Schönweitz: "Vizeeuropameisterschaft der U 21 ist ein Gewinn"

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den DFB-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute: Meikel Schönweitz, Cheftrainer der U-Nationalmannschaften. Er beobachtete die U 21 bei der EM in Italien und San Marino vor Ort, ordnet die Leistungen ein und sagt, was es für den deutschen Nachwuchs bedeutet.

Was gibt es für einen Fußballer eigentlich Schöneres, als ein Finale bei einem großen Turnier zu spielen? Unsere U 21-Nationalmannschaft hat sich dank einer tollen Arbeit in den vergangenen zwei Jahren sowie einer klasse Turnierleistung in Italien und San Marino für das EM-Endspiel qualifiziert. Im Finale unterlag das Team von DFB-Trainer Stefan Kuntz den starken Individualisten aus Spanien denkbar knapp mit 1:2. Zwei Fragen werden mir seitdem immer wieder gestellt: Wie ist diese Leistung in der Gesamtsituation im deutschen Fußball einzuordnen, und wie kam sie eigentlich zustande?

Ich möchte dies differenziert betrachten, denn es gibt nicht nur "schwarz" und "weiß". Im Jahr 2017 holte der DFB den Confed-Cup und die U 21-Europameisterschaft. Ganz Europa beneidete uns um unsere vielen Talente. Ein Jahr später wiesen die Bundesligateams in den europäischen Wettbewerben leider eine schlechte Bilanz auf, und wir schieden bei der WM in Russland in der Gruppenphase aus. Deutschland - so die Wahrnehmung - lag am Boden und befand sich in einer Krise. Nun, 2019, erreicht die U 21 das EM-Finale, qualifiziert sich für Olympia 2020 in Tokio und die Mannschaft weist eine makellose Bilanz in der EM-Quali auf. Es scheint, als sei plötzlich alles wieder gut. Hierbei wird mir zu sehr in Extremen gedacht.

Wir sind gut aufgestellt, vielleicht etwas zu gut

Betrachten wir die Situation lieber sachlich und analytisch. Wir sind gut aufgestellt, vielleicht sogar etwas zu gut, weil zu professionell - und wir sind allein aufgrund der Größe unseres Landes in der Lage, gute Nationalmannschaften zusammenzustellen. Wir haben auch keine Krise. Aber was ist unser Anspruch? Wir möchten mit den Nationalmannschaften zurück an die Weltspitze und einen Beitrag zur erfolgreichen Positionierung des deutschen Fußballs leisten. Wir möchten den Talentpool in Deutschland optimal ausschöpfen. Wir möchten - gemeinsam mit den Vereinen - Spitzenspieler ausbilden. Was Aufwand und Ertrag betrifft, sind uns andere Nationen derzeit voraus. Ebenso, was die individuelle Qualität der Spieler angeht. Und wir sehen Tendenzen, dass sich das künftig noch verstärken könnte.

Das bedeutet weder, dass wir in ein Extrem verfallen müssen, noch dass wir keine guten Nachwuchsspieler haben. Es lässt sich schlichtweg konstatieren, dass unser Ausbildungssystem deutliche Defizite aufweist, auf die wir derzeit bundesweit aufmerksam machen. An den richtigen Stellschrauben zu drehen, ist eine große Herausforderung, weil viele verschiedene Institutionen und Verantwortliche daran beteiligt sind und unterschiedliche Interessen verfolgen. Es kostet nun einmal Zeit, die Argumente auszutauschen und die Mehrheiten für die richtigen Lösungen zu bündeln. Es bedarf mutiger Schritte, wenn wir unser System anpassen möchten. Denn, um bei der U 21 zu bleiben, es muss uns früher gelingen, die Luca Waldschmidts, Marco Richters, Maxi Eggesteins und Florian Neuhaus' zu erkennen und ihrem Alter und ihrem Können angemessen zu fördern.

Mentalität und Spielfreude, gepaart mit Teamplayer-Eigenschaften

Allein schon weil sehr viele U 21-Spieler eine sensationelle Entwicklung rund um das Turnier genommen haben, war es ein Erfolg. Aber auch so ist diese Vizeeuropameisterschaft ein Gewinn. Die Art und Weise, wie die Jungs Deutschland repräsentiert haben, war hervorragend, vor allem ihre Mentalität und Spielfreude, gepaart mit Teamplayer-Eigenschaften. All das ist auch der Kaderzusammenstellung und der Arbeit von Stefan Kuntz und seinem Funktionsteam zu verdanken. Sie haben diese Persönlichkeiten gefördert. Um die sportlichen Qualitäten zu entwickeln, bedurfte es eines klaren taktischen Plans, der auf die Fähigkeiten der Spieler abgestimmt war. Es bedurfte Mut, die Spieler auch mal Fehler machen zu lassen, ihnen Freiheiten zu geben, sich als Mannschaft zusammenzufinden. Diesen Prozess galt es zu steuern, zu begleiten, aber nicht bis ins Detail durchzutakten. Nur so kam eine Identifikation mit dem Ziel, den Werten der Mannschaft und der Bereitschaft, sich untereinander zu helfen, zustande.

Es war ein Prozess, der die vergangenen zwei Jahre umfasst. Das Ergebnis war eine Mannschaft, die einen klaren taktischen Plan verfolgte. Die sichtlich Lust hatte, Fußball zu spielen. Die Widerstände überwinden konnte und die eine Mentalität an den Tag legte, die wir noch viel häufiger brauchen.

Leider hat es am Ende nicht für den ganz großen Wurf gereicht. Ein Zeichen dafür, dass wir noch weiter optimieren können und müssen, dass wir uns niemals zufrieden zurücklehnen dürfen. Aber auch, dass Leistung und Arbeit anerkannt werden dürfen, wenngleich mal nicht Platz eins am Ende steht. Oft ist der "Weg", den man beschreitet, viel entscheidender als das Ziel - und langfristig vielleicht sogar noch mehr wert.

[dfb]

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den DFB-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute: Meikel Schönweitz, Cheftrainer der U-Nationalmannschaften. Er beobachtete die U 21 bei der EM in Italien und San Marino vor Ort, ordnet die Leistungen ein und sagt, was es für den deutschen Nachwuchs bedeutet.

Was gibt es für einen Fußballer eigentlich Schöneres, als ein Finale bei einem großen Turnier zu spielen? Unsere U 21-Nationalmannschaft hat sich dank einer tollen Arbeit in den vergangenen zwei Jahren sowie einer klasse Turnierleistung in Italien und San Marino für das EM-Endspiel qualifiziert. Im Finale unterlag das Team von DFB-Trainer Stefan Kuntz den starken Individualisten aus Spanien denkbar knapp mit 1:2. Zwei Fragen werden mir seitdem immer wieder gestellt: Wie ist diese Leistung in der Gesamtsituation im deutschen Fußball einzuordnen, und wie kam sie eigentlich zustande?

Ich möchte dies differenziert betrachten, denn es gibt nicht nur "schwarz" und "weiß". Im Jahr 2017 holte der DFB den Confed-Cup und die U 21-Europameisterschaft. Ganz Europa beneidete uns um unsere vielen Talente. Ein Jahr später wiesen die Bundesligateams in den europäischen Wettbewerben leider eine schlechte Bilanz auf, und wir schieden bei der WM in Russland in der Gruppenphase aus. Deutschland - so die Wahrnehmung - lag am Boden und befand sich in einer Krise. Nun, 2019, erreicht die U 21 das EM-Finale, qualifiziert sich für Olympia 2020 in Tokio und die Mannschaft weist eine makellose Bilanz in der EM-Quali auf. Es scheint, als sei plötzlich alles wieder gut. Hierbei wird mir zu sehr in Extremen gedacht.

Wir sind gut aufgestellt, vielleicht etwas zu gut

Betrachten wir die Situation lieber sachlich und analytisch. Wir sind gut aufgestellt, vielleicht sogar etwas zu gut, weil zu professionell - und wir sind allein aufgrund der Größe unseres Landes in der Lage, gute Nationalmannschaften zusammenzustellen. Wir haben auch keine Krise. Aber was ist unser Anspruch? Wir möchten mit den Nationalmannschaften zurück an die Weltspitze und einen Beitrag zur erfolgreichen Positionierung des deutschen Fußballs leisten. Wir möchten den Talentpool in Deutschland optimal ausschöpfen. Wir möchten - gemeinsam mit den Vereinen - Spitzenspieler ausbilden. Was Aufwand und Ertrag betrifft, sind uns andere Nationen derzeit voraus. Ebenso, was die individuelle Qualität der Spieler angeht. Und wir sehen Tendenzen, dass sich das künftig noch verstärken könnte.

Das bedeutet weder, dass wir in ein Extrem verfallen müssen, noch dass wir keine guten Nachwuchsspieler haben. Es lässt sich schlichtweg konstatieren, dass unser Ausbildungssystem deutliche Defizite aufweist, auf die wir derzeit bundesweit aufmerksam machen. An den richtigen Stellschrauben zu drehen, ist eine große Herausforderung, weil viele verschiedene Institutionen und Verantwortliche daran beteiligt sind und unterschiedliche Interessen verfolgen. Es kostet nun einmal Zeit, die Argumente auszutauschen und die Mehrheiten für die richtigen Lösungen zu bündeln. Es bedarf mutiger Schritte, wenn wir unser System anpassen möchten. Denn, um bei der U 21 zu bleiben, es muss uns früher gelingen, die Luca Waldschmidts, Marco Richters, Maxi Eggesteins und Florian Neuhaus' zu erkennen und ihrem Alter und ihrem Können angemessen zu fördern.

Mentalität und Spielfreude, gepaart mit Teamplayer-Eigenschaften

Allein schon weil sehr viele U 21-Spieler eine sensationelle Entwicklung rund um das Turnier genommen haben, war es ein Erfolg. Aber auch so ist diese Vizeeuropameisterschaft ein Gewinn. Die Art und Weise, wie die Jungs Deutschland repräsentiert haben, war hervorragend, vor allem ihre Mentalität und Spielfreude, gepaart mit Teamplayer-Eigenschaften. All das ist auch der Kaderzusammenstellung und der Arbeit von Stefan Kuntz und seinem Funktionsteam zu verdanken. Sie haben diese Persönlichkeiten gefördert. Um die sportlichen Qualitäten zu entwickeln, bedurfte es eines klaren taktischen Plans, der auf die Fähigkeiten der Spieler abgestimmt war. Es bedurfte Mut, die Spieler auch mal Fehler machen zu lassen, ihnen Freiheiten zu geben, sich als Mannschaft zusammenzufinden. Diesen Prozess galt es zu steuern, zu begleiten, aber nicht bis ins Detail durchzutakten. Nur so kam eine Identifikation mit dem Ziel, den Werten der Mannschaft und der Bereitschaft, sich untereinander zu helfen, zustande.

Es war ein Prozess, der die vergangenen zwei Jahre umfasst. Das Ergebnis war eine Mannschaft, die einen klaren taktischen Plan verfolgte. Die sichtlich Lust hatte, Fußball zu spielen. Die Widerstände überwinden konnte und die eine Mentalität an den Tag legte, die wir noch viel häufiger brauchen.

Leider hat es am Ende nicht für den ganz großen Wurf gereicht. Ein Zeichen dafür, dass wir noch weiter optimieren können und müssen, dass wir uns niemals zufrieden zurücklehnen dürfen. Aber auch, dass Leistung und Arbeit anerkannt werden dürfen, wenngleich mal nicht Platz eins am Ende steht. Oft ist der "Weg", den man beschreitet, viel entscheidender als das Ziel - und langfristig vielleicht sogar noch mehr wert.

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