Hannelore Ratzeburg: "Wir können und wollen noch mehr"

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: die für den Frauenfußball zuständige DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg. Am 22. Oktober 1995 wurde sie in den DFB-Vorstand gewählt, in dem sie heute, 25 Jahre später, immer noch sitzt.

Die Geschichte des deutschen Frauenfußballs ist untrennbar mit der Geschichte von Hannelore Ratzeburg verbunden. Die DFB-Vizepräsidentin hat die Entwicklung dieser Sportart geprägt - national, aber auch international. Dass Frauenfußball in Deutschland heute eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz findet, war vor fünf Jahrzehnten noch undenkbar und ist auch ihr Verdienst.

Alles beginnt im Jahre 1970. In Deutschland sind die Auswirkungen der 68er-Studentenbewegung noch deutlich zu spüren. Sozialpädagogikstudentin Hannelore Ratzeburg ist gerade 19 Jahre alt. Sie begleitet ihren damaligen Partner zu einer Veranstaltung seines Fußballklubs, als sie zum ersten Mal auf das Thema Frauenfußball stößt. "Eine sagte: Habt ihr auch gelesen, dass Frauen jetzt Fußball spielen dürfen?", erinnert sich Ratzeburg. "Und ich dachte: Das ist ja spannend." Als vorgeschlagen wird, das Ganze einmal selbst auszuprobieren, ist sie sofort mit von der Partie.

"Erst wurde ich beschimpft, dann kam ich an den Vorstandstisch"

Die Anfänge sind holprig, niemand von den Frauen beim Hamburger Verein SV West-Eimsbüttel kennt sich aus mit Technik und Taktik. Und doch probieren sie es, gegen alle Widerstände, tragen 1971 gar schon Punktspiele aus. Argwöhnisch beäugt von den Männern. "Die dachten: Lass sie nur, in zwei Jahren ist das eh wieder vorbei", erzählt Ratzeburg. Doch die junge Studentin will mehr. Sie nimmt an der Hauptversammlung des SV West-Eimsbüttel teil, fordert hochwertige Bälle und Trikots für ihre Frauenmannschaft und die Meldung zum Spielbetrieb. Es wird schließlich turbulent, denn Frauen und Fußballspielen passt für viele nicht zusammen. Überraschend wird sie dann aufgefordert, erst mal selbst aktiv im Verein mitzuarbeiten. Noch am gleichen Abend wird Ratzeburg von den Mitgliedern in den Vorstand gewählt. Da ist sie ist knapp 20. "Erst wurde ich beschimpft, dann kam ich an den Vorstandstisch. Ich dachte nur: Ist ja ehrenamtlich, ich kann ja wieder gehen, wenn es mir nicht gefällt", erzählt sie. Sie bleibt. Und ist die erste und einzige Frau dort. Ein Zustand, der sie während ihrer ganzen Laufbahn begleiten wird. Egal, wo sich Hannelore Ratzeburg auch für den Frauenfußball einsetzt, stets ist sie die erste Frau.

Hannelore Ratzeburg ist wissbegierig, bildet sich in Sachen Fußball weiter, ist diszipliniert und willensstark. Sie spielt selbst, macht die C-Lizenz und trainiert eine Mädchenmannschaft, ist Schiedsrichterin und Abteilungsleiterin im Verein. Fünf Jahre später wechselt sie mit allen Frauen- und Mädchenmannschaften zum Nachbarverein Grün-Weiß Eimsbüttel, weil sie dort bessere Bedingungen ausgehandelt hat: Eine eigene Abteilung, einen eigenen Etat, gute Trainingszeiten, qualifizierte Trainerinnen und Trainer. Sie wird 1972 Gründungsmitglied des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im Hamburger Fußball-Verband und 1980 in das Präsidium gewählt. Ihre berufliche Karriere treibt sie parallel voran, beendet 1977 ihr Studium und arbeitet als Diplom-Sozialpädagogin, zunächst in der offenen Jugendarbeit. 1979 wechselt sie in den Schuldienst, unterrichtet Vorschulkinder und ist nach kurzer Zeit zusätzlich Dozentin am Institut für Lehrerfortbildung.

Im Jahr 1977 wird sie in den DFB-Spielausschuss gewählt, ist nun Referentin für Frauenfußball. Sie hilft Strukturen aufzubauen und ergänzend zur Deutschen Meisterschaft weitere Wettbewerbe für Frauen zu schaffen. DFB-Pokal, Länderpokal und die Frauen-Bundesliga, sie bleibt trotz vieler Skeptiker unbeirrbar. 1980 wird bei der UEFA eine Kommission für Frauenfußball gegründet - mit ihr. Sie ist dabei, als beschlossen wird, eine Frauen-Europameisterschaft auszutragen, setzt sich für die Gründung der Frauen-Nationalmannschaft in Deutschland ein und erlebt diese hautnah mit. 1982 wird das erste Länderspiel der DFB-Auswahl zwischen Deutschland und der Schweiz in Koblenz ausgetragen. Ratzeburg sitzt mit einem flauen Gefühl im Magen im Zug. "Ich hatte Angst, dass es in die Hose geht", erinnert sie sich. "Ich dachte: Wenn das jetzt nicht funktioniert und wir eine Packung bekommen, dann werden sich die vielen Kritiker bestätigt fühlen. Viele haben doch nur darauf gewartet, dass es schief geht." Es geht gut. Die DFB-Auswahl gewinnt 5:1.

Deutschland-Fahnen am Fenster: "Das war grandios, etwas ganz Neues"

Die Entwicklung geht rasant weiter. Da die Aufgaben immer umfangreicher werden, kann sie diese nicht mehr allein im Spielausschuss bewältigen, 1989 wird der Ausschuss für Frauenfußball im DFB gegründet, dessen Vorsitzende Hannelore Ratzeburg wird. Im selben Jahr qualifiziert sich die Frauen-Nationalmannschaft das erste Mal für die Finalrunde der Europameisterschaft. Ratzeburg setzt sich dafür ein, dass der DFB die EM in Deutschland ausrichtet. Das Halbfinale gegen Italien in Siegen, das nach Verlängerung und Elfmeterschießen gewonnen wird, ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Frauenfußballs. Zum ersten Mal wird ein Fußballspiel der Frauen live im Fernsehen übertragen.

Ratzeburg sitzt auf der Tribüne in der ersten Reihe, zittert mit und erlebt eine nie dagewesene Euphorie. "Ich weiß noch, dass wir nach dem Italien-Spiel zurück nach Kaiserau in die Sportschule gefahren sind, wo alle vier Mannschaften untergebracht waren, und die Leute auf der Strecke dorthin Deutschland-Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten", erinnert sie sich. "Das war grandios, etwas ganz Neues." Wenige Tage später dann in Osnabrück: Vor 23.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im ausverkauften Stadion, der erste EM-Titel mit einem 4:1 gegen Norwegen. Unvergesslich.

"Symbol der rasanten Entwicklung des Frauenfußballs"

Es geht weiter. 1990 wird die FIFA-Kommission für Frauenfußball gegründet. Ratzeburg reist nach Zürich, tritt in den Tagungsraum und dreht sich auf dem Absatz wieder um. "Ich dachte, hier bin ich falsch, denn da saßen nur Männer. Das konnte ja nicht sein." Sepp Blatter, damals noch FIFA-Generalsekretär, hält sie auf. "Doch, doch, Frau Ratzeburg, hier sind sie richtig." Wieder ist sie die erste Frau im Gremium. Der Frauenfußball entwickelt sich rasant weiter – und Hannelore Ratzeburg ist in allen wichtigen Ausschüssen vertreten, gestaltet mit und ist dabei als 1991 in China die erste Frauen-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Vier Jahre später ein weiterer bedeutender Moment: Die Hamburgerin wird in den DFB-Vorstand gewählt. Als erste Frau überhaupt.

Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta findet das erste Frauenfußball-Turnier statt, Ratzeburg begleitet die DFB-Auswahl. 2003 dann wird das Team in den USA zum ersten Mal Weltmeister. Ratzeburg ist dabei, auch vier Jahre später, als in China der zweite WM-Titel geholt wird. Die Polizei-Eskorte vom Flughafen und die anschließenden begeisternden Empfänge vor tausenden Zuschauern auf dem Römerberg in Frankfurt und das große Interesse der Bevölkerung - Ratzeburg wertet das als Anerkennung für die Leistung der Fußballerinnen.

2007 wird sie ins DFB-Präsidium gewählt, ist Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball. Der Ausschuss für Frauenfußball und der Ausschuss für Mädchenfußball werden schließlich zum Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball zusammengeführt. Zwei Jahre später zeichnet sie der damalige Bundespräsident Horst Köhler mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus. "Sie ist Pionierin und Symbol der rasanten Entwicklungsgeschichte des Frauenfußballs", sagt er. Am 21. Juni 2011, fünf Tage vor Beginn der WM in Deutschland, bekommt Ratzeburg in Wiesbaden den renommierten Elisabeth-Selbert-Preis, von der Hessischen Landesregierung verliehen. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner bringt es auf den Punkt: "Der große Enthusiasmus von Hannelore Ratzeburg und ihre Hartnäckigkeit haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist. Damit hat sie, wie die Namensgeberin des Elisabeth-Selbert-Preises, ein Stück Gleichberechtigungsgeschichte geschrieben."

Immer nah am Fußball

Die Heim-WM 2011 erlebt Hannelore Ratzeburg als weiteren Meilenstein. Noch nie hat eine Frauen-WM eine so große Reichweite, noch nie hat ein Turnier so viele Menschen weltweit bewegt. Ausverkaufte Stadien, weltweite TV-Übertragungen, die Titelseiten kennen nur ein Thema. Frauenfußball ist nun mitten in der Gesellschaft angekommen. "Das war ein einzigartiges Erlebnis", sagt Ratzeburg, die das bittere Viertelfinal-Aus der deutschen Auswahl im Wolfsburger Stadion erlebt. Zwei Jahre später folgt der Triumph von Schweden, als Silvia Neid mit einem jungen Team den achten EM-Titel gewinnt.

2016 ist Ratzeburg maßgeblich daran beteiligt, ein Leadership-Programm für Frauen im Fußball aufzulegen, um mehr Frauen zu animieren, Aufgaben in Vereinen und Verbänden zu übernehmen. Im selben Jahr erlebt sie in Rio den ersten Olympiasieg einer deutschen Auswahl. Und wieder ist Hannelore Ratzeburg als Delegationsleiterin dabei - nah am Team, nah an den Spielerinnen, nah am Fußball.

Eine Funktionärin, die nie vergessen hat, wo ihre Wurzeln sind. Wie alles begann. Und was noch zu tun ist. "Unser oberstes Ziel muss es sein, nicht mehr von Respekt und Würdigung und so etwas überhaupt reden zu müssen, das muss alles selbstverständlich sein", sagt sie. "Es hat sich viel getan in den fünf Jahrzehnten, vieles ist bewegt worden und hat sich zum Positiven entwickelt. Aber wir können und wollen noch mehr." Die Energie, die Leidenschaft, die Motivation der Hannelore Ratzeburg sind ungebrochen: Heute wie damals vor 50 Jahren.

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Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs - er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert - damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute: die für den Frauenfußball zuständige DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg. Am 22. Oktober 1995 wurde sie in den DFB-Vorstand gewählt, in dem sie heute, 25 Jahre später, immer noch sitzt.

Die Geschichte des deutschen Frauenfußballs ist untrennbar mit der Geschichte von Hannelore Ratzeburg verbunden. Die DFB-Vizepräsidentin hat die Entwicklung dieser Sportart geprägt - national, aber auch international. Dass Frauenfußball in Deutschland heute eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz findet, war vor fünf Jahrzehnten noch undenkbar und ist auch ihr Verdienst.

Alles beginnt im Jahre 1970. In Deutschland sind die Auswirkungen der 68er-Studentenbewegung noch deutlich zu spüren. Sozialpädagogikstudentin Hannelore Ratzeburg ist gerade 19 Jahre alt. Sie begleitet ihren damaligen Partner zu einer Veranstaltung seines Fußballklubs, als sie zum ersten Mal auf das Thema Frauenfußball stößt. "Eine sagte: Habt ihr auch gelesen, dass Frauen jetzt Fußball spielen dürfen?", erinnert sich Ratzeburg. "Und ich dachte: Das ist ja spannend." Als vorgeschlagen wird, das Ganze einmal selbst auszuprobieren, ist sie sofort mit von der Partie.

"Erst wurde ich beschimpft, dann kam ich an den Vorstandstisch"

Die Anfänge sind holprig, niemand von den Frauen beim Hamburger Verein SV West-Eimsbüttel kennt sich aus mit Technik und Taktik. Und doch probieren sie es, gegen alle Widerstände, tragen 1971 gar schon Punktspiele aus. Argwöhnisch beäugt von den Männern. "Die dachten: Lass sie nur, in zwei Jahren ist das eh wieder vorbei", erzählt Ratzeburg. Doch die junge Studentin will mehr. Sie nimmt an der Hauptversammlung des SV West-Eimsbüttel teil, fordert hochwertige Bälle und Trikots für ihre Frauenmannschaft und die Meldung zum Spielbetrieb. Es wird schließlich turbulent, denn Frauen und Fußballspielen passt für viele nicht zusammen. Überraschend wird sie dann aufgefordert, erst mal selbst aktiv im Verein mitzuarbeiten. Noch am gleichen Abend wird Ratzeburg von den Mitgliedern in den Vorstand gewählt. Da ist sie ist knapp 20. "Erst wurde ich beschimpft, dann kam ich an den Vorstandstisch. Ich dachte nur: Ist ja ehrenamtlich, ich kann ja wieder gehen, wenn es mir nicht gefällt", erzählt sie. Sie bleibt. Und ist die erste und einzige Frau dort. Ein Zustand, der sie während ihrer ganzen Laufbahn begleiten wird. Egal, wo sich Hannelore Ratzeburg auch für den Frauenfußball einsetzt, stets ist sie die erste Frau.

Hannelore Ratzeburg ist wissbegierig, bildet sich in Sachen Fußball weiter, ist diszipliniert und willensstark. Sie spielt selbst, macht die C-Lizenz und trainiert eine Mädchenmannschaft, ist Schiedsrichterin und Abteilungsleiterin im Verein. Fünf Jahre später wechselt sie mit allen Frauen- und Mädchenmannschaften zum Nachbarverein Grün-Weiß Eimsbüttel, weil sie dort bessere Bedingungen ausgehandelt hat: Eine eigene Abteilung, einen eigenen Etat, gute Trainingszeiten, qualifizierte Trainerinnen und Trainer. Sie wird 1972 Gründungsmitglied des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im Hamburger Fußball-Verband und 1980 in das Präsidium gewählt. Ihre berufliche Karriere treibt sie parallel voran, beendet 1977 ihr Studium und arbeitet als Diplom-Sozialpädagogin, zunächst in der offenen Jugendarbeit. 1979 wechselt sie in den Schuldienst, unterrichtet Vorschulkinder und ist nach kurzer Zeit zusätzlich Dozentin am Institut für Lehrerfortbildung.

Im Jahr 1977 wird sie in den DFB-Spielausschuss gewählt, ist nun Referentin für Frauenfußball. Sie hilft Strukturen aufzubauen und ergänzend zur Deutschen Meisterschaft weitere Wettbewerbe für Frauen zu schaffen. DFB-Pokal, Länderpokal und die Frauen-Bundesliga, sie bleibt trotz vieler Skeptiker unbeirrbar. 1980 wird bei der UEFA eine Kommission für Frauenfußball gegründet - mit ihr. Sie ist dabei, als beschlossen wird, eine Frauen-Europameisterschaft auszutragen, setzt sich für die Gründung der Frauen-Nationalmannschaft in Deutschland ein und erlebt diese hautnah mit. 1982 wird das erste Länderspiel der DFB-Auswahl zwischen Deutschland und der Schweiz in Koblenz ausgetragen. Ratzeburg sitzt mit einem flauen Gefühl im Magen im Zug. "Ich hatte Angst, dass es in die Hose geht", erinnert sie sich. "Ich dachte: Wenn das jetzt nicht funktioniert und wir eine Packung bekommen, dann werden sich die vielen Kritiker bestätigt fühlen. Viele haben doch nur darauf gewartet, dass es schief geht." Es geht gut. Die DFB-Auswahl gewinnt 5:1.

Deutschland-Fahnen am Fenster: "Das war grandios, etwas ganz Neues"

Die Entwicklung geht rasant weiter. Da die Aufgaben immer umfangreicher werden, kann sie diese nicht mehr allein im Spielausschuss bewältigen, 1989 wird der Ausschuss für Frauenfußball im DFB gegründet, dessen Vorsitzende Hannelore Ratzeburg wird. Im selben Jahr qualifiziert sich die Frauen-Nationalmannschaft das erste Mal für die Finalrunde der Europameisterschaft. Ratzeburg setzt sich dafür ein, dass der DFB die EM in Deutschland ausrichtet. Das Halbfinale gegen Italien in Siegen, das nach Verlängerung und Elfmeterschießen gewonnen wird, ist ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Frauenfußballs. Zum ersten Mal wird ein Fußballspiel der Frauen live im Fernsehen übertragen.

Ratzeburg sitzt auf der Tribüne in der ersten Reihe, zittert mit und erlebt eine nie dagewesene Euphorie. "Ich weiß noch, dass wir nach dem Italien-Spiel zurück nach Kaiserau in die Sportschule gefahren sind, wo alle vier Mannschaften untergebracht waren, und die Leute auf der Strecke dorthin Deutschland-Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten", erinnert sie sich. "Das war grandios, etwas ganz Neues." Wenige Tage später dann in Osnabrück: Vor 23.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im ausverkauften Stadion, der erste EM-Titel mit einem 4:1 gegen Norwegen. Unvergesslich.

"Symbol der rasanten Entwicklung des Frauenfußballs"

Es geht weiter. 1990 wird die FIFA-Kommission für Frauenfußball gegründet. Ratzeburg reist nach Zürich, tritt in den Tagungsraum und dreht sich auf dem Absatz wieder um. "Ich dachte, hier bin ich falsch, denn da saßen nur Männer. Das konnte ja nicht sein." Sepp Blatter, damals noch FIFA-Generalsekretär, hält sie auf. "Doch, doch, Frau Ratzeburg, hier sind sie richtig." Wieder ist sie die erste Frau im Gremium. Der Frauenfußball entwickelt sich rasant weiter – und Hannelore Ratzeburg ist in allen wichtigen Ausschüssen vertreten, gestaltet mit und ist dabei als 1991 in China die erste Frauen-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Vier Jahre später ein weiterer bedeutender Moment: Die Hamburgerin wird in den DFB-Vorstand gewählt. Als erste Frau überhaupt.

Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta findet das erste Frauenfußball-Turnier statt, Ratzeburg begleitet die DFB-Auswahl. 2003 dann wird das Team in den USA zum ersten Mal Weltmeister. Ratzeburg ist dabei, auch vier Jahre später, als in China der zweite WM-Titel geholt wird. Die Polizei-Eskorte vom Flughafen und die anschließenden begeisternden Empfänge vor tausenden Zuschauern auf dem Römerberg in Frankfurt und das große Interesse der Bevölkerung - Ratzeburg wertet das als Anerkennung für die Leistung der Fußballerinnen.

2007 wird sie ins DFB-Präsidium gewählt, ist Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball. Der Ausschuss für Frauenfußball und der Ausschuss für Mädchenfußball werden schließlich zum Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball zusammengeführt. Zwei Jahre später zeichnet sie der damalige Bundespräsident Horst Köhler mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus. "Sie ist Pionierin und Symbol der rasanten Entwicklungsgeschichte des Frauenfußballs", sagt er. Am 21. Juni 2011, fünf Tage vor Beginn der WM in Deutschland, bekommt Ratzeburg in Wiesbaden den renommierten Elisabeth-Selbert-Preis, von der Hessischen Landesregierung verliehen. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner bringt es auf den Punkt: "Der große Enthusiasmus von Hannelore Ratzeburg und ihre Hartnäckigkeit haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist. Damit hat sie, wie die Namensgeberin des Elisabeth-Selbert-Preises, ein Stück Gleichberechtigungsgeschichte geschrieben."

Immer nah am Fußball

Die Heim-WM 2011 erlebt Hannelore Ratzeburg als weiteren Meilenstein. Noch nie hat eine Frauen-WM eine so große Reichweite, noch nie hat ein Turnier so viele Menschen weltweit bewegt. Ausverkaufte Stadien, weltweite TV-Übertragungen, die Titelseiten kennen nur ein Thema. Frauenfußball ist nun mitten in der Gesellschaft angekommen. "Das war ein einzigartiges Erlebnis", sagt Ratzeburg, die das bittere Viertelfinal-Aus der deutschen Auswahl im Wolfsburger Stadion erlebt. Zwei Jahre später folgt der Triumph von Schweden, als Silvia Neid mit einem jungen Team den achten EM-Titel gewinnt.

2016 ist Ratzeburg maßgeblich daran beteiligt, ein Leadership-Programm für Frauen im Fußball aufzulegen, um mehr Frauen zu animieren, Aufgaben in Vereinen und Verbänden zu übernehmen. Im selben Jahr erlebt sie in Rio den ersten Olympiasieg einer deutschen Auswahl. Und wieder ist Hannelore Ratzeburg als Delegationsleiterin dabei - nah am Team, nah an den Spielerinnen, nah am Fußball.

Eine Funktionärin, die nie vergessen hat, wo ihre Wurzeln sind. Wie alles begann. Und was noch zu tun ist. "Unser oberstes Ziel muss es sein, nicht mehr von Respekt und Würdigung und so etwas überhaupt reden zu müssen, das muss alles selbstverständlich sein", sagt sie. "Es hat sich viel getan in den fünf Jahrzehnten, vieles ist bewegt worden und hat sich zum Positiven entwickelt. Aber wir können und wollen noch mehr." Die Energie, die Leidenschaft, die Motivation der Hannelore Ratzeburg sind ungebrochen: Heute wie damals vor 50 Jahren.

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