Mediziner: "Faszienforschung ist hochinteressant für den Fußball"

Schleip: Die Faszienforschung ist aktuell eines der spannendsten Felder in der Medizin, weil es im Aufbruch ist. Ich hoffe, dass die bestehenden Kollaborationen erhalten bleiben, denn wir haben aktuell ein sehr gutes internationales Netzwerk. Unsere Ulmer Faszienforschergruppe hat daher den Spruch geprägt: "Wer das Netzwerkorgan Faszien verstehen will, der tut gut daran, auch selbst ein guter Netzwerker zu werden und nicht ein isolierter Einzelkämpfer." Gerade in so einem frühen Status braucht man Austausch. Deshalb bin ich froh, über jeden Termin, bei dem ich mich mit praxiserfahrenen Profis zu dem Thema austauschen kann, wie hier bei den Physiotherapeuten der Jugend-Nationalmannschaften. Denn es ist auch wichtig für mich, Feedback aus der Praxis zu bekommen.

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Der DFB ist bekannt dafür, offen zu sein. Alles, was zur Leistungsoptimierung beitragen kann, wird untersucht und bewertet. Das gilt für die A-Nationalmannschaft genauso wie für den Nachwuchsbereich.

Als sich nun am 28. und 29. Januar die Funktionsteams der U-Nationalmannschaften zu ihrer jährlichen Tagung trafen, war es mal wieder soweit. Den anwesenden Physiotherapeuten der U 15 bis U 21 – immerhin knapp 30 Personen – wurde ein besonderer Vortrag zuteil. Es ging um die "neuesten Erkenntnisse der Faszienforschung", aktuell eines der interessantesten und faszinierendsten Felder der Medizin. Mit Dr. Robert Schleip konnte einer der führenden Fachmänner in Deutschland als Referent gewonnen werden.

Nach seinem Vortrag stand er noch für ein Interview bereit. Im DFB.de-Gespräch mit Redakteur Peter Scheffler erklärt Schleip, worum es sich bei den Faszien handelt, weshalb sie für Fußballer wichtig sind und wie man sie trainieren kann.

DFB.de: Herr Dr. Schleip, die Faszienforschung ist auf dem Vormarsch. Trotzdem gibt es noch viele Menschen in Deutschland, denen das Thema vollkommen fremd ist. Klären Sie uns auf: Was sind Faszien?

Dr. Robert Schleip: Die Faszien sind keine neue Erfindung. Es handelt sich um muskuläres Bindegewebe. Also um kollagene Fasern, die Häute bilden oder sich verdichten. Jeder, der schon einmal beim Metzger Fleisch gekauft hat und sich über die weiße oder halb-transparente Haut um die Muskeln herum gewundert hat, kennt das. Neu ist nur die Sichtweise seit dem ersten Faszienkongress 2007 an der Harvard Medical School in Boston. Seitdem beinhaltet der Faszienbegriff alle faserigen Bindegewebe, deren Morphologie durch Zugspannung bestimmt ist, egal ob es eine Sehne oder Kapsel ist. Die Achillessehne ist beispielsweise auch nichts anderes als eine verlängerte fasziale Muskehülle.

DFB.de: Was bewirken Faszien im Körper?

Schleip: Früher meinte man, es handele sich in erster Linie um ein reines Verpackungsorgan. Deshalb haben Mediziner es wegprepariert, um dann den "richtigen Körper" zu untersuchen. Mittlerweile weiß man, dass das ein schändlicher Fehler war und fängt an, die Faszien genauer zu erforschen. Was wir nun schon wissen, ist, dass die Faszien ganz entscheidend sind für die Kraftübertragung unserer Muskeln.

DFB.de: Haben wir eine Revolution in der Medizin zu erwarten?

Schleip: Nein, soweit will ich nicht gehen. Wir müssen die Anatomiebücher nicht neu erfinden, aber zumindest um ein wichtiges Element ergänzen. Heilpraktiker, die bereits mit unterschiedlichen Werkzeugen wie Schröpfköpfen oder mit Bindegewebsmassagen gearbeitet haben, sind von dem aktuellen Hype total überrascht, weil sie schon lange unter anderem Namen Faszien behandelt haben, ohne das detailliert messen zu können. Und gerade im Sport bieten sich mit den neuen Erkenntnissen sehr viele neue Chancen.

DFB.de: Welche sind das?

Schleip: Die meisten Überlastungsschäden im Sport resultieren aus Überforderungen der kollagenen Faszien, denn meistens sind weder Muskelfasern oder Knochen betroffen, sondern kollagene Bänder, Kapseln oder Sehnen. Selbst die sogenannten Muskelfaserrisse sind übrigens fast immer Schäden in den kollagenen Bindegewebsanteilen eines Muskels und nicht in den roten muskulären Faserelementen. Deswegen ist es sinnvoll zu wissen, wie man das weiße Bindegewebe besser trainieren und kräftigen kann.

DFB.de: Das wäre die nächste Frage gewesen…

Schleip: Es kommt darauf an, ob es sich um sehniges Gewebe, wie zum Beispiel die Achillessehne handelt, oder um das Gewebe innerhalb des Muskels. Für das sehnige Bindegewebe braucht man anscheinend hochdosierte Belastungen, was aber auch Gefahren birgt, denn man muss dann ungefähr 30 Prozent unter der maximalen Belastungsgrenze trainieren, damit in den Bindegewebszellen der Reiz auch ankommt und diese beginnen mehr Kollagen zu produzieren. Da sich hier vor allem federnde Bewegungen anbieten, kommt man schnell zu Übungen aus der Gymnastik- und Turnbewegung unserer Großeltern. Also: Mottenkiste öffnen, Übungen rausholen, mit den neuen Erkenntnissen abgleichen, und damit dann wohl dosiert das Bindegewebe kräftigen.

DFB.de: Wie oft sollte ein Faszientraining angesetzt werden?

Schleip: Das Faszientraining sollte nur als Ergänzung zum bisherigen Training gesehen werden. Zweimal die Woche reicht vollkommen aus, da den Fibroblasten – also den Bindegewebszellen in den Faszien - Wachstumsreize gegeben werden, so dass sie in den zwei bis drei Tagen nach dem Training vermehrt neues und frisches Kollagen produzieren, das an diese Art der Belastung besser angepasst ist

DFB.de: Können Sie die Trainingsinhalte noch genauer definieren?

Schleip: Faszien trainiert man einerseits mit federndem Koordinationstraining, wobei nicht primär die Muskeln, sondern die Bänder und Sehnen angesprochen werden. Ein gutes Beispiel für Sportler mit stark ausgebildeter Faszienstruktur sind die erfolgreichen afrikanischen Langstreckenläufer. Sie haben nicht kräftigere Muskeln als die Europäer, dafür aber besser ausgebildete Sehnen, die eine höhere elastische Speicherkapazität für Bewegungsenergie haben. Neben der Genetik kommt das bei vielen dieser Läufer auch durch ein spezielles Training im Wachstumsalter mit viel Hopserläufen, Barfußarbeit, Geländeläufen, Rückwärtslaufen, rhythmischen Sprungvariationen und mehr.

DFB.de: Was kann Faszientraining speziell im Bereich Fußball bewirken?

Schleip: Ich hoffe, dass es sein Versprechen einhält, nämlich dass sinnvolles Faszientraining auch zu weniger Verletzungen im Bindegewebe führt. Dafür haben wir zwar solide Hinweise aus Grundlagenstudien an Tieren und Zellkulturen. Den Beweis dafür, dass das in der Tat auch beim Menschen und besonders im Leistungssport zutrifft, sind wir noch schuldig. Das geht nur im Rahmen einer methodisch sauber gestrickten klinischen Studie. Neueste Forschungen aus Frankreich haben außerdem ergeben, dass die Schnellkraft der Beine bei Sprungbewegungen viel weniger von den Muskeln abhängt als von der Federungskapazität des Bindegewebes. Diese Eigenschaften sind in den Faszien im Bein trainierbar und deshalb hochinteressant für die Sportwissenschaft und den Fußball.

DFB.de: Wie abhängig ist die Faszienstruktur vom Wachstum beziehungsweise wo macht ein Training mehr Sinn, bei Erwachsenen oder bei Jugendlichen?

Schleip: Bei den Jugendlichen wächst noch viel mehr Kollagen Typ 1. Das ist besonders in der Achillessehne auffällig. Deshalb sollte man gerade bei Jugendlichen schauen, wie man das kollagene Wachstum durch gezieltes Training fördern kann. Das bedeutet aber nicht, dass es für Erwachsene nicht auch wichtig ist. Allerdings braucht es immer ein paar Monate bis sich die Faszien-Struktur anpasst, das geht nicht in wenigen Wochen. Dafür ist die kollagene Strukturanpassung aber auch länger beständig als ein trainingsbedingtes muskuläres Wachstum.

DFB.de: Wie merke ich, ob meine Faszien gut oder schlecht trainiert sind?

Schleip: Das kann man vor allem bei unbewussten Bewegungen im Alltag gut erkennen. Wer so federleicht läuft, dass man ihn jünger schätzt, der hat zumeist gute Faszien-Anlagen. Wer eher wie ein hölzernes Trampeltier auftritt, sollte an seinen Faszien arbeiten. Man kann das sogar gut im Fitnessstudio kombinieren: Erst macht man Geräteübungen für die Maximalkraft mit viel Gewicht, dann nimmt man Gewicht weg und macht die gleiche Übung mit geschmeidigeren und leicht federnden Bewegungen.

DFB.de: Die Faszienforschung ist ein noch junges Forschungsfeld. Wie geht es weiter?

Schleip: Die Faszienforschung ist aktuell eines der spannendsten Felder in der Medizin, weil es im Aufbruch ist. Ich hoffe, dass die bestehenden Kollaborationen erhalten bleiben, denn wir haben aktuell ein sehr gutes internationales Netzwerk. Unsere Ulmer Faszienforschergruppe hat daher den Spruch geprägt: "Wer das Netzwerkorgan Faszien verstehen will, der tut gut daran, auch selbst ein guter Netzwerker zu werden und nicht ein isolierter Einzelkämpfer." Gerade in so einem frühen Status braucht man Austausch. Deshalb bin ich froh, über jeden Termin, bei dem ich mich mit praxiserfahrenen Profis zu dem Thema austauschen kann, wie hier bei den Physiotherapeuten der Jugend-Nationalmannschaften. Denn es ist auch wichtig für mich, Feedback aus der Praxis zu bekommen.