bus knickt Kuntz um - Bänderriss. Am Abend greift er zum Telefon und informiert Vogts: "Ich bin gerade operiert worden. Alle drei Außenbänder am rechten Fuß waren gerissen. Nach England müsst ihr leider ohne mich fahren." Vogts ("In der zweiten Halbzeit hätte er auf jeden Fall gespielt") kann es nicht glauben: "Ich dachte zunächst, der Stefan wollte mich flachsen."

Der kicker widmet Kuntz am 9. September 1991 die Titelgeschichte. "Fußballer des Jahres - Pechvogel des Jahres" lautet die Überschrift. Seinem Reporter erzählt Kuntz aus dem Krankenbett: "Für einen in dieser Beziehung altmodischen Typen wie mich ist die Nationalmannschaft das Größte. Mir fehlen die Worte, um meine Gefühle zu beschreiben."

"Grandiose Wiederkehr"

Im Sommer 1992 fliegt Deutschland ohne Kuntz zur EM nach Schweden und wird Zweiter. Kuntz wird im folgenden Herbst, als Rudi Völler (vorläufig) zurücktritt, 32 und hakt die Nationalmannschaft ab. Karl-Heinz Riedle schließt die Völler-Lücke, ein gewisser Ulf Kirsten wird Torschützenkönig und Andy Möller ist ja auch noch da.

Nach einem schwächeren Jahr mit nur sechs Treffern kann Kuntz keine Ansprüche mehr stellen. Dann kommt die Spielzeit 1993/1994, an deren Ende die WM in den USA steht. Nach der Hälfte führt Kuntz die Torschützenliste mit weitem Vorsprung an, es ist sein dritter Frühling und der kicker schreibt von "einer grandiosen Wiederkehr". Vogts lädt ihn prompt im Dezember zum Heimspiel gegen Argentinien ein - und lässt ihn auf der Bank.

Aber diesmal ist es kein Abschied für lange, denn zur anschließenden US-Reise in Vorbereitung auf die WM nimmt Vogts ihn mit. Kuntz sagt: "Die Schnelllebigkeit des Fußballs sieht man am besten bei mir. Hätte vor einem halben Jahr jemand behauptet, der Kuntz fährt mit nach Amerika, dann hätten sich alle kaputt gelacht."

Wembley im zweiten Anlauf

Der Kuntz spielt sogar in Amerika, erst beim Vorbereitungstrip, als er am 16. Dezember 1993 in San Francisco gegen die USA (3:0) gleich trifft und mit der "Kuntz-Säge" feiert, dann bei der WM im Sommer 1994. Zu der reist er als Torschützenkönig an. Er bleibt dennoch in der zweiten Reihe, denn Völler ist wieder da und kommt nur im Achtelfinale gegen Belgien (3:2) zum Einsatz. Es passt zu seine Karriere. Er hat fast alles erlebt, aber eben in Maßen: eine WM, eine EM, eine Meisterschaft, einen Pokalsieg, einmal Fußballer des Jahres.

Für eine zweite WM ist auch keine Zeit mehr, doch zur EM nach England darf er 1996 noch fahren. Mit 33. Nun schließt sich der Kreis. Der Junge, dem sein Vater aufgetragen hat, nie aufhören zu kämpfen, kommt doch noch nach Wembley - und dort erlebt er den Höhepunkt seiner Karriere. Er wird Europameister und steht sogar in der Startformation.

Der Sieg gegen Tschechien (2:1) wird nur möglich, weil schon seine Wembley-Premiere so außerordentlich glückt. Im Halbfinale gegen die Engländer ist es Kuntz, der mit seinem Ausgleichstor mit dem schwachen rechten Fuß die Deutschen am Leben hält. Im Elfmeterschießen, vor dem sich namhafte Mitspieler zu drücken suchen, übernimmt der Mann, der nun bei Besiktas Istanbul spielt (Ablösesumme: drei Millionen D-Mark), Verantwortung.

Europameister mit 33

Er erzählt später, wie er sich motiviert hat damals auf dem Weg zum Kreidepunkt. 1996 ist er selbst ein Vater und stellt sich vor, was seinem Sohn wohl am nächsten Tag auf dem Schulhof widerfahren würde, wenn der Papa jetzt den entscheidenden Elfmeter verschießt: "Ich habe regelrecht Hass aufgebaut!" Der Hass-Elfmeter landet im Winkel.

Europameister mit 33 - da könnte man eigentlich abtreten. Aber weil ihm so viel entgangen ist an Länderspielen, bleibt er noch ein Weilchen und wird einer der ganz wenigen Nationalspieler in der Geschichte von Arminia Bielefeld. Von 1996 bis 1998 wird er Ostwestfale auf Zeit und schießt respektable 25 Tore. Vogts setzt ihn in dieser Zeit noch in zwei WM-Qualifikationsspielen ein. Im Oktober 1997 steht er beim 4:3 gegen Albanien in Hannover zum 24. und letzten Mal für Deutschland auf dem Platz. Kurz vor seinem 35. Geburtstag endet eine DFB-Karriere, die unter dem Motto eines Kalenderspruchs stehen könnte: "Das Glück kommt zu dem, der warten kann."

Der Vereinsspieler Kuntz hat ganz zum Schluss zwar noch Pech, steigt mit Bielefeld und 1999 mit Bochum erstmals im Leben ab, aber die Bundesligabilanz kann sich wahrlich sehen lassen: 449 Spiele, 179 Tore, Platz 8 in der Ewigen Torjägerliste.

Trainerkarriere mit Aufs und Abs

Er bleibt dem Fußball treu, wird Trainer und auf Anhieb mit Neunkirchen Oberligameister. In neuer Rolle erlebt er die altbekannten Höhen und Tiefen des Geschäfts. Den Karlsruher SC führt er in die 2. Liga zurück, wird dort im dritten Jahr nach einem Fehlstart entlassen. Der Versuch, Waldhof Mannheim vor dem Abstieg aus der 2. Liga zu retten, schlägt 2003 fehl, auch beim LR Ahlen wird er noch in der Hinrunde entlassen. Kuntz nimmt sich eine Auszeit und kehrt mit der Erkenntnis zurück, nicht mehr Trainer sein zu wollen, was er zum Glück für den DFB noch einmal widerrufen wird.

Zunächst aber ist er für seine Ex-Klubs VfL Bochum (2006-08 als Manager) und 1. FC Kaiserslautern (2008-2016 als Vorstandsvorsitzender) tätig, investiert viel Herzblut und erlebt auch hier Höhen und Tiefen: Aufstieg mit Bochum. Auf- und Abstieg mit dem FCK, steter Kampf gegen die Insolvenz, keine Entlastung, kein schöner Abschied. 

Highlights mit der U 21

Am 23. August 2016 finden Kuntz und der DFB - auch ein Ex, wenn man so will - zusammen. Er übernimmt die U 21 und es entsteht Großes: Europameister 2017 und - beinahe sensationell - 2021, Vize-Europameister 2019. Er macht sich einen Namen damit, ein Händchen für den Umgang mit jungen Leuten zu haben und aus wenig viel machen zu können. 2021 wird dem deutschen Aufgebot wenig zugetraut, doch es macht das Optimum daraus.

Kuntz, zwischenzeitlich auch als ARD-Experte tätig, ist einmal mehr auf dem Gipfel und er weiß warum. In der Stunde des Triumphes sagt er: "Champions gehen immer ihren Weg zu Ende." Seiner ist es noch nicht, die WM mit der Türkei hat er in den Playoffs verpasst. Doch der Junge, der einst das Kämpfen lernte, bekommt eine neue Chance und versucht sie zu nutzen. Wie in seinem ganzen Leben.

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Im Saarland ist er geboren, als kleines Kind lebte er in Wien, sein Durchbruch als Profi glückte ihm im Ruhrpott und seine großen Erfolge feierte er in der Pfalz. Die Reise seines Fußballerlebens führte ihn bis in die Türkei, wo er mittlerweile wieder ist, nun als Nationaltrainer. Stefan Kuntz ist viel herumgekommen und hat fast alles erlebt. Eine WM, eine EM, Olympische Spiele, drei Junioren-EM-Endrunden, eine Meisterschaft und einen Pokalsieg, drei Abstiege. Er war Präsident, Manager, Trainer und vor allem natürlich Spieler. Wenn er heute seinen 60. Geburtstag feiert, kann er auf ein bewegtes Leben im Zeichen des Fußballs schauen, das einige Merkwürdigkeiten enthält.

Sein Vater Günter war Verteidiger und brachte es bei Borussia Neunkirchen zum Bundesligaspieler. Dem Sohn gab er mit auf den Weg: "Du bist nicht jeden Tag gleich gut. Nur eins kannst Du jeden Tag: kämpfen, bis es nicht mehr gut!" Und Stefan Kuntz kämpfte sich nach oben - und auf dem Platz nach vorne. Die Karriere bei Borussia startete er noch als Libero, aber schon bald brach der Stürmer in ihm durch. Sein Talent führte den robusten Kerl mit dem starken linken Fuß über die Saarlandauswahl und einen Zweitligaeinsatz über 14 Minuten für Neunkirchen 1983 in die Bundesliga.

Der VfL Bochum bekommt den Zuschlag für das umworbene Sturmtalent, das 1982/1983 mit 36 Treffern Oberliga-Torschützenkönig des Südwestens wird. Drei Jahre später trägt der Polizeihauptwachtmeister Kuntz - den Job bringt er mit dem Fußball anfangs noch unter einen Hut - diesen Titel auch in der Bundesliga. 22 Tore in der Saison 1985/1986 für einen Abstiegskandidaten - die Branche ist perplex. Seine Sternstunde ist ein Abend im Oktober 1985, als er den Bayern drei Tore reinknallt. Damals wie heute ein wahres Kunststück, der Boulevard macht daraus ein "Kuntz-Stück".

Als Torschützenkönig nicht zur WM

Muss so einer nicht für Deutschland spielen? Teamchef Franz Beckenbauer gibt dem öffentlichen Druck nach und nominiert ihn für das Qualifikationsspiel gegen die Tschechen in München, aber obwohl das WM-Ticket für Mexiko schon gelöst ist, scheut der "Kaiser" Experimente. Kuntz bleibt auf der Bank. Es ist der Anfang einer ungewöhnlichen Geschichte. Kuntz und die Nationalmannschaft - sie scheinen wie die Königskinder im Märchen nie zusammen zu kommen.

Stefan Kuntz bleibt jedenfalls in Bochum, als der Mexiko-Flieger abhebt - als erster Torschützenkönig in einem WM-Jahr. Zuschauer bleibt er auch bei der EM 1988 im eigenen Land und der glorreichen WM 1990. Nach drei Jahren bei Bayer Uerdingen ist er 1989 in die Pfalz gewechselt und schießt auf Anhieb 15 Tore, auch eins im Pokalfinale gegen Werder Bremen (3:2).

Die Medien fordern ihn, aber Deutschland fährt ohne Kuntz über den Brenner. Die Konkurrenz ist zu namhaft - an Jürgen Klinsmann und Rudi Völler kommt keiner vorbei. Das erfahren auch die Stürmer, die zur WM fahren. Ein Frank Mill spielt keine Sekunde, Andy Möller eine Nebenrolle.

Länderspieldebüt mit Hindernissen

Erst als Beckenbauer mit dem WM-Pokal abtritt, kommt Kuntz dem DFB-Trikot wieder näher. Berti Vogts, der ihm zwischen 1983 und 1985 zu vier Einsätzen in der U 21 verhilft, schaut weniger auf den Pass des Stürmers, sondern auf seine Leistungen. Im Oktober 1990 will er ihn noch mit 28 in Luxemburg debütieren lassen, doch der Kandidat sagt wegen eines doppelten Bänderrisses im Knie ab. 1991 dann wird Kaiserslautern sensationell Meister und Kuntz ist der Kapitän. Die Sportjournalisten wählen ihn zum Fußballer des Jahres, als ersten Nicht-Nationalspieler. Vogts lädt ihn zum ersten Spiel der neuen Saison ein, im September soll er in Wembley auflaufen.

Gibt es ein schöneres Stadion für ein Debüt? Kaum. Doch es kommt anders. Vier Tage vor seinem angedachten Debüt muss der FCK nach München und beim Aussteigen aus dem Bus knickt Kuntz um - Bänderriss. Am Abend greift er zum Telefon und informiert Vogts: "Ich bin gerade operiert worden. Alle drei Außenbänder am rechten Fuß waren gerissen. Nach England müsst ihr leider ohne mich fahren." Vogts ("In der zweiten Halbzeit hätte er auf jeden Fall gespielt") kann es nicht glauben: "Ich dachte zunächst, der Stefan wollte mich flachsen."

Der kicker widmet Kuntz am 9. September 1991 die Titelgeschichte. "Fußballer des Jahres - Pechvogel des Jahres" lautet die Überschrift. Seinem Reporter erzählt Kuntz aus dem Krankenbett: "Für einen in dieser Beziehung altmodischen Typen wie mich ist die Nationalmannschaft das Größte. Mir fehlen die Worte, um meine Gefühle zu beschreiben."

"Grandiose Wiederkehr"

Im Sommer 1992 fliegt Deutschland ohne Kuntz zur EM nach Schweden und wird Zweiter. Kuntz wird im folgenden Herbst, als Rudi Völler (vorläufig) zurücktritt, 32 und hakt die Nationalmannschaft ab. Karl-Heinz Riedle schließt die Völler-Lücke, ein gewisser Ulf Kirsten wird Torschützenkönig und Andy Möller ist ja auch noch da.

Nach einem schwächeren Jahr mit nur sechs Treffern kann Kuntz keine Ansprüche mehr stellen. Dann kommt die Spielzeit 1993/1994, an deren Ende die WM in den USA steht. Nach der Hälfte führt Kuntz die Torschützenliste mit weitem Vorsprung an, es ist sein dritter Frühling und der kicker schreibt von "einer grandiosen Wiederkehr". Vogts lädt ihn prompt im Dezember zum Heimspiel gegen Argentinien ein - und lässt ihn auf der Bank.

Aber diesmal ist es kein Abschied für lange, denn zur anschließenden US-Reise in Vorbereitung auf die WM nimmt Vogts ihn mit. Kuntz sagt: "Die Schnelllebigkeit des Fußballs sieht man am besten bei mir. Hätte vor einem halben Jahr jemand behauptet, der Kuntz fährt mit nach Amerika, dann hätten sich alle kaputt gelacht."

Wembley im zweiten Anlauf

Der Kuntz spielt sogar in Amerika, erst beim Vorbereitungstrip, als er am 16. Dezember 1993 in San Francisco gegen die USA (3:0) gleich trifft und mit der "Kuntz-Säge" feiert, dann bei der WM im Sommer 1994. Zu der reist er als Torschützenkönig an. Er bleibt dennoch in der zweiten Reihe, denn Völler ist wieder da und kommt nur im Achtelfinale gegen Belgien (3:2) zum Einsatz. Es passt zu seine Karriere. Er hat fast alles erlebt, aber eben in Maßen: eine WM, eine EM, eine Meisterschaft, einen Pokalsieg, einmal Fußballer des Jahres.

Für eine zweite WM ist auch keine Zeit mehr, doch zur EM nach England darf er 1996 noch fahren. Mit 33. Nun schließt sich der Kreis. Der Junge, dem sein Vater aufgetragen hat, nie aufhören zu kämpfen, kommt doch noch nach Wembley - und dort erlebt er den Höhepunkt seiner Karriere. Er wird Europameister und steht sogar in der Startformation.

Der Sieg gegen Tschechien (2:1) wird nur möglich, weil schon seine Wembley-Premiere so außerordentlich glückt. Im Halbfinale gegen die Engländer ist es Kuntz, der mit seinem Ausgleichstor mit dem schwachen rechten Fuß die Deutschen am Leben hält. Im Elfmeterschießen, vor dem sich namhafte Mitspieler zu drücken suchen, übernimmt der Mann, der nun bei Besiktas Istanbul spielt (Ablösesumme: drei Millionen D-Mark), Verantwortung.

Europameister mit 33

Er erzählt später, wie er sich motiviert hat damals auf dem Weg zum Kreidepunkt. 1996 ist er selbst ein Vater und stellt sich vor, was seinem Sohn wohl am nächsten Tag auf dem Schulhof widerfahren würde, wenn der Papa jetzt den entscheidenden Elfmeter verschießt: "Ich habe regelrecht Hass aufgebaut!" Der Hass-Elfmeter landet im Winkel.

Europameister mit 33 - da könnte man eigentlich abtreten. Aber weil ihm so viel entgangen ist an Länderspielen, bleibt er noch ein Weilchen und wird einer der ganz wenigen Nationalspieler in der Geschichte von Arminia Bielefeld. Von 1996 bis 1998 wird er Ostwestfale auf Zeit und schießt respektable 25 Tore. Vogts setzt ihn in dieser Zeit noch in zwei WM-Qualifikationsspielen ein. Im Oktober 1997 steht er beim 4:3 gegen Albanien in Hannover zum 24. und letzten Mal für Deutschland auf dem Platz. Kurz vor seinem 35. Geburtstag endet eine DFB-Karriere, die unter dem Motto eines Kalenderspruchs stehen könnte: "Das Glück kommt zu dem, der warten kann."

Der Vereinsspieler Kuntz hat ganz zum Schluss zwar noch Pech, steigt mit Bielefeld und 1999 mit Bochum erstmals im Leben ab, aber die Bundesligabilanz kann sich wahrlich sehen lassen: 449 Spiele, 179 Tore, Platz 8 in der Ewigen Torjägerliste.

Trainerkarriere mit Aufs und Abs

Er bleibt dem Fußball treu, wird Trainer und auf Anhieb mit Neunkirchen Oberligameister. In neuer Rolle erlebt er die altbekannten Höhen und Tiefen des Geschäfts. Den Karlsruher SC führt er in die 2. Liga zurück, wird dort im dritten Jahr nach einem Fehlstart entlassen. Der Versuch, Waldhof Mannheim vor dem Abstieg aus der 2. Liga zu retten, schlägt 2003 fehl, auch beim LR Ahlen wird er noch in der Hinrunde entlassen. Kuntz nimmt sich eine Auszeit und kehrt mit der Erkenntnis zurück, nicht mehr Trainer sein zu wollen, was er zum Glück für den DFB noch einmal widerrufen wird.

Zunächst aber ist er für seine Ex-Klubs VfL Bochum (2006-08 als Manager) und 1. FC Kaiserslautern (2008-2016 als Vorstandsvorsitzender) tätig, investiert viel Herzblut und erlebt auch hier Höhen und Tiefen: Aufstieg mit Bochum. Auf- und Abstieg mit dem FCK, steter Kampf gegen die Insolvenz, keine Entlastung, kein schöner Abschied. 

Highlights mit der U 21

Am 23. August 2016 finden Kuntz und der DFB - auch ein Ex, wenn man so will - zusammen. Er übernimmt die U 21 und es entsteht Großes: Europameister 2017 und - beinahe sensationell - 2021, Vize-Europameister 2019. Er macht sich einen Namen damit, ein Händchen für den Umgang mit jungen Leuten zu haben und aus wenig viel machen zu können. 2021 wird dem deutschen Aufgebot wenig zugetraut, doch es macht das Optimum daraus.

Kuntz, zwischenzeitlich auch als ARD-Experte tätig, ist einmal mehr auf dem Gipfel und er weiß warum. In der Stunde des Triumphes sagt er: "Champions gehen immer ihren Weg zu Ende." Seiner ist es noch nicht, die WM mit der Türkei hat er in den Playoffs verpasst. Doch der Junge, der einst das Kämpfen lernte, bekommt eine neue Chance und versucht sie zu nutzen. Wie in seinem ganzen Leben.

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